Aus der Wörtersammlung: hand

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radar

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alpha : 0.02 – Viel­leicht sind Dis­zi­pli­nen der Arith­me­tik einer­seits, das lei­den­schaft­li­che Wün­schen eines schrei­ben­den Erfin­ders ande­rer­seits, im Moment der Ent­de­ckung sei­ner Spur Werk­zeu­ge ein und der­sel­ben Hand. — stop

interview
tahrir square februar 2011
kurz vor ausbruch staatlicher gewalt
gegen aktivisten/innen auf dem platz
source : zero silence project
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nachtbuch

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oli­mam­bo : 5.15 — Regel­mä­ßi­ges, stun­den­lan­ges Geräusch des Regens ver­gan­ge­ne Nacht. Auch dann noch, wäh­rend ich Duke Elling­ton hör­te für eine Stun­de, weil ich den Regen sehen konn­te im Licht der Stra­ßen­la­ter­nen und die Spur der Geräu­sche wei­ter­dach­te. Man soll­te ein­mal ein Nacht­buch notie­ren, das nur vom Regen han­delt, ein Buch der Regen­schir­me, ein Buch trie­fen­der Men­schen, ein Buch der Schlauch­boo­te, ein Buch, mit dem in der Hand man übers Was­ser lau­fen könn­te. Wenn es sehr gut gelun­gen sein wird, wür­de man viel­leicht von Zeit zu Zeit den Blick von beleuch­te­ten Zei­len heben und sich wun­dern, wes­we­gen man in einem Zim­mer lesend unter einem Regen­schirm Platz genom­men hat. – stop

ping

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luftpostbrief

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lima : 0.55 — Manch­mal sitz ich im Zug und foto­gra­fie­re mit mei­nem Kopf. Ich betrach­te eine Frau, einen Mann, ein Kind für zwei oder drei Sekun­den, und ver­su­che mir bereits in der nächs­ten Minu­te ein Licht­bild in Erin­ne­rung zu rufen. Ich den­ke: blau­er Schal, Hän­de, fei­ne Hän­de, Augen blau, Augen müde, Augen glück­lich, blau und müde, Turn­schu­he, gel­be Turn­schu­he, Zei­tung, was für eine Zei­tung, Haar­far­be, Schnee­haut, Mund, lächeln­der Mund, hör­te eine frem­de Spra­che, was für eine Spra­che könn­te das gewe­sen sein? Ich sit­ze also mit einem Bild in mei­nem Kopf im Zug und lau­sche einer Stim­me. Das Bild spricht. Das Bild lebt wei­ter. In jedem Bild, das in einem Zug auf­ge­nom­men wird, fin­det sich Bewe­gung, jene Stimm­be­we­gung viel­leicht, oder bereits die Bewe­gung der Erfin­dung. Wes­halb waren die Augen müde und ihr Aus­druck glück­lich? Eine Lie­bes­ge­schich­te? Oder wars die Zei­tung? Ja, was war das noch für eine Zei­tung? Viel­leicht ein Irr­tum, viel­leicht war die Zei­tung kei­ne Zei­tung, son­dern ein Brief gewe­sen, ein lang erwar­te­ter Brief, ein Brief, lie­be­voll von Hand geschrie­ben, ein Luft­post­brief, leicht, sehr leicht, ein Brief, noch kühl vom Flug. stop. Das Geräusch des Papiers. stop. Knis­ternd. stop. Auf­ste­hen! stop. Den Zug ver­las­sen! stop. Mit geschlos­se­nen Augen! — stop

interview
tahrir square
februar 2011
kurz vor ausbruch
staatlicher gewalt gegen
aktivisten/innen auf dem platz
source : zero silence project
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take one / 2

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echo : 3.05 — Wie­der gedacht, dass die Erfin­dung der Trom­pe­ten­kä­fer einen Pro­zess dar­stel­len könn­te, der aus zehn­tau­send Ein­zel­ge­dan­ken besteht, die sich nicht sel­ten zärt­lich wie­der­ho­len. — Kurz nach drei Uhr. Habe erneut ver­sucht, mich an den ers­ten Gedan­ken zu erin­nern, der ein Trom­pe­ten­kä­fer­ge­dan­ke gewe­sen sein könn­te, wie immer ver­geb­lich! Fan­gen wir noch ein­mal von vor­ne an: Da waren ein­mal mei­ne klei­nen Augen und mei­ne klei­nen Füße, eine klei­ne Nase, ein klei­ner Mund. Von Zeit zu Zeit, wenn ich aus­ru­he, wenn ich auf einem Stuhl sit­ze ohne einen Gedan­ken, der auf­ge­schrie­ben wer­den müss­te, betrach­te ich mei­ne Hän­de. Mei­ne lin­ke Hand ruht dann an der Innen­sei­te mei­ner rech­ten Hand. Sie schei­nen sich zu ken­nen. Ich ver­mag mei­ne Hän­de zu betrach­ten, als wären sie nicht mei­ne Hän­de, son­dern die Hän­de einer ande­ren Per­son. Wie wür­de ich heu­te gestal­tet sein, wenn ich eines Tages nicht auf­ge­hört haben wür­de zu wach­sen? — Vier Uhr elf in Kai­ro, Ägyp­ten. Drei Uhr zwölf in Tunis, Tuni­sia. — stop

ping

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silence

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romeo : 22.58 — Da waren ein­mal mei­ne klei­nen Augen und mei­ne klei­nen Füße, eine klei­ne Nase, ein klei­ner Mund. Von Zeit zu Zeit, wenn ich aus­ru­he, wenn ich auf einem Stuhl sit­ze ohne einen Gedan­ken, der auf­ge­schrie­ben wer­den müss­te, betrach­te ich mei­ne Hän­de. Mei­ne lin­ke Hand ruht dann an der Innen­sei­te mei­ner rech­ten Hand. Sie schei­nen sich zu ken­nen. Ich ver­mag mei­ne Hän­de zu betrach­ten, als wären sie nicht mei­ne Hän­de, son­dern die Hän­de einer ande­ren Per­son. Wie wür­de ich heu­te gestal­tet sein, wenn ich eines Tages nicht auf­ge­hört haben wür­de zu wach­sen? — stop

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kalkutta

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echo : 17.05 — Traum­wärts in Kal­kut­ta gewe­sen. Spa­zier­te unter einem Regen­schirm bis zu den Hüf­ten hin in schil­lern­dem Was­ser. Büch­sen und Tüten und Schu­he düm­pel­ten um mich her­um, dar­un­ter strah­len­de, lachen­de Gesich­ter von Kin­dern, die bade­ten, in dem sie mit sehr hel­len Stim­men zu mir spra­chen. Bald zogen sie mich mit sich fort durch enge Stra­ßen, die höl­zer­ne Häu­ser säum­ten. In die Wand eines die­ser Häu­ser war ein Com­pu­ter­bild­schirm ein­ge­las­sen, dar­un­ter eine Tas­ta­tur mit Tas­ten je so groß wie eine aus­ge­wach­se­ne mensch­li­che Hand. Die Kin­der erzähl­ten, jene gefan­ge­ne Maschi­ne sei ihre Maschi­ne. Sie hüpf­ten vor den Wand hin und her, in dem sie einen Text notier­ten, den ich nicht lesen konn­te. Auch des­halb nicht lesen konn­te, weil ich mei­ne Arme und Bei­ne beob­ach­te­te, die je in eine ande­re Him­mels­rich­tung fort­ge­tra­gen wur­den. Eine Selbst­auf­lö­sung, die sich in Minu­ten­frist voll­zog, als sei der Text der Kin­der eine Beschwö­rung gewe­sen, die mei­ne ana­to­mi­sche Gestalt sorg­fäl­tig in klei­ne­re Tei­le zer­leg­te. Eines der Kin­der nahm mei­nen Kopf mit sich nach Hau­se. Behut­sam wur­de ich getra­gen und vol­ler Stolz her­um­ge­zeigt. Eine gespens­ti­sche Geschich­te viel­leicht, die sich ereig­ne­te am Mon­tag bereits irgend­wann gegen 3 Uhr am Nach­mit­tag. — stop
ping

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herr auf bahnsteig

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echo : 6.28 — Ein älte­rer Herr abends spät auf dem Bahn­steig einer Metro­sta­ti­on. Der Mann ist offen­sicht­lich glück­lich. Gera­de noch, vor weni­gen Minu­ten, pas­sier­te er mit einem Kof­fer in der lin­ken Hand eine Bild­schirm­wand, las im lang­sa­men Gehen einen Text, der eine hal­be Minu­te zuvor dort erschien. Die­ser Text, eine Mel­dung, berich­tet von For­schungs­er­geb­nis­sen eines nord­ame­ri­ka­ni­schen Insti­tu­tes, man habe näm­lich her­aus­ge­fun­den, dass die Inten­si­tät der Gefüh­le mit dem wach­sen­den Alter eines Men­schen stei­gen wür­de, man kön­ne sich mit 60 Jah­ren am Bes­ten in eine ande­re Per­son hin­ein­ver­set­zen, gleich­wohl schwie­ri­gen Zei­ten etwas Gutes abge­win­nen. Wie er die­sen Text nun liest, wird der alte Mann lang­sa­mer, hält schliess­lich an, wen­det sich dem Licht des Bild­schir­mes zu, setzt den Kof­fer neben sich auf den Boden ab. Leicht nach vor­ne gebeugt steht er da, ein Schat­ten, eine Sil­hou­et­te, die sich auch dann nicht bewegt, als die Nach­richt, die von der Natur, vom elek­tri­schen Wesen des alten Man­nes per­sön­lich erzählt, ver­schwin­det und statt­des­sen ein Wet­ter­be­richt ( Eis und Schnee), eine Rei­se­emp­feh­lung ( Ägyp­ten ), sowie aktu­el­le Devi­sen­kur­se ( Dol­lar stei­gend ) erschei­nen. Der alte Mann war­tet, er war­tet zwei oder drei Minu­ten, bis der Text, den er stu­dier­te, wie­der­kehrt. Wei­te­re Minu­ten ver­ge­hen, dann nimmt der alte Mann sei­nen Kof­fer vom Boden, dreht sich auf dem Absatz her­um, sieht mich an, er lächelt und geht wei­ter. Eine Frau nähert sich in die­sem Moment, da ich notie­re, dem Luft­raum vor dem Bild­schirm. Sie trägt einen läng­li­chen Edel­papp­kar­ton, in dem sich, einer Zeich­nung fol­gend, ein Weih­nachts­baum ( Tan­ne ) befin­den soll. Aber das ist schon eine ganz ande­re Geschich­te. Guten Morgen!

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karusellfahrt

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zou­lou : 6.12 — Seit Jah­ren bereits wünsch ich mir ein beson­de­res Buch, eines, das mei­ne Gedan­ken ver­zeich­nen wür­de, sobald ich spa­zie­ren gehe. Hand­lich müsst es sein und leicht und geräusch­los schrei­ben. Viel­leicht wäre es mög­lich, die­se klei­ne Gedan­ken­schreib­ma­schi­ne so zu pro­gram­mie­ren, dass sie jene Gedan­ken, die neue Gedan­ken sind, zu unter­schei­den ver­mag von allen wei­te­ren Gedan­ken, von Gedan­ken, die sich wie­der und wie­der den­ken wol­len, von krei­sen­den Gedan­ken, von Karus­sell­fahrt­ge­dan­ken. Der­art aus­ge­stat­tet, wür­de die Notiz­ma­schi­ne ein Ver­zeich­nis anle­gen einer­seits für die Ver­samm­lung neu­es­ter, sagen wir, ursprüng­li­cher Gedan­ken, und bald ein zwei­tes Ver­zeich­nis, in dem Gedan­ken und ihre Wie­der­ho­lung archi­viert sein wür­den. Eine höchst inter­es­san­te Affä­re, zu beob­ach­ten, wie sich das Wachs­tum, das Grö­ßen­ver­hält­nis der Ver­zeich­nis­se zu ein­an­der beneh­men wür­de in der ver­ge­hen­den Zeit. — stop

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flügel

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tan­go : 6.15 — Im Zug sass ein Mann, der sich mit einer Frau in der Hand­zei­chen­spra­che der gehör­lo­sen Men­schen unter­hielt. Obwohl ich die Hän­de der zwei Spre­chen­den ein­ge­hend betrach­te­te, lie­ßen sie sich nicht stö­ren, ver­mut­lich weil sie ahn­ten oder wuss­ten, dass ich ihre Spra­che nicht ver­ste­hen konn­te. Der Ein­druck, dass die bei­den wei­te­re Kör­per­zei­chen ver­wen­de­ten, um die Spra­che ihrer Hän­de zu ergän­zen. Als wären sie Flü­gel eines Vogels, der sich Was­ser aus dem Gefie­der schüt­telt, flat­ter­ten ihre Augen­li­der auf und nie­der. Kaum den Zug ver­las­sen, ver­such­te ich ver­geb­lich die­se erstaun­li­che Bewe­gung ihrer Augen nach­zu­ah­men. Und auch heu­te Mor­gen, nach einer ruhi­gen Nacht, bin ich nicht in der Lage, mei­ne Lider in der beschrie­be­nen Wei­se erzit­tern zu las­sen. So uner­reich­bar sind sie wie mei­ne Ohren, die nie gehor­chen wol­len, wenn ich mir mit ihrer Hil­fe Luft zufä­cheln möch­te. Viel­leicht werd ichs am Abend noch ein­mal pro­bie­ren. Neh­me an, sie haben Töne erzeugt, sin­gen­de Töne mit ihren Augen im Zug.

ping

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coney island

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alpha : 5.05 — Das Gewicht einer Erfin­dung. Wie ich mit Innen­au­gen einen elek­tri­schen Vogel beob­ach­te, der sin­kend reg­los auf mei­ner elek­tri­schen Hand­flä­che ruht. Ein­mal fol­ge ich in die­ser Wei­se Gene Hack­man. Wir gehen zu Fuß unter der Hoch­bahn, Still­way Ave­nue, Rich­tung atlan­ti­scher Küs­te. Coney Island, rot glü­hen­des Neon­licht klap­pern­der Buden, Gestank von ran­zi­gem Fisch, Regen, Tang­wind, mein Pho­to­ap­pa­rat, der den Poli­zis­ten erfolg­los zu belich­ten sucht. Statt­des­sen Erschei­nung der Trop­fen, Bäl­le aus gro­ßer Höhe, erstaun­lich. — Unbe­ding­ter Durchstiegswille.