Aus der Wörtersammlung: mensch

///

transistoren

5

hima­la­ya : 0.02 — Wie wür­de Han­nah Are­ndt über das Wag­nis der Öffent­lich­keit for­mu­lie­ren in unse­rer Zeit, in einer Zeit, da Men­schen ohne jede Scheu und in gut begrün­de­ter Vor­aus­sicht, zutiefst ver­letzt zu wer­den, mit Wor­ten, Bil­dern, Fil­men öffent­lich in intims­te Win­kel ihrer See­len leuch­ten? Ein­mal, als Com­pu­ter noch mit­tels Tran­sis­tor­röh­ren rech­ne­ten, bemerkt sie mit ihrer tie­fen, rau­en Stim­me, das Wag­nis der Öffent­lich­keit sei für eine Per­son nur mög­lich im Ver­trau­en auf die Mensch­lich­keit der Men­schen selbst. — stop

ping

///

abendsegler

5

romeo : 2.15 — Eines Tages im Zwie­licht in gro­ßer Höhe über einer blü­hen­den Gar­ten­stadt auf einem Fens­ter­brett sit­zen und mit einer Angel Fle­der­mäu­se fischen. — Sind Abend­seg­ler genieß­bar? — Die kräf­ti­gen Mus­keln ihrer Brust viel­leicht? — Oder ihre Flü­gel? — Wäh­rend ich vor­hin so saß und über­leg­te, wel­che Hal­tung ich ein­neh­men soll­te, um noch stil­ler zu wer­den, um noch tie­fer in die Din­ge hin­ein hören zu kön­nen, die Ein­sicht, dass ich nie­mals einen ande­ren Men­schen tat­säch­lich erfin­den wer­de, als mich selbst. — Womit könn­te ich begin­nen? — Viel­leicht mit mei­nen Hän­den? — Die Ster­ne sind rund. — Zar­te Fin­ger von Licht. — stop. – Kurz nach 2 Uhr. — stop. – Ich beob­ach­te­te mei­ne Hän­de, wie sie eine Melo­ne schäl­ten. Indem ich eine Melo­ne mit dem Vor­satz öff­ne­te, mei­ne Hän­de zu beob­ach­ten, wur­den mei­ne Hän­de unsi­cher. Der Ein­druck, als wäre die­se Melo­ne die ers­te Melo­ne, die ich je geöff­net habe. — Erstaun­lich. — stop
ping

///

siatista

pic

ulys­ses : 15.02 — Nörd­li­ches Grie­chen­land. Kar­ge Land­schaft. Man erzähl­te mir von Sia­tis­ta, dort sol­len Wöl­fe leben in den Ber­gen, aus wel­chen die Stei­ne der Häu­ser der klei­nen Stadt geschla­gen sind. Im Win­ter fällt Schnee und bleibt lie­gen. Dann kom­men die Wöl­fe näher her­an, sind zu hören in den Näch­ten, ihr heu­len­des Gespräch. Alt sind sie, uralt wie die Men­schen in die­ser Gegend, die sich wider­set­zen, wenn ihre letz­te Stun­de gekom­men ist, leben sie ein­fach wei­ter. Sobald ein Win­ter endet und die Ber­ge blü­hen für eine kur­ze Zeit in allen Far­ben, die man sich nur vor­stel­len kann, liegt eine jun­ge Frau auf einer Wie­se her­um. Die­se Wie­se ist weiß von den Kör­ben der Kamil­le, eine Wie­se, die die Gestalt der jun­gen Frau erin­nert, wie sie auf dem Rücken liegt, immer an der­sel­ben Stel­le in den Him­mel schaut und glaubt über ein Eis­meer zu flie­gen. Wenn man sie besu­chen, wenn man sich neben sie legen wür­de, könn­te man Geschich­ten hören, die sie mit tie­fer Stim­me sogleich erzäh­len wird. Dass sie blau war zum Bei­spiel, ein blau häu­ti­ges Kind, dass sie nicht atmen konn­te in der ers­ten Stun­de ihres Lebens, dass man sie mit Luft, anstatt mit Was­ser tauf­te, weil man glaub­te, sie wer­de ihre zwei­te Lebens­stun­de nicht betre­ten. Dass sie sich im Alter von vier Jah­ren im Schnee ver­irr­te, dass zwei Wöl­fin­nen sie wärm­ten für eine Nacht, bis man sie fand. Dass sie eine Par­ti­sa­nen­toch­ter sei, dass sie mit den Schild­krö­ten spre­chen kön­ne und den Schlan­gen, den Fal­tern, den Flie­gen. Dann wird sie ein wenig schwei­gen und eine Hand­voll Aka­zi­en­blü­ten rei­chen, sie schmeck­ten vor­züg­lich, man müs­se sie sich auf die Zun­ge legen und war­ten, bis sie schmel­zen. Jetzt liegt die jun­ge Frau wie­der auf dem Rücken zum Eis­meer hin, erzählt wei­ter, erzählt von den lan­gen Wegen im Win­ter zur Schu­le und dass sie ein Jahr zurück das ers­te Mal das Meer gese­hen habe. Ein gro­ßer Frie­den. Ihre Stim­me, die so selt­sam tief ist. Das Brum­men drei­hun­dert Jah­re alter Insek­ten. Auch Wöl­fe fres­sen wei­ße Blü­ten. — stop

für v.s.
siatista

///

copernic

9

echo : 8.27 — Ich stel­le mir vor, an die­sem wun­der­schö­nen Mor­gen unterm Regen­licht, ein­mal die Spu­ren eines Men­schen zu erfin­den, von dem nichts geblie­ben ist, als der Schat­ten sei­ner Fra­gen an die Meta-Such­ma­schi­ne COPERNIC auf einem Note­book, das ihn von Geburt an beglei­te­te. Kön­nen Kro­ko­di­le hören? Eine Spur feins­ter Boh­run­gen der Luft. – Wäh­rend ich die­se Zei­len notier­te, ist mir auf­ge­fal­len, dass bis vor Kur­zem noch Men­schen exis­tier­ten, die in der Elek­tro­sphä­re nie eine Spur zeich­ne­ten. Mei­ne Lieb­lings­tan­te zum Bei­spiel, ein wun­der­ba­res Geschöpf, das an Sonn­ta­gen immer oder an Mon­ta­gen zu Besuch gekom­men war. Wir nann­ten sie Wal­ly. Sie hat­te sehr wei­che, rosi­ge Haut und immer­zu küh­le Hän­de und war von einem Bal­lon Laven­del­duft umhüllt. Da war Moos, ein moos­grü­nes Kleid, und da war ein spin­nen sei­di­ges Haar­netz (War­um?), und eine rußi­ge Stirn zur Win­ter­zeit, und das Rascheln der Papier­tü­ten, das Lauch­ge­mü­se, das dort her­aus­rag­te, und klei­ne Geschen­ke, die sie uns Kin­dern mit­brach­te, – Match­box­au­tos, Füll­fe­der­hal­ter, Mal­bü­cher -, und ihre Schen­kel, auf denen ich turn­te, der nas­se, bit­te­re Kuss, der nie­mals abge­wen­det wer­den konn­te. Eine Bril­le, nicht wahr, saß locker auf ihrer Nase, ein Gestell von Holz, dar­in run­de Glä­ser, die ich gern mit mei­nen Fin­gern berühr­te. Irgend­wann ein­mal erzähl­te mir jemand, die Wal­ly sei 1919, als Räte ihre Hei­mat­stadt ver­tei­dig­ten, im Kugel­ha­gel über die Mün­che­ner Gol­lier­stra­ße gerobbt. Des­halb die Pis­to­le in ihrer Tasche, des­halb das Feu­er in ihren Augen. So alt ist sie jetzt gewor­den, die Wal­ly, dass sie auf­ge­hört hat zu leben.

walli

///

hydra

9

sier­ra : 20.34 — Eine Film­da­tei exis­tiert seit Jah­ren im Gedächt­nis mei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne. Ich habe die­se Datei noch nie geöff­net. Sie soll Bil­der ent­hal­ten, die den gewalt­sa­men Tod des Jour­na­lis­ten Dani­el Pearl vor lau­fen­der Kame­ra zei­gen. Immer wie­der der Gedan­ke, die Fra­ge, was ich unter­neh­men, was ich füh­len, wie ich leben wür­de, wenn ich wüss­te, dass Bil­der des Todes eines von mir gelieb­ten Men­schen, sei­ne Ernied­ri­gung, sei­ne Ver­zweif­lung betrach­tet wer­den oder betrach­tet wer­den könn­ten von Aber­tau­sen­den wil­der und frem­der Augen­paa­re. — Kann man mit einer Hydra ver­han­deln? — stop

///

tian’anmen

9

oli­mam­bo : 23.32 — Das Gespräch am spä­ten Abend mit Din. Ihre lei­se, sin­gen­de Stim­me. Sie sei, als die Pan­zer kamen, in eine Sei­ten­stra­ße geflüch­tet. Wie sie ihre Augen schließt, wie sie sagt, sie habe kei­ne Men­schen mehr gese­hen nach kur­zer Zeit, eini­ge Freun­de nur, die sich an die Wän­de der Häu­ser drück­ten. Die Hand ihrer gro­ßen Schwes­ter. Die Luft, die auf ihrem klei­nen Kör­per beb­te. Aber Men­schen­stil­le. Wie sie nach Wör­tern sucht, nach Wör­tern in deut­scher Spra­che, die geeig­net wären, zu beschrei­ben, was sie in dem Moment, da ich auf die Fort­set­zung ihrer Erzäh­lung war­te, hört in ihrem Kopf. Das fei­ne, das selt­sa­me Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie am Aus­druck mei­ner Augen bemerkt, dass ich wahr­ge­nom­men haben könn­te, dass die Bil­der, die ich wuss­te, tat­säch­lich gesche­hen waren, das Mas­sa­ker auf dem gro­ßen Platz, stol­pern­de Men­schen, Men­schen auf Bah­ren, zer­malm­te Fahr­rä­der, der Mann mit Ein­kaufs­tü­ten in sei­nen Hän­den auf der Para­de­stra­ße vor einem Pan­zer ste­hend. Dann die Flucht ins häus­li­che Leben zurück wie in ein Ver­steck, das stum­me Ver­schwin­den jun­ger Leben für immer. Staub. Du soll­test mit Stäb­chen essen, sagt Din, das machst Du so, schau! — stop

ping

///

burma

9

india : 6.15 — Wann genau habe ich auf­ge­hört, an die Nacht­men­schen Bur­mas zu den­ken? Und war­um habe ich auf­ge­hört, an die Nacht­men­schen Bur­mas zu den­ken? Viel­leicht, weil das Bild­schirm­licht aus­ge­fal­len ist? Haben die Mör­der auf­ge­hört zu mor­den? — stop

ping



ping

ping