Aus der Wörtersammlung: sprechen

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engelgeschichte für geraldine

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del­ta : 0.03 — Vor lan­ger Zeit habe ich eine klei­ne Geschich­te geschrie­ben, die von Engeln erzählt. Ich kann nicht genau sagen war­um, ich habe die­se Geschich­te bereits zwei­mal aus dem Licht der Öffent­lich­keit zurück­ge­zo­gen, sie aber nie gelöscht. Als ich ges­tern nun über die Kind­heit eines Mäd­chens nach­dach­te, das in einer vor­neh­men Gegend Man­hat­tans auf­ge­wach­sen ist, fiel mir die Geschich­te wie­der ein und ich habe nach ihr gesucht. Ich wer­de sie jetzt für Geral­di­ne an die­ser Stel­le end­gül­tig notie­ren. Lie­be Geral­di­ne, wo auch immer Du sein magst, die­se fol­gen­de Geschich­te gehört Dir. Hör zu: Ein­mal, immer nur ein­mal im Jahr, kom­men die Engel der Stadt New York in einer Kir­che zur gro­ßen Ver­samm­lung geflo­gen. Die stei­ner­nen Engel kom­men von den Fried­hö­fen her, die höl­zer­nen Engel aus den Gar­ten­lau­ben, kost­ba­re Por­zel­la­nen­gel öff­nen ihre Vitri­nen und segeln über den Hud­son durch die küh­le Abend­luft. Auch von den Tape­ten stei­gen Engel auf, ver­las­sen ihre Post­kar­ten­zim­mer, Bücher und Zei­len, in wel­chen sie ver­merkt wor­den sind Zei­chen für Zei­chen. Sie stei­gen aus den Träu­men der Kin­der, der Müt­ter, der Väter, wie Men­schen aus Stra­ßen­bah­nen stei­gen sie aus. Sobald sie Luft unter ihren Schwin­gen füh­len, wer­fen sie ihre Gold­staub­män­tel von den Schul­tern, sprin­gen aus Bade­wan­nen, stark schon unterm Was­ser geschmol­zen, löschen das Licht, das auf ihren Köp­fen fla­ckert, umflat­tern noch ein­mal kurz die Häup­ter der stei­ner­nen Mari­en, auf deren Hän­den sie um ein wei­te­res Jahr geal­tert sind. Es ist kaum rich­tig Nacht gewor­den, da kann man es in den Kel­lern schon äch­zen hören, wenn sie sich mit ver­ein­ten Kräf­ten gegen die schwe­ren Deckel der Tru­hen stem­men, in denen sie auf­ge­ho­ben sind von Fest zu Fest. Man muss sich, sofern man ein Mensch ist, nur im Dezem­ber in Man­hat­tan, Queens oder Brook­lyn am rich­ti­gen Tag zur rich­ti­gen Stun­de vor einen Engel set­zen. Sobald es dun­kel gewor­den ist, setzt man sich hin und war­tet. Man war­tet nicht lan­ge, man war­tet eine Stun­de oder zwei und plötz­lich ist der Engel fort­ge­flo­gen. Nach Süden ist er geflo­gen, oder nach Nor­den, auf kür­zes­tem Weg vor­bei an beben­den Vögeln zur größ­ten Kir­che der Stadt. Dort nimmt der Engel unter Engeln Platz. Über­all sit­zen sie inzwi­schen bis unter die Gewöl­be, auf der Kan­zel, den Bet­stüh­len, den hei­li­gen Figu­ren, auch auf den Mosai­ken des Bodens, den Chö­ren, dem Altar, den Ver­stre­bun­gen der Kreu­ze, den Kno­chen­fi­gu­ren, ja, auf Chris­tus selbst haben sie Platz genom­men. Sie sind alle sehr leicht. Im Grun­de wie­gen sie nichts. Sie sind von der Schwe­re eines Wun­sches und spre­chen in einer von kei­nem For­scher erschlos­se­nen Spra­che. Fröh­li­che Engel­ge­stal­ten, jawohl. Sie lachen, das Lachen der Engel, wie tol­le Fle­der­mäu­se lachen sie, so hell. Dann, kurz nach Mit­ter­nacht ist’s gewor­den, kommt einer der drei gro­ßen Engel, immer kommt nur einer von ihnen und immer kommt er zu spät, wur­de auf­ge­hal­ten im Auf­trag befind­lich, ein­mal ist es Gabri­el, dann Rapha­el, dann Micha­el. Sehr lang­sam, ein Künst­ler des Flie­gens, schwebt er her­ein, nimmt Platz auf den Stu­fen, schlägt die Bei­ne über­ein­an­der und leuch­tet. Ruhig sieht er unter die Ver­samm­lung, wäh­rend er sei­ne gewal­ti­gen Schwin­gen hin­ter dem Rücken fal­tet. Jetzt wer­den die klei­nen Engel andäch­tig und still. Ver­ein­zelt kommt noch ein ver­gess­li­cher Kund­schaf­ter durchs Kir­chen­schiff gerast, da und dort tru­delt ein betrun­ke­nes Feder­we­sen von höhe­rer Stel­le. Ist dann alles schön geord­net, erhebt der Erz­engel sei­ne Stim­me. Es ist ein Sin­gen, ein wun­der­ba­rer Alt­so­pran, eine uner­hört schö­ne Spra­che. Er sagt: Guten Abend, Engel.
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napapiin

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india : 6.22 — Schau­te gegen den Him­mel. Bemerk­te, dass sich die Dun­kel­heit wie eine Flüs­sig­keit ver­hielt. Vögel hüpf­ten in die­ser feuch­ten Licht­lo­sig­keit in Kas­ta­ni­en­bäu­men von Ast zu Ast, ein traum­ar­ti­ges Bild. Viel­leicht habe ich etwas gese­hen, das ich nur des­halb beob­ach­ten konn­te, weil ich ohne jeden Grund auf der Stra­ße stand, wie aus einem Ver­se­hen her­aus, ein Mann, der die fal­sche Tür genom­men hat­te. Jetzt, etwas spä­ter, ahne ich, dass ich dort vor dem Haus gelan­det war, weil ich ins­ge­heim wünsch­te, mit mei­nen Gedan­ken an den gewalt­sa­men Tod eines Tor­hü­ters, unter frei­em Him­mel zu ste­hen. Und wie ich so war­te­te, hör­te ich die Stim­me sei­ner muti­gen, jun­gen Frau in mei­nem Kopf, eine Stim­me, die ver­such­te, von all dem Wahn­sinn, dem Wahn­sinn des Ver­heim­li­chens zu spre­chen. Da war ein­mal ein Mensch gewe­sen, der nicht wei­ter­le­ben konn­te, der ster­ben muss­te, weil er sei­ne Ver­letz­lich­keit, sei­ne Schwä­che, sei­ne Mensch­lich­keit nicht zei­gen durf­te oder glaub­te, sie nicht zei­gen zu dür­fen. So könn­te das gewe­sen sein. Ein Mensch, der lan­ge Zeit über Was­ser has­te­te. So weit ist er gelau­fen, dass kein Land mehr zu sehen, kein Laut mehr zu hören gewe­sen war. — 2 Uhr und fünf­zehn Minu­ten. Die Welt dreht sich, um einen Atem­zug lang­sa­mer gewor­den, wei­ter, immer wei­ter. Soeben wur­de amt­li­cher­seits die Öff­nung fol­gen­der Weih­nachts­post­äm­ter, nörd­li­che Hemi­sphä­re, bekannt gege­ben: Nord­pol-Grön­land San­ta Claus Nord­po­len, Jule­man­dens Post­kon­tor DK-3900 Nuuk / Finn­land Santa’s Main Post Office FIN-96930 Napa­pi­in / USA San­ta Claus India­na 47579.
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dorothy parker

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india : 23.12 — Ein selt­sa­mer Traum. Als ich erwach­te, stol­per­te ich unver­züg­lich zum Schreib­tisch und notier­te: Mit Doro­thy Par­ker spa­ziert. Manch­mal fra­ge ich mich, wie mei­ne Träu­me ent­ste­hen, wie ich dazu kom­me, mir Geschich­ten zu erzäh­len, die von kos­mi­scher Fer­ne sind, obwohl ich doch selbst in ihnen ent­hal­ten bin. Vor dem Hotel im Traum, 37. Stra­ße West, war­te­te eine uralte, strah­lend schö­ne Frau, die nach mei­nem rech­ten Arm ver­lang­te, ohne ein Wort zu spre­chen, eine geschmei­di­ge, eine unwi­der­steh­lich rei­zen­de Ges­te, und schon waren wir auf dem Weg dem Süden zu. Win­ter­zeit, die Stra­ßen dampf­ten. Schwei­gend gin­gen wir neben­ein­an­der her. Die alte Frau trug einen schwe­ren, dunk­len Pelz­man­tel, fei­ne Leder­hand­schu­he von wei­ßer Far­be und einen roten Hut, auf den ich her­ab­se­hen konn­te, weil die Gestalt an mei­ner Sei­te sehr zier­lich gewe­sen war. Ich kann mich nicht erin­nern, wer nun wen durch Man­hat­tan führ­te, jeden­falls pas­sier­ten wir den Broad­way, die Bowery, die Brook­lyn Bridge. Wir muss­ten lan­ge Zeit unter­wegs gewe­sen sein, weil Mrs. Doro­thy Par­ker, die sich selbst im Traum nicht zu erken­nen gab, sehr, sehr lang­sam ging. Ein­mal hob ich sie hoch und trug sie eine Wei­le und sie schlief in mei­nen Armen ein. Dann erreich­ten wir den Pro­s­pect Park, eine Gegend, die mir bekannt zu sein schien. Da war eine Kreu­zung. Und da war Har­vey Kei­tel, der foto­gra­fier­te. Er kam auf mich zu und betrach­te­te das Gesicht der alten Frau und lächel­te und erkun­dig­te sich, ob ich denn wüss­te, wen ich da in den Armen hal­ten wür­de. — Und jetzt ist wie­der Nacht gewor­den und ich habe gute, sehr gute Lau­ne und fun­ken­de Lust traum­wärts wei­ter­zu­er­zäh­len. Wie nur kom­me ich über den Atlan­tik hin­weg genau an den Ort mei­ner klei­nen Schlaf­ge­schich­te zurück?
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ohrensegel

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whis­key : 0.01 – Gespräch mit einer klei­nen Phi­lo­so­phin am frü­hen Abend in einer Stra­ßen­bahn, wes­we­gen ich nun für den Rest mei­nes Lebens gerührt sein wer­de von einem ihrer Gedan­ken, der mir zu erklä­ren ver­such­te, wes­we­gen ihre Ohren etwas grö­ßer sei­en als die Ohren ihrer bes­ten Freun­din. Das wäre näm­lich so, dass ihre Ohren des­halb grö­ßer sei­en, weil sie viel weni­ger spre­chen wür­de als ihre Freun­din übli­cher­wei­se. Ich kann, fuhr sie fort, mit mei­nen Ohren sogar mei­ne eige­ne Stim­me hören, obwohl ich gar nichts sage. Blin­de segel­ten durch die Luft. — stop
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existenz

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oli­mam­bo

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : EXISTENZ

Wie weit Sie wohl gekom­men sind, mein lie­ber Kek­ko­la? Sie soll­ten New Hamp­shire längst erreicht haben. Nach wie vor erseh­ne ich eine Nach­richt, obwohl ich mir unge­zähl­te Male vor­ge­nom­men habe, nie wie­der in einem Zustand von Erwar­tung zu leben. Und doch ist das jetzt so gekom­men, dass ich mich sor­ge, weil Sie kein Zei­chen, nicht das gerings­te Lebens­zei­chen über­mit­teln. Ein Satz, mein Freund, eine lee­re E‑Mail wür­de genü­gen, ich wäre zufrie­den, weil ich doch wüss­te, dass Sie in der Lage sind, zu lesen, was ich für Sie notie­re. Stel­len Sie sich vor, in der ver­gan­ge­nen Nacht habe ich mir über­legt, ob Sie nicht viel­leicht rei­ne Erfin­dung sind und Ihre Brie­fe an mich nur aus­ge­dacht. Mein lie­ber Kek­ko­la, wo auch immer Sie sich auf­hal­ten mögen, neh­men Sie wahr, dass ich an Sie den­ke. Unlängst, das soll­ten Sie wis­sen, stell­te ich noch die Fra­ge, wie Tief­see­ele­fan­ten hören, was sie mit­ein­an­der spre­chen, da doch die Sprech­ge­räu­sche ihrer Rüs­sel sehr weit von ihren Ohren ent­fernt jen­seits der Was­ser­ober­flä­che zur Welt kom­men und rasch in alle Him­mels­rich­tun­gen ver­schwin­den. Ihr Lou­is, hoffend.

gesen­det am
10.10.2009
22.38 MESZ
1138 zeichen

lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

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blaue kamele

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tan­go : 3.28 – Wie wir auf den Schul­tern unse­res Vaters durch die Welt schau­kel­ten, als säßen wir auf dem Rücken eines Dro­me­dars, das die mensch­li­che Spra­che spre­chen konn­te. Wie er uns das Licht erklär­te, die Geschwin­dig­keit und die Zeit, die das Licht unter­wegs gewe­sen war, um zu uns zu kom­men. Sei­ne gro­ßen Schu­he, in wel­chen wir durch den Gar­ten segel­ten. Und Gene Krup­pa, Drum­mer­man, dort, noch lan­ge vor unse­rer Zeit, Vater, mit Schlips im Anzug als jun­ger Mann. Heu­te Nacht erzäh­len wir uns Geschich­ten. Und schon ist es kurz nach zwei Uhr gewor­den. Ich habe ganz heim­lich mei­ne Schreib­ma­schi­ne ange­schal­tet, um eine wei­te­re klei­ne Geschich­te auf­zu­schrei­ben, weil Geschich­ten auf Papier oder Geschich­ten, die man von einem Bild­schirm lesen kann, wie alle ande­ren Geschich­ten als lei­se beten­de Stim­men zu ver­neh­men sind. Die­se Geschich­te nun geht so. Immer an Frei­ta­gen, ich war fünf oder sechs Jah­re alt gewe­sen war, brach­te mein Vater aus dem Insti­tut, in dem er als Phy­si­ker arbei­te­te, Kar­ten mit nach Hau­se, die ich bema­len durf­te, Com­pu­ter­loch­kar­ten, kräf­ti­ge, beige Papie­re, in wel­chen sich selt­sa­me Löcher befan­den. Die­se Löcher waren nie­mals an der­sel­ben Stel­le zu fin­den, und ich erin­ne­re mich, dass ich mich über ihr Ver­hal­ten hef­tig wun­der­te. Ich war zu jener Zeit ein begeis­ter­ter Maler, ich mal­te mit Wachs­krei­de und ich mal­te in allen Far­ben, über die ich ver­fü­gen konn­te, weil ich das Bunt­sein schon immer moch­te. Ich mal­te blaue Kame­le und schwar­ze Blu­men und rote Mon­de. Ein­mal frag­te ich mei­nen Vater, was jene Löcher bedeu­te­ten, über deren Exis­tenz ich mich freu­te, weil sie ver­steck­te Bil­der zeig­ten, die ich so lan­ge such­te, bis ich sie gefun­den hat­te. Hör zu, sag­te mein Vater. — stop
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sprechgeräusche

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gink­go : 2.15 – Etwas Selt­sa­mes ist gesche­hen. Bin ges­tern Abend im Gar­ten ein­ge­schla­fen, obwohl ich in einem äußerst span­nen­den Buch geblät­tert hat­te. Viel­leicht war’s die schwe­re, war­me Luft oder eine schlaf­lo­se Nacht der ver­gan­ge­nen Jah­re, die rasch noch nach­ge­holt wer­den muss­te. So oder so schlief ich eine Stun­de tief und fest im Gras und wäre ver­mut­lich bis zum frü­hen Mor­gen hin in die­ser Wei­se anwe­send und abwe­send zur glei­chen Zeit auf dem Boden gele­gen, wenn ich nicht sanft von einer nacht­wan­deln­den Amei­se geweckt wor­den wäre. Kaum hat­te ich die Augen geöff­net, war ich schon mit einer Fra­ge beschäf­tigt, die ich erst weni­ge Stun­den zuvor ent­deckt hat­te, mit der Fra­ge näm­lich, wie Tief­see­ele­fan­ten hören, was sie mit­ein­an­der spre­chen, da doch die Sprech­ge­räu­sche ihrer Rüs­sel sehr weit von ihren Ohren ent­fernt jen­seits der Was­ser­ober­flä­che zur Welt kom­men und rasch in alle Him­mels­rich­tun­gen ver­schwin­den. Eine dif­fi­zi­le Fra­ge, eine Fra­ge, auf die ich bis­her viel­leicht des­halb kei­ne Ant­wort gefun­den habe, weil ich eine Ant­wort nur im Schlaf fin­den kann, wenn mein Gehirn machen darf, was es will. – Fan­gen wir an. – stop – Drei Uhr und zwölf Minu­ten in Isfa­han, Iran. – stop
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elefanti

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sier­ra : 0.01 — In der vor­letz­ten Nacht, zwei Uhr wars gewor­den, hab ich in einem Bahn­hof unter dem Frank­fur­ter Flug­ha­fen Vögel ent­deckt. Das Neon­licht fla­cker­te und die Vögel, Tun­nel­vö­gel, zwit­scher­ten. Kurz zuvor hat­te ich noch in einem Café geses­sen und einer Frau zuge­hört, die mir von Kala­bri­en erzähl­te, vom Haus ihrer Eltern, einem uralten Gebäu­de, des­sen Stei­ne seit zwei­hun­dert Jah­ren roten Sand der Saha­ra wei­nen. Das war ein schö­nes Bild gewe­sen, und so berich­te­te ich ihr von mei­nen Gedan­ken, die seit Tagen um das Wesen der Tief­see­ele­fan­ten krei­sen. Sie woll­te alles ganz genau wis­sen, lach­te immer­zu, und dreh­te ein rotes Eis­schirm­chen in ihren Hän­den, dass mir ganz schwin­de­lig wur­de. Nach einer Wei­le unter­brach sie mich und kam näher und behaup­te­te ernst­lich, dass sie als Mäd­chen beim Tau­chen die­sen Wesen, Ele­fan­ti, genau so begeg­net sei, wie ich sie in Wor­ten gezeich­net hat­te, das heißt, jenen Rüs­seln, die aus der dunk­len Tie­fe rag­ten. Sie sind warm, sag­te sie, und weich, und wenn Du Dein Ohr an einen die­ser Rüs­sel legen wür­dest, könn­test Du was hören, sag ich Dir. Aber über die Mafia woll­te sie nicht spre­chen. Wir haben so schö­ne Land­schaf­ten dort, und Dör­fer, und das Meer, ja, das Meer. Dann war sie tod­mü­de zur Arbeit zurück­ge­gan­gen und ich war­te­te auf einen Zug und hör­te den Tun­nel­vö­geln zu und dach­te, wie son­der­bar das alles doch ist, ein Wun­der, das gan­ze Leben Tag und Nacht.
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siatista

pic

ulys­ses : 15.02 — Nörd­li­ches Grie­chen­land. Kar­ge Land­schaft. Man erzähl­te mir von Sia­tis­ta, dort sol­len Wöl­fe leben in den Ber­gen, aus wel­chen die Stei­ne der Häu­ser der klei­nen Stadt geschla­gen sind. Im Win­ter fällt Schnee und bleibt lie­gen. Dann kom­men die Wöl­fe näher her­an, sind zu hören in den Näch­ten, ihr heu­len­des Gespräch. Alt sind sie, uralt wie die Men­schen in die­ser Gegend, die sich wider­set­zen, wenn ihre letz­te Stun­de gekom­men ist, leben sie ein­fach wei­ter. Sobald ein Win­ter endet und die Ber­ge blü­hen für eine kur­ze Zeit in allen Far­ben, die man sich nur vor­stel­len kann, liegt eine jun­ge Frau auf einer Wie­se her­um. Die­se Wie­se ist weiß von den Kör­ben der Kamil­le, eine Wie­se, die die Gestalt der jun­gen Frau erin­nert, wie sie auf dem Rücken liegt, immer an der­sel­ben Stel­le in den Him­mel schaut und glaubt über ein Eis­meer zu flie­gen. Wenn man sie besu­chen, wenn man sich neben sie legen wür­de, könn­te man Geschich­ten hören, die sie mit tie­fer Stim­me sogleich erzäh­len wird. Dass sie blau war zum Bei­spiel, ein blau häu­ti­ges Kind, dass sie nicht atmen konn­te in der ers­ten Stun­de ihres Lebens, dass man sie mit Luft, anstatt mit Was­ser tauf­te, weil man glaub­te, sie wer­de ihre zwei­te Lebens­stun­de nicht betre­ten. Dass sie sich im Alter von vier Jah­ren im Schnee ver­irr­te, dass zwei Wöl­fin­nen sie wärm­ten für eine Nacht, bis man sie fand. Dass sie eine Par­ti­sa­nen­toch­ter sei, dass sie mit den Schild­krö­ten spre­chen kön­ne und den Schlan­gen, den Fal­tern, den Flie­gen. Dann wird sie ein wenig schwei­gen und eine Hand­voll Aka­zi­en­blü­ten rei­chen, sie schmeck­ten vor­züg­lich, man müs­se sie sich auf die Zun­ge legen und war­ten, bis sie schmel­zen. Jetzt liegt die jun­ge Frau wie­der auf dem Rücken zum Eis­meer hin, erzählt wei­ter, erzählt von den lan­gen Wegen im Win­ter zur Schu­le und dass sie ein Jahr zurück das ers­te Mal das Meer gese­hen habe. Ein gro­ßer Frie­den. Ihre Stim­me, die so selt­sam tief ist. Das Brum­men drei­hun­dert Jah­re alter Insek­ten. Auch Wöl­fe fres­sen wei­ße Blü­ten. — stop

für v.s.
siatista



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