Aus der Wörtersammlung: tief

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elefanti

9

sier­ra : 0.01 — In der vor­letz­ten Nacht, zwei Uhr wars gewor­den, hab ich in einem Bahn­hof unter dem Frank­fur­ter Flug­ha­fen Vögel ent­deckt. Das Neon­licht fla­cker­te und die Vögel, Tun­nel­vö­gel, zwit­scher­ten. Kurz zuvor hat­te ich noch in einem Café geses­sen und einer Frau zuge­hört, die mir von Kala­bri­en erzähl­te, vom Haus ihrer Eltern, einem uralten Gebäu­de, des­sen Stei­ne seit zwei­hun­dert Jah­ren roten Sand der Saha­ra wei­nen. Das war ein schö­nes Bild gewe­sen, und so berich­te­te ich ihr von mei­nen Gedan­ken, die seit Tagen um das Wesen der Tief­see­ele­fan­ten krei­sen. Sie woll­te alles ganz genau wis­sen, lach­te immer­zu, und dreh­te ein rotes Eis­schirm­chen in ihren Hän­den, dass mir ganz schwin­de­lig wur­de. Nach einer Wei­le unter­brach sie mich und kam näher und behaup­te­te ernst­lich, dass sie als Mäd­chen beim Tau­chen die­sen Wesen, Ele­fan­ti, genau so begeg­net sei, wie ich sie in Wor­ten gezeich­net hat­te, das heißt, jenen Rüs­seln, die aus der dunk­len Tie­fe rag­ten. Sie sind warm, sag­te sie, und weich, und wenn Du Dein Ohr an einen die­ser Rüs­sel legen wür­dest, könn­test Du was hören, sag ich Dir. Aber über die Mafia woll­te sie nicht spre­chen. Wir haben so schö­ne Land­schaf­ten dort, und Dör­fer, und das Meer, ja, das Meer. Dann war sie tod­mü­de zur Arbeit zurück­ge­gan­gen und ich war­te­te auf einen Zug und hör­te den Tun­nel­vö­geln zu und dach­te, wie son­der­bar das alles doch ist, ein Wun­der, das gan­ze Leben Tag und Nacht.
ping

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loop

9

sier­ra : 0.08 — Geschich­ten, die sich gut begrün­det wie­der­ho­len, ver­traut gewor­de­ne Geschich­ten. Die­se hier, zum Bei­spiel, im Febru­ar 2008 aus der Luft gefischt: Da war mir doch in den Zei­ten der Vogel­grip­pe, bei klei­ne­ren Tur­bu­len­zen, im Gang eines Flug­zeu­ges eine uralte Lady ent­ge­gen­ge­kom­men, deren Gesichts­zü­ge mich sofort an Coco Cha­nel erin­ner­ten. Von zier­li­cher Gestalt trug sie einen dunk­len Man­tel, leich­te, fla­che Schu­he und mach­te Schrit­te wie ein Matro­se auf hoher See. Vor allem ihr schloh­wei­ßes Haar und ihr äußerst wil­lens­star­ker Blick sind nah geblie­ben, auch ihr hell­rot geschmink­ter Mund, der min­des­tens acht­zig Jah­re alt gewe­sen sein muss­te, und doch bei­na­he wirk­te wie der Mund einer jun­gen Frau. Eines Abends, wäh­rend ich einer Nach­rich­ten­sen­dung folg­te, erin­ner­te ich mich an die­se selt­sa­me Frau, und ich stell­te mir vor, wie sie aus der drit­ten Eta­ge eines Miets­hau­ses in den Kel­ler steigt, um ein Roll­wä­gel­chen zu suchen, das sie dort für immer abge­stellt hat­te, nach­dem sie beim Ein­kau­fen um ein Haar gestürzt war. Es ist also frü­her Mor­gen, es ist Win­ter und noch dun­kel, als die alte Dame das Haus ver­lässt. Ich sehe sie mit vor­sich­ti­gen Schrit­ten in ihrem Man­tel und Pelz­stie­fel­chen über die Stra­ße gehen. An der ers­ten Ampel biegt sie nach links ab, über­quert einen Platz, folgt einer wei­te­ren schma­len Stra­ße, jetzt ist sie vor einem Super­markt ange­kom­men. Sie stellt ihr Roll­wä­gel­chen in der Nähe der Kas­se ab, geht in die Geträn­ke­ab­tei­lung und nimmt eine Fla­sche Was­ser aus dem Regal. Sie trägt die Fla­sche zu ihrem Wägel­chen, kehrt zurück, nimmt sich die nächs­te Was­ser­fla­sche aus dem Regal und so geht das fort, bis das Wägel­chen gut gefüllt ist und ein wenig pfeift, wie es auf dem Heim­weg über die Stra­ße gezo­gen wird. — Jetzt ist die alte Frau vor der Tür ihres Hau­ses ange­kom­men. — Jetzt stellt sie das Wägel­chen neben die Trep­pe, die zur Haus­tü­re führt. — Jetzt ist sie mit einer der Fla­schen im Haus ver­schwun­den. — Zehn Minu­ten ver­ge­hen. Dann erscheint sie wie­der auf der Stra­ße. Sie hat ihren Man­tel aus­ge­zo­gen, trägt eine graue Jacke und Sport­schu­he. Kurz, für zwei oder drei Sekun­den, hält sie sich am Gelän­der der Trep­pe fest. — stop
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aquarium

9

whis­key : 0.01 — Ein selt­sa­mes Geräusch, das mich weck­te, als wür­den sin­gen­de Gril­len in mei­nem Zim­mer sit­zen. Ich stand dann auf und träum­te in der Küche, wäh­rend ich das Früh­stück mach­te, noch etwas wei­ter, aber bald hör­te ich es wie­der, das Geräusch durch den Flur um die Ecke. Nein, Gril­len waren das nicht, auch kei­ne hei­se­ren Vögel. Was ich hör­te, war das glück­li­che Trom­pe­ten einer Her­de Tief­see­ele­fan­ten, die im Aqua­ri­um zwi­schen John­son und Mel­ville im Kreis her­um­spa­zier­te. Nicht grö­ßer als Mur­meln und von tief­blau­er Far­be, tas­te­ten sie mit haar­fei­nen Rüs­seln im Sand und an den Schei­ben. Die ein oder ande­re Dschun­gel­pflan­ze hat­ten sie, wäh­rend ich schlief, aus dem Boden geris­sen, über­haupt war die Land­schaft, die ich seit Jah­ren ken­ne, in Auf­ruhr gera­ten, Muschel­häu­ser segel­ten durchs war­me Was­ser, auch Pan­zer­wel­se und ein paar Suma­trabar­ben, ohne Fas­sung, wie irr, mit dem Bauch nach oben. Ein fas­zi­nie­ren­der Anblick, ein Toll­haus. Wie ich mich lie­be­voll über das Aqua­ri­um beug­te, hoben sie ihre Rüs­sel aus dem Was­ser und ich spür­te den Luft­zug ihrer Instru­men­te auf der Stirn. Und jetzt ist Mit­ter­nacht gewor­den, das Ende eines wun­der­schö­nen Tages der Beob­ach­tung, den ich auf mei­nem Gar­ten­stuhl ver­brach­te. Ich habe weder gele­sen noch sonst gear­bei­tet, nur geschaut habe ich und gestaunt. — stop
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appalachian trial

14

echo

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : NACHTBÄREN

Lie­ber Mr. Kek­ko­la, haben Sie sich also auf den Weg gemacht! Wie sehr ich mich für Sie freue! Den Appa­la­chi­an-Trail ein­mal anstatt von Süden kom­mend, von Nor­den her zu bewan­dern: fei­ne Idee. Ich bin begeis­tert! Aber Sie sind spät, sehr spät sind Sie, vie­le Tage wer­den Sie unter Regen­wol­ken wan­dern. Ich hof­fe, man hat Sie gut vor­be­rei­tet, hof­fe, dass Sie über ein was­ser­fes­tes Tele­fon und eine gleich­wohl was­ser­fes­te Schreib­ma­schi­ne ver­fü­gen. Ihre ers­te Nach­richt ist heu­te Mor­gen jeden­falls bei mir ein­ge­trof­fen. Eine E‑Mail, der nicht anzu­se­hen ist, dass sie in der Wild­nis geschrie­ben wur­de. Wir leben doch in selt­sa­men Zei­ten. Ich habe mir sofort eine klei­ne Kar­te ihrer Rou­te besorgt. Was machen die Bären? Und die Bie­nen? Und die Amei­sen? Natür­lich wer­de ich unver­züg­lich an Sie schrei­ben, sobald ich einen ers­ten tie­fe­ren Ein­druck vom Rüs­sel­prin­zip der Tief­see­ele­fan­ten gewon­nen habe. Ich den­ke Tag und Nacht über das Atmen in gro­ßer Tie­fe nach. Ganz vor­sich­tig tei­le ich Ihnen mit, dass ich viel­leicht bereits eine Ahnung habe. Bis bald, mein lie­ber Kek­ko­la. Pas­sen Sie gut auf sich auf! – Ihr Louis

gesen­det am
27.07.2009
18.58 MESZ
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lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

trail

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sandaugen blau

9

sier­ra : 10.15 — Ein Spa­zier­gang durch den Prä­pa­rier­saal bei som­mer­li­chen Tem­pe­ra­tu­ren. Woll­te Augen betrach­ten, fixier­te Augen, und so ging ich von Tisch zu Tisch und such­te nach san­di­gen, bläu­lich schim­mern­den Bäl­len. Mein scheu­er, mein ruhi­ger, mein fast küh­ler Blick. In der ver­gan­ge­nen Nacht aber, weiß der Him­mel, war­um, ein star­ker Ein­druck von Unheim­lich­keit, indem ich Ansich­ten weck­te und buch­sta­bier­te gegen 2. Ich stand vor dem Schreib­tisch auf, öff­ne­te die Fens­ter, ließ war­ten­de Flie­gen und Fal­ter her­ein, hör­te Char­lie Par­ker bis in die Mor­gen­däm­me­rung und dach­te wei­ter nach über das Rüs­sel­prin­zip der Tief­see­ele­fan­ten. Die Fra­ge stellt sich seit Tagen drin­gend, wie sie Luft von der Mee­res­ober­flä­che zu sich in die Tie­fe holen. — Kön­nen Tief­see­ele­fan­ten sehen? — stop

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raumschiff

9

india : 20.56 — Eine Libel­le gegen den Abend zu, mari­ne­blau, die sich nahe mei­ner Nase in die Luft set­ze. Bald eine Vier­tel­stun­de betrach­te­te sie mich oder schlief, wäh­rend ich einen Roman beob­ach­te­te und doch zugleich an ent­fern­te Din­ge dach­te, an eine Mond­lan­dung vor vier­zig Jah­ren zum Bei­spiel, und an die Nach­richt, das durch­schnitt­li­che Alter der Besat­zung des Flug­zeug­trä­gers USS Har­ry S. Tru­man, des­sen Crui­se-Mis­siles Bag­dad bom­bar­dier­ten, habe 19 Jah­re betra­gen. Und da war noch ein ande­res, ein wär­men­des Bild in mei­nem lesen­den Kopf, von dem ich ges­tern noch wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges in einer Wei­se erzähl­te, als wäre ich leib­haf­tig in nächs­ter Nähe gewe­sen, als auf hoher See der Rüs­sel eines Tief­see­ele­fan­ten den Schrei einer Möwe der­art lust­voll imi­tier­te, dass tat­säch­li­che Möwen, ein Schwarm, aus dem hei­te­rem Him­mel stürz­ten. — Ein lachen­der Mund, der sich lang­sam näher­te. —  Ein Raum­schiff. — Wie alle Geschich­ten plötz­lich ende­ten und auch die Zeit. — stop

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tiefseeelefanten

14

echo

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : MONTAUK

Lie­ber Mr. Kek­ko­la, haben Sie vie­len Dank für die fei­ne Foto­gra­fie, die Sie mir ges­tern Abend über­mit­tel­ten. Wie ich mich herz­lich freue, dass Sie sich an mich erin­ner­ten, an die Geschich­te uralter Ele­fan­ten­wan­der­we­ge, die den Grund des Kari­ba­sees durch­kreu­zen. Und doch glau­be ich, ist der See, an den ich vor lan­ger Zeit ein­mal dach­te, viel zu tief und viel zu breit, als dass Ele­fan­ten ihn pas­sie­ren könn­ten, ohne Scha­den zu neh­men. Nun, wir wer­den sehen. Ich bin beru­higt, weil Sie mir schrei­ben, dass ich Ihren Namen als Pseud­onym wei­ter­hin ver­wen­den darf, auch für unheim­li­che Geschich­ten, wie die Geschich­te mei­ner spe­zi­el­len Käfer­we­sen von Men­schen­haut. Schön muss es bei ihnen sein, in Montauk. Ich besuch­te Ihre Gegend mit der Goog­le — Earth­ma­schi­ne, habe ihr Haus beob­ach­tet und am Strand den Schat­ten einer mensch­li­chen Gestalt. Denk­bar, dass Sie das gewe­sen sind, so klein, so win­zig. Habe ich Ihnen berich­tet, dass ich ein Wunsch­buch für Träu­me füh­re seit eini­gen Tagen? Ich könn­te, nein, ich soll­te für die kom­men­de Nacht notie­ren: Schla­fen gegen zwei! Erzähl dir Ele­fan­ten­her­den, die den Atlan­tik durch­que­ren. Schwe­bend unter Rüs­seln von fan­tas­ti­scher Län­ge, leicht, wie Men­schen auf dem Mond, spa­zie­ren sie schnor­chelnd über schnee­wei­ßen Tief­see­sand. Herz­lich grüßt Sie Ihr Lou­is. Ahoi!


gesen­det am
12.07.2009
22.58 MEZ
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lou­is to jonathan
noe kekkola »

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taube

9

nord­pol : 0.08 — Kürz­lich im Traum im Park ein Gespräch mit einer Tau­be, geräusch­los war sie auf mei­ner lin­ken Schul­ter gelan­det. Ich erkun­dig­te mich, wes­halb sie und alle ihre Tau­ben­freun­de so tief, so dicht über den Boden flie­gen wür­den an die­sem schö­nen Som­mer­tag. Die Tau­be ant­wor­te­te: Über das Licht, das aus dem Boden kommt, wis­sen wir alles. Heu­te viel Son­ne von unten. Sie späh­te dann in das Buch, das ich mir zu lesen vor­ge­nom­men hat­te. Und weil sie sehr viel schnel­ler las als ich, zerr­te sie unge­dul­dig an mei­nem Ohr­läpp­chen, sobald sie war­ten wuss­te, bis ich end­lich wei­ter­blät­ter­te. – Ana­to­mi­sche Arbeits­wör­ter des Abends : Lobus Tem­po­ra­lis : Man­del­kern : Hip­po­cam­pus : Tha­la­mus. — stop

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zoé valdés

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lima : 0.03 — Die sanf­te, sin­gen­de Stim­me Zoé Val­dés. Wie sie erzählt, sie habe in Havan­na mit Freun­den nachts Roma­ne kopiert, um sicher sein zu kön­nen, kost­ba­re, ver­bo­te­ne Tex­te nie­mals zu ver­lie­ren. Beson­de­re Bücher, stel­le ich mir vor, die zu jeder Zeit nur dann in ihre Tie­fen les­bar, also hör­bar, also denk­bar sind, indem sie von Hand auf wei­te­re Papie­re über­tra­gen wer­den. Abends über den Tischen des Hof­gar­tens das fei­ne Orkan­licht der Pro­pel­ler­kä­fer. — stop

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abschnitt neufundland

picping

Abschnitt Neu­fund­land mel­det fol­gen­de gegen Küs­te gewor­fe­ne Arte­fak­te : Wrack­tei­le [ See­fahrt – 224, Luft­fahrt — 2198, Auto­mo­bi­le — 23855], Gruß­bot­schaf­ten in Glas­be­häl­tern [ 18. Jahr­hun­dert — 3, 19. Jahr­hun­dert – 178, 20. Jahr­hun­dert – 1215 , 21. Jahr­hun­dert — 76 ], phy­si­cal memo­ries [ bespielt — 218, gelöscht : 7 ], Licht­fang­ma­schi­nen [ H3DII-50 Has­sel­blad : 1 ], Öle [ 4.8 Ton­nen ], Pro­the­sen [ Herz — Rhyth­mus­be­schleu­ni­ger – 88, Knie­ge­len­ke – 2, Hüft­ku­geln – 65, Bril­len – 1866 ], Schu­he [ Grö­ßen 28 – 39 : 1227, Grö­ßen 38 — 45 : 567 ], Kühl­schrän­ke [ 210 ], Tief­see­tauch­an­zü­ge [ ohne Tau­cher – 7, mit Tau­cher – 28 ], Engels­zun­gen [ 22 ] — stop

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