Aus der Wörtersammlung: tropfen

///

leuchtfeuer

2

echo : 8.01 — Die Wie­der­ho­lung einer Nacht­zeit vor weni­gen Stun­den noch. Regen. Das Geräusch des Was­sers, ein Geräusch des Bodens, der Stäm­me, der Dächer, der Regen­rin­nen. Viel­leicht, weil in ihm Zeit ent­hal­ten ist, Trop­fen für Trop­fen zu einer regel­mä­ßi­gen Bewe­gung, höre ich die­ses Geräusch als ein beru­hi­gen­des Geräusch. Oder auch des­halb, weil ich das Wesen der Kie­men­men­schen in mir tra­ge, weil ich von Men­schen­woh­nun­gen erzäh­le, die unter Was­ser ste­hen. An die­sem küh­len Mor­gen ist etwas Wesent­li­ches fest­zu­hal­ten, ein ange­neh­mes Wort, das Wort Leucht­feu­er. Und dass ich von Kra­ni­chen träum­te, ja träum­te, selbst ein Kra­nich unter Kra­ni­chen zu sein. Wir flo­gen eine Küs­te ent­lang. Ich erin­ne­re mich, dass ich durs­tig gewe­sen war, weil viel Son­ne vom Him­mel brann­te. Die Kra­ni­che bemerk­ten bald, dass mich die Hit­ze quäl­te. Sie such­ten nach mei­nem Schna­bel, um mich mit Was­ser zu füt­tern. Aber ich hat­te kei­nen Schna­bel, son­dern einen mensch­li­chen Mund, wes­halb sie bald auf­ga­ben, mich füt­tern zu wol­len. Statt­des­sen näher­te sich einer nach dem ande­ren, um nach­zu­se­hen, welch selt­sa­mer Vogel mit ihnen nach Nor­den flog. — stop

///

metamorphose

2

india : 7.32 — An einem Tisch im wil­den Gar­ten. Die Son­ne schien kräf­tig über nahen Ber­gen, wärm­te mich und eine Amei­se, die über das Holz des Tisches spa­zier­te als wür­de sie einen Aus­weg suchen, auf und ab, hin und her. Ich habe sofort bemerkt, dass es sich bei die­ser Amei­se um eine sehr beson­de­re Amei­se han­del­te, es war näm­lich die ers­te Novem­ber­amei­se mei­nes bewuss­ten Lebens, wes­we­gen ich ihr einen Trop­fen Mar­me­la­de vor­ge­legt habe, was das fieb­ri­ge Insekt zu erfreu­en schien, weil es den Trop­fen zunächst umkreis­te, um sich kurz dar­auf mit Zan­gen­werk­zeug an die Arbeit zu machen. Ich stell­te mir vor, in dem ich die Amei­se beob­ach­te­te, dass sie, satt gewor­den, zum Rand des Tisches lau­fen könn­te und sich in die Tie­fe stür­zen. Ihr groß­ar­ti­ger Flug weit über das Gar­ten­land auf Leder­häu­ten, die sich zwi­schen ihren zar­ten Bein­chen ent­fal­te­ten. Statt­des­sen fiel eine Flie­ge vom Him­mel, über­schlug sich zwei­fach und blieb auf dem Rücken unmit­tel­bar vor mei­nen Augen lie­gen. Aber das ist jetzt schon eine ganz ande­re Geschich­te. — stop
ping

///

segelohren

14

 

 

india

~ : louis
to : dai­sy und vio­let hilton
sub­ject : SEGELOHREN

Lie­be Dai­sy, lie­be Vio­let! Kühl ist die Luft gewor­den in den ver­gan­ge­nen Tagen. Als ob Herbst gewor­den sei, so eine Luft vol­ler Regen und Wind. Auf der Stra­ße lau­fen Men­schen her­um, die haben sich Trop­fen­fän­ger unter ihre Nasen gebun­den, die wund sind und geschwol­len. Ich selbst noch wohl­auf, was viel­leicht dar­in begrün­det sein könn­te, dass ich bereits jetzt schon kräf­ti­ge Wan­der­schu­he tra­ge für den kom­men­den Win­ter in New York. Will Euch eine Geschich­te notie­ren, an die­sem schö­nen, nas­sen Sonn­tag, die ich tat­säch­lich genau­so erlebt habe, wie ich sie erzäh­le, ob Ihr mir nun glau­ben wer­det oder nicht. Stellt Euch ein geräu­mi­ges Zim­mer vor. Ein gutes Dut­zend Ohren pro­pel­ler­ten dort durch die Luft, sie waren Gäs­ten ent­kom­men, die in nächs­ter Nähe eines Rund­funk­emp­fän­gers Platz genom­men hat­ten, um Ella Fitz­ge­rald zu lau­schen: It Don’t Mean a Thing If It Ain’t Got That Swing. Ein merk­wür­di­ger Anblick war das gewe­sen, bald lagen kämp­fen­de Ohren in Schich­ten über zwei Laut­spre­chern des Radi­os, wie Foot­ball­spie­ler, sagen wir, eine ran­geln­de Ban­de zwit­schern­der Ohren, so dass in dem Zim­mer der Ver­samm­lung vom Kon­zert kaum noch etwas zu hören gewe­sen war, als die­se Geräu­sche des Kamp­fes. Man kämpf­te auch dann noch ver­bis­sen wei­ter, als das Radio längst aus­ge­schal­tet wor­den war, ver­mut­lich des­halb, weil man mein­te, die nun auf­tre­ten­de Stil­le sei nicht wirk­lich vor­han­den. Ich habe drei Stun­den in der Beob­ach­tung des Tumul­tes zuge­bracht. Dann bin ich nach Hau­se zurück ohne mei­ne Ohren. Seit­her war­te ich gera­de­zu taub gewor­den auf ihre Rück­kehr. Bis bald ein­mal wie­der. Cuc­cur­ru­cu! – Euer Louis

gesen­det am
03.07.2011
20.05 MESZ
1587 zeichen

lou­is to dai­sy and violet »

ping

///

schweres wasser

pic

oli­mam­bo : 2.44 — Manch­mal suche ich nach der Ahnung eines Geräu­sches. Dann den­ke ich das Geräusch solan­ge wei­ter, bis ich mich an das erfun­de­ne Geräusch erin­nern kann. stop. Regen­ge­räusch. stop. Das Geräusch eines Regens, der die Nacht­luft hellt. stop. Wei­ßes Rau­schen. stop. Oder das Geräusch trop­fen­der Regen. stop. Schwe­res Was­ser. stop. Tam­bu­ri­ne. stop. Es ist beru­hi­gend, über den Regen nach­zu­den­ken. stop. Sicht­ba­re, hör­ba­re, fühl­ba­re Regen im Kopf. — stop

ping

///

coney island

2

alpha : 5.05 — Das Gewicht einer Erfin­dung. Wie ich mit Innen­au­gen einen elek­tri­schen Vogel beob­ach­te, der sin­kend reg­los auf mei­ner elek­tri­schen Hand­flä­che ruht. Ein­mal fol­ge ich in die­ser Wei­se Gene Hack­man. Wir gehen zu Fuß unter der Hoch­bahn, Still­way Ave­nue, Rich­tung atlan­ti­scher Küs­te. Coney Island, rot glü­hen­des Neon­licht klap­pern­der Buden, Gestank von ran­zi­gem Fisch, Regen, Tang­wind, mein Pho­to­ap­pa­rat, der den Poli­zis­ten erfolg­los zu belich­ten sucht. Statt­des­sen Erschei­nung der Trop­fen, Bäl­le aus gro­ßer Höhe, erstaun­lich. — Unbe­ding­ter Durchstiegswille.

///

mangrove

2

india : 22.58 — Im Pal­men­gar­ten befin­den sich acht waben­för­mi­ge Glas­häu­ser, die durch Schleu­sen­räu­me mit­ein­an­der ver­bun­den sind, so dass man in weni­gen Minu­ten zunächst durch eine Wüs­te spa­zie­ren kann, dann durch einen Regen‑, und kurz dar­auf durch einen Nebel­wald. Ich sitz gern dort, jen­seits der Man­gro­ven­ab­tei­lung im Bro­me­li­en­haus, und lese in was­ser­fes­ten Büchern her­um. Es ist ange­nehm still. Kaum jemand ver­irrt sich hier­her, so ver­steckt liegt die Wabe im Zen­trum der Glas­haus­ver­samm­lung. Und viel­leicht genau aus die­sem Grund, weil es von Men­schen still ist, kom­men dut­zen­de, lei­se jau­len­der Wach­teln unter Bäu­men zusam­men, auf wel­chen Blu­men lun­gern wie schla­fen­de Vögel. Hat­te vor Stun­den noch unter Luft­wur­zeln etwas Wil­helm Gen­a­zi­no beob­ach­tet. Plötz­lich bemerk­te ich, dass kein Geräusch um mich her­um zu hören war. Völ­li­ge Stil­le. Eine merk­wür­di­ge, eine tro­cke­ne Stil­le. Für einen kur­zen Moment der Ein­druck, wäh­rend des Lesens viel­leicht taub gewor­den zu sein. Schau­te mich um, sah eine Hand auf einer Buch­sei­te lie­gen und dach­te, dass ich jetzt mit die­ser Hand sofort zur Beru­hi­gung ein Papier­ge­räusch erzeu­gen müs­se. Ich blät­ter­te also um, und ich hör­te ein Rascheln und das lei­se Sau­sen der Luft, hör­te Vögel wie­der pfei­fen, das Trop­fen des Was­sers. Ich hör­te mei­ne Stim­me das Wort selt­sam sagen.
ping

///

die alte margareta spricht vom sterben

2

nord­pol : 18.15 — Nach­mit­tag. Wol­ken tief. Regen heut aus nächs­ter Nähe auf mei­nen Schirm her­ab. Auch von der Sei­te her Trop­fen, die so leicht sind, dass sie mit mei­nem Atem zurück gegen den Him­mel flie­gen. Mit Schreib­ma­schi­ne sitz ich und beob­ach­te ein hand­li­ches Kino. Dort das Gesicht einer uralten Frau. Sie heißt Mar­ga­re­ta, die Mar­ga­re­ta aus Wien. Mar­ga­re­ta ist 91 Jahr alt. Von einem bösen Krebs schwer gezeich­net, spricht sie im Ster­be­hos­piz in einer hei­te­ren Wei­se Gedan­ken in die Kame­ra, die mich berühr­ten, als ich sie zum ers­ten Mal hör­te, so dass ich mir vor­ge­nom­men hat­te, jeden ihrer Sät­ze in einer eige­nen Text­spur fest­zu­hal­ten. Heu­te nun ist Margareta’s Tag. Immer wie­der hal­te ich den Film an und notie­re Wort für Wort was Mar­ga­re­ta zum Ster­ben sagt: Ich glaub’s nicht gar so. Ich glaub’s nicht, dass man in den Him­mel kommt. Weil, mit was soll man denn? Ja, mit der See­le, nicht! Die See­le kommt in den Him­mel. Ja, aber wer ist denn die See­le? Das weiß man dann auch nicht. Ich sag das nur, weil Sie mich gefragt haben. Weiß ich nicht, wie das dann geht! Ich hab eine Cou­si­ne gehabt, die war sehr christ­lich. Wenn die nur ein­mal nicht in die Kir­che gegan­gen war, aber sie hat mir gesagt damals, sie war ein 18er Jahr­gang, ich bin ein 14er, mein Bru­der war ein 17er, und sie hat gesagt: Das glaub ich nicht, dass es nach dem Tod noch was gibt. Sie meint halt, dass wenn man stirbt, dass es dann aus ist. Ich weiß es auch nicht. Aber ich schla­fe jetzt auf die Nacht ein, und in der Früh werd ich mun­ter, das hab ich jetzt drei Mal schon gemacht, da den­ke und da träu­me ich gar nichts, so rich­tig nichts. Dann denk ich mir, siehst du, so wär das Ster­ben. Aber es ist halt so. Nein, so rich­tig weiß ich es nicht. Aber ich bin ja schon knapp davor. Mit 91 sind Sie knapp vor dem Ster­ben. Müs­sen Sie ja sein. — Mar­ga­re­ta hebt einen klei­nen Löf­fel vom Tisch. - Mein Gott, gar nichts essen möch­te ich am Liebsten.
ping

///

spieldose

2

tan­go : 0.03 — Vor Jah­ren, zur Som­mer­zeit, an der Sei­te einer schwer­mü­ti­gen Frau durch trop­fen­den Wald nahe eines Kran­ken­hau­ses. Es hat­te gereg­net, eine Sint­flut, das Kleid der Frau, von dem sie erzähl­te, dass es sich um ein bren­nen­des Kleid han­de­le, kleb­te an ihrem Kör­per fest. Schmal war sie gewor­den, zer­brech­lich, fast durch­sich­tig die Haut ihrer Hän­de, ihrer Wan­gen, ihres Hal­ses. Ich erin­ne­re mich, dass ich ihr Libel­len zeig­te, sie jag­ten dicht über den damp­fen­den Boden hin, Wald­erd­bee­ren, einen Frosch. Ich frag­te nach ihren Gedan­ken, aber ich konn­te sie  nicht errei­chen, auch mit mei­nen Bli­cken nicht, weil sie mich nicht anse­hen woll­te, son­dern vor sich hin starr­te, indem sie vor­sich­tig ihre Schrit­te setz­te, als wür­de der Boden unter ihren Füßen nicht wirk­lich exis­tie­ren. Ihr fei­nes Gesicht, ihre hel­len Augen, hell von Schmerz und Furcht. Wie sie nach einer lan­gen Zeit des Schwei­gens sag­te, nie­mand kön­ne ver­ste­hen, wie sie sich füh­le, kein Mensch, das sei schreck­lich, und das Atmen, die Angst, die Lee­re, der Ein­druck zu fal­len, und dass sie nicht wüss­te, wann das alles wie­der­kommt, wenn es doch ein­mal auf­ge­hört haben soll­te, und war­um. In einer ihrer Hän­de barg sie eine Spiel­do­se. Manch­mal hielt sie die klei­ne Maschi­ne vor ihr Gesicht und dreh­te an einer Kur­bel. Sie neig­te dann den Kopf zur Sei­te, und für einen Moment schien der Schmerz nach­zu­las­sen, eine Ahnung im Som­mer­re­gen, eine Erfah­rung größ­ter Fer­ne und Hilf­lo­sig­keit inmit­ten zir­pen­den, pfei­fen­den, rau­schen­den Lebens. Ges­tern in einer beson­de­ren Wei­se von dem erschüt­tern­den, hoff­nungs­fro­hen Film Helen in die Tie­fe erzählt. — Top five der schlech­tes­ten, gut gemein­ten Rat­schlä­ge von Leu­ten, die über­haupt kei­ne Ahnung haben: Fahr in die Feri­en, lies ein Buch, lass Dir die Haa­re schnei­den, reno­vier Dei­ne Woh­nung, ler­ne Joga.

///

zahlenflüstern

9

sier­ra : 5.05 — Unterm Schirm im Pal­men­gar­ten einem Gewit­ter zuge­hört. Nichts getan, als zu lau­schen und zu beob­ach­ten, dass mein Gehirn nicht schnell genug ist, um die Trop­fen eines kräf­ti­gen Regens, ihr Geräusch, nach­zu­zäh­len. Wie ich so erge­ben vor Schild­krö­ten und Karp­fen auf einer Bank lun­ger­te, ist mir auf­ge­fal­len, dass ich nicht ganz sicher sagen kann, ob es nicht viel­leicht doch die Wör­ter sind, die mich zur Zähl­schne­cke machen, jene Zah­len näm­lich, die ich ins­ge­heim ver­wen­de, um in der Sum­me vor­an zu kom­men. Ich bin dann, wäh­rend ich das Flam­men mei­ner Zahl­wör­ter beob­ach­te­te, ein­ge­schla­fen. Ein wei­te­rer Regen weck­te mich bald auf und wie­der ver­such­te ich zu zäh­len. Die­ses Mal zähl­te ich flüs­ternd und ich zähl­te lan­ge. Jetzt weiß ich, dass ich flüs­ternd schnel­ler zäh­len kann, als schwei­gend nur in Gedan­ken Zah­len notie­rend. Was ist das über­haupt für eine Stim­me in mei­nem Kopf? Fan­gen wir noch ein­mal von vor­ne: Auch am ver­gan­ge­nen Abend, wie man mir erzähl­te, wur­de kurz nach zehn Uhr in Tehe­ran unter glanz­vol­len Ster­nen von den Dächern nach Frei­heit gesungen. 

ping

///

libellen

pic

sier­ra : 3.22 — Heut Nacht sitz ich im Dun­keln, weil ich her­aus­zu­fin­den wün­sche, ob Libel­len auch in licht­lee­ren Räu­men flie­gen, schwe­ben, jagen. Als ich ges­tern, das soll­ten Sie wis­sen, gegen den Mit­tag zu erwach­te, balan­cier­te eine Libel­le eben, mari­ne­blau, auf dem Rand einer Karaf­fe Tee, die ich neben mei­nem Bett abge­stellt hat­te, schau­te mir beim Auf­wa­chen zu und nasch­te, solan­ge ich nur ein Auge beweg­te, indem sie rhyth­misch mit einer sehr lan­gen Zun­ge bis auf den Grund des zimt­far­be­nen Gewäs­sers tauch­te. Viel­leicht jag­te sie nach Fischen oder Lar­ven oder klei­nen Flie­gen, nach Tee­flie­gen, kochend­heiß, die küh­ler gewor­den sein moch­ten wäh­rend ich schlief. Oder aber sie hat­te end­lich Geschmack gefun­den auch an süßen Din­gen des Lebens, wes­halb ich kurz vor Mit­ter­nacht einen Löf­fel Honig erhitz­te und auf die Fens­ter­bank trop­fen ließ, um dann sofort das Licht zu löschen. Und so war­te ich nun bereits seit drei Stun­den und höre selt­sa­me Geräu­sche, von Men­schen viel­leicht oder ande­ren wil­den Tieren.

ping