Aus der Wörtersammlung: wasseroberfläche

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nachtameise

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alpha

~ : sam
to : Mr. louis
sub­ject : WANDERAMEISE

Mein lie­ber Freund Lou­is, es gibt Neu­es zu berich­ten. Ich bin näm­lich umge­zo­gen, von einer Woh­nung in eine ande­re Woh­nung, bei­de befin­den sich in dem­sel­ben Haus. Jah­re­lang, wie Du weißt, leb­te ich im 3. Stock, jetzt schaue ich vom 25. Stock­werk auf die Stra­ße hin­un­ter. Die Men­schen sind noch klei­ner gewor­den, ihre Stim­men nicht län­ger zu hören. Ich woh­ne unter dem Dach. Manch­mal lie­ge ich rück­lings auf dem Boden und den­ke, dass es hier ganz wun­der­bar ist, weil ich nie wie­der von Schrit­ten geweckt wer­de, wenn ich schla­fe. Natür­lich ist der Auf­stieg beschwer­lich, kein Lift­zug nach wie vor, aber die Luft scheint hell zu sein, auch nachts, weil sie so gut riecht, nach See­luft, ja, nach See­luft. Vor weni­gen Stun­den öff­ne­te ich das Fens­ter nach Süden hin und füt­ter­te Möwen mit Brot, seit­her umkrei­sen sie lau­ernd das Haus. Die Woh­nung neben­an scheint leer zu ste­hen, von unten ist lei­se Kla­vier­mu­sik zu hören, nichts wei­ter. Es ist über­haupt sehr still hier oben. Wäh­rend ich nachts, eine Wan­der­amei­se, mei­ne Bücher und Papie­re nach oben schlepp­te, war ich kei­ner Men­schen­see­le begeg­net. Aber ich hör­te Stim­men, nicht von den Türen, von irgend­wo her, als wären Men­schen in den Stu­fen, dem Holz des Trep­pen­ge­län­ders, den Wän­den des alten Hau­ses gefan­gen. In den höhe­ren Stock­wer­ken befin­den sich Brief­käs­ten mit schwe­ren, eiser­nen Deckeln, in wel­che man Bot­schaf­ten abwer­fen kann. Natür­lich bin ich nicht sicher, ob sie noch funk­tio­nie­ren. Ich habe zur Pro­be eine Nach­richt fol­gen­den Inhal­tes an mich selbst abge­schickt: Etwas Selt­sa­mes ist gesche­hen. Bin ges­tern Abend ein­ge­schla­fen, obwohl ich in einem äußerst span­nen­den Buch geblät­tert hat­te. Viel­leicht war’s die schwe­re, war­me Luft oder eine schlaf­lo­se Nacht der ver­gan­ge­nen Jah­re, die rasch noch nach­ge­holt wer­den muss­te. So oder so schlum­mer­te ich eine Stun­de tief und fest im Gras und wäre ver­mut­lich bis zum frü­hen Mor­gen hin in die­ser Wei­se anwe­send und abwe­send zur glei­chen Zeit auf dem Boden gele­gen, wenn ich nicht sanft von einer nacht­wan­dern­den Amei­se geweckt wor­den wäre. Kaum hat­te ich die Augen geöff­net, war ich schon mit einer Fra­ge beschäf­tigt, die ich erst weni­ge Stun­den zuvor ent­deckt hat­te, mit der Fra­ge näm­lich, wie Tief­see­ele­fan­ten hören, was sie mit­ein­an­der spre­chen, da doch die Sprech­ge­räu­sche ihrer Rüs­sel sehr weit von ihren Ohren ent­fernt jen­seits der Was­ser­ober­flä­che zur Welt kom­men und rasch in alle Him­mels­rich­tun­gen ver­schwin­den. Eine dif­fi­zi­le Fra­ge, eine Fra­ge, auf die ich bis­her viel­leicht des­halb kei­ne Ant­wort gefun­den habe, weil ich eine Ant­wort nur im Schlaf fin­den kann, wenn mein Gehirn machen darf, was es will. – Dein Sam. Guten Mor­gen! — stop

gesen­det am
17.03.2013
8.15 pm
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polaroidmusiker

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rom : bälle

pic

vic­tor : 17.16 — Nah der Iso­la Tibe­ri­na befin­det sich eine von Men­schen­hand gefer­tig­te Schwel­le im Tiber­bett, die den lang­sam dahin rei­sen­den Fluss zu einem rei­ßen­den Strom wer­den lässt. Das braun­grü­ne Was­ser ist hell gewor­den, blau und frisch von der ein­ge­fan­ge­nen Luft. Fla­schen, Bäl­le, Höl­zer wer­den zu Spiel­zeu­gen der stru­deln­den Wal­ze, die sie fängt, die sie mit sich in die Tie­fe nimmt, um sie kurz dar­auf wie­der frei­zu­las­sen für Sekun­den. Wenn man dort sitzt und war­tet, kann man sich kaum satt sehen an jener lebens­lus­ti­gen Ord­nung des Zufalls. Jun­ge Men­schen kau­ern am Ufer, schau­en zu, zäh­len Bäl­le, Far­ben, For­men, spä­hen fluss­auf­wärts, ob wei­te­re Gegen­stän­de sich nähern, um vom Was­ser bear­bei­tet zu wer­den, bis sie sich irgend­wann ein­mal auf­ge­löst haben wer­den oder so leicht gewor­den sind, dass ein Wind­stoss sie der Umar­mung des Flus­ses ent­zie­hen kann. Die Wän­de der Tiber­fas­sung ragen hoch hin­ter uns auf, zehn oder zwan­zig Meter, kaum Geräu­sche mensch­li­chen Lebens drin­gen bis hier­her, Stadt und Fluss schei­nen getrennt. Schwe­re, dun­kel gefie­der­te See­mö­wen haben vom Meer hier­her gefun­den. Ruhig ste­hen sie am Was­ser, blin­ken mit den Augen als wären sie Foto­ap­pa­ra­te. Irgend­wo in nächs­ter Nähe sol­len sich Fun­da­men­te Jahr­tau­sen­de alter Brü­cken unter der Was­ser­ober­flä­che befin­den. Wenn man sie ein­mal zu Gesicht bekom­men soll­te, müss­te der Fluss bald ver­schwun­den sein, ver­dampft wie die Spat­zen, deren Spe­zi­es ich bald ver­ges­sen haben wer­de, dass sie je exis­tier­te. — stop
ping

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robert walser

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marim­ba

~ : oe som
to : louis
sub­ject : KORALLEN
date : jul 31 12 4.37 p.m.

Seit 552 Tagen nun befin­det sich Tau­cher Noe vor Neu­fund­land in 820 Fuß Tie­fe von einem eiser­nen Anzug umfan­gen. Es ist ein Wun­der wie gut sich Noe hält. Jeden Mor­gen, wenn ich unse­ren Funk­raum betre­te, lausch ich in die Tie­fe, freu mich, wenn ich Noes lesen­de Stim­me oder sei­nen Atem höre. Wäh­rend mei­nes Besu­ches vor Kur­zem im Mai, habe ich Koral­len­ge­wäch­se von sei­nem Gehäu­se ent­fernt, Schne­cken und ande­re klei­ne Tie­re, die sich dort fest­ge­setzt hat­ten. Ich beob­ach­te­te Noe sehr genau, sei­nen Blick, sei­ne Augen hin­ter der gepan­zer­ten Schei­be. Wie er sich doch über mei­nen Besuch gefreut hat­te, gemein­sam schau­kel­ten wir durchs Meer viel­leicht ein­hun­dert Meter eines Weges in ewi­ger Däm­me­rung auf und ab. Ich hielt mich fest an sei­nen Anzug gepresst. Kurz vor mei­ner Rück­kehr an die Was­ser­ober­flä­che frag­te ich Noe, ob er noch eine Wei­le aus­hal­ten wür­de, die­ser Blick, lie­ber Lou­is, die­ser Blick. Manch­mal den­ke ich bei mir, wir soll­ten auf­hö­ren, wir soll­ten ihn zurück­ho­len. Aber immer dann, wenn wir Noe in Bewe­gung set­zen, wenn wir ihn anhe­ben wol­len, beginnt er zu pro­tes­tie­ren, ein selt­sa­mes Geräusch, das ich so nie zuvor ver­nom­men habe. Aus dem heu­ti­gen Tag ist ein äußerst ange­neh­mer Som­mer­tag gewor­den. Das Meer voll­stän­dig ohne Bewe­gung. Flie­gen­schwär­me ste­hen dicht über dem Was­ser. Wir haben kei­ne Vor­stel­lung, woher sie kom­men und wohin sie wol­len. Noe liest mir sanf­ter Stim­me seit fünf Stun­den aus einem wei­te­ren Unter­was­ser­buch, Robert Walsers Geschich­ten, das wir vor einer Woche fer­tig stel­len konn­ten: Es gibt Vor­mit­ta­ge in Schus­ter­werk­stät­ten, Vor­mit­ta­ge in Stra­ßen und Vor­mit­ta­ge auf den Ber­gen, und letz­te­re mögen so ziem­lich das Schöns­te auf der Welt sein, aber ein Bank­haus­vor­mit­tag gibt ent­schie­den noch mehr her. – Ahoi! Bis bald ein­mal wie­der Dein OE SOM

gesen­det am
31.07.2012
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oe som to louis »

ping

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unterwassersprechgeräusch

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tan­go : 2.12 — Seit Wochen ver­su­che ich den Klang mensch­li­cher Stim­men vor­zu­stel­len, wie sie sich unter der Was­ser­ober­flä­che arti­ku­lie­ren. Eine nicht ganz leich­te Auf­ga­be, ins­be­son­de­re des­halb nicht, weil ich einer­seits glau­be, ein authen­ti­sches Unter­was­ser­sprech­ge­räusch in mei­nem Kopf jeder­zeit erzeu­gen zu kön­nen, ande­rer­seits jedoch über kei­ner­lei Wör­ter ver­fü­ge, die­ses Geräusch ange­mes­sen zu beschrei­ben. Es scheint ein Über­set­zungs­pro­blem vor­zu­lie­gen, ein Raum zwi­schen geis­ti­gem Hören und dem annä­hernd kor­rek­ten Aus­druck in Spra­che, der auch in die­ser Nacht nicht zu über­win­den ist. Ich neh­me an, dass Lau­te, die eine wei­te Öff­nung des Mun­des erfor­dern, in der Spra­che unter der Was­ser­ober­flä­che spre­chen­der Lun­gen­men­schen, im Lau­fe der Jahr­hun­der­te sel­te­ner wer­den, Arti­ku­la­ti­on mit­tels gespitz­ter Lip­pen, pfei­fen­de Lau­te, eine Ent­wick­lung in die­se Rich­tung, das ist denk­bar. Wes­halb über­haupt ein­mal das Spre­chen der Lun­gen­men­schen unter der Was­ser­ober­flä­che sinn­voll sein könn­te, davon will ich heu­te nichts erzäh­len, viel­leicht mor­gen, viel­leicht kurz nach Mit­ter­nacht, wenn wie­der Abend gewor­den ist. – Vier Uhr acht­zehn in Tremnseh, Syri­en. — stop

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eisvogelsphäre

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del­ta : 0.10 — Eis­vo­gel­wör­ter ent­deckt. Nicht erwar­te­te Viel­falt: Her­ku­les-Eis­vo­gel (Alce­do her­cu­les), Kobalt-Eis­vo­gel (Alce­do semi­t­or­qua­ta), Schil­ler­eis­vo­gel (Alce­do qua­dri­brachys), Men­in­ting-Eis­vo­gel (Alce­do men­in­ting) Azur­fi­scher (Alce­do azu­rea), Brust­band-Eis­vo­gel (Alce­do eury­zo­na), Blau­brust­fi­scher (Alce­do cya­nopec­ta), Sil­ber­fi­scher (Alce­do argen­ta­ta), Mada­gas­karzwerg­fi­scher oder Schwarz­schna­bel-Zwerg­fi­scher (Alce­do vint­sio­ides), Hau­ben-Zwerg­fi­scher oder Mala­chit-Eis­vo­gel (Alce­do cristata), Sao-Tomé-Zwerg­fi­scher (Alce­do tho­men­sis), Prin­ci­pe-Zwerg­fi­scher (Alce­do nais), Weiß­bauch-Zwerg­fi­scher (Alce­do leu­co­gas­ter), Tür­kis­fi­scher (Alce­do coe­ru­le­s­cens), Papua­fi­scher (Alce­do pus­il­la) — Auch selt­sa­me Wör­ter in fol­gen­der Nah­auf­nah­me: Der Eis­vo­gel ernährt sich von Fischen, Was­ser­in­sek­ten und deren Lar­ven, Klein­kreb­sen und Kaul­quap­pen. Er kann Fische bis neun Zen­ti­me­ter Län­ge mit einer maxi­ma­len Rücken­hö­he von zwei Zen­ti­me­tern ver­schlin­gen. Bei lang­ge­streck­ten, dün­nen Arten ver­schiebt sich die Höchst­gren­ze auf zwölf Zen­ti­me­ter Kör­per­län­ge. Die Jagd­me­tho­de des Eis­vo­gels ist das Stoß­tau­chen. Von einer pas­sen­den Sitz­war­te im oder nahe am Was­ser wird der Stoß ange­setzt. Wenn er eine mög­li­che Beu­te ent­deckt, stürzt er sich schräg nach unten kopf­über ins Was­ser und beschleu­nigt dabei meist mit kur­zen Flü­gel­schlä­gen. Die Augen blei­ben beim Ein­tau­chen offen und wer­den durch das Vor­zie­hen der Nick­haut geschützt. Ist die Was­ser­ober­flä­che erreicht, wird der Kör­per gestreckt und die Flü­gel eng ange­legt oder nach oben aus­ge­streckt. Bereits kurz vor dem Ergrei­fen der Beu­te wird mit aus­ge­brei­te­ten Flü­geln und Bei­nen gebremst. Zur Was­ser­ober­flä­che steigt er zuerst mit dem Nacken, wobei er den Kopf an die Brust gepresst hält. Schließ­lich wird der Schna­bel mit einem Ruck aus dem Was­ser geris­sen und der Vogel star­tet ent­we­der sofort oder nach einer kur­zen Ruhe­pau­se zum Rück­flug auf die Sitz­war­te. Im All­ge­mei­nen dau­ert ein Ver­such nicht mehr als zwei bis drei Sekun­den. Der Eis­vo­gel kann aber auch aus einem kur­zen Rüt­tel­flug tau­chen, wenn ein geeig­ne­ter Ansitz fehlt. Nicht jeder Tauch­gang ist erfolg­reich, er stößt oft dane­ben. Der Eis­vo­gel benö­tigt zur Bear­bei­tung der Beu­te in der Regel einen dicken Ast oder eine ande­re, mög­lichst wenig schwin­gen­de Unter­la­ge. Klei­ne­re Beu­te wird mit kräf­ti­gem Schna­bel­drü­cken oft sofort ver­schluckt. Grö­ße­re Fische wer­den auf den Ast zurück­ge­bracht, dort tot geschüt­telt oder auf den Ast geschla­gen, im Schna­bel „gewen­det“ und mit dem Kopf vor­an ver­schluckt; ande­ren­falls könn­ten sich im Schlund die Schup­pen des Fisches sträu­ben. Der Eis­vo­gel schluckt sei­ne Beu­te in einem Stück. Unver­dau­li­ches wie Fisch­kno­chen oder Insek­ten­res­te wer­den etwa ein bis zwei Stun­den nach der Mahl­zeit als Gewöl­le her­aus­ge­würgt. / quel­le: wiki­pe­dia — stop
ping

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fischvögel

pic

~ : louis
to : Madame van Lishout
sub­ject : FISCHVÖGEL

Sehr geehr­te Madame van Lishout, ver­zei­hen Sie bit­te viel­mals mein Schrei­ben auf elek­tri­schem Wege. Ich bin nicht sicher, ob ich Ihre kor­rek­te Adres­se erin­ne­re. Ein Brief auf Papier mit unter­zeich­ne­ter Bestel­lung wur­de an fol­gen­de Anschrift gesen­det: M.v.L., Chal­li­ons 7, 4968 Mal­mers­by, Bel­gi­um. Es geht um ein drin­gen­des Geschenk, das bis zum 10. August für einen Freund fer­tig gestellt sein muss. Sie erin­nern sich viel­leicht, es geht um jenen Freund, der seit einem Jahr­zehnt im Was­ser exis­tiert. Da die Krea­ti­on unter der Was­ser­ober­flä­che leben­der Sing­vö­gel nicht mög­lich ist, — ich habe Ihre Erläu­te­run­gen ver­stan­den -, sehr wohl aber die Manu­fak­tur eines Fisch­pär­chens, das in Gestalt und Beneh­men Sing­vö­geln ähn­lich sein könn­te, wäre ich Ihnen dank­bar, wenn Sie für mich ein oder zwei Ent­wür­fe zur Ver­wirk­li­chung for­mu­lie­ren wür­den. Auch einen Käfig, der in Süß­was­ser län­ge­re Zeit über­dau­ern könn­te, habe ich vor in Auf­trag zu geben, schön wäre ein fili­gra­nes Gehäu­se von dunk­lem Holz. In der Grö­ße soll­te das Pär­chen vogel­ähn­li­cher Fische die Dimen­si­on der Luftz­ei­si­ge nicht über­tref­fen, da die Was­ser­woh­nung mei­nes Freun­des eher beschei­den aus­ge­fal­len ist. In der farb­li­chen Aus­füh­rung wün­sche ich wei­che pas­tell­far­be­ne Töne. Ein gewis­ses Leucht­ver­mö­gen von innen her wäre wun­der­voll. Könn­te dies alles mög­lich sein, wür­den Sie mich sehr glück­lich erle­ben. Der Gesang der klei­nen Fische soll­te fröh­lich, nicht all­zu laut, vor allem eben hei­ter sein. Ich erwar­te Ihre Ant­wort drin­gend und ver­blei­be hoch­ach­tungs­voll mit freund­li­chen, dank­ba­ren Grü­ßen. Ihr Mr. Lou­is

gesen­det am
5.06.2012
2.58 MEZ
1551 zeichen

polaroidtaucher

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saint george ferry terminal : tiefseeelefanten

2

echo : 0.02 — Ges­tern, Diens­tag, 24. Janu­ar, hat­te ich Gele­gen­heit mich genau so zu ver­hal­ten, als wür­de ich schla­fen, obwohl ich doch hell­wach gewe­sen war. War in der zen­tra­len Hal­le des Saint Geor­ge Fer­ry Ter­mi­nals, erin­ner­te mich an einen Traum, den ich vor zwei Jah­ren erleb­te. Ich war­te­te in die­sem Traum an einem spä­ten Abend an genau der­sel­ben Stel­le auf das nächs­te Schiff nach Man­hat­tan zurück. Ich war­te­te lan­ge, ich war­te­te die hal­be Nacht, begeis­tert vom Anblick einer Her­de fili­gra­ner Tief­see­ele­fan­ten, die über den hell­san­di­gen Boden eines Aqua­ri­ums wan­der­ten. Sie hat­ten ihre meter­lan­gen Rüs­sel zur Was­ser­ober­flä­che hin aus­ge­streckt, such­ten in der küh­len Luft her­um und berühr­ten ein­an­der in einer äußerst zärt­li­chen Art und Wei­se. Ein fas­zi­nie­ren­des Geräusch war zu hören gewe­sen, sobald ich eines mei­ner Ohren an das haut­war­me Glas des Gehe­ges leg­te. Und auch ges­tern war­te­te ich wie­der lan­ge Zeit und beob­ach­te­te den san­di­gen Boden des Aqua­ri­ums, von dem ich geträumt hat­te. Von Zeit zu Zeit, nicht ganz wach und nicht im Schlaf, war das Signal­horn eines Fähr­schiffs zu hören. Glück­li­che Stun­den. — stop

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tiefenschatten

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char­lie

~ : oe som
to : louis
sub­ject : SCHATTEN
date : aug 18 11 5.12 p.m.

Seit zwei Tagen bereits kei­ne Nach­richt aus der Tie­fe. Wir hören Noe’s Atem, wir ver­zeich­nen das Gewicht sei­nes Tau­cher­an­zu­ges an der Win­de des Schif­fes. Noe ist noch bei uns, aber kein Wort zu hören von Noe. Weder ant­wor­tet er auf Fra­gen, noch folgt er unse­rem Wunsch, er möge doch wei­ter lesen in Tony Morrison’s Roman Jazz. Wir hat­ten das Buch am ver­gan­ge­nen Mon­tag zu ihm in die Tie­fe geschickt. Noe las noch an dem sel­ben Abend drei Stun­den, dann war er ein­ge­schla­fen. Seit­her schweigt Noe, wes­halb Mil­ler sich vor Stun­den­zeit zur Inspek­ti­on auf den Weg nach unten begab. 2 Fuß in der Minu­te, schnel­ler geht das nicht, schnel­ler wür­de Mil­ler das Leben kos­ten, wir müs­sen uns gedul­den. Fünf Stun­den noch, dann wird Mil­ler Noe errei­chen, eine span­nen­de Situa­ti­on, viel­leicht wird auch Mil­ler dann schwei­gen, das ist denk­bar, eine beun­ru­hi­gen­de Vor­stel­lung wie unse­re bei­den Tief­see­män­ner schwei­gend in der Düs­ter­nis schwe­ben, wie sie sich viel­leicht unter­hal­ten wer­den in der Zei­chen­spra­che der Tau­cher. — Habe ich Dir, lie­ber Lou­is, berich­tet, dass es schnei­te vor weni­gen Tagen? Noch nie habe ich Schnee auf offe­ner See beob­ach­tet. See­mö­wen jagen dicht über die Was­ser­ober­flä­che hin. Es sieht so aus, als wür­den sie Flo­cken fan­gen, mäch­ti­ge Tie­re, gel­be Schnä­bel, hell­brau­ne Flü­gel. Sie wir­ken in etwa ver­klei­det, Möwen­vö­gel, die sich in Kos­tü­men jun­ger Habich­te bewe­gen, ihre schril­len Rufe, ein wei­te­res Dut­zend sitzt auf unse­rem Funk­turm, Eis­zap­fen haben sich gebil­det, Wol­ken kom­men näher, berüh­ren das Was­ser. Mil­ler ist in die­sem Moment auf fünf­hun­dert Fuß Tie­fe ange­kom­men. Unter ihm, mel­det Mil­ler, sei in der Dun­kel­heit Noe zu erken­nen, das Licht sei­ner Lam­pen. Ein gewal­ti­ger Kör­per­schat­ten soll vor ihm zu sehen sein. Ich mel­de mich bald wie­der. Dein OE

gesen­det am
18.08.2011
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oe som to louis »

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george ferry terminal’s tiefseeelefanten

2

sier­ra : 17.10 — Hat­te einen Traum, eine Wahr­neh­mung, die mir lan­ge Zeit, ich war längst erwacht, ein sehr wirk­li­cher Raum gewe­sen zu sein schien. Dort, im Nacht­zim­mer, war­te­te ich an einem spä­ten Abend in der zen­tra­len Hal­le des Saint Geor­ge Fer­ry Ter­mi­nals auf das nächs­te Schiff nach Man­hat­tan zurück. Ich war­te­te lan­ge, ich war­te­te den hal­ben Tag und eine hal­be Nacht, begeis­tert vom Anblick einer Her­de fili­gra­ner Tief­see­ele­fan­ten, die über den hell­san­di­gen Boden eines Schau­aqua­ri­ums wan­der­ten. Sie hat­ten ihre meter­lan­gen Rüs­sel zur Was­ser­ober­flä­che hin aus­ge­streckt, such­ten in der See­luft her­um und berühr­ten ein­an­der in einer äußerst zärt­li­chen Art und Wei­se. Ein fas­zi­nie­ren­des Geräusch war zu hören, sobald ich eines mei­ner Ohren an das haut­war­me Glas des Gehe­ges leg­te. Die­ses Geräusch nun sucht seit Stun­den nach einem Wort für sich selbst, nach einem Zei­chen­satz, der ver­mut­lich nie­mals exis­tie­ren wird. — stop
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existenz

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oli­mam­bo

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : EXISTENZ

Wie weit Sie wohl gekom­men sind, mein lie­ber Kek­ko­la? Sie soll­ten New Hamp­shire längst erreicht haben. Nach wie vor erseh­ne ich eine Nach­richt, obwohl ich mir unge­zähl­te Male vor­ge­nom­men habe, nie wie­der in einem Zustand von Erwar­tung zu leben. Und doch ist das jetzt so gekom­men, dass ich mich sor­ge, weil Sie kein Zei­chen, nicht das gerings­te Lebens­zei­chen über­mit­teln. Ein Satz, mein Freund, eine lee­re Email wür­de genü­gen, ich wäre zufrie­den, weil ich doch wüss­te, dass Sie in der Lage sind, zu lesen, was ich für Sie notie­re. Stel­len Sie sich vor, in der ver­gan­ge­nen Nacht habe ich mir über­legt, ob Sie nicht viel­leicht rei­ne Erfin­dung sind und Ihre Brie­fe an mich nur aus­ge­dacht. Mein lie­ber Kek­ko­la, wo auch immer Sie sich auf­hal­ten mögen, neh­men Sie wahr, dass ich an Sie den­ke. Unlängst, das soll­ten Sie wis­sen, stell­te ich noch die Fra­ge, wie Tief­see­ele­fan­ten hören, was sie mit­ein­an­der spre­chen, da doch die Sprech­ge­räu­sche ihrer Rüs­sel sehr weit von ihren Ohren ent­fernt jen­seits der Was­ser­ober­flä­che zur Welt kom­men und rasch in alle Him­mels­rich­tun­gen ver­schwin­den. Ihr Lou­is, hoffend.

gesen­det am
10.10.2009
22.38 MESZ
1138 zeichen

lou­is to jonathan
noe kekkola »


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