Aus der Wörtersammlung: zeit

///

am radio

2

zou­lou : 0.08 — Als ich das Radio ein­schal­te­te, hör­te ich, bei Ryan­air, einer Flug­ge­sell­schaft, sol­len die Stück­kos­ten, dem­zu­fol­ge die Kos­ten je trans­por­tier­ten Pas­sa­giers, erneut dra­ma­tisch gesun­ken sein. Wei­ter­hin wür­den in einem Land des Fer­nen Ostens bald Züge über das Land rasen, die stets sehr pünkt­lich sein wer­den, da sie auch von sich selbst mor­den­den Men­schen nie­mals auf­zu­hal­ten sind, sie fah­ren immer wei­ter und wei­ter zu. Auf der ers­ten Sei­te einer spa­ni­schen Pro­vinz­zei­tung sei ein leicht­ge­wich­ti­ger Hund zu sehen, der im Moment sei­ner Auf­nah­me von einer Elek­tro­droh­ne über ein Haus­dach beför­dert wur­de. Die Zahl der hun­gern­den Men­schen auf die­ser Welt wür­de im kom­men­den Jahr erfreu­li­cher­wei­se um 10 Mil­lio­nen auf unter 800 Mil­lio­nen Men­schen sin­ken. Das war ges­tern. — stop
ping

///

eine chinesin

2

echo : 1.24 — Im Zug saß ich einer alten Frau gegen­über, die in einer chi­ne­si­schen Zei­tung las, ohne eine Bril­le zu ver­wen­den. Das war des­halb bemer­kens­wert, weil die Zei­chen der Zei­tung sehr klein waren, aber nicht nur die Zei­chen der Zei­tung, son­dern auch jene Schrift­zei­chen, die die alte Frau neben die Zei­len der Zei­tung setz­te, waren außer­or­dent­lich klei­ne Zei­chen. Sie notier­te mit einem Blei­stift, den sie immer wie­der spitz­te. Und obwohl der Zug uns Rei­sen­de bestän­dig erschüt­ter­te, wur­den ihre kom­pli­zier­ten Schrift­zei­chen mit je einer schnel­len Hand­be­we­gung sicher auf das Papier gesetzt. Kein Blick zu mir hin. Aber ich spür­te, dass sie mei­ne beob­ach­ten­den Bli­cke selbst bemerk­te. Nach zwei Stun­den ver­ließ die alte chi­ne­si­sche Frau den Zug. Sie sag­te: Auf Wie­der­se­hen! — Hel­le Stim­me. — stop

drohne1

///

schirme

2

oli­mam­bo : 7.08 — Träu­me schei­nen sich zu ver­hal­ten wie Fall­schir­me kurz nach einer Lan­dung. Für einen Moment zei­gen sie sich noch in ihrer vol­len Pracht, dann sin­ken sie in sich zusam­men, wer­den weni­ger und weni­ger, bis sie fast ganz unsicht­bar gewor­den sind. – stop

ping

///

zitronengelb

2

char­lie : 7.08 — Über mei­nen Groß­va­ter, den ich nie per­sön­lich ken­nen­ge­lernt habe, ist mir nicht sehr viel bekannt. Er soll ein warm­her­zi­ger Mensch gewe­sen sein, der als Beam­ter der Stadt Mün­chen in ein klei­nes Büro­zim­mer ver­setzt wor­den war, das im Win­ter nicht beheizt wer­den konn­te. Mein Groß­va­ter woll­te nicht in die Par­tei ein­tre­ten, des­halb muss­te er frie­ren, des­halb war er oft krank gewe­sen. Die Fami­lie, mei­ne Mut­ter war ein Mäd­chen von damals fünf oder sechs Jah­ren, bewohn­te eine klei­ne Woh­nung in einem nörd­li­chen Stadt­teil. Sie waren dort zu fünft, die Eltern und ihre drei Töch­ter. In der Küche der Woh­nung im zwei­ten Stock war Par­kett­fuß­bo­den ver­legt, kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit für die­se Zeit. Wenn Bom­ben ins Mün­che­ner Zen­trum fie­len, zit­ter­te in Moos­ach der Boden und die Höl­zer des Par­ketts hüpf­ten wie Frö­sche her­um. Vor einem Spie­gel steht mein Groß­va­ter. Er rasiert sich mit zit­tern­den Hän­den. Er hat Zucker und kein Insu­lin. Er ist immer sehr durs­tig und spricht vom Durch­hal­ten wegen der Ren­te. Vor allem ist sein Gesicht so gelb wie eine Zitro­ne. Die­se Vor­stel­lung habe ich einer Erzäh­lung mei­ner Mut­ter unlängst ent­nom­men, die ich hör­te, als wir über den Nord­fried­hof gin­gen, um das Grab der Groß­mutter und des Groß­va­ters zu besu­chen. Bald wird das Grab ver­schwun­den sein, aber die Kno­chen blei­ben im Boden zurück. Zum Zeit­punkt unse­res Besu­ches war alles anwe­send, wie frü­her noch, als ich selbst, ein Kind, an Sonn­ta­gen vor das Efeu­grab getre­ten war. Ein­mal stand ich dort in blau­en San­da­len. Auf dem Grab­stein spa­zier­te eine Schne­cke. Sie leg­te eine Blei­stift­stre­cke zurück, dann blieb sie sit­zen und schlief in der war­men Herbst­son­ne ein. — stop
ping

///

violet

2

echo : 0.01 — Viel­leicht ist das so, dass sich die See­le eines Ortes, etwa die See­le eines Fähr­schif­fes, auf Wör­ter über­trägt, wenn die­se Wör­ter an dem Ort, von dem sie erzäh­len, geschrie­ben wer­den wäh­rend einer län­ge­ren Zeit der Beob­ach­tung. Ich sehe, was ich nicht erfin­den kann. Oder ich erfin­de, was ich nur hier erfin­den kann. Ja, so könn­te das sein. Ein befrei­en­der Gedan­ke. — Ich träum­te von einem Mann, der kei­ne Kom­ma­zei­chen ertrug, wes­we­gen er Kom­ma­zei­chen einer­seits durch Punk­te ersetz­te, ander­seits dar­auf ach­te­te, mög­lichst kur­ze, ein­schich­ti­ge Sät­ze zu for­mu­lie­ren. — stop

violet

///

ein pinguin

2

india : 6.38 — Lud­wig, ich traf ihn am Frei­tag­abend wäh­rend eines Spa­zier­gangs zufäl­lig unten am Fluss, erzähl­te von einem Expe­ri­ment, das er vor weni­gen Wochen im April gestar­tet haben will. Es gehe, sag­te Lud­wig, um den Ver­such, Luft­post­brie­fe nach Alep­po zu ver­schi­cken. Weder habe er selbst Freun­de noch Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge in Alep­po, trotz­dem habe er ein gutes Dut­zend Brie­fe in die zer­stör­te Stadt geschickt, zufäl­li­ge Stra­ßen, zufäl­li­ge Häu­ser, zufäl­li­ge Namen. Eine Freun­din habe ihm bei sei­ner Arbeit gehol­fen, Lucil­le, die die ara­bi­sche Spra­che mühe­los spre­chen und schrei­ben kön­ne. 5 sei­ner Brie­fe sei­en nach weni­gen Tagen bereits zurück­ge­kom­men, sie waren je mit einem hand­schrift­li­chen Ver­merk in deut­scher Spra­che ver­se­hen: Zur­zeit nicht zustell­bar. 12 wei­te­re Brie­fe sei­en noch ver­schol­len, 1 Brief war jedoch zu ihm zurück­ge­kehrt. Der Brief schien tat­säch­lich bis in die Stadt Alep­po gekom­men zu sein, ein Stem­pel in fran­zö­si­scher Spra­che begrün­de­te die Rück­sen­dung des Brie­fes: Adres­se insuf­fi­san­te. Die­se Nach­richt hat­te Lud­wig erwar­tet, nicht aber, dass auf dem Brief­um­schlag selbst eine Nach­richt in der Gestalt eines hand­ge­zeich­ne­ten Pin­gu­ins hin­ter­las­sen wor­den war. — stop
ping

///

winterherz

2

alpha : 6.52 — Neh­men wir ein­mal an, es exis­tier­ten Men­schen, die je über ein schla­gen­des, also ein akti­ves Herz ver­fü­gen und außer­dem über ein war­ten­des Herz, das ganz still im Brust­korb liegt, klein, gefal­tet, ein Alters­herz oder ein Win­ter­herz. Von die­ser Vor­stel­lung woll­te ich in der ver­gan­ge­nen Nacht einem klei­nen Mann ira­ni­scher Her­kunft erzäh­len. Aber kaum hat­te ich Luft geholt und mei­nen ers­ten Satz zu Ende gespro­chen, begann der klei­ne Mann sei­ner­seits eine Geschich­te zu erzäh­len. Er sag­te, er habe Merk­wür­di­ges erlebt, das Fest­netz­te­le­fon sei­ner Woh­nung sei gestört gewe­sen, er habe des­halb die Tele­fon­ge­sell­schaft über sein Mobil­te­le­fon ange­ru­fen. Eine weib­li­che Stim­me habe sich bald gemel­det, die sich sehr freund­lich mit ihm unter­hal­ten habe in der Art und Wei­se, dass sie Fra­gen stell­te. Sie frag­te zum Bei­spiel: Könn­ten Sie bit­te Ihr Pro­blem genau beschrei­ben. Oder sie erkun­dig­te sich, ob sei­ne Inter­net­ver­bin­dung noch funk­tio­nie­ren wür­de, ob sein Tele­fon über aus­rei­chen­de Strom­ver­sor­gung ver­fü­ge, wie lan­ge Zeit er in etwa nicht mit sei­nem Tele­fon tele­fo­niert habe. Das Gespräch dau­er­te, so erzähl­te der klei­ne Mann, eini­ge Minu­ten, bis er bemerk­te, dass tat­säch­lich eine Maschi­nen­stim­me zu ihm sprach. Wei­te­re drei Minu­ten ver­stri­chen, dann habe er sich vor­sich­tig erkun­digt, ob er mit einem mensch­li­chen Wesen der Tele­fon­zen­tra­le ver­bun­den wer­den könn­te. In die­sem Moment brach das Pro­gramm die Unter­hal­tung ab. Es wur­de still am Tele­fon, kei­ne Fra­gen, kei­ne Ant­wor­ten, kurz dar­auf war ein Pfei­fen zu hören. Und das soll nun einer am frü­hen Mor­gen noch ver­ste­hen. Der Him­mel leicht bewölkt. — stop

melly

///

vor neufundland 1.16.28 uhr : kirschblüten

2

zou­lou : 0.08 — Die Nach­richt, ein afri­ka­ni­scher Mann von der Elfen­bein­küs­te habe bereits am ver­gan­ge­nen Mitt­woch sei­nen 8 Jah­re alten Sohn in einem Roll­kof­fer über die marok­ka­nisch – spa­ni­sche Gren­ze nach Euro­pa trans­fe­riert. Das Kind wur­de wäh­rend einer Kof­fer­durch­leuch­tung lebend ent­deckt, sein Vater fest­ge­nom­men. Ich erin­ne­re mich, vor zwan­zig Jah­ren ein­mal beob­ach­tet zu haben, wie am Zen­tral­bahn­hof ein Kind in ein Gepäck­schließ­fach klet­ter­te, eine Frau, viel­leicht die Mut­ter des Kin­des, klapp­te die Tür des Schließ­fa­ches zu, war­te­te eini­ge Sekun­den, dann öff­ne­te sie die Tür wie­der und das Kind klet­ter­te aus dem Fach. Das Kind lach­te. — Mel­dung von Noe aus 805 Fuß Mee­res­tie­fe vor Neu­fund­land. ANFANG 01.14.02 | | | > s t o p habe das wort som­mer­zeit notiert. s t o p kurz dar­auf ein­ge­schla­fen. s t o p als ich erwa­che liegt mei­ne hand noch auf der tas­ta­tur der maschi­ne. s t o p ein gel­ber fisch. s t o p behut­sam. s t o p als ob er mit mei­nem hand­schuh spre­chen woll­te. s t o p wer­de bald ohne luft sein. s t o p das ist denk­bar, s t o p ohne erin­ne­rung. h u n t i n g r e d f i s h f r o m a b o v e. s t o p plan­los. s t o p ein laut­lo­ses ende. s t o p der duft der kirsch­blü­ten. s t o p von einem atem­zug zum ande­ren. s t o p stark. s t o p süß. s t o p viel­leicht flie­der? t w o y e l l o w f i s h e s l e f t h a n d. s t o p | | | ENDE 01.16.28

nach­rich­ten von noe »

ping

///

von der sekundenzeit

pic

del­ta : 0.02 — Wie jetzt der Som­mer näher­kommt, ändert sich alles. Im Win­ter erfrie­ren Men­schen, im Som­mer fal­len sie ver­se­hent­lich aus Fens­tern, die sie zum Ver­gnü­gen geöff­net haben. Bern­hardt L., der mich besuch­te, erzähl­te von sei­nen Erfah­run­gen, die er mit Todes­ur­sa­chen betrun­ke­ner Men­schen sam­mel­te. Es war ein ange­neh­mer Abend. Eigent­lich woll­ten wir nicht von trau­ri­gen Geschich­ten spre­chen, aber dann wur­de es doch wie­der ein­mal ernst. Wir saßen auf Gar­ten­stüh­len vor dem Fens­ter zu den Bäu­men, die in den Him­mel staub­ten, und beob­ach­te­ten mei­ne Schne­cke Esme­ral­da, die sich der fri­schen Abend­luft näher­te. Sie kroch ziel­stre­big über den Boden hin, dann die Wand hin­auf und ließ sich auf dem Fens­ter­brett drau­ßen nie­der. Wenn sich Schne­cken set­zen, bewe­gen sie sich kaum noch, ihr feuch­ter Kör­per scheint indes­sen etwas brei­ter zu wer­den. Mein Bekann­ter Bern­hardt L. war sehr inter­es­siert an der Exis­tenz Esme­ral­das in mei­ner Woh­nung, er hat­te sie noch nie zuvor gese­hen und nie von ihr gehört. Er woll­te wis­sen, woher sie gekom­men war, wie alt sie wohl sei, und war­um sie die­sen schö­nen Namen Esme­ral­da von mir erhal­ten habe. Ich erin­ne­re mich, wie er mit einem Fin­ger zärt­lich über Esme­ral­das Häus­chen strich, wäh­rend er von einem unglück­li­chen Mann erzähl­te, der ein Zeit­wirt­schaft­ler von Beruf gewe­sen sein soll. Die­ser Mann habe Minu­ten gezählt, Sekun­den, in der Beob­ach­tung arbei­ten­der Men­schen in einer Fabrik. Sei­ne Auf­ga­be sei gewe­sen, Zeit­räu­me auf­zu­spü­ren, die durch Ver­än­de­run­gen in den Bewe­gun­gen der beob­ach­te­ten Men­schen ein­ge­spart wer­den könn­ten. In einem Brief, der sehr aus­führ­lich sein Unglück notiert, habe er berich­tet, dass es ihm zuletzt nicht mög­lich gewe­sen sei, eine Tas­se Kaf­fee von der Küche in sein Wohn­zim­mer zu tra­gen, ohne dar­über nach­zu­den­ken, ob es wirt­schaft­lich sei, mit nur einer Tas­se Kaf­fee in der Hand die Räu­me zu wech­seln, wenn es doch mög­lich wäre, zwei Tas­sen Kaf­fee zur glei­chen Zeit zu trans­por­tie­ren. — stop

nach­rich­ten von esmeralda »
winterzeiten

///

paperwhite

2

ulys­ses : 0.01 — Die Buch­sta­ben ver­dre­hen sich zur Zeit, ich schrei­be zu schnell mit der Maschi­ne, manch­mal ver­säu­me ich gan­ze Wör­ter, als wür­den mei­ne Hän­de glau­ben, dass ich Wör­ter schon geschrie­ben habe, obwohl ich sie noch nicht geschrie­ben habe. — Fol­gen­de Ent­de­ckung: Es ist tat­säch­lich mög­lich, für den Preis 1 Pis­ta­zi­en­eis­ku­gel Joseph Roths Gesam­mel­te Wer­ke auf ein Paper­white — Lese­ge­rät zu laden. James Joy­ces Ulys­ses kos­tet so viel wie kei­ne Eis­ku­gel. Vir­gi­nia Wool­fes Mrs. Dal­lo­way eine hal­be Kugel. Anton Paw­lo­witsch Tschechows Kurz­ge­schich­ten, Novel­len, Dra­men wie­der­um 1 voll­stän­di­ge Kugel . Down­load­rei­se­zeit : 5,2 Sekun­den. Bemer­kens­wert. Selt­sam. — stop
ping



ping

ping