Aus der Wörtersammlung: hitze

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quallenhautkoffer

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ulys­ses : 3.25 — Ein blau­er ita­lie­ni­scher Him­mel und Wär­me, Hit­ze. Mit­te Mai. Über den Sand­bo­den schau­keln müde Eidech­sen, zwei Enten sit­zen auf einer Park­bank in unse­rer Nähe im Park. Als wir tele­fo­nier­ten, erin­nert sie mich dar­an, dass sie in einer Grenz­si­tua­ti­on lebe. Ich ver­ges­se immer wie­der ihr Alter. Sie sei bald voll­stän­dig belich­tet, rei­se aber noch viel her­um, Kof­fer wer­den ihr getra­gen, mit einem klei­nen Ruck­sack auf dem Rücken, Notiz­bü­chern, einem Note­book. Das Note­book ruht in die­sem Moment auf ihren Knien. Sie sucht in der digi­ta­len Sphä­re einen Text, an den ich mich erin­nern kann. Sie liest mir vor, und ich notie­re vom Qual­len­zim­mer. Sie will das Zim­mer von mei­ner Hand in ihrem Notiz­buch haben. Ich schrei­be lang­sam. Im Notiz­buch fin­den sich zahl­rei­che wei­te­re Hand­schrif­ten, die nicht ihre Hand­schrif­ten sind. Sie scheint Geschich­ten zu sam­meln, oder Augen­bli­cke des Schrei­bens. Ich höre mei­ne eige­ne Geschich­te, eine Ent­de­ckung mei­ner Hän­de, die von einem freund­li­chen, hel­len Raum erzäh­len, einem Zim­mer von feins­ter Qual­len­haut, einem Zim­mer von Was­ser, einem Zim­mer von Salz, einem Zim­mer von Licht. Man könn­te die­ses Zim­mer, und alles was sich im Zim­mer befin­det, das Qual­len­bett, die Qual­len­uhr, und all die Qual­len­bü­cher und auch die Schreib­ma­schi­nen von Qual­len­haut, trock­nen und fal­ten und sich 10 Gramm schwer in die Hosen­ta­sche ste­cken. Und dann geht man mit dem Zim­mer durch die Stadt spa­zie­ren. Oder man geht kurz mal um die Ecke und setzt sich in ein Kaf­fee­haus und war­tet. Man sitzt also ganz still und zufrie­den unter einer Ven­ti­la­tor­ma­schi­ne an einem Tisch, trinkt eine Tas­se Kakao und lächelt und ist gedul­dig und sehr zufrie­den, weil nie­mand weiß, dass man ein Zim­mer in der Hosen­ta­sche mit sich führt, ein Zim­mer, das man jeder­zeit aus­pa­cken und mit etwas Was­ser, Salz und Licht, zur schöns­ten Ent­fal­tung brin­gen könn­te. — stop

polaroidparents

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bonsaimenschen

picping

MELDUNG. Bon­sai­men­schen, 12 Per­so­nen jün­ge­ren Alters a 54 cm, nahe Tin­douf [ Alge­ria ] zur Hit­ze­pro­be ein­ge­trof­fen. Wüs­ten­wan­de­rung [ 125 Mei­len ] : Mitt­woch, 5. April 2011, ab 14 Uhr mit­tel­eu­ro­päi­scher Som­mer­zeit. Call : 00386 / 5476823 — stop

ping

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lichtbild : eine straße in manhattan

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ulys­ses : 8.05 — Ein­mal ent­deckte ich nach stun­den­lan­ger Suche in den Archi­ven der Baye­ri­schen Staats­bi­blio­thek eine Foto­gra­fie auf einem Mikro­film­strei­fen und ich wuss­te sofort, dass ich die­ses Licht­bild besit­zen muss­te. Ich bat eine Biblio­the­ka­rin, aus dem Mate­rial das Bes­te her­aus­zu­ho­len, höchs­te Auf­lö­sung, wes­we­gen ich bald einen klei­nen Sta­pel Papiers ent­ge­gen­neh­men konn­te, den ich im Arbeits­zim­mer an einer Wand zum Bild zurücks­or­tierte, wie in der ver­gan­ge­nen Nacht noch ein­mal, zurück zur Ansicht einer Stra­ße des Jah­res 1934 prä­zise, einer Stra­ße nahe des Bel­le­vue Hos­pi­tals zu New York. Stau­bige Bäu­me, eilen­de Men­schen­schat­ten, die Sil­hou­ette einer alten, in den Kno­chen gebeug­ten Frau, der Wagen eines Eis­ver­käu­fers, ros­tige Hydran­ten, die sprö­de Stein­haut der Stra­ße, zwei Vögel unbe­kann­ter Gat­tung, Spu­ren von Hit­ze, und ich erin­nere mich noch gut, dass ich eine Zei­le von links nach rechts auf das Papier notier­te: Die­se Stra­ße könn­te Mal­colm Lowry über­quert haben, an einem Tag viel­leicht, als er sich auf den Weg mach­te, sei­nem Kör­per den Alko­hol zu ent­zie­hen. Und weil ich schon ein­mal damit begon­nen hat­te, das Bild zu ver­fei­nern, zeich­nete ich in Wor­ten wei­tere Sub­stan­zen auf das Papier, Unsicht­ba­res oder Mög­li­ches. Einen Schuh notier­te ich west­wärts: Hier flüch­tet Jan Gabri­el, weil sie Mr. Low­rys Lie­be nicht län­ger glau­ben konn­te. Da lag ein Notiz­buch im Schat­ten eines Bau­mes und ich sag­te: Die­ses Notiz­buch wird Mal­colm Lowry fin­den von Zeit zu Zeit, er wird es auf­he­ben und mit zit­tern­den Hän­den in sei­ne Hosen­ta­sche ste­cken. Schon segel­ten fie­bernde Wale über den East River, der zwi­schen zwei Häu­sern schim­merte, ein Schwarm irrer Bie­nen tropf­te von einer Fens­ter­bank, und da waren noch zwei Mäd­chen, bar­fuss, — oder tru­gen sie doch Strümp­fe, doch Schu­he? — sie spiel­ten Him­mel und Höl­le, ihre fröh­li­chen Stim­men. Ich geste­he, dass Dai­sy und Vio­let nicht damals, son­dern in die­ser letz­ten Stun­de einer hei­te­ren Arbeits­nacht ins Bild gekom­men sind. — stop

ping

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unter salzbäumen

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tan­go : 2.02 — Im Traum sit­ze ich mit einem alten Mann an einem Tisch. Gro­ße Hit­ze auch im Schat­ten, den Salz­bäu­me spen­den. Wir trin­ken Kaf­fee und Was­ser, das süß ist wie Honig. Der alte Mann trägt kaki­far­be­ne Shorts, sei­ne Haut ist dun­kel, gebrannt wie Kaf­fee, hel­le, grü­ne Augen. Eine Erschei­nung, zahn­los, die nicht spricht, Haut und Kno­chen, aber ein Wesen von enor­mer Aus­dau­er. Ich höre, der alte Mann soll seit Jah­ren bereits vor die­sem Tisch sit­zen, ohne je auf­ge­stan­den zu sein. Papie­re lie­gen auf dem Tisch und auf dem Boden. Sie sind beschrif­tet, kaum leser­li­che Zei­chen. Vor dem Mann ruht ein klei­nes, schwer atmen­des Note­book. Ein­mal blickt er auf den Bild­schirm sei­ner Maschi­ne, dann wie­der auf ein Blatt Papier, das vor ihm liegt, und schreibt. Amei­sen von Metall irren im Sand her­um. Es gibt kei­nen Ton im Traum, wenn ich spre­che, ver­neh­me ich weder Gedan­ken noch Stim­me. – stop
ping

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babuschka

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echo : 4.12 — Vor eini­ger Zeit hat­te ich einen Text geschrie­ben, den ich nur des­halb notier­te, um ihn mit­tels eines Ver­schlüs­se­lungs­pro­gramms in einen Zustand der Unles­bar­keit zu ver­set­zen. Genau­ge­nom­men hat­te ich den Text mit einer beson­de­ren Haut, mit einer Zeit­haut umge­ben. Um ihn näm­lich lesen zu kön­nen, müss­te man den Text zunächst deko­die­ren, das heisst, solan­ge mit­tels einer Com­pu­ter­ma­schi­ne sei­ne Öff­nung pro­bie­ren, bis der rich­ti­ge Schlüs­sel gefun­den ist. Ges­tern, bei gro­ßer Hit­ze, stell­te ich mir vor, was gesche­hen wür­de, wenn nun nach Tagen, Wochen oder Jah­ren des Rech­nens das suchen­de Pro­gramm mel­den wür­de: Ich bin fün­dig gewor­den! Wie ein mensch­li­cher Ana­lyst sich in die­sem Moment zufrie­den sei­nem Bild­schirm nähert, um fest­zu­stel­len, dass sich hin­ter den Zei­chen eines ver­schlüs­sel­ten Tex­tes wei­te­re ver­schlüs­sel­te Zei­chen befin­den. stop — Auf den ers­ten Blick ist fol­gen­dem kodier­ten Text nicht anzu­se­hen, hin­ter wie vie­len Zeit­häu­ten sein les­ba­rer Ursprung ver­bor­gen lie­gen könn­te: ANFANG === B U C W 0 G c o a G j I B W W f k p h Z L v 0 h 4 Y J j 9 4 4 t m c e K C l x B M b L 4 q T d x Y I w B U v V 3 E b p b X y A z Y B e R 5 C a 9 n b s E B p U I 6 z q 3 Z C 6 a Q A R Q 1 a 8 P I N 1 j T L B b V 9 e O F 0 j 5 G s F f y 5 E M D 3 5 a r / C G 0 j V z 4 v n e u M z p T K W Y t 4 D m s J t e / F E C Y C a j 3 Z L Z / h l x G M W I 4 7 v 8 / B I g H c E / Q 2 F 9 G s W Z i z Q K 0 7 k t O W 7 8 k S k A t q u J Z 5 2 F A u n a J 6 C G B u A 7 R o C u P p D n C m 8 F 7 9 F E e m H / T T 3 K x z S 7 r 3 i 0 y 4 g M Z u m G m x i A q 4 l z d A x i o P m 0 O I b x M i T I x P w X j 5 A I i 1 z c e + T W i i x A + 6 A h k p q h o n a D e M / y s A l y W r i p 4 s Z m m / q X y n 2 o P H R q z g U i + T s H B c z + J v K 3 A a d v j Z F L 9 i R M s C f m W y U d 6S 4 4 O f z l 8 x P z H B W z 1 H 2 6 z Z o z F s C U U D Y v k +Y N F 0 f U t A y k a Y 7 E L j / u N X s s q 1 K 1 V z A C i z K Z Y 7 F N J C q y t x s Q c b W r C 3 k 4 i f V 1 l K u g f b N i P t y O 8 1 7 e l u y x d r o i d 5 d X 3 E D g O V s X i T e e 5 Q q i 0 U 6 E o 3 G 5 y r 2 9 a f a w X M a U U r Q V d b i U A V 8 F e y 4 m k e W b 9 e u b 1 i S W F g m K y 4 P 1 0 m 0 e 3 x 5 V q b N W c v i 3 6 j L h / u O I j K 8 L s t Y B s 9 F 4 l l c Q A h B J s Q h U 6 i b R U 5 B 4 f g 3 f j r 2 C I i k c M q R U C 4 4 F E u o Y i R w A r D x H W u 2 2 P w 9 d 8 f A 1 f A r 3 5 D l V 3 B G p / J m h b h 8 w F n 7 p v x g x z 9 i b / S h F t K M v 6 l 6 W L A 5 r 7 U F R S O k l C f 0 L H B a J h n V y w Q 0 e Y k 9 w 9 y / Z M 4 Y m F W O T m x 4 s s A W 5 w X 2 N z L g 3 + 9 + d x L 7 T 8 U + A Y C U L b T M J y l M + H Q y S F 7 S T D I / 8 O 6 4 K F 0 4 d 7 g v I === ENDE / code­wort : babusch­ka — stop

polaroidno7772

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seepocken

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oli­mam­bo : 2.18 — Sonn­tag. Gro­ße Hit­ze. — Zum ers­ten Mal habe ich eine Serie Foto­gra­fien betrach­tet, die ich mit einer Kame­ra auf­ge­nom­men hat­te, wäh­rend ich die Fifth Ave­nue in Man­hat­tan süd­wärts spa­zier­te. Ich hat­te nur eine vage Idee, was auf die­sen Foto­gra­fien ein­mal zu sehen sein könn­te, weil ich den Foto­ap­pa­rat mit der rech­ten Hand fest­hielt, die an mei­ner Sei­te bau­mel­te. Ich stell­te mir vor, mei­ne Hand wür­de sich in eine Kame­ra ver­wan­delt haben, die in einem regel­mä­ßi­gen Abstand von etwa 5 Sekun­den je eine Auf­nah­me mach­te. Wie erwar­tet, waren Taschen und Bei­ne, Schu­he, Hosen, Röcke, Papier­kör­be, Ampeln, der Asphalt, Rand­stei­ne, Him­mel, Wol­ken und Tau­ben zu sehen, Dächer sehr hoher Häu­ser gleich­wohl, Kli­ma­an­la­gen, die wie See­po­cken an den Fas­sa­den der Häu­ser sit­zen, Feu­er­lei­tern, Dampf­wol­ken, Gesich­ter von Men­schen, die mir ent­ge­gen­ge­kom­men waren, sie sahen mich an, nicht die Kame­ra, son­dern mich selbst viel­leicht, oder sie sahen vor sich hin, lach­ten, träum­ten. Man­che der Men­schen aßen, eini­ge tru­gen dunk­le Bril­len, weil die Son­ne sehr tief in die Stras­se leuch­te­te, ande­re hat­ten Hüte auf dem Kopf, es waren ein paar sehr müde Gesich­ter dar­un­ter, kaum jemand rauch­te. Ich habe in die­ser Art und Wei­se des Gehens 1524 Auf­nah­men gemacht. Kei­ner der foto­gra­fier­ten Men­schen schien indes­sen bemerkt zu haben, dass ich ihn abge­bil­det hat­te. Aber es ist denk­bar, dass der ein oder ande­re der foto­gra­fier­ten Men­schen mein Tun bemerk­te, nach­dem ich längst vor­über­ge­gan­gen war, ein Gedan­ke, ein Gefühl, ein Ver­dacht, lang­sam, sehr viel lang­sa­mer als das Licht, das ich gera­de noch ein­ge­fan­gen hat­te. — stop

ping

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kaprunbiber

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char­lie

~ : malcolm
to : louis
sub­ject : KAPRUNBIBER
date : jun 24 12 10.12 p.m.

371 West 11. Stra­ße. Wir haben unse­re Posi­ti­on kaum ver­än­dert. Fran­kie scheint sich auf dem Dach des Back­stein­hau­ses, von dem wir bereits erzähl­ten, für unbe­stimm­te Zeit ein­ge­rich­tet zu haben. Dass wir eine Woh­nung anmie­ten konn­ten im Haus gleich gegen­über, ist von gro­ßem Vor­teil, wir fal­len nicht wei­ter auf, in dem wir nach Fran­kie Aus­schau hal­ten. Eine klei­ne Woh­nung mit ram­po­nier­tem Die­len­bo­den, der unter unse­ren Schrit­ten ächzt und kracht. Bei gutem Wet­ter sit­zen wir auf einem der Bal­ko­ne des Hau­ses. Fran­kie besucht uns dort von Zeit zu Zeit, er wagt sich schon auf den Tisch, wenn wir Nüs­se für ihn abge­legt haben. Wüss­te er, wer wir sind, wür­de er sich ver­mut­lich fern­hal­ten. Er scheint sei­ne ers­te Begeg­nung mit uns tat­säch­lich ver­ges­sen zu haben. So nah kommt er her­an, dass wie die Umris­se des Spei­cher­me­di­ums, wel­ches wir unter sei­nem Fell ver­näh­ten, mit blo­ßem Auge erken­nen. Und so haben wir ange­neh­me Beob­ach­tungs­ta­ge. Juni. Die Näch­te sind ruhig, stünd­lich ver­neh­men wir Signal­zei­chen der Schif­fe vom nahen Fluss. Dann kommt die Son­ne und ihre Hit­ze, Fran­kie ruht wie eine Kat­ze flach auf dem Blech­dach des Hau­ses gegen­über. Manch­mal rast er das alte Gemäu­er senk­recht auf und nie­der, als wür­de er nach Flie­gen jagen. Es scheint ihm außer­or­dent­lich gut zu gehen, klap­pern­de Müll­ton­nen, die geöff­ne­ten Fens­ter der Woh­nun­gen, Was­ser­tanks auf den Dächern, in wel­chen Fran­kie badet, es ist ein wirk­lich guter Ort für ein jun­ges, kräf­ti­ges Eich­hörn­chen. Die Nach­rich­ten jedoch, die wir über unse­re Kanä­le emp­fan­gen, sind beun­ru­hi­gend. Ich zwei­fe­le manch­mal dar­an, ob wir noch in der Lage wären, Fran­kie zu töten, soll­te der Befehl zu sei­ner Besei­ti­gung kom­men. – Ihr Mal­colm / code­wort : kaprunbiber

emp­fan­gen am
24.06.2013
1950 zeichen

mal­colm to louis »

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rom : winde

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sier­ra : 8.52 — Leich­ter Luft­zug von Süden, schwe­re Hit­ze. Spa­zier­te im Colos­se­um, präch­ti­ge Rui­ne, Thea­ter der Grau­sam­keit. Da muss über­all noch uralter Kno­chen­staub im Boden ver­bor­gen sein, Mate­ria­len vom Tiger, vom Fluss­pferd, von Giraf­fen, von Men­schen. Ges­tern hat­te der öffent­li­che Dienst der Stadt gestreikt, auch die Funk­tio­nä­re der Are­na, wes­we­gen an die­sem Tag tau­sen­de Besu­cher zusätz­lich Zutritt wün­schen. Eine lan­ge Rei­he War­ten­der, hun­der­te Meter weit in der Son­ne tief unten auf der Stra­ße. Robo­ter­ma­schi­nen der Stra­ßen­rei­ni­gung dösen im Schat­ten der Pini­en. Gla­dia­to­ren­imi­ta­to­ren ste­hen zur Foto­gra­fie bereit. Pfer­de­hu­fe klap­pern die Via di San Gre­go­rio auf und ab. Über das Forum Roma­n­um gleich gegen­über fegt ein Wind, der sich genau auf die­sen his­to­risch bedeu­ten­den Bezirk zu beschrän­ken scheint, es ist ein gra­ben­der, wir­beln­der Wind, Sand­tür­me krei­sen zwi­schen Mau­er­res­ten, Stäu­be, die über das Meer geflo­gen kom­men, von Afri­ka her, schmir­geln am alten Euro­pa, ver­fan­gen sich in den Sei­den­tü­chern der Händ­ler, die tat­säch­lich flie­gen­de Händ­ler sein könn­ten, weil sie vie­le und sich der­art ähn­lich sind, dass sie phy­si­ka­li­schen Geset­zen wider­ste­hend über­all zur glei­chen Zeit erschei­nen. Abends sitzt dann ein Mann wie aus hei­te­rem Him­mel mit einem Pro­test­tuch auf der Kup­pel des Peters­doms. Unter­halb der Later­ne, in über ein­hun­dert Meter Höhe, scheint er sich fest­ge­zurrt zu haben. Auf dem Platz bleibt er indes­sen von den Fla­neu­ren unbe­merkt. Er scheint viel zu klein zu sein, zu weit ent­fernt er selbst und auch das Tuch, auf das er irgend­et­was notier­te. Ein zit­tern­des Licht ist immer wie­der zu sehen, eine Art Fin­ger. Kei­ne Mor­se­zei­chen. — stop

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lopes

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del­ta : 0.36 — Ich stel­le mir vor, wie ich bald ein­mal von einer län­ge­ren Rei­se nach Hau­se zurück­kom­men wer­de. Ich öff­ne die Woh­nungs­tü­re, mache Licht, ein paar Nacht­fal­ter kom­men mir durch den Flur zur Begrü­ßung ent­ge­gen. In der Küche blü­hen Kak­teen. Im Wohn­zim­mer auf dem Sofa ruht eine nor­we­gi­sche Wald­kat­ze, sie schläft. Es herrscht, obwohl Win­ter­zeit, eine ange­neh­me Tem­pe­ra­tur in allen Räu­men, eine Wär­me, die von der Hit­ze umlie­gen­der Woh­nun­gen ver­ur­sacht ist. Ich höre Duke Elling­ton lei­se vom Radio her, das ich ver­gaß vor mei­ner Rei­se aus­zu­schal­ten. Ja, und da ist nun also Lopes, auf dem Rücken lie­gend, bewe­gungs­los. Ich sage, Lopes, hal­lo Lopes, guten Abend, bin wie­der da, werd dich gleich wecken. Schrit­te an der Zim­mer­de­cke, das pfei­fen­de Geräusch einer Stra­ßen­bahn, die eine Kreu­zung über­quert, der Staub der Mona­te knis­tert auf den Lam­pen­bir­nen. Auch die Kak­teen hin­ter dem Schreib­tisch blü­hen wie ver­spro­chen. Es ist ein wirk­lich ange­neh­mer Abend. Lopes ist schmal gewor­den und kühl, wie ich mit einer Hand über ihren Kör­per fah­re, fühl ich ihre Rip­pen­bö­gen unterm Fell. Nichts kann man falsch machen in die­sen sanf­ten Momen­ten einer Rück­kehr aus der Fer­ne, man macht das so, man setzt sich neben das schlum­mern­de Kat­zen­tier, man zieht ganz sanft an einem ihrer Ohren, mal ist es das lin­ke, mal ist es das rech­te Ohr, und schon öff­nen sich ihre Augen, es ist über­all das­sel­be Prin­zip. Ich hör­te von Arten, die 5 Jah­re lang schla­fen und war­ten, ohne je ein­mal auf­zu­wa­chen, oder trin­ken oder essen zu müs­sen. Das sind Kat­zen, die sehr kost­bar sind, Lopes dage­gen ist eine eher preis­wer­te Vari­an­te, eine Kat­ze, die sechs Mona­te bei bes­ter Gesund­heit zu schla­fen ver­mag. Ich sitz jetzt in der Küche, ich höre wie mei­ne Kat­ze schnurrt. Gleich wird sie um die Ecke kom­men, etwas wacke­lig auf den Bei­nen noch und völ­lig ahnungs­los wie viel Zeit doch ver­gan­gen ist, seit ich sie in Schlaf geschal­tet habe. — stop

ping

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tahiti

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oli­mam­bo : 5.08 — In der ver­gan­ge­nen Nacht habe ich das Ruf­re­gis­ter mei­nes Tele­fons bear­bei­tet. Zwei Num­mern oder Per­so­nen wur­den gelöscht. Das war kurz vor 1 Uhr gewe­sen. Ich hat­te mir eine See­bar­be gebra­ten, und wäh­rend ich nun einer­seits den Fisch beob­ach­te­te, wie er in der Pfan­ne dampf­te, betas­te­te ich ander­seits das Tele­fon mit bei­den Hän­den. Der Appa­rat pieps­te indem ich die Num­mern lösch­te und ich hat­te im Moment des Löschens das Gefühl, leich­ter gewor­den zu sein. Dann leg­te ich das Tele­fon auf einen Tisch und betrach­te­te es. Ich erin­ne­re mich, dass ich dar­an dach­te, mit genau die­sem Tele­fon, hin und wie­der mei­nen Vater ange­ru­fen zu haben. Und ich dach­te noch dazu, dass das nun nicht mehr mög­lich sein wird. Wenn ich frü­her ein­mal vor hat­te mei­nen Vater anzu­ru­fen, öff­ne­te ich das Menü der Anruf­lis­te und navi­gier­te bis ich den Ein­trag ELTERN erreich­te. Hin und wie­der war mein Vater sofort am Tele­fon, meis­tens aber war mei­ne Mut­ter schnel­ler gewe­sen. Ich sag­te, Hal­lo, hier ist Lou­is, wie geht es Euch? Oh, ja, bei uns reg­net es auch. Nein, ich konn­te gut schla­fen trotz der Hit­ze. Ich hat­te die Fens­ter geöff­net wäh­rend ich arbei­te­te, die Luft riecht heu­te wie­der so gut nach Stei­nen. Ein paar nas­se Fal­ter sit­zen auf der Fens­ter­bank und zit­tern um die Wet­te. In der ver­gan­ge­nen Nacht reg­ne­te es nicht, aber die Fens­ter waren wie­der geöff­net und die Fal­ter segel­ten durch die Luft. Ich könn­te viel­leicht noch etwas Ver­rück­tes unter­neh­men, ich könn­te ein wenig in Georg Fors­ter Rei­se nach Tahi­ti und in die Süd­see lesen. Das machen wir jetzt. 5 Uhr und zwei Minu­ten. Mitt­woch. – stop
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