MENSCHEN IN GEFAHR : “Seit dem 3. Juli befinden sich Ola al-Qaradawy und ihr Ehemann Hossam Khalaf aufgrund des haltloses Vorwurfs zur Muslimbruderschaft zu gehören in Haft. Bislang hat die Staatsanwaltschaft weder Beweise vorgelegt, die ihre Inhaftierung rechtfertigen würden noch wurde den beiden die Möglichkeit eingeräumt, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung anzufechten. Die Gefängnisbehörden verweigern ihnen Besuche von Rechtsbeiständen und Angehörigen. / Ola al-Qaradawy wird seit ihrer Festnahme im Frauengefängnis Al-Qanater im Gouvernement Qalyubia festgehalten. Sie ist in in einer sehr kleinen Einzelzelle untergebracht, die nur etwa 160 cm auf 180 cm misst und weder ein Bett noch eine Toilette hat. Außerdem sind Belüftung und Beleuchtung ungenügend. Ihr wird jeden Morgen ein einziger täglicher Toilettengang von nur fünf Minuten gestattet. Somit sieht sie sich gezwungen, ihre Nahrungsaufnahme einzuschränken, um nicht auf die Toilette gehen zu müssen. Rechtsbeistände, die Ola al-Qaradawy am 5. November im Büro der Oberstaatsanwaltschaft für Innere Sicherheit sahen, berichteten Amnesty International, dass sie während der ersten vier Tage im November mit einem Hungerstreik gegen ihre Inhaftierung und die schlechten Haftbedingungen protestiert hatte. / Hossam Khalaf ist inzwischen aus der Einzelhaft in eine Gemeinschaftszelle verlegt worden. Er wird im Hochsicherheitsgefängnis Tora am Rande der Hauptstadt Kairo festgehalten. Obwohl er bereits seit seiner Inhaftierung an Augenschmerzen leidet, lehnt die Gefängnisleitung seinen Antrag weiterhin ab, sich entweder im Gefängnisspital oder auf eigene Kosten in einem Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses untersuchen zu lassen. - Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen bis spätestens zum 11.1.2018 unter > ai : urgent action
Aus der Wörtersammlung: mann
halsposaune
alpha : 15.12 — Es ist Freitag. Seit einer halben Stunde verharrt der Hilfspolizist Thomas Liebermann an der Zentralstadion vor dem Gleis 8 vollkommen bewegungslos, weil ihm ein kleiner Mann begegnet war, der über Fähigkeiten verfügte, die Herr Liebermann nicht vorhersehen konnte. Es war nämlich so gewesen, dass er diesen kleinen Herrn kontrollieren, das heißt präzise, den kleinen Mann aus der Halle des Bahnhofes entfernen wollte, weil der kleine Herr sehr ärmlich gekleidet war und außerdem schmutzig und verletzt durch eine Wunde an der linken Wange, die nicht gut, vielmehr äußerst schrecklich wirkte. Sie bewegte sich nämlich, etwas in der Wunde bewegte sich. Nun ließ sich der kleine Herr, der einen schäbigen, blauen Koffer auf den Boden abgestellt hatte, nicht bewegen in Richtung des Ausganges zu gehen. Er sah Herrn Liebermann stattdessen mit einem festen Blick entgegen, weil er der festen Überzeugung gewesen zu sein schien, dass er sich nicht oder nicht auf Befehl hin auf den Weg machen würde hinaus in die Kälte. Kurz darauf öffnete der alte Mann seinen Mund. In diesem Augenblick erkannte Hilfspolizist Thomas Liebermann, dass er etwas Außergewöhnliches erlebte. Denn in den Rachen des Mannes tief im Schlund war, nunmehr sichtbar, der Klangtrichter einer kleinen Posaune eingelassen. Von dort her war unverzüglich ein sonorer Ton zu hören, der die Halle erbeben ließ, sowie Herrn Liebermann in einen Zustand der Erstarrung versetzte. Das war vor einer halben Stunde gewesen, aber das erzählte ich bereits. Auch drei Tauben ließen ihr Leben. — stop
elefanten in der schnellbahn
foxtrott : 10.28 — In einem Schnellbahnzug beobachtete ich einen Mann, wie er von Abteil zu Abteil wanderte, um auf Streckenpläne des Verkehrsverbundes die Silhouette je eines Elefanten aufzubringen. Er führte deshalb Bögen selbstklebender Folien mit sich, in welche Formen hunderter kleiner Elefantenkörper eingestanzt worden waren. Ich fragte den Mann, wer ihn beauftragt habe. Er antwortete, dass er selbst sich den Auftrag erteilt habe, dass er schon sehr lange Zeit den Wunsch verspürte, Wohnorte der Elefanten in der Stadt zu vermerken. Er habe gespart, jetzt schreite er zur Tat. Einige Strafanzeigen habe er bereits entgegengenommen wegen Sachbeschädigung, das war deshalb gewesen, weil Elefanten zwar im Zoologischen Garten, aber nicht im Nymphenburger Schloßpark wohnhaft sein sollen. Genau dort habe er indessen nicht selten Elefanten beobachtet, wie sie fürstliche Wälder durchstreiften. Nun, sagte der Mann, ich bin doch nicht verrückt. — stop
ein taucher
nordpol : 10.12 — Ich hörte, auf Grönland soll in einer Siedlung nördlich des Polarkreises ein Mann existieren, der trainiert wurde, in Walfischkörpern zu tauchen. Sobald sorgfältigste Untersuchung eines gestrandeten Tieres notwendig werden sollte, würde jener Walfischtaucher unverzüglich zur Arbeit gerufen. Ich stelle mir vor, wie der Mann in einen Neoprenanzug gehüllt, mit einem flachen Sauerstoffgerät ausgerüstet, einer starken Lampe, zwei äußerst scharfen Messern, sowie einem angespitzten Helm ausgerüstet, am Strand ruhende Leichname besucht, die möglicherweise noch warm sind. Ein fast lautloser Vorgang. Der Taucher verschwindet vollständig, arbeitet sich Zentimeter um Zentimeter schneidend durch den Körper voran. Vielleicht wird seine Stimme zu hören sein, eine Funkstimme, die bisweilen meldet, dass er sich gut fühle, dass er das Herz des Wales bald erreichen werde, das ist denkbar. — stop
ein name fern und nah
echo : 18.55 — Im Schnellzug saß eine junge Frau. Als der Zug längere Zeit halten musste, kamen wir ins Gespräch. Die junge Frau sagte, dass sie bewundere, wie schnell ich auf meiner Schreibmaschine mit den Fingern tippen könne. Sie erwähnte, dass sie in Sri Lanka geboren worden sei, aber schon lange in Europa lebe. Tatsächlich hörte ich kaum einen Akzent in ihrer Stimme. Ich fragte sie nach ihrem Namen. Welchen ihrer Namen ich wissen wolle, erkundigte sie sich, ihren europäischen, den Namen ihres Mannes, der sich mit einem Bruchteil ihres Geburtsnamens verbunden habe, oder eben den Namen ihrer Kindheit? Mit einer scheuen Handbewegung rief sie meine kleine flache Schreibmaschine zu sich herüber, nahm sie in ihre linke Hand und begann mit ihrer rechten Hand Zeichen um Zeichen zu tippen. Sie sagte: Ich schreibe ihnen, wie ich in Sri Lanka als unverheiratete Frau gerufen wurde. Vorsichtig berührte sie mit einer Fingerspitze die Tastatur auf dem Bildschirm, es dauerte lange Zeit, ehe sie fertig geworden war. Immer wieder schien sie ihren Namen zu prüfen, ob auch alles stimmte. Kurz darauf las sie mir ihren Namen vor, ein schönes Geräusch in meinen Ohren. Dann gab sie mir meine Schreibmaschine zurück und ich buchstabierte meinerseits Folgendes vorsichtig nach: Malvala Sri Brahmana Rinnayaka Tannkoan Mydiuanselage Langt Mahehika Tannkoan Sanatonga. Es war an einem Donnerstag gewesen, gegen 18 Uhr. — stop
zwergseerose no 2
nordpol : 0.02 UTC — Als ich heute Morgen erwachte, knisterte mein linkes Ohr. Das war vermutlich darum gewesen, weil ich auf meinem linken Ohr mehrere Stunden lang träumend ruhte. Für einen Moment dachte ich, meine Ohrmuschel wäre von Papier gemacht. Während ich so lag und lauschte, erinnerte mich an eine Geschichte, die ich in einem schattigen Laden nahe der Roosevelt Island Tramway Basisstation West in New York vor längerer Zeit erlebte. Ich erzählte bereits von dem alten Mann, der hinter einem Tresen auf Kunden wartete. Er war vermutlich amerikanischer Staatsbürger, doch eher chinesischen Ursprungs. Als ich von dem kleinen Park her, dessen Lindenbäume Kühle spendeten, in den Laden trat, verbeugte sich der Mann, grüßte, er kannte mich bereits, wusste, dass ich mich für Schnecken interessiere, für Wasserschnecken präzise, auch für wandernde Seeanemonenbäume, und für Pralinen, die unter der Wasseroberfläche, also im Wasser, hübsch anzusehen sind, schwebende Versuchungen, ohne sich je von selbst aufzulösen. An diesem heißen Sommerabend kamen wir sofort ins Gespräch. Ich erzählte dem alten Mann, ich würde nach einem besonderen Geschenk suchen für ein Kiemenmädchen namens Rose. Sie sei zehn Jahre alt und nicht sehr glücklich, da sie schon lange Zeit den Wunsch verspürte, wie andere Kinder ihres Alters zur Schule zu gehen, leibhaftig am Unterricht teilzunehmen, nicht über einen Bildschirm mit einem fernen Klassenraum verbunden. Ich glaube, ich war genau zu dem richtigen Zeitpunkt in den Laden gekommen, denn der alte, chinesisch wirkende Mann, freute sich. Er machte einen hellen, pfeifenden Ton, verschwand in seinen Magazinen, um kurz darauf eine Reihe von Spieldosen auf dem Tresen abzustellen. Das waren Walzen- und Lochplattenspieldosen mit Kurbelwerken, die der Ladung einer Federspannung dienten. Vor einer Stunde geliefert, sagte der alte Mann, sie machen schauerlich schöne Geräusche im Wasser! Man könne, setzte er hinzu, sofern man sich in demselben Wasser der Spieldosen befände, die feinen Stöße ihrer mechanischen Werke überall auf dem Körper spüren. Bald legte er eine der Dosen in ein Aquarium ab, in welchem Zwergseerosen siedelten. Kurz darauf fuhr ich mit der Tram nach Roosevelt Island rüber. Das Musikwerk, Benny Goodman, das ich für Rose erstanden hatte, war in das Gehäuse einer Jakobsmuschel versenkt. Die Schnecke lebte, weswegen ich tropfte, weil der Beutel, in dem ich Roses Geschenk transportierte, über eine undichte Stelle verfügte. Gegen Mitternacht, ich war gerade eingeschlafen, öffnete tief in meinem rechten Ohr knisternd eine Zwergseerose ihre Blüte. – stop
leere seite
sierra : 10.22 UTC — Einmal beobachte ich einen Mann, der anhand der Gestalt von Schriftzeichen, die auf Briefumschlägen zu finden sind, Diagnosen erstellt. Er mache das seit vielen Jahren. Zur Betrachtung wird also ein Brief, der zu untersuchen ist, aus einer Box gehoben, um ihn unter das Licht einer starken Lampe zu legen. Der Mann sagt: Die Person, die diesen Brief nach London sendete, war im Moment, da sie ihren Brief adressierte, betrunken. Er nimmt einen weiteren Brief aus der Box: Dieser Brief nach Zürich wurde von einer Frau notiert, die glaubte, ihre Zeit sei abgelaufen. Das hier ist ein ganz seltsames Exemplar, nicht wahr, warum überhaupt jedes Schriftzeichen auf dem Briefumschlag vergessen wurde, können wir erst dann mit Sicherheit sagen, wenn wir den Brief geöffnet haben Erden, schöne Briefmarke. Hier haben wir einen Brief, dessen Adresse nur scheinbar von Hand gesetzt worden ist, bei genauer Ansicht ist Folgendes deutlich zu erkennen: Die Anschrift „To Lady Charlotte Ridlinger, NY, 210 Lexington Avenue“ wurde von einer Maschine gestempelt. — stop
sekundengeschichte
echo : 0.26 UTC — Unsere Betriebssysteme harmonierten nicht, erzählte ein junger Mann, es war nichts mehr zu retten. Er fragte: Ja, kann sich ein Mensch denn für Gefühle entscheiden? Existieren in meiner Seele Algorithmen, die steuerbar sind? — Der junge Mann sprach mit heller Stimme. Neben ihm im Schnellzug hockte ein Hund auf einem Sitzplatz für sich. Der Hund war nicht viel größer als eine Maus, ein Zwerghund mit riesigen runden Augen. Er schaute sein Herrchen, das von der Liebe traurig war, bewundernd an. Ein heißer Tag. Der Maushund zeigte eine schöne Zunge, sie war vom Sommerblau der Karpfenzungen. — stop
im gebirge
delta : 7.55 UTC — Ich träumte von einer Frau, wie sie in einem Haus im Gebirge, dicht an der Sommerschneegrenze, mit geschlossenen Augen auf einem Fahrrad sitzt. Das Fahrrad kann nicht davonfahren, weil sich sein hinteres Rad in der Luft dreht. Die Frau ist von hohem Alter, sie tritt mit zarter Kraft in die Pedale. Indem ich mich nähere, erkenne ich einen Trafo, der Strom erzeugt. Im Zimmer gleich neben der Fahrradstube ruht ein alter Mann auf einem Sofa. Er notiert auf einer elektrischen Schreibmaschine. Neben seinem Sofa steht eine weitere Maschine, sie ist verschraubt mit uralten Dielen, Bienen fliegen durch Astlöcher der Dielen ein und aus. Die Maschine pumpt Luft in die Lungen des alten Mannes. Diodenlichter blinken in blauer und roter Farbe. Kühe schauen durch Fenster in das kleine Zimmer hinein. Glocken läuten. Der alte Mann winkt, ich solle näherkommen, ich wache auf. — stop
gespräch mit einem seemann
tango : 20.10 UTC — Im Schnellzug heute Morgen beobachtete mich ein Mann von vielleicht achtzig Jahren, wie ich auf meiner flachen Bildschirmschreibmaschine einen Text notierte. Ich hatte die Schreibmaschine quer auf meine Knie abgelegt und schrieb mit fünf oder sechs Fingern recht flink auf einer virtuellen Tastatur. Das war ein fast lautloser Vorgang gewesen, vielleicht deshalb sagte der Mann plötzlich: Früher waren die Schreibmaschinen sehr laut gewesen! Ich hob meinen Blick und lächelte den Mann an. Er fragte sofort weiter: Das ist doch eine Schreibmaschine? Ich nickte. Ja, sagte ich, das ist eine Schreibmaschine und zugleich auch ein Gerät, mit dem ich Texte senden kann und Nachrichten empfangen, sogar morsen könnte ich. — Ich habe früher auch gemorst, sagte der Mann, ich bin auf einem Segelschiff zur See gefahren, da war ich sehr jung gewesen. Er schwieg für einen Moment, dann sagte er: Sie brauchen gar kein Papier, nicht wahr? Ich antwortete: Das ist richtig, im Grunde brauche ich kein Papier. — Was schreiben sie denn? Wollte der Mann wissen. Ich schreibe eine Geschichte, sagte ich. Ist das denn gut, dass sie eine Geschichte ohne Papier schreiben? fragte der Mann. Ich sagte: Darüber muss ich nachdenken. Der Mann lachte: Sie ist wirklich nicht groß, diese Schreibmaschine. Sagen sie, wie viele Geschichten passen denn in diese Schreibmaschine hinein? Ich antwortete: Ich glaube, sehr viele Geschichten, ja, vermutlich unvorstellbar viele Geschichten. — Das ist gut, sagte der Mann, so viele Geschichten, dass sie im Zug sitzen und schreiben können, so lange sie wollen, ohne je aussteigen und eine neue Schreibmaschine kaufen zu müssen. Vorübergehend schaute er zum Fenster hinaus. — stop