nordpol : 18.15 — Nachmittag. Wolken tief. Regen heut aus nächster Nähe auf den Schirm. Auch von der Seite her Tropfen, die so leicht sind, dass sie mit meinem Atem zurück gegen den Himmel fliegen. Mit Schreibmaschine sitz ich und beobachte handliches Kino. Dort das Gesicht einer uralten Frau. Sie heißt Margareta, die Margareta aus Wien. Margareta ist 91 Jahr alt. Von einem bösen Krebs schwer gezeichnet, spricht sie im Sterbehospiz in einer heiteren Weise Gedanken in die Kamera, die mich berührten, als ich sie zum ersten Mal hörte, so dass ich mir vorgenommen hatte, jeden ihrer Sätze in einer eigenen Textspur festzuhalten. Heute nun ist Margaretas Tag. Immer wieder halte ich den Film an und notiere Wort für Wort was Margareta zum Sterben sagt: Ich glaub nicht gar so. Ich glaub nicht, dass man in den Himmel kommt. Weil, mit was soll man denn? Ja, mit der Seele, nicht! Die Seele kommt in den Himmel. Ja, aber wer ist denn die Seele? Das weiß man dann auch nicht. Ich sag das nur, weil Sie mich gefragt haben. Weiß ich nicht, wie das dann geht! Ich hab eine Cousine gehabt, die war sehr christlich. Wenn die nur einmal nicht in die Kirche gegangen war, aber sie hat mir gesagt damals, sie war ein 18er-Jahrgang, ich bin ein 14er, mein Bruder war ein 17er, und sie hat gesagt: Das glaub ich nicht, dass es nach dem Tod noch was gibt. Sie meint halt, dass wenn man stirbt, dass es dann aus ist. Ich weiß es auch nicht. Aber ich schlafe jetzt auf die Nacht ein, und in der Früh werd ich munter, das hab ich jetzt dreimal schon gemacht, da denke und da träume ich gar nichts, so richtig nichts. Dann denk ich mir, siehst du, so wär das Sterben. Aber es ist halt so. Nein, so richtig weiß ich es nicht. Aber ich bin ja schon knapp davor. Mit 91 sind Sie knapp vor dem Sterben. Müssen Sie ja sein. — Margareta hebt einen kleinen Löffel vom Tisch. - Mein Gott, gar nichts essen möchte ich am liebsten. - stop
Aus der Wörtersammlung: maschine
radare
ginkgo : 20.58 — Palmengarten. Die Sonne geht gegen sechs Uhr unter, Enten gehen schlafen. Der Schirm ihrer Augen, der sich regelmäßig öffnet, als würden sich in ihren kleinen Köpfen Halbschalen von Perlmutthaut langsam drehen. Gehen und Kommen, Wiederholung, Rhythmus, Radare. Transferierte in der Dämmerung handschriftliche Texte aus Notizbüchern in die Schreibmaschine, das kann man jetzt drucken, die Bewegung der Subwayzüge, die sich in den Zeichen zur Unleserlichkeit fortsetzte, verschwunden. — Wie sprechen, wie erzählen? — Erinnerte mich an den Moment, da ich erfahren habe, dass Buckelwale zur Paarungszeit über eine Sprache verfügen, die einfachen menschlichen Sprachen ähnlich ist. Seither, von Zeit zu Zeit, die Wiederholung der Frage, was ich unter einer einfachen menschlichen Sprache verstehen sollte, die atemlose Sprache der Lust vielleicht oder die Sprache der Chaträume? Ob eine dieser menschlichen Sprachen vielleicht geeignet wäre, sich mittels einer Prozedur der Übersetzung von Wal zu Mensch zu verständigen? Wir könnten uns vom Land und von der Tiefsee erzählen. Eine grandiose Vorstellung, auf hoher See Luft perlend vor einem Wal zu schweben und zu warten und zu wissen, dass er gleich, nach ein wenig Denkzeit, zu mir sprechen wird. Etwas also sagen oder singen, das nur für mich bestimmt ist. Vielleicht eine weitere Frage: Wie heißt Du, mein Freund? — Oder: Ich hörte von Bäumen!
pong pong
alpha : 2.01 — Kuriose Beobachtung heut Nacht. Ich saß auf meinem Sofa und dachte an eine Apparatur, die in der Lage sein könnte, Bücher in einem vorgegebenen Rhythmus selbstständig umzublättern. Über zwei Arme sollte diese Maschine verfügen, gleichwohl über fingerähnliche Fortsätze, einen Motor und Sensoren, empfindlich für Licht. Während ich die Maschine in meinem Kopf zusammensetzte, notierte ich die Anzahl der Schrauben, die bald einmal im wirklichen Leben zur Festigung nötig sein werden, handschriftlich auf ein Blatt Papier. Immer wieder, wenn ich in meiner Arbeit gestört wurde, setzte ich neu an. Das ist nämlich sehr merkwürdig mit Maschinen, die ich erfindend montiere, sie verschwinden vollständig aus dem Sinn, sobald ich nur für eine Sekunde meine Arbeit zu unterbrechen habe, sagen wir, weil ich höre, wie draußen auf der Straße Schritte laufen. Eigentlich ist diese Nacht überhaupt ungeeignet, eine Kopfmaschine zu bauen. Ich habe die Fenster meiner Wohnung geöffnet, ein leichter Wind fährt durch die Kronen der Bäume vor dem Haus. Diese Bäume im Dunkeln sind Kastanien. Sie machen Nussmusik, pong, pong. — stop
in der paukenhöhle
echo : 16.02 — Ich habe mir eine Maschine vorgestellt, derart filigran konstruiert, dass ich sie meinen inneren Ohren zufügen könnte, und zwar in nächster Nähe der Gehörknöchelchen, eine Trafomaschine, 50 mg von Gewicht und mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen. Dort in den Paukenhöhlen befindlich, würde das Maschinenwesen in physikalischer Weise Strom erzeugen, würde durch die Bewegung eines Gedankens gesteuert, Geräusche der Welt dämpfen, das heißt bremsen, aber niemals verstärken. Je lauter die Welt, in der ich mich befinde, je leiser ich sie höre, desto heller das Glühbirnenlicht, das von gesammelten Strömen zunehmender Stille entzündet sein wird. — stop
madison avenue
ulysses : 7.
32 — Madison Avenue am frühen Morgen von Süd nach Nord. Tausende Tagpassanten nähern sich und verschwinden. Heftige Winde. Blüten, Blätter, Töne wirbeln in Spiralen durch die frische Luft. Frauen halten ihre Röcke, Männer ihre Hüte fest. Berauschende Glücksgefühle. Werde ich größer oder werde ich kleiner? Irgendetwas scheppert leise im Kopf von Schritt zu Schritt. Fliegenleichtgewichte, transparente Hummergestalten, spazieren seitwärts über den Bildschirm meiner Handschreibmaschine dahin, gebeutelte, zausige Herzen. Wo waren sie in der vergangenen Nacht gewesen? Indem ich eines der Geschöpfe auf der Schulter mit mir trage, der Gedanke, dass sich beinahe alle Menschen dieser großen Stadt nicht persönlich kennen. — stop
fingerübung
marimba : 10.
28 — Wieder eine halbe Stunde versucht, einen sechsten Finger linker Hand zu denken. Wie je zuvor spürte ich einen sechsten Finger nur dann, wenn ich einen linken und einen rechten sechsten Finger dachte zur selben Zeit, wenn ich also beide Hände neben mich legte und in meinem Kopf bearbeitete. — Riesige, graue Möwen jagen durch die Luft. Gespräch mit Computermaschine Eliza.
Louis : guten morgen, eliza
Eliza : > guten morgen! wie fühlst du dich?
Louis : gut! und du eliza?
Eliza : > lass uns über dich sprechen.
Louis : > warum, eliza?
Eliza : > welche antwort würdest du dir wünschen?
Louis : eine heitere antwort, eliza.
Eliza : > sofort?
Louis : unverzüglich, eliza!
Eliza : > du zuerst!
Louis : wer bin ich?
Eliza : > was denkst du, wer du bist?
Louis : ich bin louis!
Eliza : > bist du sicher?
Louis : ich denke schon!
Eliza : > guten morgen, louis, wie fühlst du dich?
Louis : gut! und du eliza?
Eliza : > sag du mir wie ich mich fühle!
Louis : du bist verrückt, eliza!
Eliza : > das wird sich zeigen.
eliza
india : 22.28 — Heiteres Kurzgespräch mit Eliza, einer kleinen Programmmaschine.
Louis : guten abend! wie geht es dir, eliza?
Eliza : > gut! und dir?
Louis : prächtig.
Eliza : > schön zu hören. wo liegt dann das problem?
Louis : ich habe heute abend kein problem, eliza!
Eliza : > wenn du dein problem nicht kennst, bist du hier genau richtig!
Louis : darf ich dir eine frage stellen?
Eliza : > sicher!
Louis : was bedeutet das wort liebe?
Eliza : > hast du schmetterlinge im bauch?
Louis : eliza! bitte! was bedeutet das wort liebe!
Eliza : > lass uns das eine weile zurückstellen.
Louis : warum, eliza?
Eliza : > du musst mich nicht mit namen rufen, ich bin immer bei dir.
Louis : das ist beruhigend, eliza!
Eliza : > erzähl weiter!
Louis : eliza! liebe?
Eliza : > hast du schon andere gefragt?
Louis: aber natürlich!
Eliza : > schön zu hören. wo liegt dann dein problem?
Louis : ich habe heute abend kein problem, eliza!
Eliza : > wenn du dein problem nicht kennst, bist du hier genau richtig!
Louis : warum?
Eliza : > ich sehe, du bist ein schwieriger fall.
Louis : warum bin ich ein schwieriger fall, eliza?
Eliza : > scherz beiseite, kommen wir zur sache.
schreibmaschine
tango : 23.58 — Regen. Gütiger Regen. Ich bin eine lustige Schreibmaschine. — stop
holly — juli 26
ginkgo : 1.18 — Ein Herr, wie geträumt, sitzt auf einem Klappstuhl nahe der Busstation Port Authority in einem Subwaytunnel. Es ist kurz nach zehn Uhr abends. Der Mann vollzieht auf einer Hammondorgel Ohrenwurmmelodien ohne Pause. Weißes Haar, gelblich schimmernd, grauer Anzug, blaues Hemd. Dürr springen seine Hände über die Tastatur, auf dem spiegelnden Rücken des Instrumentes tanzt eine elektrische Jazzfigur im schwarzen Anzug. Die kleine Personenmaschine scheint defekt zu sein, hält immer wieder einmal an, bebt ein wenig nach, federt, fordert einen weckenden Stoß unverzüglich. Unweit, auf dem Boden, eine weitere Puppe, rotes Haar, lebensnah, durchblutet, ein Bonsaimädchen, dem zwei Finger der rechten Hand verloren sind. Geschmeidige Bewegungen der hellen Arme in jede Himmelsrichtung, grazil, leicht und rhythmisch, als verfügte sie über wirkliche Ohren ihres hochbetagten Freundes, dessen Kopf von wandernden Wirbelknochen tief über die Tastatur gezwungen wird. Jede Bewegung, jeder Blick in den Raum, scheint aufs Äußerste schmerzhaft zu sein. Für Sekunden sind Augen eines jungen Menschen zu sehen, seltsam helle Augen. Eine elegant gekleidete Frau kniet vor dem Klappstuhl auf dem Boden. Sie betrachtet den alten Mann von unten her, sie lacht, sie spricht. — stop
juli 14
romeo : 22.38 — Stunde um Stunde auf Fährschiffen zwischen Staten Island und der südlichen Spitze Manhattans hin und her. Ein schaukelnder Ort. Ein Ort, der im Moment meiner ersten Begegnung schon vertraut gewesen war, als ob ich vor langer Zeit geboren wurde auf einer der brummenden Bänke, ein früher Blick, Schatten riesiger Möwen hinter Scheiben, auf welchen Salzkristalle funkelten, der Klang der Nebelhörner, und wieder oder immer noch seither dieser rote Ball, den die Bewegung des Meeres über das untere Deck der Fähre spielt. Heiß und stickig, der Tag meiner Notiz, auch über der Upper Bay ruhte bewegungslos die Luft, bereit zu sinken. Lungerte mit Reiseschreibmaschine auf den Knien hechelnd, Luvseite, herum und wartete. — stop