Aus der Wörtersammlung: os

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josephine begegnet louis armstrong

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nord­pol : 5.02 — Im Sep­tem­ber des Jah­res 2010 fah­ren Jose­phi­ne und ich auf der Sta­ten Island Fäh­re John F. Ken­ne­dy spa­zie­ren. Ein schwül­war­mer Tag. Gewit­ter­wol­ken, vom Meer her gekom­men, hän­gen tief über der Upper Bay. Die Luft knis­tert. Möwen umkrei­sen das Schiff, wie irr stür­zen sie immer wie­der her­ab, schnap­pen nach Pas­sa­gie­ren, die auf der Pro­me­na­de foto­gra­fie­ren, als ob jede ein­zel­ne von ihnen bereits von einem Blitz getrof­fen wor­den sei. Wir sit­zen, unte­res Deck, auf einer der Holz­bän­ke der mitt­le­ren Rei­hen. Ich erin­ne­re mich noch gut an die Stim­me der alten Dame, wie sie auf­ge­regt erzählt. An einem ähn­li­chen Tag im Jahr 1966, sie war noch eine jun­ge Frau gewe­sen, habe sie an Bord der John F. Ken­ne­dy Lou­is Arm­strong beob­ach­tet. Dort, genau dort saß er, sagt sie, und deu­tet auf eine Bank in der Nähe der Fens­ter, die an die­sem Tag voll­kom­men leer ist. Ein Foto­graf und zwei wei­te­re Män­ner sei­en damals um die bedeu­ten­de Per­son her­um­ge­lau­fen, man habe ihn foto­gra­fiert. Ein schö­ner Mann, sagt Jose­phi­ne, ein wirk­lich schö­ner Mann, und so berühmt. Sie lacht jetzt und macht eine kur­ze Pau­se, schaut ost­wärts nach Brook­lyn hin. Ich war ein jun­ges Mäd­chen, erzählt sie wei­ter, und plötz­lich saß dort Lou­is Arm­strong, ganz unglaub­lich, ich war starr vor Schreck gewe­sen. Er sah müde aus, und er hat­te gro­ße Füße und war sehr schwarz für mei­ne Ver­hält­nis­se, ein wirk­lich schwar­zer Mann, der vor­nehm geklei­det war und ich glau­be, wenn ich mich erin­ne­re, dass sie auf etwas gewar­tet haben, immer­zu sahen sich die Män­ner um, sie wirk­ten ein wenig gehetzt, nur Lou­is Arm­strong nicht. Ich glau­be, er hat mich damals gese­hen, wie ich ihn anstarr­te. Ich war erst 26 Jah­re alt, und ich war glück­lich, die­sem Mann per­sön­lich zu begeg­nen. Seit­her habe ich immer, wenn ich die John F. Ken­ne­dy gese­hen habe, an Lou­is Arm­strong gedacht, jedes ein­zel­ne Mal. Die alte Dame Jose­phi­ne erhebt sich, schlen­dert zu einer der Türen, die auf die Pro­me­na­de füh­ren. Ich muss ihr schnell fol­gen, sie kann die schwe­ren Türen mit ihren eige­nen Hän­den nicht öff­nen. Drau­ßen Sturm, das Meer schäumt. Rie­si­ge See­mö­wen, gel­be Augen, sit­zen auf der Reling in unse­rer Nähe. — Ende der Geschich­te. — stop

jose­phi­ne

polaroidemily

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teilchen

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sier­ra : 2.01 — Erin­ne­rung scheint zeit­los zu sein, zufäl­lig, chro­no­lo­gisch unge­ord­net, kommt in Sekun­den­por­tio­nen ange­flo­gen, eine Stim­me, eine Foto­gra­fie, ein Geruch, ein Gedan­ke, Teil­chen wie Sand­stür­me, ver­gäng­lich, unscharf. Ich habe bemerkt, dass es mög­lich zu sein scheint, ein Teil­chen fest­zu­hal­ten, in dem ich das Teil­chen mit einem Wort ver­bin­de, um das Teil­chen von die­sem Wort aus zu erwei­tern, schwe­rer zu machen, und doch ist es immer so, dass ich das Teil­chen, an dem ich arbei­te, frü­her oder spä­ter los­las­sen wer­de, weil viel­leicht das Tele­fon klin­gelt oder eine Flie­ge vor­über kommt, die sich auf dem Rücken segelnd fort­be­wegt. Wie vie­le Ereig­nis­se mei­nes Lebens habe ich mehr­fach ver­ges­sen? Wie viel stil­le Zeit? — stop

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nachtmann

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lima : 3.28 — Seit Jah­ren, Nacht für Nacht gegen drei Uhr, höre ich das Pfei­fen eines Zei­tungs­bo­ten, der auf einem Fahr­rad von Osten her in unse­re Stra­ße kommt, um nach einer Schlei­fe von weni­gen Minu­ten, die ihn west­wärts führt, wie­der zu ver­schwin­den. Ich bin ihm in die­ser lan­gen Zeit nie per­sön­lich begeg­net, und ich kann auch nicht mit Sicher­heit sagen, wel­che Zei­tung er in die Brief­käs­ten unse­res Hau­ses steckt. Ein ein­zi­ges Mal habe ich neu­gie­rig aus dem Fens­ter gespäht, ich erin­ne­re mich an eine bit­ter­kal­te Nacht. Die Gestalt des Man­nes war weit ent­fernt zu sehen gewe­sen, er trug eine Woll­müt­ze, Hand­schu­he und eine Leder­ja­cke, das ist viel­leicht der Grund, wes­halb er auch in hei­ßen Som­mer­näch­ten in mei­nen Augen wei­ter­hin eine Woll­müt­ze trägt und pfeift, weil ihm mög­li­cher­wei­se kalt ist und ein­sam. Es ist selt­sam, in all den Jah­ren sei­ner Gegen­wart in mei­nem Leben, schei­ne ich kei­nen wei­te­ren Gedan­ken zu sei­ner Per­son hin­zu­ge­fügt zu haben, als wäre der Mann eine abge­schlos­se­ne Geschich­te, die sich exakt wie­der­holt. Plötz­lich, vor weni­gen Minu­ten, die Fra­ge, ob der Mann even­tu­ell in der Zei­tung liest, die er zu den schla­fen­den Men­schen bringt, und ob ihm nicht manch­mal des­halb unheim­lich zumu­te sein könn­te. — stop

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ein junge

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india : 7.08 — Im Café No 5 unter dem Flug­ha­fen­ter­mi­nal beob­ach­te­te ich einen Mann, der sich äußerst spar­sam, lan­ge Zeit über­haupt nicht beweg­te. Auf dem Tisch vor ihm lag eine Zei­tung, neben der Zei­tung Fol­gen­des: eine Tas­se Kaf­fee, ein Glas Was­ser, Zucker­wür­fel, Notiz­block und Blei­stift. Eine hal­be Stun­de ver­ging in die­ser Wei­se, die Hän­de des Man­nes ruh­ten in sei­nem Schoß. Ein­mal rück­te der Mann sei­nen Kof­fer, der hin­ter ihm an der Wand park­te, ein klei­nes Stück zur Sei­te, ein ander­mal hob er sei­ne Kaf­fee­tas­se in die Luft, um sie in einem Zug aus­zu­trin­ken. Dann wie­der kei­ner­lei Bewe­gung, der Mann schien kaum zu atmen. Er reagier­te weder auf Laut­spre­cher­durch­sa­gen noch küm­mer­te er sich um Men­schen, die das Café auf Lauf­bän­dern pas­sier­ten, es waren vie­le chi­ne­si­sche Rei­sen­de dar­un­ter, die gera­de erst aus Shang­hai und Peking in gro­ßen Flug­zü­gen ein­ge­trof­fen waren. Der Mann starr­te auf eine Schwarz-Weiß-Foto­gra­fie, die auf der Titel­sei­te einer Zei­tung abge­druckt wor­den war. Ein Jun­ge lag dort unbe­klei­det auf einer Bast­mat­te mit­ten auf einer schmut­zi­gen, feuch­ten Stra­ße. In eini­ger Ent­fer­nung, im Hin­ter­grund, war­te­ten Men­schen, die den Jun­gen beob­ach­te­ten. Der Jun­ge schwit­ze, sei­ne schwar­ze Haut war von Flie­gen bedeckt, er sah mit halb geschlos­se­nen Augen zu einem Wesen hin, das in einem Schutz­an­zug steck­te. Anstatt eines Kop­fes war auf den Schul­tern des Wesens ein Helm zu sehen, eine zer­knit­ter­te Hau­be, genau­er, die unter Luft­druck zu ste­hen schien. Das Wesen hat­te sei­ne rech­te Kunst­stoff­hand nach dem Jun­gen, der ein­sam auf dem Boden lie­gend ver­harr­te, aus­ge­streckt, es woll­te ihn viel­leicht ermu­ti­gen, auf­zu­ste­hen und zu ihm an den Rand der Stra­ße zu kom­men. Obwohl sich die Hand nicht beweg­te, ver­mit­tel­te sie den Ein­druck, dass sie sich bewegt haben muss­te und wei­ter­hin bewe­gen wür­de, weil die Stel­lung ihrer Fin­ger nur in die­ser ver­mu­te­ten Bewe­gung einen Sinn ergab. Ja, die­se Hand muss­te in der Zeit des Bil­des eine win­ken­de Hand gewe­sen sein, aber es war deut­lich zu sehen, dass der Jun­ge ver­mut­lich nicht län­ger die Kraft hat­te, auf­zu­ste­hen oder zu krie­chen oder etwas zu sagen, zu rufen, zu flüs­tern, oder die Flie­gen auf sei­nem Kör­per zu ver­trei­ben. Es war still, voll­kom­men still, nichts zu hören. — stop

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nach mitternacht

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alpha : 2.15 — Weit nach Mit­ter­nacht, frü­her Abend in der Nacht­men­schen­zeit. Ich habe gera­de einen erneu­ten Ver­such unter­nom­men, 18.924.150 Zei­chen eines mensch­li­chen Genoms als Sequenz in mein Text­ver­ar­bei­tungs­pro­gramm zu laden. Seit letz­ten Bemü­hun­gen sind drei Jah­re ver­gan­gen, mei­ne Schreib­ma­schi­ne, die drit­te seit­her, ist in ihren Berech­nun­gen schnel­ler gewor­den, und doch schei­tert sie mit der 52758. Sei­te des Doku­men­tes, bleibt kom­men­tar­los ste­hen, gefriert, oder hält die Luft an, wie­der scheint sie mir mit­tei­len zu wol­len, die­sen Unsinn mache ich nicht mit. Man stel­le sich ein­mal vor, wir wür­den bald erfolg­reich sein, eine wei­te­re Schreib­ma­schi­ne und ich, ein voll­stän­di­ges Doku­ment wäre errech­net. Wie ich mich nun auf den Weg mache zu mei­ner Dru­cker­ma­schi­ne, die sich in nächs­ter Nähe in einem wei­te­ren Zim­mer befin­det. — stop

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bombay

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bamako : 2.12 — Auf mei­nem Schreib­tisch bemer­ke ich eine Post­kar­te, die dort eigent­lich nicht exis­tie­ren soll­te. Tau­sen­de Figu­ren bede­cken das Schrift­stück, For­men, die ich einer­seits als Zei­chen iden­ti­fi­zie­ren, ande­rer­seits ihrer Bedeu­tung nach nicht ent­zif­fern kann, auch die Brief­mar­ke der Post­kar­te wur­de mit Zei­chen ver­se­hen. Irgend­je­mand muss, mit­hil­fe einer Lupe, so vie­le Schrift­zei­chen wie mög­lich auf der Post­kar­te unter­ge­bracht haben. Es han­delt sich ver­mut­lich um einen Text in sin­gha­le­si­scher Spra­che. Weder sind Absät­ze zu erken­nen, noch Wör­ter, kein Raum für Lee­re. Die Brief­mar­ke ist unter den Zei­chen nur noch sche­men­haft zu erken­nen, 25 Rupi­en, Ele­fan­ten durch­schrei­ten einen Fluss. Auf die Bild­sei­te der Post­kar­te wur­de kein Schrift­zei­chen gesetzt. Sie trägt eine berühm­te Foto­gra­fie Sebas­tião Sal­ga­dos: Church­ga­te Train Sta­ti­on / Bom­bay. Men­schen strö­men über Bahn­stei­ge. Sie bewe­gen sich so schnell, dass sie unscharf erschei­nen wie eine Flüs­sig­keit. Im lin­ken unte­ren Bereich der Foto­gra­fie eine Frau, die sich ver­mut­lich im Moment der Auf­nah­me kaum oder nur sehr lang­sam beweg­te. Sie hält eine Tasche in der rech­ten Hand, sie scheint die ein­zi­ge nicht flüs­si­ge Per­son zu sein, die auf der Foto­gra­fie wahr­zu­neh­men ist. — stop – Diens­tag. — stop – Sturm von Nord­west. — stop
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ein brief

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india : 5.56 — Ich ent­deck­te eine Nach­richt in mei­nem Brief­kas­ten, eine nicht zustell­ba­re Sen­dung wür­de im Post­amt auf mich war­ten. Einen Tag spä­ter, so gut wie sofort, war ich dort gewe­sen. Ich stand in einer Schlan­ge von Men­schen und über­leg­te, um wel­che Sen­dung, die auf mich in nächs­ter Nähe war­te­te, es sich han­deln könn­te. Es war ein neb­li­ger Tag. Möwen waren vom Fluss her tief in die Stadt vor­ge­drun­gen. Obwohl eigent­lich eher scheue Per­sön­lich­kei­ten, hock­ten sie auf dem Fens­ter­sims des Post­am­tes, als wür­den sie uns beob­ach­ten, Men­schen, wie sie war­te­ten, in dem sie lang­sam in eine Rich­tung zu einer Schal­ter­rei­he vor­rück­ten. Es war eine län­ge­re Schlan­ge. Ich hol­te mein Mobil­te­le­fon her­aus und las in einer Zei­tung, dass in einer nörd­lich der Stadt Bag­dad gele­ge­nen Gegend Senf­gas ent­deckt wor­den sein soll zu einem Zeit­punkt, da es nicht exis­tier­te. Es ist sehr merk­wür­dig, man kann sich in einem Bericht die­ser Art ver­lie­ren und kommt doch gut vor­an in einer Schlan­ge von Men­schen, ohne berührt zu wer­den. Nach einer Vier­tel­stun­de war ich am Ziel ange­kom­men, ein Schal­ter­be­am­ter, der sich ganz offen­sicht­lich freu­te, über­reich­te mir einen win­zi­gen Brief. Der Brief war der­art klein, dass er zunächst zwi­schen der Bee­re des Zei­ge­fin­gers und der Dau­men­spit­ze des Man­nes, die den Brief fixier­ten, voll­stän­dig ver­schwand. Kurz dar­auf hob er den Brief mit­tels einer Pin­zet­te in die Luft, um ihn auf dem Tre­sen vor mir abzu­le­gen. Der Mann reich­te mir eine Lupe, ich sol­le mich ver­ge­wis­sern, die Brief­mar­ke feh­le. Tat­säch­lich war auf der Anschrif­ten­sei­te des Kuverts mein voll­stän­di­ger Name und mei­ne Adres­se ver­merkt, eine Brief­mar­ke aber war nicht zu ent­de­cken, ver­mut­lich des­halb, weil Brief­mar­ken für Brie­fe die­ser Grö­ße noch nicht aus­ge­lie­fert wor­den sind. Der Beam­te sag­te, dass es sich bei die­sem Brief, um den kleins­ten Brief han­de­le, den er je bear­bei­tet haben wür­de, ich soll­te ihn gut ver­wah­ren: 65 Cent. Der Brief liegt jetzt auf mei­nem Küchen­tisch. Ich habe ihn noch immer nicht geöff­net. Es ist kurz vor fünf Uhr. Wie­der Nebel. — stop
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am nachttisch

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india : 3.02 — Ich träum­te von Win­ter­flie­gen. Als ich auf­wach­te, erin­ner­te ich mich, vor Jah­ren ein­mal über Win­ter­flie­gen nach­ge­dacht zu haben. Ich notier­te Fol­gen­des: Die Gat­tung der Win­ter­flie­gen soll­te in eisi­ger Umge­bung exis­tie­ren, in Höh­len, die sie mit ihren Flie­gen­fü­ßen per­sön­lich in den Schnee ein­gra­ben. Viel­leicht, das ist mög­lich, sind Win­ter­flie­gen von Natur aus eher küh­le Wesen, oder aber sie tra­gen einen wär­men­den Pelz, ein Fell, wie das der Eis­bä­ren, wei­che, wei­ße Män­tel von Haut und Haar, die ihre äußerst lang­sam schla­gen­den Her­zen schüt­zen. Die­se Flie­gen, dach­te ich, wer­den ein­hun­dert Jah­re oder älter, sie könn­ten sich von feins­ten Stäu­ben ernäh­ren, vom Plank­ton, das aus den vom Wind gebeug­ten Wäl­dern ange­flo­gen kommt, von Moo­sen, Bir­ken­pol­len, vom Kot­sand nor­di­scher Füch­se. Ich stell­te mir vor, sie sind weiß, so weiß, dass man sie nicht sehen wird, wenn sie über den Schnee spa­zie­ren. Man wird mei­nen, der Schnee bewe­ge sich selbst oder es wäre der Wind, der den Schnee bewegt, statt­des­sen sind es die Flie­gen, die nicht grö­ßer sind als jene Flie­gen, die nacht­wärts im Som­mer aus einem Apfel stei­gen. – Ein ruhi­ger Tag, Augen zu, warm, Son­ne. — Abends sit­ze ich in der Küche am Tisch. Ich öff­ne eine Schreib­ma­schi­ne, die ich vor drei Jah­ren aus dem akti­ven Schreib­ma­schi­nen­le­ben in mein Schreib­ma­schi­nen­mu­se­um trans­fe­rier­te, um nach­zu­se­hen, ob ich sie viel­leicht noch ein­mal in Gang set­zen könn­te. Klei­ne Schrau­ben tür­men sich zu einem Berg, es riecht nach Metall, nach Zinn, wie in der Kind­heit, wenn ich mei­ne Nase an Radio­ge­rä­te drück­te. An der Wand in nächs­ter Nähe hockt Esme­ral­da, sie scheint mich zu beob­ach­ten oder das Inne­re der Schreib­ma­schi­ne. Aus dem Neben­zim­mer drin­gen noch immer Kampf­ge­räu­sche, Schüs­se von Geweh­ren, hel­le Töne, als wür­den Kie­sel­stei­ne anein­an­der schla­gen. Auch gro­ße Kali­ber sind zu ver­neh­men, deren genaue Bezeich­nun­gen ich nicht ken­ne, Mör­ser viel­leicht, Pan­zer­ka­no­nen, Maschi­nen­waf­fen. Ein Mann, ich möch­te sei­nen Deck­na­men an die­ser Stel­le nicht ver­zeich­nen, sam­melt Fil­me in der digi­ta­len Sphä­re, die er zu end­lo­sen Ket­ten knüpft, Sze­nen aus dem syri­schen Bür­ger­krieg, zuletzt von dem Kampf um Kobanê. Per­so­nen ste­hen auf einer Stra­ße, sie feu­ern auf Häu­ser, plötz­lich fal­len sie um. Ein jun­ger Mann hüpft vor dem Kör­per einer jun­gen Frau, die auf dem Rücken liegt, ein Teil ihres Gesich­tes fehlt. Der jun­ge Mann preist Gott, er stellt sei­nen Stie­fel auf die Brust der jun­gen Frau, die ver­mut­lich, nein sicher, gegen ihn kämpf­te. Bär­ti­ge Män­ner eilen gebückt über Fel­der, einem der Män­ner fliegt ein Arm davon. — stop

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vor neufundland 22.14.08 uhr : zarte finger von licht

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lima : 2.22 — Ges­tern am Abend seit lan­ger Zeit end­lich wie­der ein Funk­spruch Noes. Ver­mut­li­che Tie­fe: 855 Fuß. Posi­ti­on: 80 See­mei­len süd­öst­lich der Küs­te Neu­fund­lands seit nun­mehr 1356 Tagen im Tief­see­tauch­an­zug unter Was­ser. Ich hör­te sei­ne schep­pern­de Stim­me gegen 2 Uhr Mor­gens mit­tel­eu­ro­päi­scher Zeit über Kurz­wel­le. Ver­trau­te Sät­ze. Dann lan­ge Zeit gewar­tet. Fol­gen­de Bot­schaft: ANFANG 22.14.08 | | | > groß­ar­ti­ge aus­sicht. s t o p lang­sam auf­stei­gen­der wal. s t o p muschel­rü­cken. s t o p kra­ter­haut. s t o p als wür­de der mond vor­über­zie­hen. s t o p lan­ge zei­ten der stil­le. s t o p lan­ge zei­ten ohne einen gedan­ken ohne einen wunsch ohne eine erin­ne­rung. s t o p blick ins was­ser. s t o p zar­te fin­ger von licht. s t o p ob mir jemand zuhört? s t o p < | | | ENDE 22.16.58

nach­rich­ten von noe »

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vor dem bildschirm

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echo : 6.22 — Wür­de ich in die­ser Minu­te aus mei­ner Haut fah­ren, sagen wir, oder mit einem Auge mei­nen klei­nen Kör­per ver­las­sen und etwas in der Zeit zurück­rei­sen, dann könn­te ich mich selbst beob­ach­ten, einen Mann, der an einem Abend in der Küche steht, einen Mann, der Tee kocht, er spricht mit sich selbst. Er sagt: Heu­te machen wir das, heu­te ist es rich­tig. Ein Bün­del Melis­se zieht durchs flim­mern­de Was­ser, bald trägt der Mann eine damp­fen­de Tas­se durch den Flur ins Arbeits­zim­mer. Er schal­tet sei­ne Schreib­ma­schi­ne an, sitzt auf einem Gar­ten­stuhl vor einem Bild­schirm und arbei­tet sich durch elek­tri­sche Ord­ner in die Tie­fe sei­ner Ver­zeich­nis­se vor­an. Eine Vier­tel­stun­de ste­he ich hin­ter ihm und seh ihm zu. Dann erhebt sich der Mann, er steht jetzt zwei Meter vom Bild­schirm ent­fernt und war­tet. Der Bild­schirm ist aus der Ent­fer­nung gese­hen hand­li­cher gewor­den, ein klei­nes Fens­ter von Licht. Dort kniet ein Mensch auf dem Boden, ein Mensch, der sich fürch­tet. Eine Stim­me ist zu hören, eine schril­le Stim­me. Sie spricht schep­pernd Sät­ze in ara­bi­scher Spra­che, uner­träg­lich die­se Geräu­sche. Der Mann vor dem Schreib­tisch tritt einen wei­te­ren Schritt zurück. Er scheint flüch­ten zu wol­len. Zwei Fin­ger sei­ner rech­ten Hand for­men einen Ring, er hält ihn vor sein lin­kes Auge, wäh­rend das rech­te Auge geschlos­sen bleibt. So ver­harrt er, leicht gebeugt, bewe­gungs­los, zwei Minu­ten, drei Minu­ten. Ein­mal ist sein Atem zu hören, hef­tig. Kurz dar­auf steht der Mann wie­der in der Küche, er lehnt mit dem Rücken am Kühl­schrank, denkt, dass es schneit und spürt Unru­he, die lan­ge Zeit in die­ser Hef­tig­keit nicht wahr­zu­neh­men gewe­sen war. Ein Mensch, Dani­el Pearl, wur­de zur Ansicht getö­tet. Was machen wir jetzt? — stop / Kof­fer­text 12 Feb. 2010 : In die­sen Tagen spre­chen die Mör­der der IS eng­li­sche Sprache.

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