alpha : 0.02 — k i n n h a a r
Aus der Wörtersammlung: warten
im albtraum
tango : 0.05 — Ich hatte ein Museum geträumt, ein Albtraum, ein Museum, dessen Säle für Besucher zur Nachtzeit nur geöffnet waren. Folgendes: Eine Spielzeugmaschine erhebt sich dort, Saal 107, von einem Tisch, eine Stadt ohne Staub. Da sind Häuser, Baracken, geschotterte Wege, Mauern, ein Platz. Und Bäume sind da noch. Und Schienen. Und Türme. Hölzerne Türme. Gusseiserne Lampen. Scharfes Licht, weißes Licht, Gewitterlicht. Kein Laut, kein Schatten, keine Bewegung. Aber in den Kronen der Bäume, Unruhe, bebendes Warten. Es ist wieder die sechste Sekunde, dann die siebte, dann die achte. Jetzt geht alles sehr schnell vonstatten. Ein heller Ton, ein Pfiff, kaum hörbar. Eine Lokomotive, weißer Dampf, rast auf Schienen aus dem Halbdunkel jenseits der Umzäunung heran, ein Zug, ein langer Zug. Auch in die Stadt ist nun Bewegung gekommen. Personen. Vögel. Hunde. All das so voran, als wäre es aufgezogen, würde sich entladen, ruckartig, als habe man einem Film Sekunde für Sekunde Bilder entnommen. Der Zug stoppt. Figuren, Menschenfiguren, Hunderte, auch Kinderfiguren, fließen aus Waggons, formieren sich zu einer Linie, die sich bald teilt. Wispern und Zwitschern. Dann Rauch. Nadeln von schwarzem Rauch. Rauch bis zur Himmelsdecke. Und Geruch. Ein seltsamer Geruch, sehr senkrecht, seltsam, Geruch von geschmolzenem Metall, von Zinn, süß, von Gebäck. Alles ist wie von Sand beworfen, so eingefärbt, auch jene Menschen, die klein sind und schnell und bald schon verschwunden, waren von der Farbe hellen Sandes. Dann wieder Stille. Keine Bewegung. Nur die Bäume, das Blattwerk, unruhig. — stop
taube
nordpol : 0.08 — Kürzlich im Traum im Park ein Gespräch mit einer Taube, geräuschlos war sie auf meiner linken Schulter gelandet. Ich erkundigte mich, weshalb sie und alle ihre Taubenfreunde so tief, so dicht über den Boden fliegen würden an diesem schönen Sommertag. Die Taube antwortete: Über das Licht, das aus dem Boden kommt, wissen wir alles. Heute viel Sonne von unten. Sie spähte dann in das Buch, das ich mir zu lesen vorgenommen hatte. Und weil sie sehr viel schneller las als ich, zerrte sie ungeduldig an meinem Ohrläppchen, sobald sie warten wusste, bis ich endlich weiterblätterte. – Anatomische Arbeitswörter des Abends : Lobus Temporalis : Mandelkern : Hippocampus : Thalamus. — stop
siatista
ulysses : 15.02 — Nördliches Griechenland. Karge Landschaft. Man erzählte mir von Siatista, dort sollen Wölfe leben in den Bergen, aus welchen die Steine der Häuser der kleinen Stadt geschlagen sind. Im Winter fällt Schnee und bleibt liegen. Dann kommen die Wölfe näher heran, sind zu hören in den Nächten, ihr heulendes Gespräch. Alt sind sie, uralt wie die Menschen in dieser Gegend, die sich widersetzen, wenn ihre letzte Stunde gekommen ist, leben sie einfach weiter. Sobald ein Winter endet und die Berge blühen für eine kurze Zeit in allen Farben, die man sich nur vorstellen kann, liegt eine junge Frau auf einer Wiese herum. Diese Wiese ist weiß von den Körben der Kamille, eine Wiese, die die Gestalt der jungen Frau erinnert, wie sie auf dem Rücken liegt, immer an derselben Stelle in den Himmel schaut und glaubt über ein Eismeer zu fliegen. Wenn man sie besuchen, wenn man sich neben sie legen würde, könnte man Geschichten hören, die sie mit tiefer Stimme sogleich erzählen wird. Dass sie blau war zum Beispiel, ein blau häutiges Kind, dass sie nicht atmen konnte in der ersten Stunde ihres Lebens, dass man sie mit Luft, anstatt mit Wasser taufte, weil man glaubte, sie werde ihre zweite Lebensstunde nicht betreten. Dass sie sich im Alter von vier Jahren im Schnee verirrte, dass zwei Wölfinnen sie wärmten für eine Nacht, bis man sie fand. Dass sie eine Partisanentochter sei, dass sie mit den Schildkröten sprechen könne und den Schlangen, den Faltern, den Fliegen. Dann wird sie ein wenig schweigen und eine Handvoll Akazienblüten reichen, sie schmeckten vorzüglich, man müsse sie sich auf die Zunge legen und warten, bis sie schmelzen. Jetzt liegt die junge Frau wieder auf dem Rücken zum Eismeer hin, erzählt weiter, erzählt von den langen Wegen im Winter zur Schule und dass sie ein Jahr zurück das erste Mal das Meer gesehen habe. Ein großer Frieden. Ihre Stimme, die so seltsam tief ist. Das Brummen dreihundert Jahre alter Insekten. Auch Wölfe fressen weiße Blüten. — stop
eine frage der winde
echo : 2.26 — Eine jedem Propellerkäfer zutiefst verbundene Leidenschaft ist, auf Bäumen zu sitzen und nach Winden Ausschau zu halten. Sie sind in diesem Warten und Schauen außergewöhnlich geduldige Persönlichkeiten. Wochen, gar Monate sitzen sie kaum wahrnehmbar in Gestalt kleiner Zigarren auf knorrigen Ästen, Stämmen und Blättern herum, indessen sie ihre Augen stets geöffnet halten, blaue, sehr blaue Augen, auch wenn sie schlafen, was nicht ganz sinnvoll zu sein scheint, weil doch heranwehende Winde eher zu hören, als zu sehen sind. Wenn man nun einen Propellerkäfer bei seiner leidenschaftlichen Arbeit, insbesondere den Präludien seiner Arbeit beobachten möchte, sollte man geduldig sein und immerfort an seiner Seite, weil man nie vorhersagen kann, ob ein Wind, der sich näherte, unserem Propellerkäfer gefallen wird. Manche Winde, so seltsam das erscheinen mag, noch feinste Stürme, die vom Meer her kommen, lassen unseren Propellerkäfer vollkommen kalt, während bereits die leiseste Ahnung ganz anderer Winde, heftigste Erregung erzeugen kann. Dann, von einer Sekunde zur anderen, ändert der Propellerkäfer seine Farbe, ob er will oder nicht, er sieht jetzt ein wenig so aus, als würde Feuer in ihm brennen. Seine Füße indessen haben kleine Zehen ausgefahren, Fantasien der Natur, rein nur zur Verankerung ausgedacht, weil der Propellerkäfer sich sofort wild entschlossen mit jedem seiner Propeller gegen den Wind stemmen wird. Stürme, gerade Stürme will er fangen. So sitzt er mit geschlossenen Augen hinter pfeifenden Rotoren bebend und knistert und wartet, wartet, bis all das wilde Wetter vorübergezogen sein wird. Der Ordnung halber sei Folgendes noch rasch gemeldet: Propellerkäfer sind friedvolle, aber doch gefährliche Wesen, sobald sie aufgeladen sind. Mal haben sie sechs, mal acht, mal zehn Propeller, die sie je in ihrem Leib verbergen, um für Wochen, für Monate wieder zur Baumzigarre zu werden. Jetzt hören wir sie leise und zufrieden knallen. — stop
mrs. callas zählt schneeflocken
marimba : 0.01 — Wenn Mrs. Callas Schneeflocken zählt, will sie jede Flocke mit ihren Zeigefingern berühren. Aus der Entfernung betrachtet, könnte man dann meinen, Mrs. Callas würde sich mit nicht sichtbaren Engeln unterhalten, oder mit Engeln, die so klein sind, dass sie für das Licht nicht ins Gewicht fallen. Ja, wenn Mrs. Callas Schnee zu zählen wünscht, spricht sie mit ihren Händen mit der Luft. Sie ist sehr schnell in dieser Bewegung des Sprechens und sie ist glücklich, habe ich den Eindruck, ein Mädchen, wie sie am kleinen See des Palmengartens auf Zehenspitzen steht und so herzlich lacht, dass die Reiher angeflogen kommen, die eigentlich längst schon nach Afrika abgereist sein sollten. Ich glaube, flüstert sie, jetzt habe ich den Überblick verloren. Wir sind dann noch herumspaziert zwei Stunden und haben diskutiert, was Mrs. Callas an Bord der Seatown gern tragen würde, etwas Leichtes natürlich, wegen der schwülen Hitze, die zu erwarten sein wird, weil wir uns das so ausgedacht haben von Zeit zu Zeit, das Inventar einer Welt, die eigentlich nicht existiert. — stop
atolle
olimambo : 8.10 — Ein Gedanke zunächst, dann ein Wort, ein erstes Wort, ein Satz, ein erster Satz. Dort herum wachsen weitere Gedanken, langsame Tage des Sammelns, langsame Nächte des Wartens, Land entsteht, Land, auf dem sich’s leben und erzählen lässt. Zeichen für Zeichen, das Wachsen eines Korallenmundes. — stop
walfischspaziergang
himalaya : 8.05 — Wie ich morgens erwache und anstatt in einem Zimmer zu liegen, mich unter einem schönen freien Himmel wiederfinde. Das ist eigentlich noch keine große Sache. Ich würde zunächst die Augen schließen und denken, das kenne ich doch, wie oft schon bin ich von einem Traum in den nächsten gewandert. Ganz still würde ich warten, um kurz darauf meine Augen erneut zu öffnen, und schon wieder oder noch immer wäre dieser schöne Himmel über mir, ein leichter Wind würde wehen und die Luft duften nach Salz und Tang. Wie ich mich aufsetze und schaue, hurra, Wasser in allen Richtungen, Wasser hin bis zum Horizont. Was für ein seltener Anblick, was für eine merkwürdige Erfahrung! So plötzlich auf hoher See, und der Boden, auf dem ich sitze, zittert, nein bebt, nein pulst, und ich würde denken, wie kostbar dieses Leben doch ist und dass ich mich nicht erinnern kann, wie ich hierher auf den Rücken eines Wales gekommen bin. – Es ist jetzt zwei Stunden nach Mitternacht, die Luft riecht nach Schnee und die Welt ist still. Alles schläft. Auch Sie werden schlafen, während ich diesen Text notiere. Aber nun ist etwas Zeit vergangen, und da Sie wach geworden sind, werden Sie vielleicht fragen, wie ich zu dieser Überlegung einer nächtlichen Meereslandung gekommen bin. Nun, das ist ganz einfach. Vor wenigen Tagen hörte ich, eine Frau habe sich gewünscht, einmal in ihrem Leben auf dem Rücken eines Wales zu stehen. Sie würde sich, sagte man, ihrer Schuhe entledigen und auf dem Rücken des Wales spazieren wie auf einem Unterseeboot. Natürlich habe ich darüber nachgedacht, was geschehen würde, wenn dieser Wal, von dem hier tatsächlich die Rede ist, sich nicht in der Nähe einer Küste, sondern auf dem offenen Meer, auf hoher See, befinden würde. Ja, und was würde geschehen, wenn der Wal zu tauchen wünschte, vielleicht weil er hungrig geworden ist, obwohl er doch die Schritte einer Menschenfrau auf seinem Rücken spürte. Stellen Sie sich vor, ich weiß, wie er das macht. Der Wal wird langsam und geräuschlos sinken, jawohl. Aber noch ehe vollständig in die Tiefe abgetaucht werden wird, wird er noch einmal zurückkehren und ruhig neben der schwimmenden Frau im Wasser liegen, wird etwas Luftschaum blasen und ihr sein Auge zeigen. Ja, so genau wird der Wal das machen, und dann wird er in der Tiefe verschwunden sein, und vielleicht, nein, sehr sicher, wird die schwimmende Frau einen feinen Gesang aus der Tiefe vernehmen, die Geschichte einer Begegnung von einem Wal den Walen erzählt, eine Kurzgeschichte, mehr Zeit ist nicht. — stop
schlafende wale
nordpol : 0.12 — Kurz nach Mitternacht. Notierte folgenden Text: „Das Meer ruhig. Nichts zu hören, nur das Blasen der Wale. Kühles Geräusch von Wasser, von Luft. Sie liegen um die Rettungsinsel herum. Habe den Eindruck, sie warten. 12 Tiere. Gewaltige, weiße Körper. Helle Augen, schwarz gezeichnete Flossen. Auch das Heck, schwarz. Längs, über den Rücken hin, eine handbreite Zeichnung, orangefarben und exakt, als sei sie von einer Maschine aufgetragen. Sie werden ein oder zwei Stunden unter Wasser gewesen sein, vielleicht waren es fünf, vielleicht sechs, vielleicht sieben Stunden. Die Luft riecht nach Metall, nach Salz, nach Tang. Von Zeit zu Zeit tauchen sie ab, kreuzen unter der Insel, ohne uns zu berühren, ohne das Wasser zu bewegen, als wollten sie uns schonen. Auch Mrs. Anderson, unbewegt. Keine Raubfische. Warte auf Rettung. Joe Ellis hier — Joe Ellis — Rufe London.“ — In diesen Tagen, da ich einen atlantischen Text vertiefe, immer wieder das Staunen darüber, dass ich in einer Art und Weise über Wale schreibe, als hätte ich Jahre an ihrer Seite schwimmend zugebracht. – stop
schlafen in turku
echo : 8.28 — Ist Ihnen vielleicht bekannt, dass Wale, Pottwale genauer, wenn sie schlafen, Kopf nach oben im Wasser schweben? Langsam sinkende Türme, leise singend, leise knatternd, friedvolle Versammlungen, die mit dem Golfstrom treiben. Wenn Sie einmal wach liegen sollten, wenn Sie nicht schlafen können, weil Sorgen Sie bedrängen oder andere schmerzvolle Gedanken, wird es hilfreich sein, eine Tauchfahrt zu unternehmen im Kopf durchs Bild der träumenden Wale. Oder Sie reisen an die Ostsee, nehmen die nächste Fähre nach Turku. Sie werden dann schon sehen. Ballone, zum Beispiel, Ballone werden Sie sehen am Horizont, Ballone am dämmrigen Himmel, dort müssen Sie hin. Alles ist gut zu Fuß zu erreichen, eine Stunde oder zwei, nicht länger, je nach Gepäck. Man wird Sie schon erwarten, man wird Sie freundlich begrüßen, man wird Sie fragen, wie lange Zeit Sie zu schlafen wünschen, welcher Art die Dinge sind, die Sie zu vergessen haben, die Sie beschweren. Man wird Ihren Blick zum Himmel lenken und Sie werden erkennen, dass unter den Ballonen Menschen schweben, aufrecht und reglos, in Daunenmäntel gehüllt, von einem leichten Wind hin und her geschaukelt, hunderte, ja tausende Menschen. — - Stille herrscht. — - Nur das Fauchen der Feuermaschinen von Zeit zu Zeit. – Guten Morgen! Heute ist Dienstag oder Mittwoch oder Samstag. Auf nach Turku!