Aus der Wörtersammlung: welt

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sonnenphoton

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ulys­ses : 0.18 — Oft schon über das Licht nach­ge­dacht. Woher das Licht kommt und was geschieht, wenn das Licht auf einen Gegen­stand oder auf die Ober­flä­che eines Lebe­we­sens trifft. Was wäre, wenn ich ganz ohne das Licht aus­kom­men müss­te, wenn ich nur noch hörend oder mit mei­nem Tast­sinn die Welt erfah­ren könn­te? — Ein­mal habe ich ver­sucht, den Moment wahr­zu­neh­men, da die Mor­gen­däm­me­rung ein­setz­te, aber ich konn­te nicht bestim­men, wann genau das ers­te Pho­ton mein Auge berühr­te. — stop

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Port-au-Prince

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marim­ba : 1.05 — Auf Hai­ti, einer Insel, essen Men­schen, sobald sie ein Gefühl des Hun­gers ver­spü­ren, Plätz­chen, das heißt, sie ver­zeh­ren von der Son­ne getrock­ne­te Schei­ben von Lehm, der mit Mar­ga­ri­ne und einer Hand­voll Salz in Metall­fäs­sern ver­rührt wor­den ist. Kurz dar­auf haben die Men­schen Schmer­zen, aber kei­nen Hun­ger für drei Stun­den. Wenn sie auf die Stra­ße gehen, um der Welt von ihrem Hun­ger, der bald wie­der­kom­men wird, und ihren Schmer­zen im Bauch zu erzäh­len, wer­den sie von Sol­da­ten der UN und Poli­zis­ten ihres Lan­des erschos­sen. stop.  Von mei­nem Fern­seh­bild­schirm abge­nom­men. stop. Zwan­zig Uhr und zwölf Minu­ten in Port-au-Prin­ce, Hai­ti. — stop

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zur welt kommen

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oli­mam­bo : 0.01 – Eine Foto­gra­fie, die zeigt, wie ich kurz nach mei­ner Geburt aus­ge­se­hen habe. Ich war schon geputzt, aber noch immer zer­furcht vom lan­gen War­ten unter Was­ser. Als ich mir vor weni­gen Minu­ten die­se ers­te Foto­gra­fie mei­nes Lebens in Erin­ne­rung rief, ist mir bewusst gewor­den, dass eines Tages ein­mal eine wei­te­re Foto­gra­fie exis­tie­ren wird, eine Foto­gra­fie, die die letz­te Auf­nah­me gewe­sen sein wird, mei­ner Per­son als einer leben­den Per­son. Auch ist mir bewusst gewor­den, dass das ZUR WELT KOMMEN mit Ent­fal­tung zu tun haben könn­te und von Natha­lie Sar­rau­te gleich­wohl eine ers­te Foto­gra­fie exis­tiert haben muss­te in schwar­zer und in wei­ßer Far­be, eine Foto­gra­fie, die viel­leicht noch immer exis­tiert. — M e i n ers­ter Schat­ten. — Ich wäre im Jahr mei­ner Geburt in Far­be bereits mög­lich gewe­sen. — stop
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körperzeit

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15.35 – Kör­per­zeit kennt nur eine Rich­tung. Die elek­tri­sche Wahr­neh­mung der Wirk­lich­keit, der gegen­wär­ti­gen wie der ver­gan­ge­nen Wirk­lich­keit, scheint dage­gen nie­mals line­ar zu sein. Viel­leicht des­halb, weil sich die Sub­stan­zen der Erin­ne­rung wie Flüs­sig­kei­ten ver­hal­ten. Eine Ord­nung hin­ein­zu­den­ken for­dert Arbeit, ein Vor­her und Nach­her zu iden­ti­fi­zie­ren, Kon­se­quenz. Nie kann ich sicher sein, ob ich mei­ne ver­gan­ge­ne Zeit gera­de wie­der­fin­de oder ob ich eine ganz ande­re, nie dage­we­se­ne Zeit erfin­de. — Habe einen Kata­log jener Erschei­nun­gen erstellt, die ich in der Goog­le Earth Pixel­welt auf­su­chen wer­de, bei­spiels­wei­se Kamel­ko­lon­nen auf einer Wüs­ten­ober­flä­che oder die Spu­ren des Krie­ges in der Stadt Gros­ny, Ground Zero, Gold­grä­ber­sied­lun­gen am Ama­zo­nas, mei­ne alten Spa­zier­we­ge in Paris, Eis­ver­käu­fer im Cen­tral Park, die klei­ne Stadt Petusch­ki und ihre Eisen­bahn, Ele­phan­tis­land, Men­schen­ka­ra­wa­nen auf dem Cho­mo­lung­ma, Sove­to, Lam­pe­du­sa, Alca­traz. — Null Uhr sieb­zehn in Lha­sa, Tibet. — stop

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strichzeichnung

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8.27 — Strich­zeich­nung eines Man­nes, der Schritt für Schritt die Küs­ten die­ser Welt spa­ziert. Er schläft vor den Mee­ren und ernährt sich aus den Mee­ren. Er sam­melt Din­ge, die Mee­re an Land gewor­fen haben. Wenn er etwas sieht, das aus einem Meer gekom­men ist, dreht und wen­det er es mit der einen Hand in der ande­ren Hand. Dann beschreibt er sei­nen Fund, notiert Uhr­zeit und Posi­ti­on, isst ihn auf oder legt ihn zurück auf den Boden. Der Mann, an den ich den­ke, schläft in einem Zelt, wenn es kalt ist oder wenn es reg­net. Er trägt gute, fes­te Schu­he, ist aus­ge­rüs­tet, wie Men­schen aus­ge­rüs­tet sind, die in den Ber­gen schwie­ri­ge Wän­de durch­klet­tern. Sobald er sich bewegt, kann man ein Klim­pern hören. Manch­mal pas­siert der Mann eine gro­ße Stadt. Dann beschleu­nigt er sei­ne Schrit­te. Der Mann weiß aus Erfah­rung, dass er immer wie­der zurück­kom­men wird an den Aus­gangs­ort sei­ner Küstenrei­se. Heu­te, in den frü­hen Mor­gen­stun­den, habe ich die­sem Mann einen Namen gege­ben und ein Alter und eine Sta­tur, eine prä­zi­se Anga­be, in wel­cher Höhe über dem Boden sich sei­ne Augen befin­den, wenn der Mann auf­recht steht. — stop

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malcolm lowry

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3.18 — Ich erin­ner­te mich an eine Geschich­te, die von Mal­colm Lowry erzählt, genau genom­men von sei­ner Art und Wei­se zu schrei­ben, nach­drück­li­cher noch von der Metho­de zu ver­lie­ren, was gera­de eben noch notiert wor­den war. Mal­colm, so der Erzäh­ler der Geschich­te, soll Gedan­ken auf jedes Stück Papier geschrie­ben haben, das in sei­ne Reich­wei­te gekom­men war, auf Rech­nun­gen, Spei­se­kar­ten, Bil­letts bei­spiels­wei­se, sofern er in einem Café oder in einer Bar Platz genom­men hat­te, um so lan­ge notie­rend zu arbei­ten, bis er aus­rei­chend betrun­ken war damit auf­zu­hö­ren. Wie vie­le Wör­ter und Sät­ze sind wohl vom Wind in Wüs­ten oder auf Mee­re hin­aus­ge­tra­gen wor­den, wie vie­le Bücher haben sich in Luft auf­ge­löst? Ich stel­le mir immer wie­der lei­den­schaft­lich ger­ne vor, wie Mal­colm Lowry in unse­rer Zeit sei­ne Zei­chen­ket­ten für die Welt abge­legt haben könn­te. Sagen wir so: Lowry arbei­tet nie wie­der mit einem Blei­stift. Er notiert sei­ne Gedan­ken in eine feder­leich­te elek­tri­sche Maschi­ne, die am Gür­tel sei­ner Hose fest ver­an­kert wird. Sorg­fäl­tig von sei­ner Ehe­frau Mar­ge­rie Bon­ner pro­gram­miert, ver­bin­det Mal­colms per­sön­li­ches Notizge­rät unver­züg­lich Tas­ta­tur mit digi­ta­ler Sphä­re, sobald sich der Autor, gleich wel­cher geis­ti­gen Ver­fas­sung, mit der einen oder der ande­ren Hand nähert. Nun schreibt der Autor. Er arbei­tet, viel­leicht ste­hend, viel­leicht sit­zend, viel­leicht lie­gend. Und wäh­rend er so arbei­tet, wird Zei­chen für Zei­chen unver­züg­lich an einen gehei­men Ort der Spei­che­rung gesen­det. Dort, Drop­zo­ne, könn­te man sit­zen und war­ten und betrach­ten, wie der Text, um den Bruch­teil einer Atom­se­kun­de in der Zeit ver­rückt, voll­zo­gen wird. — stop
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apollo

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3.15 — Zwei Stun­den vor Com­pu­ter­ma­schi­ne. Ich beob­ach­te­te Astro­nau­ten einer Apol­lo­mis­si­on, wie sie sich Fischen gleich durch ihre Kap­sel oder durch den Welt­raum bewe­gen. Indem ich ver­fol­ge, wie sie vor einer Kame­ra an Spiel­ob­jek­ten die Wir­kun­gen der Schwe­re­lo­sig­keit demons­trie­ren, indem ich ihre beschä­dig­ten Stim­men höre, der Gedan­ke, die­ses Schep­pern, Pfei­fen, Knis­tern, Kräch­zen könn­te ent­stan­den sein, weil ihren Stimm­in­stru­men­ten das Gewicht der Welt ent­zo­gen wur­de. – Weit nach Mit­ter­nacht. Woll­te mich erhe­ben, da ver­sag­te mein lin­kes Bein den Dienst. Hat­te gedan­ken­ver­lo­ren auf ihm Platz genom­men und wäre um ein Haar umge­fal­len. Ein selt­sa­mes, ein irri­tie­ren­des Gefühl der Lee­re. Dann die sicht­ba­re Gegen­wart eines Kör­per­teils, ohne die Anwe­sen­heit die­ses Kör­per­teils von innen her­aus bestä­ti­gen zu kön­nen. — stop
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nachtsammlung

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2.24 — Habe 628 Optio­nen gezählt, das Wort Nacht fort­zu­set­zen. Zum Bei­spiel: Nach­ti­gal­len­af­fe Nacht­ge­wöl­be Nacht­duft Nacht­durch­schwär­mer Nacht­eu­len­ton Nacht­ge­fie­der Nacht­wolf. Oder aber Nacht­pa­pa­gei : das ist der merk­wür­digs­te aller papa­gei­en, der kaka­po von neu­see­land [ stri­go­ps habrop­ti­lus ], den man mit dem­sel­ben rech­te, mit wel­chen man die eulen im gegen­satz mit den fal­ken einer beson­de­ren fami­lie unter­bringt, als einen ver­tre­ter einer eige­nen fami­lie betrach­ten muss. [ nach Grimm­sches Wör­ter­buch N – Q ] — Drei Uhr zwölf. In mei­nen Zim­mern ame­ri­ka­ni­sche Stim­men. Funk­ge­räu­sche. Geräu­sche mei­ner Kind­heit. Welt­raum­ge­räu­sche. Geräu­sche, wie sie auch in Guan­ta­na­mo zu hören sind. Den Schlaf rau­ben­de Geräu­sche. — stop

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