Aus der Wörtersammlung: boden

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nachtflug

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india : 0.18 — In die­sem Jahr ist er spät zu mir gekom­men, der Win­ter längst vor­über. Ein Fal­ter segel­te ges­tern Abend durch mein Arbeits­zim­mer, bald saß er auf dem Boden. Ich näher­te mich sehr vor­sich­tig, hob ihn auf und setz­te ihn behut­sam an eine Wand. — Es ist jetzt kurz nach Mit­ter­nacht. Ein paar Dioden­lich­ter glü­hen zu mir her­über. Ob ich den Fal­ter füt­tern soll­te? Viel­leicht wür­de er etwas Him­beer­mar­me­la­de zu sich neh­men. Ich stel­le mir vor, der Fal­ter könn­te 254 Jah­re alt, er könn­te ein Lich­ten­berg­fal­ter sein, der rasch bei mir zu Kräf­ten kom­men möch­te. Ja, das ist denk­bar, immer wie­der denk­bar. Ges­tern, das will ich schnell noch erzäh­len, habe ich Flug­ver­su­che unter­nom­men mit einer fili­gra­nen Rücken­pro­pel­ler­droh­ne. Es han­delt sich um die Nach­bil­dung eines Tau­ben­schwänz­chen, dem­zu­fol­ge ist sie nicht grö­ßer als 50 Mil­li­me­ter. Ich habe ihr bei­gebracht, mir zu fol­gen, wenn ich durch mei­ne Woh­nung spa­zie­re. In die­ser Ver­fol­gung ist sie bereits sehr prä­zi­se, außer­dem so schnell in ihrer Bewe­gung gewor­den, dass ich sie mit blo­ßer Hand nicht fan­gen könn­te. Ein­mal näher­te sie sich mei­ner Schne­cke Esme­ral­da. Das war ein Moment von höchs­ter Auf­merk­sam­keit, ein Ver­hal­ten, als wür­de das Tau­ben­schwänz­chen mit Esme­ral­da spre­chen, sehr selt­sam, anrüh­rend, die Kirsch­bäu­me blü­hen. — stop

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ping

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noise

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gink­go : 21.38 — Als ich unlängst die wun­der­ba­re Film­ko­mö­die Noi­se von Hen­ry Bean ent­deck­te, erin­ner­te ich mich an eine Geschich­te, die ich vor eini­gen Jah­ren in New York skiz­zier­te. Sie geht so: Seit eini­gen Tagen spa­ziert ein drah­ti­ger Herr von klei­ner Gestalt in mei­nem Kopf her­um. Er ist so deut­lich zu sehen, dass ich mei­nen möch­te, ich wür­de ihn ein­mal per­sön­lich gese­hen haben, eine Figur, die durch die Stadt New York irrt auf der Suche nach Lärm­quel­len, die so beschaf­fen sind, dass man ihnen mit pro­fes­sio­nel­len Mit­teln zu Lei­be rücken könn­te, Hupen, zum Bei­spiel, oder Pfeif­ge­räu­sche jeder Art, Klap­pern, Krei­schen, ver­zerrte Radio­stim­men, Sire­nen, alle die­se ver­rück­ten Töne, die nicht eigent­lich begrün­det sind, weil sie ihre Ursprün­ge, ihre Not­wen­dig­keit viel­leicht längst ver­lo­ren haben im Lau­fe der Zeit, der Jah­re, der Jahr­zehnte. Ich erin­nere mich in die­sem Moment, da ich von mei­ner Vor­stel­lung erzäh­le, an einen schril­len Ton in der Sub­way Sta­tion Lex­ing­ton Ave­nue / 63. Stra­ße nahe der Zugangs­schleu­sen. Die­ser Ton war ein irri­tie­ren­des Ereig­nis der Luft. Ich hat­te bald her­aus­ge­fun­den, woher das Geräusch genau kam, näm­lich von einer Klin­gel mecha­ni­scher Art, die über dem Häus­chen der Sta­ti­ons­vor­ste­he­rin befes­tigt war. Die­se Klin­gel schien dort schon lan­ge Zeit instal­liert zu sein, Kabel, von grü­nem Stoff umman­telt, die zu ihr führ­ten, waren von einer Schicht öli­gen Stau­bes bedeckt. Äußerst selt­sam an jenem Mor­gen war gewe­sen, dass ich der ein­zige Mensch zu sein schien, der sich für das Geräusch inter­es­sierte, weder die Zug­rei­sen­den noch die Tau­ben, die auf dem Bahn­steig lun­ger­ten, wur­den von dem Geräusch der Klin­gel berührt. Auch die Sta­ti­ons­vor­ste­he­rin war nicht im min­des­ten an dem schril­len­den Geräusch inter­es­siert, das in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den ertön­te. Ich konn­te kei­nen Grund, auch kei­nen Code in ihm erken­nen, das Geräusch war da, es war ein Geräusch für sich, ein Geräusch wie ein Lebe­we­sen, des­sen Exis­tenz nicht ange­tas­tet wer­den soll­te. Wenn da nun nicht jener Herr gewe­sen wäre, der sich der Klin­gel näher­te. Er stand ganz still, notier­te in sein Notiz­heft, tele­fo­nierte, dann war­tete er. Kaum eine Vier­tel­stunde ver­ging, als einem U‑Bahnwaggon der Linie 5 zwei jun­ge Män­ner ent­stie­gen. Sie waren in Over­alls von gel­ber Far­be gehüllt. Unver­züg­lich näher­ten sie sich der Klin­gel. Der eine Mann fal­tete sei­ne Hän­de im Schoss, der ande­re stieg auf zur Klin­gel und durch­trennte mit einem muti­gen Schnitt die Lei­tung, etwas Ölstaub rie­selte zu Boden, und die­se Stil­le, ein Faden von Stil­le. — stop
polaroidbridge

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holly

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reming­ton : 18.05 — Ich träum­te, von einer Sta­ten Island Fäh­re auf das offe­ne Meer hin­aus getra­gen wor­den zu sein. An Bord des Schif­fes waren zahl­rei­che Men­schen gewe­sen, sie foto­gra­fier­ten ein­an­der, man­che lasen in einer Zei­tung, ande­re tran­ken Kaf­fee aus Papp­be­chern oder tele­fo­nier­ten. Nie­mand schien sich zu wun­dern, dass die Fäh­re, hin­sicht­lich einer übli­chen Rei­se­dau­er von 25 Minu­ten, nicht lan­de­te. Stun­den ver­gin­gen. Ein­mal feg­te ein Sturm über das Schiff hin­weg, hun­der­te Möwen flat­ter­ten krei­schend über die Decks. Irgend­wann schlief ich ein, und ich träum­te, als ich erwach­te, eine Frau habe mir gegen­über Platz genom­men. Ich mei­ne, mich an ihren Namen erin­nern zu kön­nen, ich glau­be, sie hieß Hol­ly. In die­sem Augen­blick, als ich die Augen öff­ne­te, trans­fe­rier­te sie einen Text mit­tels eines Pin­sels auf ein qua­dra­ti­sches Blatt Papier, das von min­des­tens 50 cm Durch­mes­ser gewe­sen war. Sie trug eine Son­nen­bril­le sowie einen Som­mer­hut auf dem Kopf, außer­dem ein hel­les Kleid, auf wel­chem ver­ein­zelt Kir­schen auf­ge­druckt wor­den waren, und schwe­re Wan­der­schu­he, deren Schnür­sen­kel sie nicht ver­kno­tet hat­te. Von einer Sekun­de zur ande­ren Sekun­de schlief auch Hol­ly ein, ihr Kopf neig­te sich zur Sei­te, kurz dar­auf glitt das Papier, das sie beschrif­tet hat­te, von ihren Schen­keln und lan­de­te vor mir auf dem Boden, sodass ich lesen konn­te, was Hol­ly notier­te: Lese­ma­schi­ne No. 82 / Dach­gar­ten, 75, Green­wich Ave­nue Man­hat­tan [ Schlüs­sel : Mrs. M. Lin­ne­ker — 8. Stock ] > Die Geschich­te von den Papier­tier­chen. Hand­zeich­nung, ca. 68 pt: Man stel­le sich ein­mal vor, Papier­tier­chen exis­tier­ten in unse­rer Welt. Nicht etwa Tier­chen, die aus Papier gemacht oder ver­gleich­ba­rer Ware, son­dern tat­säch­li­che Lebe­we­sen, die so aus­ge­dacht sind, dass sie sich zu For­men ver­sam­meln, die einer Papier­sei­te ähn­lich sind. Weil die­se Lebe­we­sen, wie ich sie mir gera­de male, sehr klein sein soll­ten, sagen wir in der Flä­che so groß wie die Spit­ze einer Nadel, wür­de ein Maschi­nen­bo­gen von nicht weni­ger als zwei Mil­lio­nen Indi­vi­du­en nach­ge­bil­det sein. Jedes Papier­tier­chen, sicht­bar ganz für sich nur im Licht eines sehr guten Mikro­skops, ist nun von dem Wunsch beseelt, sich mit jeweils vier wei­te­ren Tier­chen, die es schon immer kennt, mit­tels feins­ter Ten­ta­keln zu ver­bin­den oder zu befreun­den, und zwar nur mit die­sen, sodass man von ein­deu­ti­ger Ord­nung spre­chen könn­te, nicht von einer belie­bi­gen Anord­nung. Ja, jedes der klei­nen Wesen für sich spricht von einem urei­ge­nen Ort, den es nie­mals ver­gisst. Sobald alles schön zu einer Sei­te geord­net ist, wer­den mit Licht, mit einem Licht­stift genau­er, Zei­chen gesetzt auf das leben­de Papier, indem man leich­ter Hand wie mit einem Fül­ler schreibt. Wird ein schnee­wei­ßes Tier­chen berührt vom notie­ren­den Licht, nimmt es sogleich die schwar­ze Far­be an und ver­bleibt von die­sem Schwarz, bis es von wei­te­rem Licht berührt wer­den könn­te, einem Licht natür­lich, das sehr stark sein muss, weil doch der Tag oder jede Lam­pe das Zei­chen der Nacht sofort über die Land­schaft der fili­gra­nen Kör­per schrei­ben wür­de. Ich hat­te, wäh­rend ich die­sem Gedan­ken noch auf einer gewöhn­li­chen Com­pu­ter­schreib­ma­schi­ne folg­te, die Idee, dass sie viel­leicht alle sehr schreck­haft sind, also zunächst unvoll­kom­men oder wild, dass sie, zum Bei­spiel, wenn ein Feu­er­wehr­au­to in ihrer Nähe vor­über kom­men soll­te, sofort aus­ein­an­der flie­gen in Panik, sich ver­ste­cken, um jedes für sich oder in grö­ße­ren Grup­pen an den Wän­den mei­ner Zim­mer zu sit­zen. Viel­leicht lun­gern sie auch auf Kaf­fee­tas­sen her­um oder in den Haar­blät­tern eines Ele­fan­ten­fuß­bau­mes, ja, das ist gut denk­bar. Ich wer­de dann war­ten, ruhig und gelas­sen war­ten, bis sie sich wie­der beru­higt haben wer­den und zurück­kom­men, sagen wir nach einer Stun­de oder zwei. Dann wei­ter schrei­ben oder lesen oder den­ken. Und jetzt habe ich einen Kno­ten im Kopf, soll­te bald ein­mal wach wer­den. — stop
ping

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simon

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sier­ra : 10.15 — Ich hör­te, ges­tern sei in der Nähe mei­nes Hau­ses am Rand der Stra­ße in einem Vor­gar­ten ein Mann afri­ka­ni­scher Her­kunft erfro­ren. Von einem mei­ner Fens­ter aus kann ich die Stel­le sehen, wo der jun­ge Mann sich in sei­nen Schlaf­sack gelegt haben soll. Am Abend zuvor habe er noch gelebt, das erzähl­te ein Bekann­ter, er habe dem Lie­gen­den ein paar Mün­zen neben die Hän­de gelegt, auf wel­chen der Kopf des afri­ka­ni­schen Man­nes ruh­te. Er habe gesag­te, ihm sei kalt, das war um kurz vor zehn Uhr bei minus 4 Grad Cel­si­us gewe­sen. Viel­leicht waren die­se Wor­te die letz­ten, die der jun­ge Mann zu einem wei­te­ren mensch­li­chen Wesen sag­te. Mor­gens Blau­licht. Ich erin­ne­re mich, zwei Stun­den spä­ter der Anruf mei­nes Bekann­ten, der sehr auf­ge­regt gewe­sen war. Er sag­te, er habe noch mit sich selbst gespro­chen, es habe gesagt, die Nacht sei eigent­lich viel zu kalt, um im Frei­en auf dem Boden zu schla­fen. Mor­gens sei er auf die Stra­ße geeilt, ein Poli­zist habe in die­sem Moment nach den Papie­ren des jun­gen Man­nes gesucht, ein Arzt war­te­te etwas abseits. Der leb­lo­se Kör­per, wenn man ihn beweg­te, sei merk­wür­dig in sei­nem Ver­hal­ten gewe­sen. Kurz dar­auf habe der Poli­zist einen Namen gesagt, nur einen Vor­na­men, er sag­te: Das ist Simon. — Nach­mit­tag. Ich kann die Stel­le von einem mei­ner Fens­ter aus erken­nen, wo Simon in einem Vor­gar­ten erfro­ren ist. — stop
ping

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eine uhr mit pendel nahe garten

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echo : 0.08 — Eine alte Dame am Mor­gen, wie sie vor einer Uhr steht. Es han­delt sich um eine gro­ße, schwe­re Stand­uhr, Zif­fer­blatt und Zei­ger lun­gern in einer Höhe von 1 Meter 80 über dem Boden. Nahe der Stel­le, da die Ach­sen der Zei­ger sich in das Uhr­werk ver­tie­fen, befin­det sich eine Öff­nung für einen Schlüs­sel, mit wel­chem die Uhr auf­ge­zo­gen wer­den kann. Ein Pen­del setzt sich dann nach leich­tem Stoß in dau­er­haf­te Bewe­gung, die Uhr scheint lei­se zu atmen, kaum ein ticken­des Geräusch ist zu ver­neh­men, aber zur vol­len Stun­de, ja, zur vol­len Stun­de, im Gar­ten flie­gen die Vögel von den Bäu­men auf, Frö­sche ver­schwin­den kopf­über im Teich, Kat­zen jagen wie irr umher, am Tisch im Wohn­zim­mer ist dem ein oder ande­ren Gast vor Schreck bereits eine Tas­se oder ein Löf­fel oder eine Gabel aus der Hand gefal­len. Vor die­ser Uhr nun steht die alte Frau, vor einer Zeit­ma­schi­ne, die sie für die Nacht zum Schwei­gen brach­te, ihre pen­deln­de Bewe­gung dem­zu­fol­ge stopp­te, um sie mor­gens wie­der ins Leben zurück­zu­ru­fen. Fol­gen­des geschieht: Die zier­li­che Frau stellt sich auf ihre Zehen­spit­zen und beginnt damit, den Minu­ten­zei­ger der Uhr vor­wärts­zu­be­we­gen. Es geht dar­um, die ver­lo­re­ne Zeit ein­zu­ho­len, Stun­de um Stun­de, ein Anblick, der Phi­lo­so­phen begeis­tert. Drau­ßen im Gar­ten bewegt sich die Welt plötz­lich schnel­ler, und wie­der flie­gen die Vögel auf und die Kat­zen bei­ßen sich in den Schwanz, und die Fische gehen schwung­voll über den Rasen spa­zie­ren, nur die Frö­sche, sie tun so, als wäre all das nichts Beson­de­res. Nach fünf Minu­ten ist Ruhe. – stop

ping

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nachtzug

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whis­key : 3.28 — Minu­ten­be­ob­ach­tung gegen drei Uhr nachts: Von Mai­land her rollt ein Schlaf­wa­gen­zug sehr lang­sam in einen Bahn­hof. Die Fens­ter der Wag­gons ver­hüllt, im Abteil hin­ter der Loko­mo­ti­ve sind Zug­be­glei­ter zu erken­nen, blü­ten­wei­ße Hem­den, dun­kel­ro­te Flie­gen. Etwas dampft, man berei­tet viel­leicht das Früh­stück vor. Aus der Ent­fer­nung betrach­tet, schei­nen die Män­ner zu flüs­tern, fröh­li­che Nacht­per­so­nen. Laut­spre­cher­stim­men peit­schen plötz­lich wie in einem Gespräch durch den Bahn­hof. Einer der Zug­be­glei­ter schleu­dert eine Tas­se zu Boden. In die­sem Augen­blick fährt der Zug lang­sam wei­ter. Ein Bahn­steig. — stop

ping

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ein junge

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nord­pol : 4.52 — Im War­te­zim­mer hock­te ein Jun­ge von unge­fähr fünf Jah­ren auf einem Stuhl. Er war noch so klein, dass sei­ne Füße den Boden nicht berühr­ten. Als er bemerk­te, dass ich ihn beob­ach­te­te, hol­te er ein Tele­fon aus sei­ner Hosen­ta­sche und tipp­te eine Num­mer. Kurz dar­auf klin­gel­te das Tele­fon einer Frau, die dem Jun­gen gegen­über­saß. Sie las in einer Zei­tung. Als sie das Klin­gel­ge­räusch hör­te, lächel­te sie, ohne ihre Lek­tü­re zu unter­bre­chen. Der Jun­ge steck­te sein Tele­fon in die Hosen­ta­sche zurück und rutsch­te unru­hig auf sei­nem Stuhl hin und her. Ein­mal beug­te er sich vor und band sei­ne Schu­he. Von unten her­auf schau­te er mit dunk­len Augen in mei­ne Rich­tung. Wie­der hol­te er das Tele­fon aus sei­ner Hosen­ta­sche, tipp­te eine Num­mer, und das Tele­fon der Frau, die dem Jun­gen gegen­über­saß, klin­gel­te erneut ein oder zwei Minu­ten lang, dann leg­te der Jun­ge auf. Er hüpf­te vom Stuhl, rann­te in einem wei­ten Bogen durch das Zim­mer an war­ten­den Pati­en­ten vor­bei und klet­ter­te auf den Schoß der Frau mit der Zei­tung, die sie für einen Moment wort­los zur Sei­te leg­te, um sie auf den Knien des Jun­gen bald wie­der zu ent­fal­ten. Auch der Jun­ge sag­te kein Wort, er ver­such­te jetzt in der Zei­tung zu lesen, er schien dar­in Übung zu haben. — stop

ping

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auf dem nachtschiff

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ulys­ses : 5.12 — Ein­mal war­te­te ich auf mei­nem Sofa, plötz­lich schlin­ger­te der Boden. Such­te nach mei­ner Bril­le und war­te­te wei­ter. Alles still, mit­ten in der Nacht. Da schau­kel­te das Sofa wie­der, der Boden beweg­te sich tat­säch­lich, auch eine Steh­lam­pe in mei­ner Nähe mach­te merk­wür­di­ge Geräu­sche. Vom Fens­ter im 5. Stock mei­nes Hau­ses aus war nicht zu erken­nen, ob jemand bemerk­te, was ich beob­ach­te­te, Vögel flo­gen her­um, obwohl es dun­kel war. Kaum zurück auf dem Sofa, beb­te das Möbel­stück zum drit­ten Mal, ein Schwin­gen, sanft, ein Schlin­gern, zwei Spin­nen has­te­ten über die Wand, ich ver­fass­te einen Bericht für die Erd­be­ben­war­te. Ich schrieb: Sehr geehr­te Damen und Her­ren, Vögel und Spin­nen. Es war um kurz nach drei Uhr. — stop

ping

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ein junge

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india : 7.08 — Im Café No 5 unter dem Flug­ha­fen­ter­mi­nal beob­ach­te­te ich einen Mann, der sich äußerst spar­sam, lan­ge Zeit über­haupt nicht beweg­te. Auf dem Tisch vor ihm lag eine Zei­tung, neben der Zei­tung Fol­gen­des: eine Tas­se Kaf­fee, ein Glas Was­ser, Zucker­wür­fel, Notiz­block und Blei­stift. Eine hal­be Stun­de ver­ging in die­ser Wei­se, die Hän­de des Man­nes ruh­ten in sei­nem Schoß. Ein­mal rück­te der Mann sei­nen Kof­fer, der hin­ter ihm an der Wand park­te, ein klei­nes Stück zur Sei­te, ein ander­mal hob er sei­ne Kaf­fee­tas­se in die Luft, um sie in einem Zug aus­zu­trin­ken. Dann wie­der kei­ner­lei Bewe­gung, der Mann schien kaum zu atmen. Er reagier­te weder auf Laut­spre­cher­durch­sa­gen noch küm­mer­te er sich um Men­schen, die das Café auf Lauf­bän­dern pas­sier­ten, es waren vie­le chi­ne­si­sche Rei­sen­de dar­un­ter, die gera­de erst aus Shang­hai und Peking in gro­ßen Flug­zü­gen ein­ge­trof­fen waren. Der Mann starr­te auf eine Schwarz-Weiß-Foto­gra­fie, die auf der Titel­sei­te einer Zei­tung abge­druckt wor­den war. Ein Jun­ge lag dort unbe­klei­det auf einer Bast­mat­te mit­ten auf einer schmut­zi­gen, feuch­ten Stra­ße. In eini­ger Ent­fer­nung, im Hin­ter­grund, war­te­ten Men­schen, die den Jun­gen beob­ach­te­ten. Der Jun­ge schwit­ze, sei­ne schwar­ze Haut war von Flie­gen bedeckt, er sah mit halb geschlos­se­nen Augen zu einem Wesen hin, das in einem Schutz­an­zug steck­te. Anstatt eines Kop­fes war auf den Schul­tern des Wesens ein Helm zu sehen, eine zer­knit­ter­te Hau­be, genau­er, die unter Luft­druck zu ste­hen schien. Das Wesen hat­te sei­ne rech­te Kunst­stoff­hand nach dem Jun­gen, der ein­sam auf dem Boden lie­gend ver­harr­te, aus­ge­streckt, es woll­te ihn viel­leicht ermu­ti­gen, auf­zu­ste­hen und zu ihm an den Rand der Stra­ße zu kom­men. Obwohl sich die Hand nicht beweg­te, ver­mit­tel­te sie den Ein­druck, dass sie sich bewegt haben muss­te und wei­ter­hin bewe­gen wür­de, weil die Stel­lung ihrer Fin­ger nur in die­ser ver­mu­te­ten Bewe­gung einen Sinn ergab. Ja, die­se Hand muss­te in der Zeit des Bil­des eine win­ken­de Hand gewe­sen sein, aber es war deut­lich zu sehen, dass der Jun­ge ver­mut­lich nicht län­ger die Kraft hat­te, auf­zu­ste­hen oder zu krie­chen oder etwas zu sagen, zu rufen, zu flüs­tern, oder die Flie­gen auf sei­nem Kör­per zu ver­trei­ben. Es war still, voll­kom­men still, nichts zu hören. — stop

ping

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apfel pfirsich bananen

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sier­ra : 3.15 — Es war kurz nach sechs Uhr mor­gens. Ich beob­ach­te­te am Flug­ha­fen eine Frau, wie sie im Super­markt Früch­te berühr­te. Ihre Hän­de steck­ten in Plas­tik­hand­schu­hen, sie trug eine Bril­le, die groß aus­ge­fal­len war, und einen papie­re­nen Schutz vor dem Mund, der sich wie ein Segel vor ihrem Atem bläh­te. Sie schien sehr auf­ge­regt zu sein, ihre Hän­de beweg­ten sich has­tig, zwei Äpfel, einen Pfir­sich, drei Bana­nen leg­te sie in ihr Körb­chen ab, dann eil­te sie wei­ter sofort zur Kas­se, wo sie war­ten muss­te. Sie wirk­te selt­sam ver­lo­ren, kaum jemand schien sie zu beach­ten. Sie stand in der Schlan­ge, unru­hig, eine Erschei­nung, als wäre sie ver­se­hent­lich viel zu früh an einem Zeit­ort ange­kom­men, der bis jetzt nicht bereit war, sie auf­zu­neh­men. Plötz­lich stell­te sie das Körb­chen, das sie auf ihrem Roll­kof­fer balan­cier­te, auf dem Boden ab und flüch­te­te. — Ein Gedan­ke zunächst, dann ein Wort, ein ers­tes Wort, ein Satz, ein ers­ter Satz. Dort her­um wach­sen wei­te­re Gedan­ken, lang­sa­me Tage, Tage des Sam­melns, lang­same Näch­te, Näch­te des War­tens, Land ent­steht, Land, auf dem sich’s leben und erzäh­len lässt. Zei­chen für Zei­chen, das Wach­sen eines Koral­len­mun­des.- stop

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