Aus der Wörtersammlung: ente

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rom : am tiber

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nord­pol : 10.32 — Ges­tern, am spä­ten Abend, von einer Brü­cke über den Tiber aus einen Mann beob­ach­tet, der am Ufer des Flus­ses vor einer Insel­aus­buch­tung kau­er­te. Der Mann füt­ter­te grö­ße­re und klei­ne­re Tie­re mit sei­ner lin­ken Hand, in der rech­ten Hand hielt er eine Angel fest. Das war nicht sofort zu erken­nen gewe­sen, weil sich im Fluss und auch in der Luft über dem Fluss nichts beweg­te, nicht ein­mal das Was­ser zeig­te Strö­mung. Die Fluss­ober­flä­che schim­mer­te im Mond­licht wie ein See, und das Schilf des Ufers schien von Win­den, nicht von wil­dem Was­ser gebeugt. Da waren Schat­ten im Gras der klei­nen Insel, hun­der­te vor­wärts oder rück­wärts sprin­gen­de Sche­men. Noch nie zuvor habe ich so vie­le Rat­ten auf einen Blick gese­hen. Wie Eisen­spä­ne einer phy­si­ka­li­schen Anord­nung zur Unter­su­chung magne­ti­scher Fel­der waren sie zu dem Mann hin aus­ge­rich­tet, wir­bel­ten durch­ein­an­der, sobald der Mann Fut­ter­wa­re unter die Tie­re schleu­der­te. Dann wie­der stil­les War­ten. Eine Bisam­rat­te, scheu­er Herr­scher, enter­te das Land. — Am fol­gen­den Tag keh­re ich mor­gens zur Nacht­brü­cke zurück. Der Mann kau­ert noch immer vor der klei­nen Insel und angelt im Fluss. Möwen haben sich genä­hert. Rat­ten sind nur weni­ge zu sehen, aber Tau­ben. Wenn der Mann einen Fisch erbeu­tet, wirft er ihn sei­nen Freun­den vor die Füße. An den stei­len Wän­den der künst­li­chen Tiber­fas­sung da und dort blü­hen­de Büsche. Eidech­sen zün­geln gegen die Son­ne. — stop
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MELDUNG : ameisengesellschaft ln — 788

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MELDUNG. Amei­sen­ge­sell­schaft LN – 788 [ lasi­us niger ] : Posi­ti­on 48°21’N 07°01’O : Fol­gen­de Objek­te wur­den von 14.00 – 15.55 Uhr MESZ über das nord­west­li­che Wen­del­por­tal ins Waren­haus ein­ge­führt : sie­ben­und­zwan­zig tro­cke­ne Flie­gen­tor­si mitt­le­rer Grö­ße [ je ohne Kopf ], sech­zehn Baum­stäm­me [ à 5 Gramm ], vier Rau­pen in Grün, zwei­hun­dert­zwölf Rau­pen in Oran­ge, zwei Insek­ten­flü­gel [ ver­mut­lich die eines Zwerg­kopf­nacht­fal­ters ], fünf Streich­holz­köp­fe [ à 2 Gramm ], vier Flie­gen der Gat­tung Cal­li­pho­ri­dae in vol­lem Saft, son­nen­ge­trock­ne­te Rosen­blät­ter [ ca. 20 Gramm ], ein­hun­dert-vier­und­vier­zig Schne­cken­häu­ser [ je ohne Schne­cke ], acht gelähm­te Schne­cken [ je ohne Haus ], 5328 Amei­sen anlie­gen­der Staa­ten [ betäubt oder tran­chiert ], sechs Rüs­sel­kä­fer [ blau­tür­ki­se ], die Aas­ku­gel eines Pil­len­dre­hers, wenig spä­ter der Pil­len­dre­her selbst, eine Wild­bie­ne, sieb­zehn Frag­men­te eines Blat­tes [ Ili­as / Homer ] 7.5 Gramm. – stop

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herzwanderung

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gink­go : 0.28 — Auf Notiz­kärt­chen, die ich im Prä­pa­rier­saal beschrif­te­te, das Wort Herz­wan­de­rung ent­deckt. Ich notier­te die­ses Wort, kurz, nach­dem ich einen jun­gen Mann beob­ach­tet hat­te, wie er mit einem klei­nen rosa­far­be­nen Her­zen, das er zuvor unter Anlei­tung eines Assis­ten­ten aus dem Brust­korb einer alten Frau ope­rier­te, durch den Saal eil­te, um es unter kal­tem Was­ser zu waschen. Unmit­tel­bar hin­ter ihm war­te­te ein Kol­le­ge. Auch er hielt ein Herz in Hän­den. Die­ses Herz schien ver­gleichs­wei­se das Herz eines Rie­sen gewe­sen zu sein, und es war dun­kel, fast schwarz. Als der jun­ge Mann mit der Waschung des klei­nen rosa­far­be­nen Her­zen fer­tig gewor­den war, dreh­te er sich um. Für eini­ge Sekun­den stan­den sich die zwei Män­ner gegen­über und betrach­ten je das Herz des ande­ren. — stop

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lichtpelze

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del­ta

~ : louis
to : dai­sy und vio­let hilton
sub­ject : LICHTPELZE

Ich habe Euch, lie­be Dai­sy, lie­be Vio­let, fol­gen­des zu berich­ten. Es schneit heu­te Nacht, weil es schnei­en muss. Licht­pel­ze, kaum Wind, sie schau­keln an mei­nem Fens­ter aus dem Nebel­dun­kel kom­mend vor­bei. Ich glau­be, ich habe Euch schon erzählt, dass ich mir vor Wochen eine klei­ne Maschi­ne vor­ge­stellt habe, die flie­gen kann. Die­se vor­ge­stell­te Maschi­ne ist nun eine tat­säch­lich sehr klei­ne Maschi­ne gewor­den, nicht grö­ßer als eine Mur­mel in Kin­der­hand. Zar­tes­te Räd­chen und Schrau­ben und Gewin­de sind in ihrem Innern zu fin­den, Bat­te­rien von der Grö­ße eines Berg­schne­cken­her­zens wei­ter­hin, sowie eine äußerst fili­gra­ne Funk­an­ten­ne, ein Lin­sen­au­ge und Mikro­fo­ne oder Ohren, die in der Nähe des Auges der­art mon­tiert wor­den sind, dass sie in der Lage sein könn­ten, Geräu­sche auf­zu­zeich­nen. In weni­gen Minu­ten, wenn ich mei­nen Brief an Euch auf­ge­ge­ben haben wer­de, soll­tet Ihr mir zuse­hen, wie ich das Fens­ter öff­nen und mein flie­gen­des Auge auf sei­ne ers­te Rei­se schi­cken wer­de. Ich habe mir einen Flug süd­wärts vor­ge­nom­men. Zunächst abwärts 24 Stock­wer­ke, dann die 72. Stra­ße ost­wärts bis hin zur Lex­ing­ton Ave­nue, wir wer­den ihr bis zum Ende fol­gen. Am Gra­mer­cy Park bie­gen wir in Rich­tung Third Ave­nue ab, spa­zie­ren schwe­bend wei­ter, neh­men die Bowery, Saint James Place und kurz dar­auf die Brook­lyn Bridge. Eini­ge Stun­den wer­den sicher ver­ge­hen, ehe wir nach 15 Mei­len Brigh­ton Beach erreicht haben wer­den, ein Aben­teu­er. Wel­che Höhe wird eine geeig­ne­te Rei­se­hö­he sein? Was wer­den die Vögel auf der gro­ßen Brü­cke unter­neh­men, sobald sie uns erken­nen? Ich habe mei­ne Fern­steue­rung bereits in der Hand. Es ist jetzt 7 Uhr und 55 Minu­ten. Ich flie­ge durch eine von Schnee und dich­tem Nebel fast unsicht­ba­re Stadt. – Ahoi! Euer Louis

gesen­det am
29.08.2012
2.01 MESZ
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lou­is to dai­sy and violet »

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engelware

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nord­pol : 6.50 — Fan­gen wir noch ein­mal von vorn an. stop. Jener war­me Som­mer­tag. stop. Mein Vater trägt hel­le Hosen, ein wei­ßes Hemd, Turn­schu­he, Hosen­trä­ger. Immer wie­der erhebt er sich, geht über­le­gend auf und ab, weil ich ihm Fra­gen stel­le, vie­le, schwie­ri­ge Fra­gen. An eine die­ser Fra­gen kann ich mich noch gut erin­nern. Ich woll­te wis­sen, ob es grund­sätz­lich mög­lich sei, die Dau­er eines Momen­tes mathe­ma­tisch in einer For­mel dar­zu­stel­len, in wel­chem ein Trop­fen, der von einem Was­ser­spiel gegen den Him­mel gewor­fen wird, in der Luft ver­harrt, ohne sich wei­ter auf­wärts oder schon abwärts zu bewe­gen, also ohne Schwe­re ist. Lei­der kann ich mich an die Ant­wort mei­nes Vaters nicht erin­nern, aber an eine Geschich­te, die mein Vater an genau jenem Tag der Was­ser­trop­fen erzähl­te. Die­se Geschich­te han­del­te von mir selbst. Sie soll sich ereig­net haben, als ich noch sehr jung und klein gewe­sen war. Ich konn­te damals schon lau­fen und spre­chen, das wohl, und ich wuss­te, dass Weih­nachts­fes­te sich wie­der­ho­len, dass zur hei­li­gen Nacht Geschen­ke unter einem Baum zu fin­den sind, und dass die­se Geschen­ke von Engeln her­bei­ge­bracht wer­den. Der Geschich­te mei­nes Vaters zur Fol­ge kau­er­te ich an einem Dezem­ber­tag meh­re­re Stun­den vor einem Fens­ter zum Gar­ten. Schnee war gefal­len und es schnei­te immer wei­ter ohne Unter­bre­chung. Mei­ne Eltern beob­ach­te­ten mich genau, sie wun­der­ten sich, weil ich mich kaum beweg­te und weil ich in mei­ner Obser­va­ti­on der Schnee­land­schaft kei­ne Pau­sen mach­te. Nach einer gewis­sen Zeit kam mein Vater zu mir. Er frag­te, was ich da tue, ob ich viel­leicht etwas Beson­de­res ent­deckt haben wür­de. Ich ant­wor­te­te, dass ich auf das Erschei­nen eines Engels war­ten wür­de. Wie ich denn dar­auf kom­me, dass ich gera­de an die­sem Tag oder über­haupt je einen Engel sehen kön­ne, woll­te mein Vater wis­sen. Ich erklär­te, dass ich hör­te, jene Geschen­ke, die bald unter unse­rem Weih­nachts­baum lie­gen wür­den, sei von Engeln gelie­fer­te Ware, ich kön­ne also sicher sein, dass Engel den Luft­raum vor dem Fens­ter zum Wohn­zim­mer in Stun­den­zeit pas­sie­ren wür­den, ich müss­te nur lan­ge genug war­ten, um die Erschei­nung eines oder meh­re­rer Engel beob­ach­ten zu kön­nen. Eine Wei­le, erzähl­te mein Vater, habe er sich dann neben mich gesetzt, zwei gedul­di­ge Beob­ach­ter des Schnees, Schul­ter an Schul­ter. — stop

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zeit

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india : 0.05 — Saß an einem Som­mer­tag mit mei­nem Vater am Ufer eines Sees. Mein Vater trug hel­le Hosen, ein wei­ßes Hemd, Turn­schu­he und Hosen­trä­ger. Immer wie­der erhob er sich, ging über­le­gend auf und ab, weil ich ihm Fra­gen stell­te, vie­le, schwie­ri­ge Fra­gen. An eine die­ser Fra­gen kann ich mich noch gut erin­nern. Ich woll­te wis­sen, ob es grund­sätz­lich mög­lich sei, die Dau­er jenes Momen­tes mathe­ma­tisch in einer For­mel dar­zu­stel­len, in wel­chem ein Trop­fen, der von einem Was­ser­spiel gegen den Him­mel gewor­fen wird, in der Luft ver­harrt, ohne sich wei­ter auf­wärts oder schon abwärts zu bewe­gen, also ohne Schwe­re ist. Lei­der kann ich mich an die Ant­wort mei­nes Vaters nicht erin­nern, aber an eine Geschich­te, die mein Vater an genau jenem Tag der Was­ser­trop­fen erzähl­te. Die­se Geschich­te han­del­te von mir selbst. Sie soll sich ereig­net haben, als ich noch sehr jung und klein gewe­sen war. Ich wer­de sie mor­gen erzäh­len, weil sich gera­de ein groß­ar­ti­ges Gewit­ter ereig­net. — stop

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lichtprobe

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hima­la­ya : 3.10 — Ein Minu­ten­aus­schnitt aus der fürch­ter­li­chen Wirk­lich­keit eines Bür­ger­krie­ges. Im Film­do­ku­ment, das ich vor zwei Tagen beob­ach­tet habe, sind in der syri­schen Stadt Alep­po Män­ner zu sehen, sehr jun­ge, bei­na­he kind­lich wir­ken­de und etwas älte­re Män­ner, sie erschie­ßen wei­te­re Män­ner, die teil­wei­se kaum noch beklei­det waren und offen­sicht­lich von Schlä­gen ver­letzt. In einer Art Rausch, so neh­me ich das aus gro­ßer Ent­fer­nung wahr, wur­de getö­tet, auf­ge­nom­men von Han­dy­ka­me­ras. Kurz dar­auf waren die­se Hand­lun­gen auf Ser­ver­ma­schi­nen gela­den und sind seit­her von jedem Ort die­ser Welt, der über einen Inter­net­zu­gang ver­fügt, für unbe­stimm­te Zeit abruf­bar. Man kann den einen oder ande­ren der schie­ßen­den Män­ner für Sekun­den eben­so gut erken­nen wie jene Män­ner, die durch Schüs­se getö­tet wur­den. Hun­der­te, wenn nicht Tau­sen­de die­ser Doku­men­te lie­gen vor. Was wird mit die­sen Doku­men­ten gesche­hen? Wer­den Sie bereits gesi­chert? In die­ser Minu­te viel­leicht? Und vom wem und in wel­cher Absicht? – stop

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funkköpfe

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romeo : 6.22 — Ein klei­ne Geschich­te habe ich rasch zu erzäh­len. Sie ereig­ne­te sich ges­tern Abend gegen 22 Uhr. Ich war zu die­sem Zeit­punkt außer­or­dent­lich müde gewor­den, hat­te gera­de einen Brief an einen Freund geschrie­ben, in dem ich von neu­ro­chir­ur­gi­schen Kon­struk­ti­ons­ar­bei­ten in Funk­vo­gel­köp­fen berich­te­te, wie ich der Ein­pflan­zung eines Peil­sen­ders bei­gewohnt hat­te genau­er, von der Öff­nung eines Möwen­schä­dels, sowie ers­ten Flug­steue­rungs­ver­su­chen, Abstür­zen, aber auch geglück­ten Flug­ma­nö­vern, Loo­pings, über wel­che sich jene ers­te unter den fern­ge­steu­er­ten Möwen selbst ver­mut­lich sehr gewun­dert haben dürf­te. Kaum hat­te ich den Brief fer­tig notiert, klin­gel­te das Tele­fon. Ich wur­de in mei­ner Kon­zen­tra­ti­on gestört, und zwar genau in dem Moment, da ich die Adress­zei­le mei­nes E‑Mailprogramms bear­bei­te­te. Schon war es pas­siert, ich hat­te mei­ne E‑Mail ver­se­hent­lich an das Büro Wla­di­mir Putins geschickt, was nun eigent­lich von mei­ner Posi­ti­on aus nicht sehr gefähr­lich ist, aber doch unan­ge­nehm, weil ich dort­hin nicht in per­sön­li­cher Wei­se schrei­ben woll­te, weil man nicht weiß, wer bei Putin in Mos­kau her­ein­kom­men­de E‑Mails liest, und ob sie viel­leicht über­setzt oder wei­ter­ge­lei­tet wer­den. Inter­es­san­ter­wei­se beob­ach­te ich nun mit­tels der Live-Ver­si­on der Google–Analyticsmaschine, dass mei­ne Par­tic­les – Tex­te seit Stun­den von Mos­kau her betrach­tet wer­den. Da ist ein ziem­lich eigen­ar­ti­ges Gefühl, das sich schritt­wei­se ent­fal­tet. Bald frü­her Mor­gen. Die Amseln vor dem Fens­ter pfei­fen. Ich habe mir eine Enten­brust gebra­ten. Sie dampft wun­der­schön auf einem Tel­ler vor mir auf dem Tisch. Ja, eine wirk­lich unheim­li­che Geschich­te ist das, die Vögel, die Köp­fe, der Kreml. — stop
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eiszimmer

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sier­ra : 6.52 — Vor eini­gen Tagen habe ich einen beson­de­ren Kühl­schrank in Emp­fang genom­men, einen Behäl­ter von enor­mer Grö­ße. Ich kann mit Fug und Recht behaup­ten, dass die­ser Kühl­schrank, in wel­chem ich pla­ne im Som­mer wie auch im Win­ter kost­ba­re Eis­bü­cher zu stu­die­ren, eigent­lich ein Zim­mer für sich dar­stellt, ein gekühl­tes Zim­mer, das wie­der­um in einem höl­zer­nen Zim­mer sitzt, das sich selbst in einem grö­ße­ren Stadt­haus befin­det. Nicht dass ich in der Lage wäre, in mei­nem Kühl­schrank­zim­mer auf und ab zu gehen, aber es ist groß genug, um einen Stuhl in ihm unter­zu­brin­gen und eine Lam­pe und ein klei­nes Regal, in dem ich je zwei oder drei mei­ner Eis­bü­cher aus­stel­len wer­de. Dort, in nächs­ter Nähe zu Stuhl und Regal, habe ich einen wei­te­ren klei­ne­ren, äußerst kal­ten, einen gut iso­lier­ten Kühl­schrank auf­ge­stellt, einen Kühl­schrank im Kühl­schrank sozu­sa­gen, der von einem Not­strom­ag­gre­gat mit Ener­gie ver­sorgt wer­den könn­te, damit ich in den Momen­ten eines Strom­aus­fal­les aus­rei­chend Zeit haben wür­de, jedes ein­zel­ne mei­ner Eis­bü­cher in Sicher­heit zu brin­gen. Es ist näm­lich eine uner­träg­li­che Vor­stel­lung, jene Vor­stel­lung war­mer Luft, wie sie mei­ne Bücher berührt, wie sie nach und nach vor mei­nen Augen zu schmel­zen begin­nen, all die zar­ten Sei­ten von Eis, ihre Zei­chen, ihre Geschich­ten. Seit ich den­ken kann, woll­te ich Eis­bü­cher besit­zen, Eis­bü­cher lesen, schim­mern­de, küh­le, uralte Bücher, die knis­tern, sobald sie aus ihrem Schnee­schu­ber glei­ten. Wie man sie für Sekun­den lie­be­voll betrach­tet, ihre pola­re Dich­te bewun­dert, wie man sie dreht und wen­det, wie man einen scheu­en Blick auf die Tex­tu­ren ihrer Gas­zei­chen wirft. Bald sitzt man in einer U‑Bahn, den lei­se sum­men­den Eis­buch­rei­se­kof­fer auf dem Schoß, man sieht sich um, man bemerkt die begeis­ter­ten Bli­cke der Fahr­gäs­te, wie sie flüs­tern: Seht, dort ist einer, der ein Eis­buch besitzt! Schaut, die­ser glück­li­che Mensch, gleich wird er lesen in sei­nem Buch. Was dort wohl hin­ein­ge­schrie­ben sein mag? Man soll­te sich fürch­ten, man wird sei­nen Eis­buch­rei­se­kof­fer viel­leicht etwas fes­ter umar­men und man wird mit einem wil­den, mit einem ent­schlos­se­nen Blick, ein gie­ri­ges Auge nach dem ande­ren gegen den Boden zwin­gen, solan­ge man noch nicht ange­kom­men ist in den fros­ti­gen Zim­mern und Hal­len der Eis­ma­ga­zi­ne, wo man sich auf Eis­stüh­len vor Eis­ti­sche set­zen kann. Hier end­lich ist Zeit, unter dem Pelz wird nicht gefro­ren, hier sitzt man mit wei­te­ren Eis­buch­be­sit­zern ver­traut. Man erzählt sich die neu­es­ten ark­ti­schen Tief­see­eis­ge­schich­ten, auch jene ver­lo­re­nen Geschich­ten, die aus purer Unacht­sam­keit im Lau­fe eines Tages, einer Woche zu Was­ser gewor­den sind: Haben sie schon gehört? Nein! Haben sie nicht? Und doch ist kei­ne Zeit für alle die­se Din­ge. Es ist immer die ers­te Sei­te, die zu öff­nen, man fürch­tet, sie könn­te zer­bre­chen. Aber dann kommt man schnell vor­an. Man liest von uner­hör­ten Gestal­ten, und könn­te doch nie­mals sagen, von wem nur die­se fei­ne Luft­eis­schrift erfun­den wor­den ist. — stop
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luftgespräch

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tan­go : 15.01 — Eine Notiz wie­der­ge­fun­den, die Mr. Sal­ter vor eini­gen Jah­ren unter dem Titel Ele­phan­tis­land notier­te. Er schrieb Fol­gen­des: Kurz nach acht Uhr. Kal­te, tro­cke­ne Luft, ich notie­re mit klam­men Hän­den. Um 7 Uhr heu­te Mor­gen haben wir bei stür­mi­scher See Ele­phan­tis­land erreicht. Suche nach Mil­ler unver­züg­lich auf­ge­nom­men. Süd­west­li­che Bewe­gung die Küs­te ent­lang. Gegen 9 Uhr ers­te grö­ße­re See­ele­fan­ten­grup­pen gesich­tet. Hef­ti­ger Schnee­fall. Mit­tags dann auf mensch­li­che Spu­ren gesto­ßen. Eine Mul­de von zwei Fuß Tie­fe im gro­ben Unter­grund, hüft­ho­her Stein­wall nord­wärts. Im Wind­schat­ten: drei gebleich­te Wal­kno­chen, ein hal­bes Dut­zend fin­ger­di­cker Haut­stü­cke, ein Kamm, zwei ros­ti­ge Kugel­schrei­ber, eine Blech­t­as­se, zwölf Pin­gu­in­schnä­bel, fünf Bat­te­rien, drei Klum­pen ran­zi­gen Fet­tes, Bruch­stü­cke eines Son­nen­eil­lek­tors und einer Schreib­ma­schi­ne. Das Werk­zeug war in einer Wei­se sorg­fäl­tig demo­liert, als sei eine Dampf­wal­ze dar­über hin und her gefah­ren. Dann wei­te­re zehn Minu­ten die Küs­te ent­lang, dann auf Mil­ler gesto­ßen. Der Dich­ter stand mit dem Rücken zu einem Fel­sen hin und rich­te­te ein Mes­ser gegen einen See­ele­fan­ten. Das Tier, das sehr gewal­tig vor unse­rem Mann in den Him­mel rag­te, war nur noch zwei Armes­län­gen ent­fernt und scheu­er­te mit dem Rücken über den Fel­sen. Eigen­ar­ti­ge Geräu­sche. Geräu­sche wohl der Lust. Geräu­sche, als habe das Tier eine ver­beul­te Trom­pe­te ver­schluckt. Geräu­sche auch von Mil­ler. Hel­le Geräu­sche, krei­schen­de, irre Töne. Wir haben zu die­sem Zeit­punkt das Fol­gen­de über Mil­ler zu sagen: Unser Mann ist ent­kräf­tet und stark ver­schmutzt. Zwei Fin­ger der lin­ken Hand sind erfro­ren. Kopf­wärts wan­dern­de Spu­ren von Dehy­dra­ti­on. Mil­ler spricht nur einen Satz: All for not­hing. Wir haben den Rück­weg ange­tre­ten, indes­sen, bei genaue­rer Betrach­tung unse­rer Umge­bung, auf Fels­for­ma­tio­nen ent­lang der Küs­te Frag­men­te von Zei­chen­ket­ten ent­deckt. Ein­deu­tig Mil­lers Hand­schrift. Brin­gen Dich­ter Mil­ler jetzt nach Hau­se. — Mitt­woch: Ein wis­pern­der, knat­tern­der, sin­gen­der, knir­schen­der, lirr­pen­der, pfei­fen­der, sir­ren­der Bauch. Tie­re von Luft sind zu Besuch gekom­men, hüp­fen, sprin­gen, sei­len unter dem Zwerg­fell­dach. Gesprä­che tat­säch­lich, die ich hören kann. — stop



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