Aus der Wörtersammlung: etwas

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sarajevo

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alpha : 2.12 — In mei­ner Vor­stel­lung wur­de ein drei­jäh­ri­ger Jun­ge von sei­ner Mut­ter in einem Kin­der­wa­gen über eine Stra­ße gescho­ben. Die Mut­ter, die zunächst vor­sich­tig ging, um das Kind nicht zu wecken, beschleu­nig­te plötz­lich ihre Schrit­te, nach weni­gen Sekun­den spur­te­te sie eine Häu­ser­wand ent­lang, sie hat­te das Kind aus dem Kin­der­wa­gen geho­ben und trug es jetzt in ihren Armen, wäh­rend sie etwas seit­wärts lief, sie war geschickt in die­ser Art und Wei­se zu lau­fen, sie schütz­te das Kind mit ihrem Kör­per vor Pro­jek­ti­len, die von einem Scharf­schüt­zen, einem Sni­per, auf den Weg gebracht wor­den waren, um sie und ihr Kind ums Leben zu brin­gen. Irgend­wo, irgend­wann muss ich einen Film gese­hen haben, der eine Sze­ne wie die vor­ge­stell­te Sze­ne zeig­te. Unlängst sprach ich mit einem jun­gen Mann, der sich in mei­ne geschil­der­te Vor­stel­lung har­mo­nisch ein­fü­gen wür­de, ich ken­ne ihn seit län­ge­rer Zeit, er war tat­säch­lich Kind gewe­sen in Sara­je­vo wäh­rend der Bela­ge­rung der Stadt. Ein­mal, als etwas Zeit war zu spre­chen, frag­te ich ihn, wie die­se Jah­re damals für ihn gewe­sen waren, ob er sich erin­nern kön­ne. Er schau­te mich freund­lich an und lach­te. Als ich mei­ne Fra­ge wie­der­hol­te, sag­te er, dass er über die­se Zeit noch nie gespro­chen habe. Ich frag­te ihn, ob er viel­leicht noch nie mit einer Per­son wie mir gespro­chen habe, die die Bela­ge­rung, die Erschie­ßung von Men­schen damals, als er noch ein Kind gewe­sen war, auf einem Fern­seh­bild­schirm beob­ach­tet hat­te. Er ant­wor­te­te, nein, er habe über­haupt noch nie, mit nie­man­dem, mit kei­nem Mensch also über die­se Zeit, deren Geräu­sche er ken­ne, gespro­chen. Sei­ne Mut­ter habe den Krieg über­lebt, sei­ne Schwes­ter, die ein Jahr älter als er selbst gewe­sen war, sei gestor­ben. Und wie­der lach­te er, und dann klopf­te er mir auf die Schul­ter, und ich stell­te kei­ne wei­te­re Fra­ge. — stop

drohne17

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im winterzimmer

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oli­mam­bo : 2.15 — Als der jun­ge Mann nach lan­ger Zeit tie­fen Schla­fes erwach­te, begann er zu erzäh­len, er hat­te, wäh­rend er von Maschi­nen im Leben fest­ge­hal­ten wur­de, wäh­rend er uner­reich­bar gewe­sen war für die Stim­men ihn pfle­gen­der und besu­chen­der Men­schen, viel erlebt. Nein, sag­te er, dass wir mit ihm gespro­chen haben, habe nicht gehört. Er sag­te, er habe aber vom Win­ter geträumt, dass Win­ter gewor­den sei, Schnee auch in sei­nem Zim­mer, Schnee, der von der Decke sei­nes Zim­mers rie­sel­te, Schnee­men­schen wür­den ihn gefüt­tert haben und in sei­nem Bett her­um­ge­dreht. Maschi­nen von Eis ver­sorg­ten ihn mit Luft, das habe er genau­es­tens beob­ach­tet, und er habe das Pfei­fen von Eis­or­geln gehört, zwit­schern von Eis­vö­geln und das Tuten von Eis­lo­ko­mo­ti­ven, die immer wie­der ein­mal aus ihren Schlo­ten schmut­zig qual­mend durch sein Zim­mer don­ner­ten, sodass sein Bett hin und her schwank­te, als befän­de er sich auf hoher See. Das alles erzähl­te der erwa­chen­de jun­ge Mann uner­müd­lich, ohne eine Pau­se zu machen, er beweg­te den Mund, er hör­te sich spre­chen, aber die Maschi­ne, die noch immer mit ihm atme­te, die ihre Schläu­che zu sei­nem Hals hin­be­weg­te, trans­pa­ren­te, feuch­te Roh­re von fei­ner Haut, mach­te ihn stumm. Über­haupt war der jun­ge Mann noch etwas ver­wirrt, sodass wir die­se Geschich­te ganz sicher bald noch ein­mal zu erzäh­len haben. — stop

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vom zählen

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romeo : 22.01 — Ein älte­rer Herrn beweg­te sich schwan­kend durch einen Zug, er zähl­te Men­schen. Eine Frau kam ihm ent­ge­gen, auch sie zähl­te Men­schen. Bei­de notier­ten die Zah­len­früch­te ihrer Arbeit je in eine eige­ne Lis­te. Die­se Begeg­nung zwei­er Zäh­len­der im Zug wie­der­hol­te sich mehr­fach. Wenn sich der zäh­len­de Mann und die zäh­len­de Frau auf dem Gang des Zuges tra­fen von Zeit zu Zeit, gaben sie vor, sich nicht zu ken­nen. Zunächst hat­te ich erwar­tet, sie wür­den sich ihre Zah­len gegen­sei­tig erzäh­len, viel­leicht um eine Sum­me zu bil­den, aber nein, sie spra­chen nicht, wür­dig­ten sich kei­nes Bli­ckes. Ver­mut­lich wer­den Sum­men etwas spä­ter gebil­det, viel­leicht sobald Abend gewor­den ist, wenn sich die gezähl­ten Men­schen der Tages­zü­ge ver­lau­fen haben und sich Zah­len gefahr­los addie­ren. — stop
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brief an charlie

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echo : 2.10 — Ges­tern schrieb ich an Char­lie einen Brief auf Papier. Lie­ber Char­lie, es war schön, Dich wie­der­ge­se­hen zu haben. Ich freue mich, dass Du Dich Dei­ner­seits freu­test als ich Dir erzähl­te, ich wür­de ein­mal einen klei­nen Text geschrie­ben haben, in dem Du vor­kommst. Ich habe die­sen Text gesucht und für Dich aus­ge­druckt. Ich hof­fe, er gefällt Dir. Herz­li­che Grü­ße. Dein Lou­is > An der Nacht­zeit­küs­te / 24. Febru­ar 2011: Flug­ha­fen. Ter­mi­nal 1. Drei Uhr und fünf­zehn Minu­ten. Ich sto­ße auf Char­lie, 36, Arbei­ter. Der Mann, der in Togo gebo­ren wur­de und lan­ge Zeit dort leb­te, sitzt unter schla­fen­den Rei­se­men­schen an der Nacht­zeit­küs­te. Er sieht selt­sam aus an die­ser Stel­le, ein Mann, der in sei­nem Leben noch nie mit einem Flug­zeug reis­te, statt­des­sen in Zügen, Bus­sen, Schif­fen durch den afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent Rich­tung Euro­pa geflüch­tet war, ja, merk­wür­dig sieht Char­lie aus, wie er so unter schlum­mern­den Nord­ame­ri­ka­nern, Usbe­ken, Chi­le­nen, Japa­nern, Neu­see­län­dern sitzt. Er trägt Sicher­heits­schu­he, ein karier­tes Holz­fäl­ler­hemd und Hosen von kräf­ti­gem Stoff, mit Kat­zen­au­gen besetz­te dun­kel­blaue Bein­klei­der, die in jede Rich­tung reflek­tie­ren. Nein, unsicht­bar ist Char­lie, auch im Dun­keln, sicher nicht. Er macht gera­de Pau­se, trinkt Kaf­fee aus einer schrei­end gel­ben Ther­mos­kan­ne und genießt ein Stück­chen Brot und etwas Käse, den er aus einer Dose fischt. Sorg­fäl­tig kaut er vor sich hin, nach­denk­lich, viel­leicht weil er sich auf ein Spiel kon­zen­triert, das er seit Jah­ren bereits an die­ser Stel­le war­tend stu­diert. Char­lie tippt Lot­to. Char­lie ist ein Meis­ter des Lot­to­spiels, Char­lie spielt mit Sys­tem. Er hat noch nie ver­lo­ren. Er hat noch nie ver­lo­ren, weil er noch nie einen wirk­li­chen Cent auf eine der Zah­len­rei­hen setz­te, die er in sei­ne Notiz­bü­cher notiert. Char­lie ist ein beob­ach­ten­der Spie­ler, Vater von fünf Kin­dern, immer ein wenig müde, weil er eben ein Nacht­ar­bei­ter ist. Wenn ich mich neben ihn set­ze und ihm zuse­he, wie er mit einem roten Kugel­schrei­ber Zah­len­ko­lon­nen in sei­ne Hef­te notiert, freut er sich, macht eine klei­ne Pau­se, erkun­digt sich nach mei­nem Befin­den, und schon schreibt er wei­ter, ana­ly­siert, rech­net, sucht nach einer For­mel, die sei­ne Fami­lie zu einer rei­chen Fami­lie machen wird. Ein­mal fra­ge ich Char­lie, ob er noch Brie­fe schrei­ben wür­de an sei­ne Eltern in Lomé. Ja, sagt Char­lie, jede Woche schrei­be er einen Brief an sei­ne Eltern, die am Meer leben, am Atlan­tik näm­lich. Ein ander­mal will ich wis­sen, war­um er nicht einen Com­pu­ter ein­set­zen wür­de, um viel­leicht schnel­ler fin­den zu kön­nen, was er sucht. Char­lie lacht, sieht mich an durch kräf­ti­ge Glä­ser einer Bril­le, sagt, dass er wis­se, wie bedeu­tend Com­pu­ter sei­en für die Welt, in der wir leben, sei­ne Kin­der spiel­ten mit die­sen Maschi­nen, für ihn sei das aber nichts. Und sofort schreibt er wei­ter. Eine ruhi­ge, kla­re Schrift. Rote Zei­chen. In die­sem Moment begrei­fe ich, dass ich einer Beschwö­rung bei­woh­ne, einem Gebet, Male­rei, einer Kom­po­si­ti­on, der “all­mäh­li­chen Ver­fer­ti­gung der Idee beim Schrei­ben”. Her­mann Bur­ger – stop

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vom tattermandl

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ulys­ses : 0.12 — Ich stell­te mir, aus gutem Grund, einen Feu­er­sa­la­man­der vor, der über zwei Köp­fe ver­fügt. Inwie­fern, frag­te ich mich, wür­de sich sei­ne beson­de­re ana­to­mi­sche Gestalt auf die Art und Wei­se sei­ner Fort­be­we­gung aus­wir­ken? Wäre der Feu­er­sa­la­man­der noch in der Lage, sich fort­zu­be­we­gen, wie es für Feu­er­sa­la­man­der leicht schau­kelnd üblich ist, oder wür­de sich das klei­ne Tier etwa im Krei­se dre­hen, viel­leicht des­halb, weil der lin­ke sei­ner Köp­fe, sein Haupt­kopf, etwas schwe­rer wiegt als sein rech­ter Kopf, der über­haupt nur des­halb exis­tiert, weil ein frü­he­rer Sala­man­der­kör­per von einem Strah­len­teil­chen getrof­fen wur­de, wes­we­gen sich sein Zell­text ver­än­der­te, wes­we­gen für einen spä­te­ren, unse­ren illu­mi­nier­ten Sala­man­der bereits im Lar­ven­sta­di­um ein zwei­ter Kopf vor­ge­schrie­ben war. Ich könn­te viel­leicht sagen, dass der zwei­te Kopf des Sala­man­ders mit dem Ein­tref­fen des strah­len­den Teil­chens zu einem Zeit­punkt, da er selbst noch gar nicht exis­tier­te, unver­meid­bar wur­de. Vier Augen nun, von wel­chen zwei unmit­tel­bar in der Lage sind, sich zu betrach­ten, weil sie sich gegen­über­lie­gen, weil sie je seit­wärts, eben nicht gera­de­aus, in die Welt hin­aus schau­en. Ich erin­ne­re mich an eine Foto­gra­fie, auf der ich selbst zu sehen bin, wie ich schla­fe. — stop

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nachtorte

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ulys­ses : 1.15 — Und träu­me von frü­her. Als die Zeit noch eine Figur war, die eine Rol­le spiel­te. Damals dach­te ich, dass, wenn bei uns Tag war, wir die Nacht auf der ande­ren Sei­te der Welt bewach­ten. Bis mir klar wur­de, dass wir ihren Schlaf nicht bewach­ten, son­dern sie im Schlaf aus­raub­ten. Dann bin ich auf­ge­wacht. — Die­se Beob­ach­tung habe ich in einer Text­samm­lung Ali­s­sa Walsers ent­deckt: Von den Tie­ren im Notie­ren. Kur­ze Zeit spä­ter, auf dem Weg zum Fens­ter, erin­ner­te ich mich an das Muse­um der Nacht­häu­ser, das sich am Shore Bou­le­vard nörd­lich der Hell Gates Bridge befin­det, die den New Yor­ker Stadt­teil Queens über den East River hin­weg mit Rand­alls Island ver­bin­det. Ich weiß nicht, ob das Muse­um noch immer exis­tiert, es war oder ist ein recht klei­nes Haus, rote Back­stei­ne, ein Schorn­stein, der an einen Fabrik­schlot erin­nert, ein Gar­ten, in dem ver­wit­ter­te Apfel­bäu­me ste­hen, und der Fluss so nah, dass man ihn rie­chen konn­te. Wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges, zufäl­lig, ent­deck­te ich die­ses Muse­um, von dem ich nie zuvor hör­te. Es war ein spä­ter Nach­mit­tag, ich muss­te etwas war­ten, weil das Muse­um nicht vor Ein­bruch der Däm­me­rung öff­nen wür­de, ein Muse­um für Nacht­men­schen eben, die in Nacht­häu­sern woh­nen, wel­che erfun­den wor­den waren, um Nacht­men­schen art­ge­rech­tes Woh­nen zu ermög­li­chen. Als das Muse­um dann end­lich öff­ne­te, war ich schon etwas müde gewor­den, und weil ich der ein­zi­ge Besu­cher gewe­sen, führ­te mich ein jun­ger Mann per­sön­lich her­um. Er war sehr gedul­dig, war­te­te, wenn ich wie wild in mein Notiz­buch notier­te, weil er span­nen­de Geschich­ten erzähl­te von jenen merk­wür­di­gen Gegen­stän­den, die in den Vitri­nen des Muse­ums ver­sam­melt waren. Von einem die­ser Gegen­stän­de will ich kurz berich­ten, von einem metal­le­nen Wesen, das mich an eine Kreu­zung von Gecko und Spin­ne erin­ner­te. Das ver­ros­te­te Ding war von der Grö­ße eines Schuh­kar­tons. An je einer Sei­te des Objekts saßen Bei­ne fest, die über Saug­näp­fe ver­füg­ten, eine Kame­ra thron­te oben­auf wie ein Rei­ter. Der jun­ge Mann erzähl­te, dass es sich bei die­sem Gerät um ein Instru­ment der Ver­tei­di­gung han­del­te, aus einer Zeit, da Nacht­men­schen mit Tag­men­schen noch unter ein und dem­sel­ben Haus­dach wohn­ten. Das klei­ne Tier saß in der Vitri­ne in einer Hal­tung, als wür­de er sich ducken, als wür­de es jeder­zeit wie­der eine Wand bestei­gen wol­len. Das war näm­lich sei­ne vor­neh­me Auf­ga­be gewe­sen, Zim­mer­wän­de zu bestei­gen in der Nacht, sich an Zim­mer­de­cken zu hef­ten und mit klei­nen oder grö­ße­ren Ham­mer­werk­zeu­gen Klopf- oder Schlag­ge­räu­sche zu erzeu­gen, um Tag­men­schen aus dem Schlaf zu holen, die ihrer­seits weni­ge Stun­den zuvor noch durch ihre erbar­mungs­los har­ten Schrit­te den Erfin­der der Geck­oma­schi­ne, einen Nacht­ar­bei­ter, aus sei­nen Träu­men geris­sen haben moch­ten. Es war, sag­te der jun­ge Mann, immer so gewe­sen damals in die­ser schreck­li­chen Zeit, dass sich Tag­men­schen sicher fühl­ten vor Nacht­men­schen, die unter ihnen leb­ten, die mit Schrit­ten Zim­mer­de­cken ihrer Woh­nung nie­mals erreich­ten. Aus und fini! — stop

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vor neufundland 2.12.16 uhr : die sterne sind rund

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tan­go : 0.02 — Neh­men wir ein­mal an, man wür­de einen Vogel von der Grö­ße eines Zei­sigs kon­stru­ie­ren, ein Wesen, wel­ches aus 1500 Ein­zel­tei­len bestehen wird, sagen wir aus Stre­ben von leich­tem Metall, einem höl­zer­nen Rumpf, Flü­gel von kost­ba­rem Tuch, Schrau­ben, Farb­schich­ten, Dioden, feins­ten Sei­len, das wäre eine sehr fei­ne Geschich­te, einen Bau­kas­ten­vo­gel ent­de­cken für Mäd­chen und Jun­gen, die nun in ihren Zim­mern sit­zen, um den Vogel­kör­per zu mon­tie­ren. Sie wer­den viel­leicht zwei oder drei Mona­te Zeit in ihren Zim­mern ver­brin­gen, kaum etwas wird noch von ihnen zu sehen sein, als das Licht, das bis spät in die Nacht ver­bo­te­ner­wei­se aus ihren Zim­mern dringt. Wie sie zuletzt ins Zen­trum ihrer Vögel, dort wo sie den Herz­ort ihrer Vögel ver­mu­ten, mit einer Pin­zet­te und zit­tern­den Hän­den eine Atom­bat­te­rie ver­pflan­zen, nicht grö­ßer als ein Reis­korn, und wie sich nun ihre Vögel mit sur­ren­den Flü­geln erhe­ben und aus den Fens­tern segeln und flat­tern zur gro­ßen Rei­se ein­mal um die Erd­ku­gel her­um. — Kurz nach Mit­ter­nacht. Ich habe einen Funk­spruch mei­nes Freun­des Noe emp­fan­gen. Tie­fe 828 Fuß. Posi­ti­on 81 See­mei­len süd­öst­lich der Küs­te Neu­fund­lands. Fröh­li­che Stim­me, fol­gen­de Nach­richt: ANFANG 2.12.16 | | | Habe lan­ge zei­ten kei­ne ster­ne gese­hen. s t o p die ster­ne sind rund. s t o p zar­te fin­ger von licht. s t o p füh­ler. s t o p als ob der welt­raum das meer durch­such­te. y e l l o w t u m b l i n g f i s h f r o m a b o v e. träum­te yoko. s t o p ihre schul­tern. s t o p ihren mund. s t o p ihre stim­me. s t o p spü­re ihren atem an mei­nem hals. s t o p ihre lip­pen auf mei­ner brust. s t o p coney island. s t o p wird man viel­leicht selt­sam in der stil­le? s t o p in der mee­res­stil­le. s t o p schluss jetzt. s t o p fan­gen wir noch ein­mal von vor­ne an. s t o p. t w o b l u e f i s h e s i n l o v e s t r a i g h t a h e a d. s t o p wer­de ich je wie­der land betre­ten? s t o p | | | ENDE 2.14.02 — stop

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match1

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bambus vol. 2

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echo : 1.08 — Wie Men­schen nun Han­dys nicht län­ger an ihre Ohren hal­ten, son­dern vor den Mund. Viel­leicht auch des­halb, um gleich­zei­tig spre­chen und lesen zu kön­nen, spre­chen also und hören und noch etwas Wei­te­res tun. — Wie­der Nacht. In einem Moment der Stil­le beob­ach­te­te ich vor weni­gen Minu­ten ein Bücher­re­gal, das in mei­nem Arbeits­zim­mer steht. Ich mein­te wie­der ein­mal, ein Geräusch wahr­ge­nom­men zu haben, in etwa hör­te sich das so an, als wür­de man ein Ohr an ein Bam­bus­rohr legen, durch wel­ches Kie­sel­stei­ne fal­len. Zunächst mel­de­te sich das Geräusch links oben unter der Decke, wo sich Bücher befin­den, die ich bis­her nicht gele­sen habe, war­ten­de Bücher, sagen wir, Mah­nen­de. Kurz dar­auf wan­der­te das Geräusch in die Mit­te des Regals, Chris­toph Rans­mayr klim­per­te, John Ber­ger, Janet Frame, Anto­nio Tabuc­chi. Ich hat­te für eini­ge Minu­ten den Ein­druck, das Geräusch oder sei­ne Ursa­che könn­te sich ver­viel­fäl­tigt haben. Wenn nun fol­gen­des gesche­hen wäre, dass sich die Bücher mei­nes Regals in Funk­bü­cher ver­wan­del­ten, in Bücher, die nur vor­ge­ben, Bücher von Papier zu sein, in Bücher also, die über Sei­ten ver­fü­gen, die eigent­lich Bild­schir­me sind, die man umblät­tern kann. Dann wäre denk­bar, dass ich jenes typi­sche Geräusch ver­nom­men habe, das in genau dem Moment ent­steht, da der Autor eines Buches mit­tels Funk­wel­len eine erneu­er­te Fas­sung sei­nes Wer­kes in die Zim­mer der Welt ent­sen­det. Ich muss dar­über nach­den­ken, was die Mög­lich­keit oder die Exis­tenz der Funk­bü­cher bedeu­ten wür­de für das Schrei­ben, für das Auf­hö­ren kön­nen, für Anfang und Ende einer Geschich­te. Und wenn nun Jean Pauls Komet in mei­nem Zim­mer rascheln wür­de, oder Dan­tons Tod, Georg Büch­ner? – Noch zu tun: Regen­wör­ter erfin­den. — stop

drohne15

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vordämmerungsbesuch

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india : 5.16 — Wuss­te ich es doch, ent­ge­gen der Behaup­tung, Libel­len flö­gen nie­mals in der Nacht umher, kam gera­de vor einer Stun­de noch eine Libel­le durchs Fens­ter, stock­fins­ter drau­ßen, viel­leicht hielt sie das Licht in mei­nem Zim­mer für einen Tag, den zu besu­chen lohn­te. Es war so still zu die­ser Stun­de, dass ich zum ers­ten Mal hör­te, wie es klingt, wenn Libel­len in nächs­ter Nähe flie­gen, sie rau­schen näm­lich, wäh­rend sie schein­bar bewe­gungs­los in der Luft ste­hen. Ich habe frü­her schon ein­mal bemerkt, dass ich gut den­ken und erfin­den kann, sobald ich Libel­len beob­ach­te. Das ist mög­li­cher­wei­se des­halb so, weil Libel­len sich in der Art und Wei­se der Gedan­ken selbst bewe­gen. Sie schei­nen lan­ge Zeit still in der Luft zu ste­hen und sind doch am Leben, was man dar­an erken­nen kann, dass sie nicht zu Boden fal­len. Etwas Zeit ver­geht, wie immer. Und plötz­lich haben sich die fei­nen Libel­len­raub­tie­re wei­ter­be­wegt. Sie sind von einer Sekun­de zur nächs­ten Sekun­de an einem ande­ren Ort ange­kom­men. Genau so scheint es mit Gedan­ken zu sein. Sie sprin­gen wei­ter und machen neue Gedan­ken, ohne dass der Weg von da nach dort sicht­bar oder spür­bar gewor­den wäre. — stop
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msallata

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sier­ra : 0.28 — Ich begrei­fe zahl­rei­che Erschei­nun­gen der mensch­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on im Durch­ein­an­der der Stim­men, der Bewe­gun­gen, die ich Nacht für Nacht erle­be, um Stun­den, manch­mal um Tage ver­zö­gert. Es ist so, als wür­de ich bestän­dig einen hoch­auf­lö­sen­den Ton­film spei­chern, wel­chen ich mit Ver­zö­ge­rung in der Zeit abspie­le, um Details, um Zusam­men­hän­ge nach­voll­zie­hen zu kön­nen, die zunächst in ihrer umfas­sen­den Erschei­nung nicht wahr­nehm­bar waren. Manch­mal setzt die­ser Hin­ter­grund­film wäh­rend sei­ner Auf­nah­me eine klei­ne Boje aus, die in Echt­zeit signa­li­siert, da ist etwas, da war etwas: Ach­tung! Ich glau­be, ich ver­fü­ge über Augen oder Kame­ra­ob­jek­ti­ve, die in der Lage sind, nach allen Him­mels­rich­tun­gen Aus­schau zu hal­ten. Sobald ich sie suche, kann ich die­se Augen nicht fin­den, es sind ver­mut­lich sehr klei­ne Augen. — Null Uhr acht­und­zwan­zig auf dem Meer vor Msal­la­ta, Lybia. — stop

drohne10



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