ulysses : 17.
52 — Ich hatte, seltsame Geschichte, die Idee, dass ich, in dem ich schlafend oder wachend durch Manhattan spaziere, lernen sollte, meine Ohren in der Weise der Seehunde durch Muskelkraft zu verschließen. Denkbar, dass mir bald Lamellen feinster Haut gewachsen sein werden, Innenohrsegel, deren Bewegung ich verfügen könnte, wie ich die Bewegung meiner Hände vorhersagen kann. — Menschliche Stimmen im Vorübergehen in den Farben sanfter Traumgespräche. Der Schlaf der Augen in der Subway, die Wildheit zufälliger Blicke. — stop
Aus der Wörtersammlung: manhattan
linie d – nordwestwärts
echo : 15. 02 — Von Brooklyn nach Manhattan Subwayfahrt, eine alte Dame vis–à–vis. Seit einer halben Stunde reisen wir so dahin, ich schreibe, sie scheint zu schlafen. Ein kariertes Hüttchen trägt sie auf dem Kopf und einen Seidenschal um einen grazilen Hals gewickelt. Ihr dunkelhäutiges Gesicht, zart gefaltet. Von Zeit zu Zeit öffnet sie für eine oder zwei Sekunden eines ihrer Augen und berührt mich mit einem festen Blick. Ich würde gerne wissen, ob sie mich wirklich sieht. Gleich werden wir die 33. Straße erreichen. Ich stelle mir vor, wie die alte Frau weiterfahren wird, um kurz darauf erneut eines ihrer Augen zu öffnen. Ich werde dann nicht mehr da sein, ein anderer Mensch wird an meiner Stelle sitzen, vielleicht wird auch dieser Mensch bald eingeschlafen sein, und gerade in dem Moment, da die alte Dame ihr Auge öffnet, eine ebensolches, wachsames Auge geöffnet haben. — stop
penn station
marimba : 23.
12 — Pennstation am späten Abend. Namen, Leuchtstoffe, Zielorte, die auf Tafeln klappernd von Zeile zu Zeile fallen. Montauk. stop. Babylon. stop. Syrakus. stop. Kerookee. stop. Muschelnde Geräusche, Wörter, Sätze fortbewegend, Dos Passos, sagen wir, Manhattan Transfer, Edition für Tiefseetaucher. stop. 700 selbstleuchtende Seiten a 1200 Gramm. stop. Funkblätterung. stop. 1 x 0.5 Meter Kantenlänge. stop. Himmel, was für ein großes, schweres Buch. stop. Schwebend. stop. 550 Fuß Tiefe. — stop
manhattanwelle
marimba : 22.16 — Dampfende Stadt. Dampf aus dem Boden, Dampf von den Wolken, Bäume dampfen, Menschen unter ihren Schirmen, selbst Eichhörnchen des Central Parks dampfen kleine Wolken aus dem Mund. Wie ich so gehe von Harlem aus nach Süden, von jedem Ticketschalter her eine schwarze Stimme von Jazz. Das ratternde Geräusch der Subway, rhythmisch, ihr warmer, öliger Atem, der dem Spazierenden unter den Regenschirm fährt. — Ein Mann zur Mittagsstunde nahe Madison Square Park mitten auf dem Broadway im tosenden Verkehr. Er trägt einen feinen, dunklen Anzug, aber grobe, staubige Schuhe. Immer wieder beugt er sich zur Straße hin, versenkt einen Zollstock in den Asphalt, telefoniert, die Arme, als sei ihm kalt, eng an den Körper gepresst. Der Mann scheint wütend zu sein. Er geht ein paar Schritte südwärts, vermisst ein weiteres Loch, Rauch steigt von dort, ein flatternder Faden. Als ob sich der Mann vergessen haben würde, nun zunächst in die Hocke, dann kniet er nieder, späht in den Schlund. — stop
=
india : 16.23 — n a s e n r a c h e n
juli 14
romeo : 22.38 — Stunde um Stunde auf Fährschiffen zwischen Staten Island und der südlichen Spitze Manhattans hin und her. Ein schaukelnder Ort. Ein Ort, der im Moment meiner ersten Begegnung schon vertraut gewesen war, als ob ich vor langer Zeit geboren wurde auf einer der brummenden Bänke, ein früher Blick, Schatten riesiger Möwen hinter Scheiben, auf welchen Salzkristalle funkelten, der Klang der Nebelhörner, und wieder oder immer noch seither dieser rote Ball, den die Bewegung des Meeres über das untere Deck der Fähre spielt. Heiß und stickig, der Tag meiner Notiz, auch über der Upper Bay ruhte bewegungslos die Luft, bereit zu sinken. Lungerte mit Reiseschreibmaschine auf den Knien hechelnd, Luvseite, herum und wartete. — stop
avenue of the americas
~ : louis
to : daisy und violet hilton
subject : AVENUE OF THE AMERICAS
Ich muss Euch nicht erzählen, wo ich mich gerade befinde, liebe Violet, liebe Daisy, ich höre Euere Stimmen, hör, wie Ihr scherzt, was macht er nun schon wieder, warum ist er eingeschlafen, das muss ein betäubendes Buch gewesen sein. Jetzt also bin ich wach geworden. Ich notiere diese Sätze in dem Wissen, dass Ihr lesen werdet, Zeichen für Zeichen, wie in diesem Augenblick erscheint, was ich schreibe. Das Notieren ist so etwas wie das Sichtbarmachen des Denkens, nicht wahr, so könnten wir das vielleicht sagen. > …
… > Spazierte in Euerer Angelegenheit, wie versprochen, durch Manhattan. Ich hatte meinen kleinen Fotoapparat in der Hand, stand mitten auf der Avenue of the Americas, um das neue Hippodrom-Gebäude abzulichten. Auch das wisst Ihr natürlich, wie wir dann Richtung Bryant Park spazierten, unser Gespräch über geheime Tentakeln der Bäume, die den Lärm der Stadt aus der Luft zu fangen scheinen. Und mein Begehren, gewiss, ein Eichhörnchen zu fangen, das warme Licht des hupenden Abends, meine Überlegung, wie ich Euch eines Tages einmal persönlich begegnen könnte, und mein Versprechen, ein weiteres Euerer Jugendbilder zu senden. Was Euch nicht bekannt sein wird, weil ich’s nur dachte, ich hatte in all den gemeinsamen Stunden eine verwegene Frage in meinem neugierigen Kopf. Nun, es ist kurz nach Mitternacht, werde ich diese Frage für Euch buchstabieren, unsicher ein wenig, was geschehen wird, ob ich Euch nicht zu Nahe komme, sodass Ihr aus meinen Augen verschwinden werdet. Gebt gut acht! Es ist nämlich so, dass ich mich frage, wie auch immer die Räume beschaffen sind, die für Euch ausgedacht, ob Ihr dort Oben für die Ewigkeit noch immer leiblich miteinander verwachsen seid? – Euer Louis, sehr herzlich, wünscht eine gute Nacht!
gesendet am
18.05.2010
0.05 MESZ
1775 zeichen
manhattan
engelgeschichte für geraldine
delta : 0.03 — Vor langer Zeit habe ich eine kleine Geschichte geschrieben, die von Engeln erzählt. Ich kann nicht genau sagen warum, ich habe diese Geschichte bereits zweimal aus dem Licht der Öffentlichkeit zurückgezogen, sie aber nie gelöscht. Als ich gestern nun über die Kindheit eines Mädchens nachdachte, das in einer vornehmen Gegend Manhattans aufgewachsen ist, fiel mir die Geschichte wieder ein und ich habe nach ihr gesucht. Ich werde sie jetzt für Geraldine an dieser Stelle endgültig notieren. Liebe Geraldine, wo auch immer Du sein magst, diese folgende Geschichte gehört Dir. Hör zu: Einmal, immer nur einmal im Jahr, kommen die Engel der Stadt New York in einer Kirche zur großen Versammlung geflogen. Die steinernen Engel kommen von den Friedhöfen her, die hölzernen Engel aus den Gartenlauben, kostbare Porzellanengel öffnen ihre Vitrinen und segeln über den Hudson durch die kühle Abendluft. Auch von den Tapeten steigen Engel auf, verlassen ihre Postkartenzimmer, Bücher und Zeilen, in welchen sie vermerkt worden sind Zeichen für Zeichen. Sie steigen aus den Träumen der Kinder, der Mütter, der Väter, wie Menschen aus Straßenbahnen steigen sie aus. Sobald sie Luft unter ihren Schwingen fühlen, werfen sie ihre Goldstaubmäntel von den Schultern, springen aus Badewannen, stark schon unterm Wasser geschmolzen, löschen das Licht, das auf ihren Köpfen flackert, umflattern noch einmal kurz die Häupter der steinernen Marien, auf deren Händen sie um ein weiteres Jahr gealtert sind. Es ist kaum richtig Nacht geworden, da kann man es in den Kellern schon ächzen hören, wenn sie sich mit vereinten Kräften gegen die schweren Deckel der Truhen stemmen, in denen sie aufgehoben sind von Fest zu Fest. Man muss sich, sofern man ein Mensch ist, nur im Dezember in Manhattan, Queens oder Brooklyn am richtigen Tag zur richtigen Stunde vor einen Engel setzen. Sobald es dunkel geworden ist, setzt man sich hin und wartet. Man wartet nicht lange, man wartet eine Stunde oder zwei und plötzlich ist der Engel fortgeflogen. Nach Süden ist er geflogen, oder nach Norden, auf kürzestem Weg vorbei an bebenden Vögeln zur größten Kirche der Stadt. Dort nimmt der Engel unter Engeln Platz. Überall sitzen sie inzwischen bis unter die Gewölbe, auf der Kanzel, den Betstühlen, den heiligen Figuren, auch auf den Mosaiken des Bodens, den Chören, dem Altar, den Verstrebungen der Kreuze, den Knochenfiguren, ja, auf Christus selbst haben sie Platz genommen. Sie sind alle sehr leicht. Im Grunde wiegen sie nichts. Sie sind von der Schwere eines Wunsches und sprechen in einer von keinem Forscher erschlossenen Sprache. Fröhliche Engelgestalten, jawohl. Sie lachen, das Lachen der Engel, wie tolle Fledermäuse lachen sie, so hell. Dann, kurz nach Mitternacht ist’s geworden, kommt einer der drei großen Engel, immer kommt nur einer von ihnen und immer kommt er zu spät, wurde aufgehalten im Auftrag befindlich, einmal ist es Gabriel, dann Raphael, dann Michael. Sehr langsam, ein Künstler des Fliegens, schwebt er herein, nimmt Platz auf den Stufen, schlägt die Beine übereinander und leuchtet. Ruhig sieht er unter die Versammlung, während er seine gewaltigen Schwingen hinter dem Rücken faltet. Jetzt werden die kleinen Engel andächtig und still. Vereinzelt kommt noch ein vergesslicher Kundschafter durchs Kirchenschiff gerast, da und dort trudelt ein betrunkenes Federwesen von höherer Stelle. Ist dann alles schön geordnet, erhebt der Erzengel seine Stimme. Es ist ein Singen, ein wunderbarer Altsopran, eine unerhört schöne Sprache. Er sagt: Guten Abend, Engel.
dorothy parker
india : 23.12 — Ein seltsamer Traum. Als ich erwachte, stolperte ich unverzüglich zum Schreibtisch und notierte: Mit Dorothy Parker spaziert. Manchmal frage ich mich, wie meine Träume entstehen, wie ich dazu komme, mir Geschichten zu erzählen, die von kosmischer Ferne sind, obwohl ich doch selbst in ihnen enthalten bin. Vor dem Hotel im Traum, 37. Straße West, wartete eine uralte, strahlend schöne Frau, die nach meinem rechten Arm verlangte, ohne ein Wort zu sprechen, eine geschmeidige, eine unwiderstehlich reizende Geste, und schon waren wir auf dem Weg dem Süden zu. Winterzeit, die Straßen dampften. Schweigend gingen wir nebeneinander her. Die alte Frau trug einen schweren, dunklen Pelzmantel, feine Lederhandschuhe von weißer Farbe und einen roten Hut, auf den ich herabsehen konnte, weil die Gestalt an meiner Seite sehr zierlich gewesen war. Ich kann mich nicht erinnern, wer nun wen durch Manhattan führte, jedenfalls passierten wir den Broadway, die Bowery, die Brooklyn Bridge. Wir mussten lange Zeit unterwegs gewesen sein, weil Mrs. Dorothy Parker, die sich selbst im Traum nicht zu erkennen gab, sehr, sehr langsam ging. Einmal hob ich sie hoch und trug sie eine Weile und sie schlief in meinen Armen ein. Dann erreichten wir den Prospect Park, eine Gegend, die mir bekannt zu sein schien. Da war eine Kreuzung. Und da war Harvey Keitel, der fotografierte. Er kam auf mich zu und betrachtete das Gesicht der alten Frau und lächelte und erkundigte sich, ob ich denn wüsste, wen ich da in den Armen halten würde. — Und jetzt ist wieder Nacht geworden und ich habe gute, sehr gute Laune und funkende Lust traumwärts weiterzuerzählen. Wie nur komme ich über den Atlantik hinweg genau an den Ort meiner kleinen Schlafgeschichte zurück?