Aus der Wörtersammlung: winter

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valletta

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MELDUNG. Zwei­hun­dert­fünf­zig jun­ge Schwarz­kopf­gei­er aus Mara­dah [ nörd­li­ches Afri­ka ] haben sich von 15.00 – 17.00 Uhr MEZ bei Le Sam­buc [ Cam­ar­gue ] an Win­ter­fla­min­gos und wil­den Pfer­den ver­gan­gen. Man kreist zur Zeit nacht­wärts über Val­let­ta und Gäs­ten. — stop
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handschuhbäume

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alpha : 6.45 — Im Waren­haus ent­de­cke ich Prei­se, unter ande­rem den Preis von 1.99 für ein Paar Hand­schu­he, gestrickt. Das fünf­te Jahr in Fol­ge ist es gekom­men, dass die Prei­se für Hand­schu­he fal­len. Sie schei­nen inzwi­schen auf Bäu­men zu wach­sen wie Bana­nen. Auch Bana­nen wer­den immer bil­li­ger. An den Hand­schuh­spit­zen, dort wo man einen Zei­ge­fin­ger hin­ein­ste­cken kann, ent­kom­men dem Gewe­be Fäden. An die­ser Stel­le, so neh­me ich an, waren sie mit ihrem Baum ver­bun­den, hier wur­den sie getrennt vom Wind, der Schwer­kraft oder von Men­schen, die kaum etwas ver­die­nen, nur gera­de so viel, dass sie nicht ver­hun­gern oder ver­durs­ten, weil man sie noch gebrau­chen könn­te in den nächs­ten Jah­ren, geüb­te, gedul­di­ge Frau­en und Män­ner. Ver­mut­lich sind Hand­schuh­bäu­me ganz­jäh­rig blü­hen­de Wesen, irgend­wo ist immer Win­ter. Außer­dem las­sen sich Hand­schu­he gut auf­be­wah­ren, sie ver­der­ben nicht so schnell, man muss sie nicht ein­mal küh­len, nur gefrä­ßi­ge Tie­re ver­trei­ben. Das alles, dass Hand­schu­he von den Bäu­men kom­men, scheint noch sehr geheim zu sein. Ich habe vor weni­gen Minu­ten ver­sucht mit­tels der Such­ma­schi­ne Goog­le her­aus­zu­fin­den, wo Bäu­me, wie ich sie mir vor­stell­te, wach­sen und wo man sie ihrer Früch­te beraubt. –stop

polaroidstrand5

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schneebiene

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tan­go : 6.45 — In Tages­licht aus nächs­ter Nähe beob­ach­tet, han­delt es sich bei jener Maschi­ne, die ges­tern Abend bei leich­tem Schnee­fall noch auf der 5th Ave­nue süd­wärts durch die Luft reis­te, um eine Bie­ne, die auch bei Nacht flie­gen kann, weil ihre Augen so künst­lich sind wie ihr gesam­ter Flug­ap­pa­rat, ihre Wir­bel­säu­le, ihre Bei­ne, ihre Füh­ler, alles das ist von äußerst leich­tem Metall gewirkt, 528 Schräub­chen hal­ten das kom­pli­zier­te Wesen zusam­men, das nie­mals grö­ßer sein wird als ein wirk­li­ches, ein aus orga­ni­schen Ein­zel­tei­len her­ge­stell­tes Insekt. Genau genom­men ist die­se Bie­ne ein sehr klei­ner Hub­schrau­ber, wen­dig, lei­se, ein Heli­ko­pter, der sich im Kos­tüm einer Bie­ne befin­det, ein spä­hen­des Sub­jekt, eine Droh­ne, die man viel­leicht ein­mal bewaff­nen könn­te, um sie ein­zu­set­zen für gute oder weni­ger gute Zwe­cke. Ges­tern Abend beob­ach­te­te ich nun mit höchs­tem Inter­es­se, wie man der klei­nen Maschi­ne kurz vor ihrem Start ein wei­te­res Gewand über­streif­te, das an einen hel­len Pelz erin­ner­te, sodass ich lachen muss­te, weil ich für einen Moment glaub­te, man habe die äuße­re Beschaf­fen­heit einer Bie­ne mit der Idee eines Eis­bä­ren gekreuzt. Kaum aus dem Fens­ter des Erfin­ders geflo­gen, war die weiß gefie­der­te Bie­ne schon im dich­ten Schnee­trei­ben ver­schwun­den. Nun konn­ten wir glück­lich durch die Augen der Unsicht­ba­ren die Win­ter­welt betrach­ten, wir sahen uns selbst in einer Ver­fol­gung und wir begeg­ne­ten Men­schen, rie­sen­haf­ten Gesich­tern, die feucht waren, Regen­schir­men, dem Licht der Fuß­gän­ger­am­peln und Dampf­wol­ken, die aus dem Boden paff­ten, als wären sie der Atem unsicht­ba­rer, unter dem Asphalt ver­bor­ge­ner Rie­sen. stop. Däm­me­rung. stop Es ist Frei­tag. — Guten Mor­gen!  — stop

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hurricane

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char­lie

~ : louis
to : dai­sy und vio­let hilton
sub­ject : HURRICANE

Es wird Win­ter, nicht wahr, lie­be Dai­sy, lie­be Vio­let, es wird Win­ter. Habe Pull­over, Män­tel, Hand­schu­he, Hüte, Schals auf mein Bett gebrei­tet, alles ist jetzt geprüft, ich bin gerüs­tet. Nicht viel ist zu erzäh­len zur Zeit, viel­leicht, dass ich ges­tern am spä­ten Abend die Lek­tü­re eines Romans von Ray Lori­ga auf­ge­nom­men habe, der von der Erfin­dung Man­hat­tans han­deln soll, ein ange­nehm leicht­fü­ßig erzähl­ter Text. Wäh­rend ich las, erin­ner­te ich mich an ein Gespräch, das ich mit einem Matro­sen der Sta­ten Island Fäh­ren noch im Janu­ar führ­te. Er berich­te­te, wie er mit einem der Schif­fe, es war die Andrew J. Bar­be­ri gewe­sen, den Hud­son auf­wärts fuhr, um das Schiff vor dem Hur­ri­kan Ire­ne in Sicher­heit zu brin­gen. Es sei eine unheim­li­che Rei­se gewe­sen, Not­be­leuch­tung an Bord, Möwen waren mit strom­auf­wärts gefah­ren, unbe­wegt saßen sie auf den Hand­läu­fen der Reling, hun­der­te Vögel, als hät­ten sie das Flie­gen ver­lernt. Ein Lot­se, nicht der Kapi­tän, führ­te Kom­man­do über das Schiff. Er selbst habe sich zum ers­ten Mal in sei­nem Leben land­ein­wärts von der Küs­te fort­be­wegt. Ich erin­ne­re mich gern an die­sen klei­nen Mann, der in Brook­lyn groß gewor­den war. Manch­mal trug er eine blin­ken­de Kopf­be­de­ckung, die den Strah­len­rin­gen der Frei­heits­sta­tue nach­emp­fun­den wor­den war. Heu­te, an die­sem Abend, wird er viel­leicht wie­der unter­wegs sein, mit sei­nem Schiff den Hud­son auf­wärts, es geht nun um San­dy, und es geht um Barack Oba­ma. Ich fra­ge mich, lie­be Dai­sy, lie­be Vio­let, wen, wenn ihr noch in heim­li­chen Wahl­re­gis­tern ver­zeich­net sein soll­tet, wür­det Ihr wäh­len? Euer Lou­is, sehr herz­lich, wünscht eine gute Nacht!

ps. Mr. Sal­ter hat sei­ne Dro­hung wahr gemacht. Im Hof, ver­packt in meh­re­re Kis­ten, war­tet das Eisen­bahn­ab­teil eines Pull­man­wa­gens dar­auf aus­ge­packt, und in mei­ner Woh­nung mon­tiert zu wer­den. Es ist angeb­lich mög­lich, dass ich mich in das Abteil setz­ten und dort arbei­ten könn­te. Land­schaf­ten, die ich frei wäh­len kann, sol­len an Fens­tern vor­über­zie­hen. Stim­men sind zu hören, das ist sicher, Stim­men aus Nach­bar­ab­tei­len, die nicht exis­tie­ren. Und die Bewe­gung eines wirk­li­chen Zuges unter mei­nen Hän­den. — stop

gesen­det am
28.10.2012
5.16 MEZ
2145 zeichen

lou­is to dai­sy and violet »

MELDUNGEN / ENDE

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rom : umberto ecco

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alpha : 22.57 — Der Mann hin­ter dem Tre­sen ist ein freund­li­cher Mann, unra­siert, akku­rat gebü­gel­tes wei­ßes Hemd, ein hüb­sches, jun­ges Gesicht, das an den Wän­den auf zahl­rei­chen Foto­gra­fien wie­der­zu­fin­den ist, ver­mut­lich des­halb, weil man sich mit ihm zei­gen woll­te, abge­lich­tet sein, sagen wir, berühm­te Men­schen und ein­fa­che Men­schen, die ich nicht aus­ein­an­der­hal­ten kann, weil ich die berühm­ten Men­schen der Stadt Rom nicht ken­ne. Sie lächeln an der Sei­te des jun­gen Man­nes ste­hend, man­che schei­nen viel­leicht betrun­ken zu sein. Aber einen der foto­gra­fier­ten Män­ner habe ich schon ein­mal gese­hen, es han­delt sich bei die­sem Herrn um Umber­to Eco. Der Schrift­stel­ler zeigt sei­ne Zäh­ne, er lacht in die Kame­ra. Umber­to Eco scheint an die­sem Abend, der einem Stem­pel­auf­druck zufol­ge drei Jah­re zurück­liegt, her­vor­ra­gend gelaunt gewe­sen zu sein. Viel­leicht hat­te er gera­de einen die­ser herr­li­chen Espres­sos getrun­ken, wie ich an die­sem Mor­gen. Es war ver­mut­lich Win­ter gewe­sen, Umber­to Ecco trägt einen Hut und einen Man­tel mit einem Pelz­kra­gen. Oder es war Som­mer und Umber­to Ecco hat­te sich in der Jah­res­zeit ver­tan. Wie­der ist es sehr warm heu­te. Eine Ambu­lanz rast an der weit geöff­ne­ten Tür des Cafés vor­bei, man kann das Geräusch der Sire­nen der Not den gan­zen Tag über ver­neh­men. Aber nachts ist es still in die­ser Stadt, Rom ist eine Stadt, die schläft wie die Men­schen, die sie bewoh­nen. Es riecht nach war­mem Schin­ken in die­sem Moment. Auf dem Bild­schirm mei­nes Foto­ap­pa­ra­tes sind Säu­len zu sehen und Durch­leuch­tungs­ma­schi­nen und Hun­der­te lee­re Plas­tik­fla­schen, Sub­stan­zen, die man nicht mit in die gro­ße, kal­te Kir­che am Peters­platz neh­men darf, sie könn­ten explo­die­ren. Ich hebe den Foto­ap­pa­rat leicht an und foto­gra­fie­re Umber­to Eco, sodass er jetzt zwei­fach im Pelz­kra­gen exis­tiert. Wenn ich mir nicht vor­ge­nom­men hät­te, das Pan­the­on zu besu­chen, ich wür­de gern war­ten, Tage, Wochen, um nach­zu­se­hen, ob Umber­to Eco zurück­kom­men wird. Ich habe bemerkt, dass mei­ne Ohren knis­tern, wenn ich Kaf­fee trin­ke in Rom. — stop
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winterfliegen

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char­lie : 6.37 — Regen fällt. So viel Regen fällt, dass die Nacht­luft hell wird vom Was­ser. Viel­leicht war es die­se Hel­le, die mich an die Fra­ge nach der Exis­tenz der Win­ter­flie­gen erin­ner­te. Vor eini­gen Tagen hat­te ich mich auf die Suche nach die­ser Spe­zi­es bege­ben. Nicht in der wirk­li­chen, aber in der Welt der Zah­len, wel­che Zei­chen, Bil­der, Fil­me in Licht­ge­schwin­dig­keit durch den Raum trans­por­tie­ren. Ich such­te nach Win­ter­flie­gen vor­nehm­lich in den Maga­zi­nen digi­ta­ler Biblio­the­ken, aber ich habe kei­ne Flie­gen­sor­te gefun­den, die mei­nen Vor­stel­lun­gen einer pola­ren Flie­gen­gat­tung ent­spro­chen haben wür­de, denn die Art der Win­ter­flie­gen soll­te in eisi­ger Umge­bung exis­tie­ren, in Höh­len, stel­le ich mir vor, die sie mit ihren Flie­gen­fü­ßen höchst­per­sön­lich in den Schnee gegra­ben haben. Viel­leicht sind sie von Natur aus eher küh­le Wesen, oder aber sie tra­gen einen Pelz, ein Fell, wie das der Eis­bä­ren, wei­che, wei­ße Män­tel von Haut und Haar, die ihre äußerst lang­sam schla­gen­den Her­zen schüt­zen. Die­se Flie­gen wer­den ein­hun­dert Jah­re oder älter, sie könn­ten sich von feins­ten Stäu­ben ernäh­ren, vom Plank­ton der Luft, das aus wind­ge­beug­ten Wäl­dern ange­flo­gen kommt, Moo­se, Bir­ken­pol­len, Kot­sand von nor­di­schen Füch­sen. Ich stel­le mir vor, dass die­se Flie­gen so weiß sind, dass man sie nicht sehen wird, wenn sie über den Schnee spa­zie­ren. Man wird mei­nen, der Schnee bewe­ge sich selbst oder es wäre der Wind, der den Schnee bewegt, aber statt­des­sen sind es die Flie­gen, die nicht grö­ßer sind als jene Flie­gen, die nacht­wärts in mei­ner Küche im Som­mer aus einem Apfel stei­gen. — stop
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abschnitt neufundland

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Abschnitt Neu­fund­land mel­det fol­gen­de gegen Küs­te gewor­fe­ne Arte­fak­te : Wrack­tei­le [ See­fahrt – 1001, Luft­fahrt — 755, Auto­mo­bi­le — 40231], Gruß­bot­schaf­ten in Glas­be­häl­tern [ 18. Jahr­hun­dert — 6, 19. Jahr­hun­dert – 321, 20. Jahr­hun­dert – 886 , 21. Jahr­hun­dert — 77 ], phy­si­cal memo­ries [ bespielt — 386, gelöscht : 6 ], Win­ter­flie­gen LH77 [ Ske­lett­tei­le : 5 ], Öle [ 0.3 Ton­nen ], Pro­the­sen [ Herz — Rhyth­mus­be­schleu­ni­ger – 8, Knie­ge­len­ke – 32, Hüft­ku­geln – 22, Bril­len – 761 ], Schu­he [ Grö­ßen 28 – 39 : 175, Grö­ßen 38 — 45 : 2351 ], Kühl­schrän­ke [ 57 ], Tief­see­tauch­an­zü­ge [ ohne Tau­cher – 3, mit Tau­cher – 18 ], Engels­zun­gen [ 5 ] | stop |

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eiszimmer

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sier­ra : 6.52 — Vor eini­gen Tagen habe ich einen beson­de­ren Kühl­schrank in Emp­fang genom­men, einen Behäl­ter von enor­mer Grö­ße. Ich kann mit Fug und Recht behaup­ten, dass die­ser Kühl­schrank, in wel­chem ich pla­ne im Som­mer wie auch im Win­ter kost­ba­re Eis­bü­cher zu stu­die­ren, eigent­lich ein Zim­mer für sich dar­stellt, ein gekühl­tes Zim­mer, das wie­der­um in einem höl­zer­nen Zim­mer sitzt, das sich selbst in einem grö­ße­ren Stadt­haus befin­det. Nicht dass ich in der Lage wäre, in mei­nem Kühl­schrank­zim­mer auf und ab zu gehen, aber es ist groß genug, um einen Stuhl in ihm unter­zu­brin­gen und eine Lam­pe und ein klei­nes Regal, in dem ich je zwei oder drei mei­ner Eis­bü­cher aus­stel­len wer­de. Dort, in nächs­ter Nähe zu Stuhl und Regal, habe ich einen wei­te­ren klei­ne­ren, äußerst kal­ten, einen gut iso­lier­ten Kühl­schrank auf­ge­stellt, einen Kühl­schrank im Kühl­schrank sozu­sa­gen, der von einem Not­strom­ag­gre­gat mit Ener­gie ver­sorgt wer­den könn­te, damit ich in den Momen­ten eines Strom­aus­fal­les aus­rei­chend Zeit haben wür­de, jedes ein­zel­ne mei­ner Eis­bü­cher in Sicher­heit zu brin­gen. Es ist näm­lich eine uner­träg­li­che Vor­stel­lung, jene Vor­stel­lung war­mer Luft, wie sie mei­ne Bücher berührt, wie sie nach und nach vor mei­nen Augen zu schmel­zen begin­nen, all die zar­ten Sei­ten von Eis, ihre Zei­chen, ihre Geschich­ten. Seit ich den­ken kann, woll­te ich Eis­bü­cher besit­zen, Eis­bü­cher lesen, schim­mern­de, küh­le, uralte Bücher, die knis­tern, sobald sie aus ihrem Schnee­schu­ber glei­ten. Wie man sie für Sekun­den lie­be­voll betrach­tet, ihre pola­re Dich­te bewun­dert, wie man sie dreht und wen­det, wie man einen scheu­en Blick auf die Tex­tu­ren ihrer Gas­zei­chen wirft. Bald sitzt man in einer U‑Bahn, den lei­se sum­men­den Eis­buch­rei­se­kof­fer auf dem Schoß, man sieht sich um, man bemerkt die begeis­ter­ten Bli­cke der Fahr­gäs­te, wie sie flüs­tern: Seht, dort ist einer, der ein Eis­buch besitzt! Schaut, die­ser glück­li­che Mensch, gleich wird er lesen in sei­nem Buch. Was dort wohl hin­ein­ge­schrie­ben sein mag? Man soll­te sich fürch­ten, man wird sei­nen Eis­buch­rei­se­kof­fer viel­leicht etwas fes­ter umar­men und man wird mit einem wil­den, mit einem ent­schlos­se­nen Blick, ein gie­ri­ges Auge nach dem ande­ren gegen den Boden zwin­gen, solan­ge man noch nicht ange­kom­men ist in den fros­ti­gen Zim­mern und Hal­len der Eis­ma­ga­zi­ne, wo man sich auf Eis­stüh­len vor Eis­ti­sche set­zen kann. Hier end­lich ist Zeit, unter dem Pelz wird nicht gefro­ren, hier sitzt man mit wei­te­ren Eis­buch­be­sit­zern ver­traut. Man erzählt sich die neu­es­ten ark­ti­schen Tief­see­eis­ge­schich­ten, auch jene ver­lo­re­nen Geschich­ten, die aus purer Unacht­sam­keit im Lau­fe eines Tages, einer Woche zu Was­ser gewor­den sind: Haben sie schon gehört? Nein! Haben sie nicht? Und doch ist kei­ne Zeit für alle die­se Din­ge. Es ist immer die ers­te Sei­te, die zu öff­nen, man fürch­tet, sie könn­te zer­bre­chen. Aber dann kommt man schnell vor­an. Man liest von uner­hör­ten Gestal­ten, und könn­te doch nie­mals sagen, von wem nur die­se fei­ne Luft­eis­schrift erfun­den wor­den ist. — stop
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lichtpilze

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alpha : 6.55 — Noch nie habe ich aus der Sicht eines Tau­chers oder eines Fisches fal­len­den Schnee wahr­ge­nom­men. Ich stel­le mir vor, dass eine Schnee­flo­cke wie ein urplötz­lich aus dem Nichts kom­men­der Licht­pilz erschei­nen könn­te, ein Wesen, das in genau dem Moment, da ich es wahr­neh­men kann, bereits wie­der ver­schwun­den sein wird. Muss auf Win­ter war­ten. — stop

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ein beamter unterirdischer musikabspielgeräte

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nord­pol : 0.25 — Als der Beam­te, der für das Fried­hofs­we­sen zustän­dig ist, win­kend eine Wie­se über­quer­te, stand ich mit einem Gärt­ner unter einer blatt­lo­sen Ulme. Der Mann rauch­te einen Ziga­ril­lo. Spä­ter Nach­mit­tag. Flü­gel­tie­re, gold­far­be­ne Gespens­ter, flat­ter­ten in der Luft her­um. Ich hat­te gera­de die Fra­ge gestellt, ob der Baum, unter dem wir war­te­ten, noch am Leben sei, als uns der Beam­te erreich­te. Er war etwas außer Atem und lach­te, weil ich ein altes Eisen­kreuz in mei­nen Hän­den dreh­te. Er sag­te sofort, dass die­ses Kreuz an Ort und Stel­le denk­bar sei. Das kön­nen sie hier auf­stel­len! Also waren wir sehr zufrie­den alle, wir hat­ten in gemein­sa­mer Gegen­wart kaum drei­fach geat­met und schon konn­ten wir wie­der aus­ein­an­der­ge­hen, wenn da nicht jener Baum gewe­sen wäre ohne Blät­ter, wes­we­gen wir über das Wet­ter zu spre­chen began­nen, über Win­ter­ta­ge, die kei­ne mehr sind. Und über Som­mer­zei­ten, die den Herbst­zei­ten von Jahr zu Jahr ähn­li­cher zu wer­den schei­nen. Ein Eich­hörn­chen toll­te über ein Grab in unse­rer Nähe, grub sich in die Erde, Stei­ne flo­gen durch die Luft. Viel­leicht weil sich das klei­ne Tier sicht­bar in die Tie­fe vor­an arbei­te­te, hat­te ich die Idee, mei­ne Vor­stel­lung unter­ir­di­scher Musik vor­zu­tra­gen, die ich vor Mona­ten bereits ein­mal notier­te. Und so erzähl­te ich, wie ich geschrie­ben hat­te, dass näm­lich auf mei­ner letz­ten Ruhe­stät­te ein­mal ein Wind­rad ste­hen könn­te. Das Rad wür­de, in dem es sich dreh­te, Strom erzeu­gen. Mit­tels eines Kabels wür­de die­ser Strom zu einer Bat­te­rie unter die Erde geführt. Sobald nun durch kräf­ti­ge Win­de aus­rei­chen­de Men­gen von Strom gesam­melt sein wer­den, wür­de sich ein Musikab­spiel­ge­rät in Bewe­gung set­zen, um etwas Char­lie Par­ker oder Ben­ny Good­man zu spie­len. Eine rei­zen­de Vor­stel­lung, sag­te ich, eine Über­le­gung, die mich seit dem ver­gan­ge­nen April täg­lich beglei­tet. Und wie nun der Fried­hofs­gärt­ner anfing zu lachen, ein Lachen, das wärm­te, und wie aus dem Beam­ten der klei­nen Stadt, ein Beam­ter für unter­ir­di­sche Musik zu wer­den begann. — stop



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