Aus der Wörtersammlung: blatt

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miranda

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india : 5.45 — Bei leich­tem Regen ges­tern im Park einen älte­ren Herrn beob­ach­tet. Er arbei­te­te an einem Buch, das ich zunächst nicht bemerk­te, weil der Herr auf einer Bank saß im Schat­ten eines Regen­schir­mes. Als ich neben ihm Platz genom­men hat­te, konn­te ich erken­nen, wie der Mann tat­säch­lich Zei­chen in einem Buch notier­te, das nicht grö­ßer gewe­sen war als eine Streich­holz­schach­tel. Neben ihm lag ein wei­te­res Buch, Phil­ip Roths Roman Ever­y­man. Der Mann schien das eine Buch hand­schrift­lich in das ande­re Buch zu über­tra­gen. Er notier­te mit einem Blei­stift, den er nach jedem geschrie­be­nen Zei­chen spitz­te. Rot­kehl­chen hüpf­ten zu sei­nen Füßen her­um, pick­ten das leich­te, hauch­dün­ne Holz, das aus der Spitz­ma­schi­ne fiel, vom Boden und tru­gen es fort ins nahe Unter­holz. Ein Ver­grö­ße­rungs­glas, eine Lupe, klemm­te im lin­ken Auge des Herrn, des­halb ver­mut­lich mach­te er den Ein­druck, Schmer­zen zu haben. Manch­mal biss er sich auf die Zun­ge. Wenn ich mich nicht irre, dann hat­te der Mann bereits etwa 100 Sei­ten des Roma­nes trans­fe­riert. Ich sah ihm bald eine Stun­de zu, ohne ein Wort mit ihm zu wech­seln. Fried­lichs­te Stim­mung. Auf dem See drau­ßen hüpf­ten Karp­fen aus dem Was­ser, schwe­re Kör­per. Ein paar Amei­sen trie­ben auf einem Blatt an uns vor­bei. Ich hät­te mich ger­ne unter­hal­ten, weil mir in den ver­gan­ge­nen Tagen unheim­lich zumu­te gewe­sen ist, wäh­rend ich Fern­seh­bil­der aus der Stadt Bos­ton beob­ach­te­te. Der alte, schrei­ben­de Mann aber war so ver­tieft in sei­ne Arbeit, dass er mei­ne Gegen­wart schnell ver­ges­sen zu haben schien. Ich stell­te mir vor, dass er in die­ser Arbeit gefan­gen oder gebor­gen, viel­leicht über­haupt nicht wahr­ge­nom­men hat­te, was in Bos­ton gesche­hen war. Viel­leicht wuss­te er nicht ein­mal vom Krieg in Syri­en oder von der Ent­de­ckung des Higgs-Teil­chens. Als es dun­kel wur­de, setz­te sich der alte Mann eine Stirn­lam­pe auf den Kopf. Für einen Moment leuch­te­te er mir ins Gesicht, um sofort in sei­ner Arbeit fort­zu­fah­ren. — stop

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eine libelle

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hima­la­ya : 6.51 — Im Colum­bus Park sit­zen Män­ner im Kreis um einen Stein und spie­len mit Kar­ten, die ich noch nie zuvor gese­hen habe. Vom East River her, der nah ist, das Gespräch der Schif­fe. In den blatt­lo­sen Bäu­men kau­ern kal­te Vögel, äußerst lang­sam öff­nen und schlie­ßen sie ihre Augen, Häut­chen, hell wie von Milch. Ich bin auf dem Weg, Mr. Fefei in sei­ner Werk­statt Pell Street 8 zu besu­chen. Tra­ge die Uhr mei­nes Vaters in der rech­ten Hosen­ta­sche, hal­te sie fest, hal­te sie fest. In der Werk­statt ist es dun­kel. Eine alte Frau, tief gebückt, führt mich durch den schma­len Raum. Vor­sich­tig, sehr vor­sich­tig, als wür­de sie nie wie­der vom Boden kom­men, wenn sie ein­mal stür­zen soll­te, geht sie durch die sti­cki­ge Luft dahin. Ein Lun­gen­hum­mer kreuzt schep­pernd unse­ren Weg. Mr. Fefei sitzt hin­ter einer Werk­bank im Roll­stuhl, einem uralten Ding mit Rädern, die so groß sind wie der alte Mann selbst. Ich wer­de eine Vier­tel­stun­de in sei­ner Nähe ver­brin­gen, ich wer­de ihm erzäh­len von der Uhr mei­nes Vaters, dass sie nicht ste­hen geblie­ben ist, seit er starb, dass ich mir wünsch­te, sie wür­de nie­mals ste­hen blei­ben, die Zeit mei­nes Vaters. Wie, Mr. Fefei, wer­de ich fra­gen, könn­te es mög­lich sein, die Bat­te­rien der Uhr zu wech­seln, ohne sie anhal­ten zu müs­sen? Ich wer­de sehen, wie die zier­li­che Hand des alten Man­nes über den Tisch wan­dert, um nach der Uhr zu grei­fen, wie er die Uhr wie­gen und wie er sie betrach­ten wird, von allen Sei­ten her, wie er ein Hör­rohr an das Gehäu­se legen, wie er nicken, wie er lachen wird. Sei­ne Frau wird mir einen Tee ser­vie­ren, einen grü­nen Tee, einen sehr grü­nen damp­fen­den Tee, den ich sicher nicht ver­tra­gen und doch trin­ken wer­de, wäh­rend sich Mr. Fefei wie­der mit sei­ner Libel­le beschäf­tigt. Vor­sich­tig nähert er sich dem Gesicht des wil­den Tie­res, das zu einem zit­tern­den Röhr­chen gefes­selt vor ihm liegt, mit einer Pin­zet­te. Alles das wird gleich gesche­hen, in weni­gen Minu­ten ist wie­der Abend gewor­den. Alte Män­ner sit­zen im Kreis um einen Stein und spie­len Kar­ten, die ich noch nie gese­hen habe. Vom East River her, der nah ist, höre ich das Gespräch der Schif­fe. In den blatt­lo­sen Bäu­men kau­ern kal­te Vögel, äußerst lang­sam öff­nen und schlie­ßen sie ihre Augen, Häut­chen, hell wie von Milch. — stop

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eine funkuhr

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sier­ra : 7.01 — Weni­ge Stun­den nach­dem mein Vater im April des ver­gan­ge­nen Jah­res gestor­ben war, über­reich­te mir mei­ne Mut­ter eine Uhr. Sie sag­te, ich, der ältes­te Sohn der Fami­lie, sol­le sie tra­gen. Viel­leicht mein­te sie, ich sol­le die Uhr mei­nes Vaters bewah­ren und damit die Zeit mei­nes Vaters behü­ten. Ja, genau so könn­te das gewe­sen sein, denn die klei­nen und die gro­ßen Uhren der Men­schen, die gestor­ben sind, blei­ben nicht sofort ste­hen, auch die Uhr mei­nes Vaters, die ich in die­sem Moment an mei­nem lin­ken Unter­arm tra­ge, zeigt uner­müd­lich wei­ter die vor­rü­cken­de Zeit. Sie knis­tert, wenn ich sie an mein Ohr lege. Das Geräusch ist so lei­se, dass ich nicht sagen kann, ob das Werk der Uhr knis­tert oder mein Ohr in der Begeg­nung mit dem küh­len Gehäu­se. Vie­le Tage und Wochen lang habe ich die Uhr mei­nes Vaters nicht getra­gen, sie ruh­te auf mei­nem Schreib­tisch. Manch­mal, indem ich sie beob­ach­te­te, hat­te ich den Ein­druck, sie war­te. Immer wie­der ein­mal hob ich sie in die Luft, um die genaue, die wirk­li­che Zeit ange­zeigt zu bekom­men. Bei der Uhr mei­nes Vaters han­delt es sich näm­lich um eine Funk­uhr, die zu jeder Zeit auf die Sekun­de genau die all­ge­mein­gül­ti­ge Zeit anzu­zei­gen ver­mag. Ihr Zif­fer­blatt ist über­sicht­lich gestal­tet, ein gro­ßer Kreis für Halb­ta­ges­zeit und klei­ner Kreis in der unte­ren Hälf­te, in dem der Sekun­den­zei­ger sich um Minu­ten­zeit fort­be­wegt. Die­se Uhr und ihre drei Zei­ger ist nun mei­ne Uhr. Am ver­gan­ge­nen Sonn­tag setz­te ich mich mit ihr auf mein Sofa. Es war kurz vor zwei Uhr zur Nacht­zeit. Um genau zwei Uhr beschleu­nig­te der Minu­ten­zei­ger wie von Geis­ter­hand, dreh­te sich schnell ein­mal im Kreis her­um, dann war Som­mer gewor­den, ein selt­sa­mer Moment, weil ich für einen Augen­blick den Ein­druck hat­te, mein Vater selbst beweg­te den Zei­ger der Uhr, die sei­ne letz­te gewe­sen ist, weil er auf mich und mei­ne Zeit ach­tet. — Ges­tern habe ich mir einen Hut gekauft. — stop

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eleonore

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del­ta : 2.42 — Von Eleo­no­re weiß ich nichts, außer, dass sie über win­zi­ge Hän­de ver­fügt. Das ist nicht viel, nein, nicht viel, viel­leicht soll­te ich erwäh­nen, dass sie die Luft sehr lan­ge Zeit anzu­hal­ten ver­mag. Ich habe vor Kur­zem noch mit ihr das Luft­an­hal­ten geübt, wie saßen vor­ein­an­der und lach­ten, dann sag­te sie: Jetzt, und schloss ihren Mund. Auch ich schloss mei­nen Mund, ich mach­te einen Strich aus ihm in mei­nem Gesicht. Es war natür­lich Ehren­sa­che, dass in der Zeit unse­res Wett­kamp­fes weder von ihr noch von mir durch die Nase geat­met wur­de. Zunächst übten wir eine Minu­te, dann zwei, bis dahin hat­ten wir uns nur gewärmt oder ent­spannt, um sehr bald 2 Minu­ten und drei­ßig Sekun­den lang die Luft anzu­hal­ten, was mir bereits Schmer­zen berei­te­te, ich muss­te mich kon­zen­trie­ren, wäh­rend Eleo­no­re mich völ­lig ent­spannt betrach­te­te. In der Dis­zi­plin eines Atem­still­stan­des von drei Minu­ten und drei­ßig Sekun­den senk­te sie ihre Augen, nicht weil sie kämp­fen muss­te, son­dern weil sie mei­ne Hän­de beob­ach­te­te, die ein wenig zit­ter­ten, ich hat­te sie zu Fäus­ten geballt, ein Zei­chen, dass ich bald auf­ge­ben wür­de, wie man mir spä­ter erzähl­te. Das war nach mei­ner zwei­ten Ohn­macht gewe­sen, ich wur­de näm­lich schläf­rig nach 3 Minu­ten und 45 Sekun­den, sowie nach einer Übung von über 4 Minu­ten. Hier ende­te unser gemein­sa­mes Trai­ning, weil Eleo­no­re nicht wei­ter­ma­chen woll­te, da ich kein ernst­zu­neh­men­der Geg­ner für sie war. Statt­des­sen durf­te ich ihr zuse­hen, wie sie ver­such­te, in ihrer Lieb­lings­dis­zi­plin, der Lang­zeit­stre­cke von über sechs Minu­ten, eine schwie­ri­ge Rechen­auf­ga­be zu lösen. Sie notier­te ein Ergeb­nis, eine grö­ße­re Zahl, auf ein Blatt Papier in der ach­ten Minu­te, und sank dann laut­los in ihrem Stuhl in sich zusam­men, wo sie in die­ser Minu­te noch immer sitzt und fest zu schla­fen scheint. Mehr­fach habe ich ver­sucht, sie zu wecken, indem ich ihren Namen rief. Mit jedem mei­ner Rufe wuchs die Furcht, sie zu berüh­ren. Es ist jetzt eine hal­be Stun­de ver­gan­gen, drau­ßen vor dem Fens­ter summt eine kal­te Nacht. Nein, nein, ich bin nicht wirk­lich beun­ru­higt, denn ich mei­ne zu erken­nen, dass sich Eleo­no­res Brüs­te heben und sen­ken. Auch ihre Hän­de schei­nen sich leicht zu bewe­gen. Sie sind tat­säch­lich außer­or­dent­lich klein, es sind die Hän­de eines Mäd­chens an den Armen einer erwach­se­nen Frau, und sie sind weiß, ich erin­ne­re mich, sie waren schon immer sehr weiß gewe­sen. — stop

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luftholen

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tan­go : 3.55 — Aus guten Grün­den wie­der einen Selbst­ver­such im Atmen oder Nicht­at­men unter­nom­men. Ich saß zur Vor­sicht auf mei­nem Sofa, in der lin­ken Hand eine Uhr mit Sekun­den­zei­ger, in der rech­ten Hand ein Blei­stift, mit wel­chem ich Stri­che auf ein Blatt Papier zeich­ne­te, je einen Strich für 60 Sekun­den Zeit, ohne Atem geholt zu haben. Von 2 Uhr bis 2 Uhr 30 habe ich mir nun die Berech­ti­gung für 16 Strich­zei­chen die­ser Bedeu­tung erar­bei­tet. Dem­zu­fol­ge habe ich inner­halb eines Zeit­rau­mes von 30 Minu­ten 16 Minu­ten nicht geat­met, also von Luft­re­ser­ven gelebt. Fol­gen­de Erfah­rung: Zu Beginn jeder Atem­pau­se konn­te ich den­ken, was ich woll­te. Aber bereits nach 30 Sekun­den wil­lent­li­chen Atem­still­stan­des wur­de aus der Wei­te ein Fla­schen­hals. — Das Wort Luft­ho­len ist ein fas­zi­nie­ren­des Geräusch. — stop
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MELDUNG : ameisengesellschaft ln — 788

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MELDUNG. Amei­sen­ge­sell­schaft LN – 788 [ lasi­us niger ] : Posi­ti­on 48°21’N 07°01’O : Fol­gen­de Objek­te wur­den von 14.00 – 15.55 Uhr MESZ über das nord­west­li­che Wen­del­por­tal ins Waren­haus ein­ge­führt : sie­ben­und­zwan­zig tro­cke­ne Flie­gen­tor­si mitt­le­rer Grö­ße [ je ohne Kopf ], sech­zehn Baum­stäm­me [ à 5 Gramm ], vier Rau­pen in Grün, zwei­hun­dert­zwölf Rau­pen in Oran­ge, zwei Insek­ten­flü­gel [ ver­mut­lich die eines Zwerg­kopf­nacht­fal­ters ], fünf Streich­holz­köp­fe [ à 2 Gramm ], vier Flie­gen der Gat­tung Cal­li­pho­ri­dae in vol­lem Saft, son­nen­ge­trock­ne­te Rosen­blät­ter [ ca. 20 Gramm ], ein­hun­dert-vier­und­vier­zig Schne­cken­häu­ser [ je ohne Schne­cke ], acht gelähm­te Schne­cken [ je ohne Haus ], 5328 Amei­sen anlie­gen­der Staa­ten [ betäubt oder tran­chiert ], sechs Rüs­sel­kä­fer [ blau­tür­ki­se ], die Aas­ku­gel eines Pil­len­dre­hers, wenig spä­ter der Pil­len­dre­her selbst, eine Wild­bie­ne, sieb­zehn Frag­men­te eines Blat­tes [ Ili­as / Homer ] 7.5 Gramm. – stop

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mikobeli

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alpha : 0.22 — Die Ent­de­ckung des Wor­tes mik­obe­li ereig­ne­te sich am 20. Dezem­ber des Jah­res 2007. Ich mach­te das so: Zunächst schloss ich die Augen. Dann ver­such­te ich laut­hals Wör­ter aus­zu­spre­chen, die ich nie zuvor hör­te. Eine nicht ganz ein­fa­che Auf­ga­be. Kurz dar­auf notier­te ich das Wort mik­obe­li auf ein Blatt Papier und prüf­te, ob das Wort in den Ver­zeich­nis­sen der Goo­gle­ma­schi­ne bereits ent­hal­ten sein könn­te. Das war nicht der Fall, ich war zufrie­den. Eini­ge Zeit, zwei oder drei Wochen lang, ver­such­te ich wei­te­re unbe­kann­te und zugleich wohl­klin­gen­de Wör­ter zu ent­de­cken, dann hör­te ich damit auf. Heu­te, Diens­tag, 4. Sep­tem­ber 2012, um kurz nach 17 Uhr MESZ, wur­de mir das Wort mik­obe­li wie­der in Erin­ne­rung geru­fen, in dem ich bemerk­te, dass nahe Tibli­si (Geor­gi­en) nach genau die­sem erfun­de­nen Wort in den Goo­g­le­ver­zeich­nis­sen gesucht wor­den war. Und weil nun das Wort mik­obe­li in mei­nem digi­ta­len Schat­ten zu fin­den war, durf­te ich für weni­ge Minu­ten einen Besu­cher aus dem Kau­ka­sus auf mei­ner Par­tic­les – Sei­te ver­zeich­nen. Erstaun­lich ist, dass das Wort mik­obe­li von mei­ner Ana­ly­se­ma­schi­ne mit­tels geor­gi­scher Schrift­zei­chen wie­der­ge­ge­ben wird, fein und weich und voll­stän­dig fremd. Irgend­ein Mensch, stell­te ich mir vor, könn­te in der­sel­ben Art und Wei­se wie ich das Wort mik­obe­li erfun­den haben und hat­te kurz dar­auf nach Spu­ren sei­ner Exis­tenz im Inter­net gesucht. Eine auf­re­gen­de Geschich­te, die sich tat­säch­lich genau­so ereig­ne­te. Bit­te mel­den! — stop

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ein beamter unterirdischer musikabspielgeräte

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nord­pol : 0.25 — Als der Beam­te, der für das Fried­hofs­we­sen zustän­dig ist, win­kend eine Wie­se über­quer­te, stand ich mit einem Gärt­ner unter einer blatt­lo­sen Ulme. Der Mann rauch­te einen Ziga­ril­lo. Spä­ter Nach­mit­tag. Flü­gel­tie­re, gold­far­be­ne Gespens­ter, flat­ter­ten in der Luft her­um. Ich hat­te gera­de die Fra­ge gestellt, ob der Baum, unter dem wir war­te­ten, noch am Leben sei, als uns der Beam­te erreich­te. Er war etwas außer Atem und lach­te, weil ich ein altes Eisen­kreuz in mei­nen Hän­den dreh­te. Er sag­te sofort, dass die­ses Kreuz an Ort und Stel­le denk­bar sei. Das kön­nen sie hier auf­stel­len! Also waren wir sehr zufrie­den alle, wir hat­ten in gemein­sa­mer Gegen­wart kaum drei­fach geat­met und schon konn­ten wir wie­der aus­ein­an­der­ge­hen, wenn da nicht jener Baum gewe­sen wäre ohne Blät­ter, wes­we­gen wir über das Wet­ter zu spre­chen began­nen, über Win­ter­ta­ge, die kei­ne mehr sind. Und über Som­mer­zei­ten, die den Herbst­zei­ten von Jahr zu Jahr ähn­li­cher zu wer­den schei­nen. Ein Eich­hörn­chen toll­te über ein Grab in unse­rer Nähe, grub sich in die Erde, Stei­ne flo­gen durch die Luft. Viel­leicht weil sich das klei­ne Tier sicht­bar in die Tie­fe vor­an arbei­te­te, hat­te ich die Idee, mei­ne Vor­stel­lung unter­ir­di­scher Musik vor­zu­tra­gen, die ich vor Mona­ten bereits ein­mal notier­te. Und so erzähl­te ich, wie ich geschrie­ben hat­te, dass näm­lich auf mei­ner letz­ten Ruhe­stät­te ein­mal ein Wind­rad ste­hen könn­te. Das Rad wür­de, in dem es sich dreh­te, Strom erzeu­gen. Mit­tels eines Kabels wür­de die­ser Strom zu einer Bat­te­rie unter die Erde geführt. Sobald nun durch kräf­ti­ge Win­de aus­rei­chen­de Men­gen von Strom gesam­melt sein wer­den, wür­de sich ein Musikab­spiel­ge­rät in Bewe­gung set­zen, um etwas Char­lie Par­ker oder Ben­ny Good­man zu spie­len. Eine rei­zen­de Vor­stel­lung, sag­te ich, eine Über­le­gung, die mich seit dem ver­gan­ge­nen April täg­lich beglei­tet. Und wie nun der Fried­hofs­gärt­ner anfing zu lachen, ein Lachen, das wärm­te, und wie aus dem Beam­ten der klei­nen Stadt, ein Beam­ter für unter­ir­di­sche Musik zu wer­den begann. — stop

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von den glücksgeräuschen der froschvögel

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ulys­ses : 4.18 — Frü­her Mor­gen. Wind­stil­le. Licht noch schwach. Die Luft ist kühl gewor­den über die Nacht. Vor dem Teich im Gar­ten die Spu­ren mei­ner Füße im Gras. Am Ufer des klei­nen Sees ruht ein Molch, äußerst lang­sam geht sein Herz­schlag, da muss doch ein Geräusch zu hören sein. Ich erin­ne­re mich, ges­tern wur­de die Ent­de­ckung eines neu­en Teil­chens im Atom bekannt gege­ben. Das Teil­chen trägt den Namen: Xi_b^0. Hät­te ich von sei­ner Ent­de­ckung nicht gele­sen, wäre ich in der Beob­ach­tung mei­ner Hand, die auf mei­nem Knie ruht, nicht so auf­merk­sam wie an die­sem frü­hen Mor­gen. Ich fra­ge mich, wie vie­le Teil­chen der Bezeich­nung Xi_b^0 sich in mei­ner halb­schla­fen­den Hand wohl befin­den mögen, wie alt sie sind und woher sie viel­leicht gekom­men waren. Es ist still am Mor­gen heu­te. Die Amseln schla­fen noch. Ein Was­ser­läu­fer über­quert den Teich. In die­sem Moment bemer­ke ich ein bal­lon­ar­ti­ges Wesen, das hoch über mir am Him­mel schwebt. Es nähert sich lang­sam, in dem es tie­fer kommt. Das Wesen ist hell, es ist weiß, es ver­fügt über Flü­gel, die sich sehr schnell bewe­gen, Füh­ler­au­gen, wie die Augen der Lun­gen­schne­cken, es ist ein Vogel. Der Vogel scheint den See unter ihm auf­merk­sam zu betrach­ten. Jetzt öff­net sich sein Bauch an erd­na­her Stel­le, ein Mund spitzt sei­ne fahl­ro­sa Lip­pen, Beu­tel fal­len her­aus aus die­sem Mund, sie schla­gen hohe Wel­len im Teich. Der Molch ver­schwin­det im Gras, Was­ser­läu­fer, die bewe­gungs­los an See­ro­sen­blatt­spit­zen däm­mer­ten, flit­zen auf und davon. Jene Beu­tel­chen, das kann ich von mei­ner Posi­ti­on aus gut erken­nen, die aus dem Vogel her­aus­ge­fal­len sind, haben sich geöff­net, Kaul­quap­pen, tau­sen­de, schwär­men nach allen Rich­tun­gen aus. Noch immer schwebt der Vogel über mir über dem See über der Wie­se. Ein fas­zi­nie­ren­des Geräusch ist von sei­nem Kör­per her zu ver­neh­men, ein Hupen, das Trom­pe­ten­ge­räusch eines Zwerg­ele­fan­ten. Es ist nun denk­bar, dass ich als ers­ter Mensch die Glücks­ge­räu­sche der Frosch­vö­gel wahr­ge­nom­men habe. — stop

für mei­ne Mutter,
für mei­nen Vater

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