Aus der Wörtersammlung: erzählung

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schirme

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oli­mam­bo : 7.08 — Träu­me schei­nen sich zu ver­hal­ten wie Fall­schir­me kurz nach einer Lan­dung. Für einen Moment zei­gen sie sich noch in ihrer vol­len Pracht, dann sin­ken sie in sich zusam­men, wer­den weni­ger und weni­ger, bis sie fast ganz unsicht­bar gewor­den sind. – stop

ping

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zitronengelb

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char­lie : 7.08 — Über mei­nen Groß­va­ter, den ich nie per­sön­lich ken­nen­ge­lernt habe, ist mir nicht sehr viel bekannt. Er soll ein warm­her­zi­ger Mensch gewe­sen sein, der als Beam­ter der Stadt Mün­chen in ein klei­nes Büro­zim­mer ver­setzt wor­den war, das im Win­ter nicht beheizt wer­den konn­te. Mein Groß­va­ter woll­te nicht in die Par­tei ein­tre­ten, des­halb muss­te er frie­ren, des­halb war er sehr oft krank gewe­sen. Die Fami­lie, mei­ne Mut­ter war ein Mäd­chen von damals fünf oder sechs Jah­ren, bewohn­te eine klei­ne Woh­nung in einem nörd­li­chen Stadt­teil. Sie waren dort zu fünft, die Eltern und ihre drei Töch­ter. In der Küche der Woh­nung im zwei­ten Stock war Par­kett­fuss­bo­den ver­legt, kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit für die­se Zeit. Wenn Bom­ben ins Mün­che­ner Zen­trum fie­len, zit­ter­te in Moos­ach der Boden und die Höl­zer des Par­ketts hüpf­ten wie Frö­sche her­um. Vor einem Spie­gel steht mein Groß­va­ter. Er rasiert sich mit zit­tern­den Hän­den. Er hat Zucker und kein Insu­lin. Er ist immer sehr durs­tig und spricht vom Durch­hal­ten wegen der Ren­te. Vor allem ist sein Gesicht so gelb wie eine Zitro­ne. Die­se Vor­stel­lung habe ich einer Erzäh­lung mei­ner Mut­ter unlängst ent­nom­men, die ich hör­te, als wir über den Nord­fried­hof gin­gen, um das Grab der Groß­mutter und des Groß­va­ters zu besu­chen. Bald wird das Grab ver­schwun­den sein, aber die Kno­chen blei­ben im Boden zurück. Zum Zeit­punkt unse­res Besu­ches war alles anwe­send, wie frü­her noch, als ich selbst, ein Kind, an Sonn­ta­gen vor das Efeu­grab getre­ten war. Ein­mal stand ich dort in blau­en San­da­len. Auf dem Grab­stein spa­zier­te eine Schne­cke. Sie leg­te eine Blei­stift­stre­cke zurück, dann blieb sie sit­zen und schlief in der war­men Herbst­son­ne ein. — stop
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unterm maulbeerbaum

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del­ta : 18.12 — Hele­na erzählt, sie habe einen Text notiert, 258 Sei­ten, in dem von einem jun­gen Mann die Rede sein soll, der sich unter einen Maul­beer­baum setz­te, um sei­nen Puls­schlag zu zäh­len. Wie er nun gegen sei­ne Müdig­keit kämpft, gegen das auf­rei­zen­de Gefühl der Amei­sen­bei­ne, wel­che unter sei­nen Hosen­bei­nen spa­zie­ren, auch gegen Durst- und Hun­ger­ge­füh­le, wie lan­ge Zeit kann man so sit­zen und zäh­len, nicht lan­ge. Es war noch nicht ein­mal dun­kel gewor­den, als der jun­ge Mann auf­stand und ver­schwand. Da war nun also ein Maul­beer­baum gewe­sen irgend­wo im Süden, ein paar Vögel außer­dem, Hasen, Füch­se, Eidech­sen, Spin­nen, Käfer und eine Erzäh­le­rin, die dar­auf war­te­te, dass der jun­ge Mann wie­der kom­men und sei­ne Pul­se wei­ter­zäh­len wür­de. Wie sie in ihrem Kopf Stun­den, Tage, Wochen lang den Baum beob­ach­te­te, wie sie sich indes­sen ein­mal erin­ner­te an einen Freund, der ver­rückt gewor­den sein soll, weil er nicht damit auf­hö­ren konn­te, Zei­tungs­pa­pie­re mit­tels Sche­ren zu zer­le­gen. Er sam­mel­te Bewei­se für dies und das! Ber­ge von Zei­tun­gen soll er in sei­ner Lei­den­schaft für Beweis­si­che­rung zer­legt haben, auch unter­wegs konn­te er nicht damit auf­hö­ren, ein Selt­sa­mer, der nur des­halb in Zug­ab­tei­len sicht­bar wur­de, weil die Papie­re, die Zei­tun­gen selbst damals, als er leb­te, noch sicht­bar gewe­sen waren. Heut­zu­ta­ge darf man, sagt Hele­na, in unsicht­ba­rer Wei­se ver­rückt wer­den, fast alle sind wir schon längst ver­rückt, haben auf Com­pu­tern Tex­te gesam­melt, die wir nie­mals lesen wer­den, weil das Leben nicht reicht, auch nicht für Bewei­se. In ihrer Geschich­te im Übri­gen will sie eine wei­te­re Erzäh­lung ver­steckt haben, jedes ein­zel­ne Wort der Geschich­te, auch gan­ze Sät­ze. Um wel­che Erzäh­lung es sich prä­zi­se han­delt, möch­te sie nicht ver­ra­ten. Die Erzäh­lung soll von einer berühm­ten Schrift­stel­le­rin erfun­den wor­den sein, eine wun­der­ba­re Minia­tur. Sie war­tet noch immer. — stop

polaroidbondid

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am karibasee

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alpha : 20.22 — Nadi­ne Gor­di­mer erzähl­te vor weni­gen Tagen in einem Fern­seh­ge­spräch, man habe vor lan­ger Zeit ihren Roman Burger’s Daugh­ter auf gehei­men Wegen zu Nel­son Man­de­la ins Gefäng­nis geschmug­gelt. Auf den sel­ben gehei­men Wegen sei ihr kurz dar­auf ein per­sön­li­cher Brief Nel­son Man­de­las über­mit­telt wor­den, zeit­le­bens ein kost­ba­res Doku­ment. Ich hör­te Nadi­ne Gor­di­mers hel­le Stim­me zum ers­ten Mal. Wäh­rend ich lausch­te und ihr anmu­ti­ges Gesicht betrach­te­te, erin­ner­te ich mich an den ers­ten Moment, da ich vor Jah­ren die Lek­tü­re einer ihrer Erzäh­lun­gen auf­ge­nom­men hat­te, Some­thing out The­re. Ich folg­te damals nach weni­gen Sät­zen dem Wunsch, in der digi­ta­len Sphä­re eine Foto­gra­fie des Kari­ba­sees zu suchen, weil Nadi­ne Gor­di­mer vom künst­li­chen Gewäs­ser in der Savan­nen­land­schaft erzähl­te, von Ele­fan­ten gleich­wohl, die sich in sei­ne Flu­ten stürz­ten, um uralten Wan­der­rou­ten zu fol­gen. — Was hat­ten die ertrin­ken­den Tie­re dort unter dem Was­ser­spie­gel gese­hen? — Wovon hat­ten sie gehört in ihrer letz­ten Lebens­se­kun­de? — Ich las von der Tie­fe des Sees, von Fischen, die in ihm leben sol­len, von der Luft­feuch­tig­keit und vom Gewicht der Ele­fan­ten­kör­per, von der Bio­dich­te ihrer Kör­per und von Kul­tu­ren in See­nä­he sie­deln­der Men­schen. Und wäh­rend ich so vor mich hin stu­dier­te, von Sei­te zu Sei­te, von Link zu Link, ver­ging eine Stun­de Zeit. Plötz­lich erin­ner­te ich mich an das Buch, das ich neben mir abge­legt hat­te, und setz­te mei­ne Lek­tü­re fort. — Heu­te ist Nadi­ne Gor­di­mer gestor­ben. — stop 

ping

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von stäbchen von rädchen

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del­ta : 6.12 — Im Traum hat­te ich an einer Appa­ra­tur gear­bei­tet, mit deren Hil­fe ich bald in der Lage sein wer­de, hand­schrift­li­che Noti­zen der­art zu ver­klei­nern, dass ich Papie­re von der Grö­ße einer Brief­mar­ke beschrei­ben könn­te, sagen wir, eine Erzäh­lung von 85 Sei­ten a 1800 Zei­chen auf einer Luft­post­mar­ke Finn­lands zu 80 Cent. Ich könn­te in die­ser Arbeit der Ver­klei­ne­rung oder Ver­dich­tung auf eine Lupe ver­zich­ten, wür­de auf übli­chen Papie­ren notie­ren, wäh­rend mit­tels mecha­ni­scher Über­tra­gung, fast geräusch­los von hun­der­ten Stäb­chen zu hun­der­ten Räd­chen, Zei­chen für Zei­chen in mikro­sko­pi­sche Dimen­sio­nen tran­skri­biert wer­den wür­de. Eine Biblio­thek könn­te in weni­gen Jah­ren mit mir in einem Brief­mar­ken­al­bum rei­sen, eine Biblio­thek, deren Mikro­gramm­bü­cher selbst­ver­ständ­lich nicht les­bar wären, ohne sie unter ein Mikro­skop zu legen, eine Biblio­thek jedoch, die mich glück­lich stim­men wür­de, ich wüss­te, dass sie exis­tiert und mit ihr die Mög­lich­keit des Lesens all der ver­steck­ten Geschich­ten, die im Moment des erin­nern­den Gedan­kens, schon wie­der so groß gewor­den sind, wie sie immer waren. — stop
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gallipoli : melissano : ugento

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marim­ba : 2.10 — Lino­sa erzähl­te mir eine Geschich­te, von der ich nicht sagen kann, ob sie sich tat­säch­lich so ereig­ne­te wie behaup­tet, oder ob die Geschich­te rein erfun­den sein könn­te. Seit eini­gen Mona­ten erhal­te er näm­lich täg­lich einen Luft­post­brief aus Ita­li­en. In dem Brief sei jeweils ein beid­sei­tig bedruck­tes Blatt Papier ent­hal­ten, Text in eng­li­scher Spra­che, num­me­riert, fei­ne, prä­zi­se for­mu­lier­te Sät­ze. Er habe, so berich­te­te Lino­sa, eini­ge die­ser Sät­ze in die Mas­ke einer Such­ma­schi­ne ein­ge­ge­ben, wes­halb ihm nun bekannt sei, dass es sich wohl um ein zer­leg­tes Buch han­deln könn­te, das man ihm schi­cken wür­de, um Her­man Mel­vil­les Erzäh­lung Bart­le­by. Das sei für sich genom­men schon eine selt­sa­me Ange­le­gen­heit, noch merk­wür­di­ger kom­me ihm aber vor, dass dem Schrei­ben bis­her kei­ne Erklä­rung, Begrün­dung oder auch nur ein Gruß bei­gefügt wor­den sei. Manch­mal kön­ne er mit Hil­fe des pos­ta­li­schen Stem­pels ent­zif­fern, in wel­cher Stadt der Brief Tage zuvor auf­ge­ge­ben wur­de. Städ­te mit wun­der­vol­len Namen, Gal­li­po­li, Melis­s­a­no, Ugen­to, Lec­ce, Brin­di­si, sei­en dar­un­ter. Wäh­rend er sich in den ers­ten Tagen noch gewun­dert, ja sogar ein wenig gefürch­tet habe, wür­de er sich inzwi­schen dar­über freu­en, nach­mit­tags aus dem 12. Stock sei­nes Miets­hau­ses zum Brief­kas­ten hin abzu­stei­gen, um den Brief ent­neh­men, öff­nen und wie­der im Auf­stieg befind­lich lesen zu kön­nen. 34 Brie­fe habe er bis­lang erhal­ten, 16 wei­te­re Brie­fe soll­ten noch fol­gen, sofern der unbe­kann­te Absen­der in logi­scher Wei­se fort­set­zen wür­de. Der letz­te Brief, der ges­tern aus Fasa­no kom­mend, bei Mr. Lino­sa ein­ge­trof­fen war, soll eine beson­de­re Brief­mar­ke auf sei­ner Anschrif­ten­sei­te getra­gen haben, acht Ren­tie­re, die in einen ver­schnei­ten Him­mel flie­gen. Die­se Brief­mar­ke leuch­te nachts in der Küche im Dun­keln, wo sie nun auf dem Sta­pel zuvor ein­ge­trof­fe­ner Brie­fe solan­ge sicht­bar ruhen wer­den, bis wie­der Nach­mit­tag gewor­den sein wird. — stop

ping

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tian’anmen

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nord­pol : 2.21 — Ich erin­ne­re mich an ein Gespräch vor fünf Jah­ren mit Din. Ihre lei­se sin­gen­de Stim­me. Sie sei, als die Pan­zer kamen, in eine Sei­ten­stras­se geflüch­tet. Wie sie ihre Augen schloss, wie sie sag­te, sie habe kei­ne Men­schen mehr gese­hen nach kur­zer Zeit, eini­ge Freun­de nur, die sich an Häu­ser­wän­de drück­ten. Die Hand ihrer gro­ßen Schwes­ter. Die Druck­luft, die auf ihrem klei­nen Kör­per beb­te. Aber Men­schen­stil­le. Wie sie nach Wör­tern such­te, nach Wör­tern in deut­scher Spra­che, die geeig­net gewe­sen wären, zu beschrei­ben, was sie in dem Moment, da ich auf die Fort­set­zung ihrer Erzäh­lung war­te­te, hör­te in ihrem Kopf. Das fei­ne, selt­sa­me Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie am Aus­druck mei­ner Augen bemerkt, dass ich wahr­ge­nom­men haben könn­te, dass die Bil­der, die ich wuss­te, tat­säch­lich gesche­hen waren, das Mas­sa­ker auf dem gro­ßen Platz, stol­pern­de Men­schen, Men­schen auf Bah­ren, zer­malm­te Fahr­rä­der, der Mann mit Ein­kaufs­tü­ten in sei­nen Hän­den auf der Para­de­stra­ße vor einem Pan­zer ste­hend. Dann die Flucht ins häus­li­che Leben zurück wie in ein Ver­steck, das stum­me Ver­schwin­den jun­ger Leben für immer. -Du soll­test mit Stäb­chen essen, sag­te Din, das machst Du so, schau! — stop

ping

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time

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sier­ra : 0.52 — Vor weni­gen Tagen habe ich eine klei­ne digi­ta­le Maschi­ne gekauft. Die­se Maschi­ne ver­mag die Zeit zu mes­sen, wel­che ich in der einen oder ande­ren Auf­ga­be befind­lich ver­brin­ge. Sie sum­miert sozu­sa­gen Sekun­den, Minu­ten, Stun­den heim­lich für mich, damit ich, sobald Abend gewor­den ist, nach­se­hen kann, wo ich mich über­all wäh­rend des Tages arbei­tend auf­ge­hal­ten habe. Nun ist etwas Selt­sa­mes zu bemer­ken, dass ich näm­lich Auf­ga­ben erfin­de, indem ich ver­trau­te Auf­ga­ben in klei­ne­re Auf­ga­ben­seg­men­te zer­le­ge, sodass sie wie neue Auf­ga­ben vor mei­nen Augen oder den Augen der Maschi­ne erschei­nen. Die Auf­ga­be der Kor­re­spon­denz bei­spiels­wei­se, lässt sich in E‑Mail‑, Papier­brief- und tele­fo­ni­sche Kor­re­spon­denz zer­glie­dern. Ganz neu ist außer­dem, dass ich der Maschi­ne Anwei­sung erteil­te, Lese­zei­ten zu notie­ren, wie lan­ge Zeit ich in den Erzäh­lun­gen John Updi­kes ver­brach­te. Oder der Vor­gang nächt­li­cher Fle­der­maus­be­ob­ach­tung. Auch die Betrach­tung der Maschi­ne selbst wird von der Maschi­ne wahr­ge­nom­men und auf­ge­zeich­net. — Schluss jetzt. Es ist Frei­tag. Bei­na­he Schnee­fall. Guten Mor­gen. — stop

polaroidelefanten

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terminal nachts

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tan­go : 2.28 — Ges­tern beob­ach­te­te ich einen Mann, wie er in einem Buch las. Er saß nahe eines Cafés im Flug­ha­fen­ter­mi­nal 1 auf sei­nem Kof­fer, lehn­te mit dem Rücken an einer Wand, bei­de Füße fest auf dem Boden. Außer­dem trug er einen breit­krem­pi­gen Hut von brau­ner Far­be auf dem Kopf und ein blau­es Hemd, wel­ches der­art leuch­te­te, dass mei­ne Augen bald schmerz­ten. Aber im Grun­de war ich auf den Mann nicht wegen sei­ner äuße­ren Erschei­nung auf­merk­sam gewor­den, es war die Metho­de wie er die Erzäh­lung The Pri­ce of Salt von Patri­cia High­s­mith stu­dier­te. Ehe er näm­lich eine neue Sei­te des Buches zu lesen begann, riss er die­se nächs­te zu lesen­de Sei­te aus dem Kör­per des Buches her­aus, führ­te sie nahe an sei­ne Augen her­an, las, dreh­te die Sei­te her­um, las wei­ter, um kurz dar­auf die gele­se­ne Sei­te in die Tasche sei­nes Jacketts zu stop­fen. Das Jackett beul­te sich bereits auf bei­den Sei­ten deut­lich, weil das Buch bereits bis zur Hälf­te gele­sen wor­den war. Genau genom­men zer­leg­te der Mann das Buch, das er las, in sei­ne papie­re­nen Ein­zel­tei­le, das Buch ver­schwand sozu­sa­gen unter sei­nen Hän­den, das waren übri­gens sehr klei­ne Hän­de, die Hän­de eines Kin­des. Natür­lich kann ich an die­ser Stel­le kei­ne Aus­sa­ge dar­über machen, ob der Mann mit jedem der Bücher sei­nes Lebens so gehan­delt hat­te. Wann war es gewe­sen, als er die ers­te Sei­te aus einem Buch ent­nahm? Und war­um? Ich woll­te den Mann fra­gen, aber irgend­et­was hin­der­te mich dar­an, zu ihm zu gehen. Um kurz nach zwei Uhr stand ich auf und ging nach Hau­se. — stop

ping

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fenster süd

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echo : 2.28 — Fünf Mari­en­kä­fer sit­zen auf einem Rol­lo, das das Süd­fens­ter mei­ner Woh­nung von innen her ver­dun­kelt. Sie sind sehr klein, unge­fähr so groß wie der Glas­kopf einer Steck­na­del. Noch nie habe ich der­art klei­ne Käfer gese­hen. Ver­mut­lich sind sie hier in mei­ner Woh­nung ent­stan­den, ken­nen von der Welt nichts als mei­ne Zim­mer, Die­le, Bad und Küche. Ich glau­be, es ist noch nicht viel Zeit ver­gan­gen, seit sie geschlüpft sind, ein oder zwei Tage viel­leicht. Wenn ich mich mit einer Lupe nähe­re, gehen sie etwas in die Knie, legen den Pan­zer auf Grund, und war­ten ab, dass sich das gro­ße Auge, das sie betrach­tet, wie­der zurück­zieht. Eine Wei­le las in einer Erzäh­lung von Juli­an Bar­nes her­um, ruh­te auf dem Sofa. Von dort aus konn­te ich, obwohl sie wirk­lich sehr klein waren, die Kör­per der Käfer auf dem gro­ßen Weiß erken­nen. Zunächst dach­te ich, sie beweg­ten sich nicht. Wenn ich mich aber län­ge­re Zeit auf die Sät­ze des Buches kon­zen­trier­te, waren ihre Kör­per doch wei­ter­ge­rückt, sobald ich zum Fens­ter blick­te. Ich dach­te, dass sie sich viel­leicht nur dann beweg­ten, wenn ich sie nicht betrach­te­te, dass sie also ihrer­seits mich beob­ach­te­ten. Wahr­schein­li­cher ist, dass mein Gehirn ihre lang­sa­me Art und Wei­se der Bewe­gung nicht zu erfas­sen ver­mag, weil sein Nah­zeit­spei­cher äus­serst flüch­tig zu sein scheint. Ein­mal stand ich auf und pflück­te einen Käfer vom Rol­lo und warf ihn vor­sich­tig in die Luft. Damit hat­te der Käfer nicht gerech­net. Er stürz­te, ohne sei­ne Flü­gel geöff­net zu haben, auf die wei­che Flä­che mei­nes Sofas ab. Unver­züg­lich schlief der Käfer ein, weil es immer­hin weit nach Mit­ter­nacht gewor­den war. Wer­de selbst bald schla­fen, zuvor aber fünf klei­ne Mari­en­kä­fer in eine Schach­tel set­zen, wer­de den Deckel der Schach­tel mehr­fach mit einer Gabel per­fo­rie­ren, und die­se Schach­tel in mei­nen Kühl­schrank legen, 6° Cel­si­us. Bald Früh­ling. — stop
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