Aus der Wörtersammlung: geschichte

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mailand

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ulys­ses : 6.56 — Die fol­gen­de Nach­richt ist selbst­ver­ständ­lich Wort für Wort erfun­den. Auch Satz­zei­chen, die in der erfun­de­nen Nach­richt ent­hal­ten sein wer­den, sind ver­mut­lich nicht authen­tisch. Wenn Sie also von erfun­de­nen Nach­rich­ten nichts hal­ten, soll­ten Sie nicht wei­ter­le­sen. Hier beginnt es sofort, bereits der nächs­te Satz wird erfun­den sein, die gan­ze Geschich­te, die sich im geschäf­ti­gen Mai­land gegen­wär­tig in der Sta­zio­ne Cen­tra­le ereig­net. Zwei­hun­dert sehr beson­de­re Zwerg­baumm­äu­se sol­len auf einem Labor­trans­port befind­lich aus dem Besitz der städ­ti­schen Uni­ver­si­tät ent­kom­men sein. Wenn ich das spe­zi­el­le Ver­mö­gen die­ser flüch­ti­gen Mäu­se beschrei­ben woll­te, müss­te ich sie zunächst als fun­ken­de Zwerg­baumm­äu­se oder schlicht als Funk­baumm­äu­se bezeich­nen. Sie fun­ken tat­säch­lich, sind, prä­zi­se for­mu­liert, in der Lage, mit­tels einer tech­ni­schen Erwei­te­rung ihres Gehirns, Not­ruf­zen­tra­len von Poli­zei und Ambu­lanz anzu­wäh­len. Das machen sie gern, ohne jedoch mit einer der ange­wähl­ten Stel­len je zu kom­mu­ni­zie­ren. Sie schwei­gen statt­des­sen oder piep­sen voll­stän­dig unhör­bar. Ver­mut­lich haben sie von ihren Tele­fon­an­ru­fen per­sön­lich kei­ne Kennt­nis, immer dann, wenn sie rechts­her­um im Krei­se tan­zen, sen­den sie ihren Code, weil sie nicht anders kön­nen. Man möch­te sie nun gern zum Schwei­gen brin­gen, man rück­te ihnen mit süßen Gif­ten, die sie nicht zu sich nah­men, und Blas­roh­ren zu Lei­be. Umsonst. Jetzt war­tet man dar­auf, dass sie bald alt wer­den und ster­ben, viel­leicht in einem Monat schon wer­den sie aus­rei­chend alt gewor­den sein, nie­mand weiß das genau zu sagen. Noch immer sind sie schnell, ihr Fell ist sei­dig, es schim­mert röt­lich, und ihre Augen sind von einem vor­neh­men Blau, sie fun­keln, manch­mal leuch­ten sie rot. Auf den Köp­fen der Zwerg­baumm­äu­se wach­sen wie­der Haa­re, die noch sei­di­ger sind als die Haa­re ihres Bau­ches oder ihres Rückens. Die Stirn krönt eine Aus­buch­tung, nicht grö­ßer als eine Steck­na­del. Wenn man sie so sieht, möch­te man sie gern in die Hand neh­men und behut­sam schüt­teln. — stop

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elfmeter

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char­lie : 6.55 — Von einer fas­zi­nie­ren­den Geschich­te wird berich­tet, die sich in der Fuß­ball­welt ereig­net haben soll. Man erzählt, ein bären­star­ker wie fröh­li­cher Spie­ler der nie­der­län­di­schen Natio­nal­mann­schaft sei wäh­rend eines Spie­les im Tor­raum der geg­ne­ri­schen Mann­schaft mehr­fach zu Flug­ver­su­chen gestar­tet. Er flog tat­säch­lich durch eige­ne Kraft je drei bis vier Meter durch die Luft. Es han­del­te sich bei die­sen Flug­ver­su­chen um sehr gefähr­li­che Kom­mu­ni­ka­tio­nen mit einem Schieds­rich­ter, der sich in zwei­en der Fäl­le nicht, ein­mal jedoch ange­spro­chen fühl­te. Er ver­füg­te einen Elf­me­ter, der zu einem Tor­er­folg führ­te. Im unmit­tel­ba­ren Anschluss an das Spiel soll der flie­gen­de, fröh­li­che Fuß­ball­spie­ler sich für einen sei­ner Flug­ver­su­che ent­schul­digt haben, nicht jedoch für letz­te­ren, der zu einem Elf­me­ter führ­te, die­sen habe er nur erfun­den. — stop
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von stäbchen von rädchen

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del­ta : 6.12 — Im Traum hat­te ich an einer Appa­ra­tur gear­bei­tet, mit deren Hil­fe ich bald in der Lage sein wer­de, hand­schrift­li­che Noti­zen der­art zu ver­klei­nern, dass ich Papie­re von der Grö­ße einer Brief­mar­ke beschrei­ben könn­te, sagen wir, eine Erzäh­lung von 85 Sei­ten à 1800 Zei­chen auf einer Luft­post­mar­ke Finn­lands zu 80 Cent. Ich könn­te in die­ser Arbeit der Ver­klei­ne­rung oder Ver­dich­tung auf eine Lupe ver­zich­ten, wür­de auf übli­chen Papie­ren notie­ren, wäh­rend mit­tels mecha­ni­scher Über­tra­gung, fast geräusch­los von hun­der­ten Stäb­chen zu hun­der­ten Räd­chen, Zei­chen für Zei­chen in mikro­sko­pi­sche Dimen­sio­nen tran­skri­biert wer­den wür­de. Eine Biblio­thek könn­te in weni­gen Jah­ren mit mir in einem Brief­mar­ken­al­bum rei­sen, eine Biblio­thek, deren Mikro­gramm­bü­cher selbst­ver­ständ­lich nicht les­bar wären, ohne sie unter ein Mikro­skop zu legen, eine Biblio­thek jedoch, die mich glück­lich stim­men wür­de, ich wüss­te, dass sie exis­tiert und mit ihr die Mög­lich­keit des Lesens all der ver­steck­ten Geschich­ten, die im Moment des erin­nern­den Gedan­kens, schon wie­der so groß gewor­den sind, wie sie immer waren. — stop
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frau blum

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del­ta : 5.08 — In der Biblio­thek ent­deck­te ich vor eini­ger Zeit einen Zet­tel. Der Zet­tel steck­te in einem Buch, das ich ent­lie­hen hat­te, um nach einer Geschich­te zu suchen, die ich viel­leicht schon ein­mal gele­sen haben könn­te vor vie­len Jah­ren. Es war eine Geschich­te, die von einem Gespräch erzählt, wel­ches Frau Blum mit ihrem Milch­mann führ­te, in dem sie dem Milch­mann Bot­schaf­ten sen­de­te, ein Ver­hal­ten, das not­wen­dig gewe­sen war, weil Frau Blum übli­cher­wei­se schlief, wenn der Milch­mann früh­mor­gens das Haus besuch­te, in dem sie wohn­te. Die­se Geschich­te, ein wun­der­ba­res Stück, hat Peter Bich­sel geschrie­ben, eine gan­ze Welt scheint in ihr ent­hal­ten zu sein, obwohl sie so kurz ist, drei Sei­ten, dass man sie von einer Sta­ti­on zur nächs­ten Sta­ti­on in einer Stra­ßen­bahn rei­send Wort für Wort zu Ende lesen könn­te. Ich erin­ne­re mich, das Buch lag weich in mei­ner Hand, es war etwas schmut­zig, zer­le­sen, auf sei­ner Rück­sei­te waren eini­ge dut­zend Stem­pel­auf­trä­ge zu fin­den, so wie man das frü­her noch mach­te, Bücher mit Rück­ga­be­ter­mi­nen zu ver­se­hen, so dass jeder sehen konn­te, wie oft das Buch bereits gele­sen wor­den war. Die­ses Buch, von dem ich gera­de erzäh­le, war seit über zwan­zig Jah­ren nicht mehr aus­ge­lie­hen wor­den. Ich stell­te mir vor, dass das Bänd­chen viel­leicht hin­ter eine der Bücher­rei­hen gerutscht sein könn­te, wes­we­gen es lan­ge Zeit nicht gefun­den wer­den konn­te. Ver­mut­lich war das Buch längst ver­lo­ren gemel­det, so dass ich ein Buch­ex­em­plar in Hän­den hielt, das in den Ver­zeich­nis­sen der Biblio­thek nicht län­ger exis­tier­te. Ander­seits scheint es mög­lich zu sein, dass das Buch ver­steckt wor­den sein könn­te. Viel­leicht war es von genau jener Per­son ver­steckt wor­den, die den Zet­tel in das Buch gelegt hat­te, eine Per­son, die mög­li­cher­wei­se bereits gestor­ben ist. Das alles ist natür­lich rei­ne Spe­ku­la­ti­on, allein die Exis­tenz des Zet­tels ist sicher. Dort war in blau­er, akku­ra­ter Schrift zu lesen: Wie man einen Ver­merk schreibt, um sich an gele­se­ne Geschich­ten erin­nern zu kön­nen. – stop
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gallipoli : melissano : ugento

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marim­ba : 2.10 — Lino­sa erzähl­te mir eine Geschich­te, von der ich nicht sagen kann, ob sie sich tat­säch­lich so ereig­ne­te wie behaup­tet, oder ob die Geschich­te rein erfun­den sein könn­te. Seit eini­gen Mona­ten erhal­te er näm­lich täg­lich einen Luft­post­brief aus Ita­li­en. In dem Brief sei jeweils ein beid­sei­tig bedruck­tes Blatt Papier ent­hal­ten, Text in eng­li­scher Spra­che, num­me­riert, fei­ne, prä­zi­se for­mu­lier­te Sät­ze. Er habe, so berich­te­te Lino­sa, eini­ge die­ser Sät­ze in die Mas­ke einer Such­ma­schi­ne ein­ge­ge­ben, wes­halb ihm nun bekannt sei, dass es sich wohl um ein zer­leg­tes Buch han­deln könn­te, das man ihm schi­cken wür­de, um Her­man Mel­vil­les Erzäh­lung Bart­le­by. Das sei für sich genom­men schon eine selt­sa­me Ange­le­gen­heit, noch merk­wür­di­ger kom­me ihm aber vor, dass dem Schrei­ben bis­her kei­ne Erklä­rung, Begrün­dung oder auch nur ein Gruß bei­gefügt wor­den sei. Manch­mal kön­ne er mit­hil­fe des pos­ta­li­schen Stem­pels ent­zif­fern, in wel­cher Stadt der Brief Tage zuvor auf­ge­ge­ben wur­de. Städ­te mit wun­der­vol­len Namen, Gal­li­po­li, Melis­s­a­no, Ugen­to, Lec­ce, Brin­di­si, sei­en dar­un­ter. Wäh­rend er sich in den ers­ten Tagen noch gewun­dert, ja sogar ein wenig gefürch­tet habe, wür­de er sich inzwi­schen dar­über freu­en, nach­mit­tags aus dem 12. Stock sei­nes Miets­hau­ses zum Brief­kas­ten hin abzu­stei­gen, um den Brief ent­neh­men, öff­nen und wie­der im Auf­stieg befind­lich lesen zu kön­nen. 34 Brie­fe habe er bis­lang erhal­ten, 16 wei­te­re Brie­fe soll­ten noch fol­gen, sofern der unbe­kann­te Absen­der in logi­scher Wei­se fort­set­zen wür­de. Der letz­te Brief, der ges­tern aus Fasa­no kom­mend, bei Mr. Lino­sa ein­ge­trof­fen war, soll eine beson­de­re Brief­mar­ke auf sei­ner Anschrif­ten­sei­te getra­gen haben, acht Ren­tie­re, die in einen ver­schnei­ten Him­mel flie­gen. Die­se Brief­mar­ke leuch­te nachts in der Küche im Dun­keln, wo sie nun auf dem Sta­pel zuvor ein­ge­trof­fe­ner Brie­fe so lan­ge sicht­bar ruhen wer­den, bis wie­der Nach­mit­tag gewor­den sein wird. — stop

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petuschki

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india : 2.05 — Ich hör­te mich wie­der ein­mal von Bücher­men­schen erzäh­len, von Bücher­men­schen, jawohl. Das sind Per­so­nen, die selbst dann noch lesen, wenn sie spa­zie­ren gehen. Wenn sie ein­mal nicht spa­zie­ren gehen, sit­zen sie stu­die­rend auf Bän­ken in Park­land­schaf­ten her­um, in Cafés oder in einer Unter­grund­bahn. Dort, aus hei­te­rem Him­mel ange­spro­chen, wenn man sich nach ihrem Namen erkun­dig­te, wür­den sie erschre­cken und sie wür­den viel­leicht sagen, ohne den Kopf von der Zei­chen­li­nie zu heben, ich hei­ße Anna oder Vic­tor, obwohl sie doch ganz anders hei­ßen. Wenn man sie frag­te, wo sie sich gera­de befin­den, wür­den sie behaup­ten, in Petusch­ki oder in Brook­lyn oder in Kai­ro oder auf einem Amzo­nas­re­gen­wald­fluss. — Heu­te habe ich mir gedacht, man soll­te für die­se Men­schen eine eige­ne Stadt errich­ten, eine Metro­po­le, die allein für lesend durch das Leben rei­sen­de Men­schen gemacht sein wird. Man könn­te natür­lich sagen, wir bau­en kei­ne neue Stadt, son­dern wir neh­men eine bereits exis­tie­ren­de Stadt, die geeig­net ist, und machen dar­aus eine ganz ande­re Stadt, eine Stadt zunächst nur zur Pro­be. In die­ser Stadt lesen­der Men­schen sind Biblio­the­ken zu fin­den wie Blu­men auf einer Wie­se. Da sind also gro­ße Biblio­the­ken, und etwas klei­ne­re, die haben die Grö­ße eines Kiosks und sind geöff­net bei Tag und bei Nacht. Man könn­te dort sehr kost­ba­re Bücher ent­lei­hen, sagen wir, für eine Stun­de oder zwei. Dann macht man sich auf den Weg durch die Stadt. Wäh­rend man geht, wird gele­sen. Das ist sehr gesund in die­ser Art so in Bewe­gung. Auf alle Stra­ßen, die man pas­sie­ren wird, sind Lini­en auf­ge­tra­gen, Stre­cken, die lesen­de Men­schen durch die Stadt gelei­ten. Da sind also die gel­ben Krei­se der Stunden‑, und da sind die roten Lini­en der Minu­ten­ge­schich­ten. Blau sind die Stre­cken mäch­ti­ger Bücher, die schwer sind von feins­ten Papie­ren. Sie füh­ren weit aufs Land hin­aus bis in die Wäl­der, wo man unge­stört auf sehr beque­men Pini­en­bäu­men sit­zen und schla­fen kann. In die­ser Stadt lesen­der Men­schen haben Auto­mo­bi­le, sobald ein lesen­der Mensch sich nähert, den Vor­tritt zu geben, und alles ist sehr schön zau­ber­haft beleuch­tet von einem Licht, das aus dem Boden kommt. — stop
polaroidtraum

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marguerite duras : die grünen augen

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Tan­go : 5.32 — Ich weiß nicht, wie Mar­gue­ri­te Duras Buch Die grü­nen Augen in mei­ne Woh­nung gekom­men ist. Das könn­te eine Geschich­te sein. Irgend­je­mand, ver­mut­lich ich, hat­te im Buch ein­mal fol­gen­de Zei­len unter­stri­chen: In der Lite­ra­tur kann man nicht sagen, es feh­len knapp 220 Mil­lio­nen, um ein Buch zu been­den. Wenn das Buch nicht zustan­de kommt, auch unter den schlimms­ten Bedin­gun­gen, dann des­halb, weil es nicht gemacht wer­den muss. Wenn es gemacht wer­den muss, wird es gemacht, auch unter den ungüns­tigs­ten Bedin­gun­gen. Die Vor­wän­de, nicht zu schrei­ben, Zeit­man­gel, Über­las­tung etc., sind nicht wahr, fast nie. — stop
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quallenhautkoffer

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ulys­ses : 3.25 — Ein blau­er ita­lie­ni­scher Him­mel und Wär­me, Hit­ze. Mit­te Mai. Über den Sand­bo­den schau­keln müde Eidech­sen, zwei Enten sit­zen auf einer Park­bank in unse­rer Nähe im Park. Als wir tele­fo­nier­ten, erin­nert sie mich dar­an, dass sie in einer Grenz­si­tua­ti­on lebe. Ich ver­ges­se immer wie­der ihr Alter. Sie sei bald voll­stän­dig belich­tet, rei­se aber noch viel her­um, Kof­fer wer­den ihr getra­gen, mit einem klei­nen Ruck­sack auf dem Rücken, Notiz­bü­chern, einem Note­book. Das Note­book ruht in die­sem Moment auf ihren Knien. Sie sucht in der digi­ta­len Sphä­re einen Text, an den ich mich erin­nern kann. Sie liest mir vor, und ich notie­re vom Qual­len­zim­mer. Sie will das Zim­mer von mei­ner Hand in ihrem Notiz­buch haben. Ich schrei­be lang­sam. Im Notiz­buch fin­den sich zahl­rei­che wei­te­re Hand­schrif­ten, die nicht ihre Hand­schrif­ten sind. Sie scheint Geschich­ten zu sam­meln, oder Augen­bli­cke des Schrei­bens. Ich höre mei­ne eige­ne Geschich­te, eine Ent­de­ckung mei­ner Hän­de, die von einem freund­li­chen, hel­len Raum erzäh­len, einem Zim­mer von feins­ter Qual­len­haut, einem Zim­mer von Was­ser, einem Zim­mer von Salz, einem Zim­mer von Licht. Man könn­te die­ses Zim­mer, und alles, was sich im Zim­mer befin­det, das Qual­len­bett, die Qual­len­uhr, und all die Qual­len­bü­cher und auch die Schreib­ma­schi­nen von Qual­len­haut, trock­nen und fal­ten und sich 10 Gramm schwer in die Hosen­ta­sche ste­cken. Und dann geht man mit dem Zim­mer durch die Stadt spa­zie­ren. Oder man geht kurz mal um die Ecke und setzt sich in ein Kaf­fee­haus und war­tet. Man sitzt also ganz still und zufrie­den unter einer Ven­ti­la­tor­ma­schi­ne an einem Tisch, trinkt eine Tas­se Kakao und lächelt und ist gedul­dig und sehr zufrie­den, weil nie­mand weiß, dass man ein Zim­mer in der Hosen­ta­sche mit sich führt, ein Zim­mer, das man jeder­zeit aus­pa­cken und mit etwas Was­ser, Salz und Licht, zur schöns­ten Ent­fal­tung brin­gen könn­te. — stop

polaroidparents

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am telefon

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sier­ra : 6.05 — Mein Freund Lou­is erzähl­te eine Geschich­te von einem Mann, dem er vor weni­gen Jah­ren in New York begeg­net sein will. Ich wer­de kurz berich­ten, obwohl es schon spät gewor­den ist. An dem Tag, an dem Lou­is’ Geschich­te sich ereig­ne­te, wan­der­te er durch die Stadt ohne Ziel. Manch­mal stieg er in einen Zug der Sub­way und fuhr irgend­wo­hin. Ein­mal, es war Abend gewor­den, erreich­te er Brigh­ton Beach, aber anstatt den Strand zu besu­chen, fuhr er sofort wie­der zurück. Das war ein gro­ßes Glück gewe­sen, denn hät­te er nur einen oder zwei spä­te­re Züge nach Man­hat­tan genom­men, wäre er dem Mann, von dem er mir erzähl­te, ver­mut­lich nie begeg­net. Die­ser Mann war ein klei­ner, schmäch­ti­ger Herr, der breit­bei­nig vor einer Tür stand und zu tele­fo­nie­ren schien. Er sprach, ohne eine Pau­se zu machen, mit lau­ter Stim­me Wör­ter, die Lou­is nicht ver­ste­hen konn­te. Als der Zug nach einer hal­ben Stun­de Fahrt über den Dächern Brook­lyns in den Unter­grund tauch­te, geschah etwas Selt­sa­mes, denn der Mann sprach wei­ter in sein Tele­fon, obwohl jede Funk­ver­bin­dung im Tun­nel­sys­tem sofort unter­bro­chen wur­de. Kaum jemand unter den Fahr­gäs­ten schien den klei­nen Mann zu bemer­ken. Eine Fünf-Mann-Band betrat den Wag­gon, sie spiel­te einen Brass­tan­go, der Zug beb­te und der schmäch­ti­ge Mann tele­fo­nier­te und lach­te und spen­de­te einen Dol­lar. In der Lex­ing­ton Ave­nue, Höhe 63. Stra­ße, stieg der Mann aus, fuhr mit der Roll­trep­pe in das Zwi­schen­ge­schoss, stieg zur Stra­ßen­ebe­ne hin­auf und lief wei­ter nord­wärts. Er hat­te bis dahin, eine Stun­de war seit sei­ner Ent­de­ckung ver­gan­gen, nie auf­ge­hört zu spre­chen, und auch jetzt, im Gehen, setz­te er sei­ne Rede fort. An der Ecke zur 83. Stra­ße besuch­te der Mann eine Piz­ze­ria, auch Lou­is trat in den düs­te­ren Laden ein. Er hör­te dem Mann wei­ter zu, wie er mit vol­lem Mund sei­nen Text voll­zog, als könn­te er unmög­lich auf­hö­ren, als wür­de etwas Schreck­li­ches gesche­hen, wenn er nur ein­mal für eine Sekun­de eine Pau­se mach­te. Bald trat der klei­ne, spre­chen­de Mann wie­der auf die Stra­ße und setz­te sei­nen Weg in Rich­tung Har­lem fort. Es war inzwi­schen spä­ter Abend gewor­den, die Luft küh­ler, Men­schen saßen ent­lang der Häu­ser­wän­de auf Klapp­stüh­len. Um kurz nach Mit­ter­nacht plötz­lich hielt der Mann an und ver­stumm­te. Er stand eini­ge Minu­ten ganz still. Er schien zu über­le­gen. Dann leg­te er das Tele­fon auf dem Boden ab, dreh­te sich um und mach­te sich auf den Weg zurück. Er ging zunächst süd­wärts über die Lex­ing­ton Ave­nue, Höhe der 60. Stra­ße bog er nach links ab, schlen­der­te lang­sam zur Tram­way – Sta­ti­on, gegen drei Uhr lös­te er ein Ticket. — stop
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