Aus der Wörtersammlung: licht

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dunkelkammer

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india : 0.45 UTC — Ein­mal vor lan­ger Zeit ste­he ich vor einer Tür. Ich bin groß genug gewor­den, um die Klin­ke der Tür mit einer Hand zu errei­chen. Ich ver­su­che die Tür zu öff­nen, da ruft Mut­ter, nicht Lou­is, Papi arbei­tet. Aber das war selt­sam, weil das Zim­mer hin­ter der Tür das Bade­zim­mer gewe­sen war, nicht das Arbeits­zim­mer, das gab es auch. Mut­ter sag­te: Dein Vater ent­wi­ckelt Bil­der, es muss dun­kel, ganz dun­kel sein im Zim­mer, Du musst etwas war­ten, mein Schatz, Papi wird bald raus­kom­men. Ich erin­ne­re mich, dass ich mich auf den Boden leg­te und unter der Tür zum Bade­zim­mer hin­durch späh­te. Ich konn­te Vaters Radio hören, und ich beob­ach­te rotes Licht, das im Bade­zim­mer leuch­te­te, sodass ich dach­te, das Radio wür­de viel­leicht rot leuch­ten. Es ist nicht dun­kel, sag­te ich, Mut­ter ant­wor­te, doch, doch, das ist ich Vaters Dun­kel­kam­mer. Ver­mut­lich weil ich erleb­te, was ich gera­de erzähl­te, bewirk­te, dass ich mit Radio­ap­pa­ra­ten noch Jah­re spä­ter rotes Licht in Ver­bin­dung brach­te. Dann, bald, wur­den Radi­os grün, wegen ihres leuch­ten­den Auges. Es waren Röh­ren­ge­rä­te. — Vor der Küs­te des Staa­tes Sene­gal, so erzählt das Fern­se­hen, sol­len 68 Men­schen auf dem Weg nach Euro­pa ertrun­ken sein. — stop

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am tiber

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nord­pol : 10.15 UTC — An einem spä­ten Abend beob­ach­te­te ich von einer Brü­cke aus einen Mann, der am Ufer des Tiber­flus­ses kau­er­te. Der Mann füt­ter­te grö­ße­re und klei­ne­re Tie­re mit sei­ner lin­ken Hand, in der rech­ten Hand hielt er eine Angel fest. Das war nicht sofort zu erken­nen gewe­sen, weil sich im Fluss und auch in der Luft über dem Fluss nichts beweg­te, nicht ein­mal das Was­ser zeig­te Strö­mung. Die Fluss­ober­flä­che schim­mer­te im Mond­licht wie ein See, und das Schilf des Ufers schien von Win­den, nicht von wil­dem Was­ser gebeugt. Da waren Schat­ten im Gras der klei­nen Insel, hun­der­te vor­wärts oder rück­wärts sprin­gen­de Sche­men. Noch nie zuvor habe ich so vie­le Rat­ten auf einen Blick gese­hen. Wie Eisen­spä­ne einer phy­si­ka­li­schen Anord­nung zur Unter­su­chung magne­ti­scher Fel­der waren sie zu dem Mann hin aus­ge­rich­tet, wir­bel­ten durch­ein­an­der, sobald der Mann Fut­ter­wa­re unter die Tie­re schleu­der­te. Dann wie­der stil­les War­ten. Eine Bisam­rat­te, scheu­er Herr­scher, enter­te das Land. — Am fol­gen­den Tag kehr­te ich mor­gens zur Nacht­brü­cke zurück. Der Mann kau­er­te noch immer nah der klei­nen Insel und angel­te im Fluss. Möwen hat­ten sich genä­hert. Rat­ten waren nur weni­ge zu sehen, aber Tau­ben. Wenn der Mann einen Fisch erbeu­te­te, warf er ihn sei­nen Freun­den vor die Füße. An den stei­len Wän­den der künst­li­chen Tiber­fas­sung da und dort blü­hen­de Büsche. Eidech­sen zün­gel­ten gegen die Son­ne. — Das Radio erzähl­te von einer Frau, die nachts um 3 Uhr im 5. Stock eines Hau­ses der Stadt Mariu­pol in ihrer Küche stand und koch­te, als die Stadt vom Krieg über­fal­len wur­de. — stop

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bienengeschichte

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lima : 18.12 UTC — Die fol­gen­de Geschich­te ist natür­lich eine erfun­de­ne Geschich­te. Ich habe sie vor Jah­ren bereits schon ein­mal erfun­den. Und wie­der wer­de ich so tun, als wäre sie nicht erfun­den. Am bes­ten begin­ne ich in die­ser ein­ge­üb­ten Wei­se: Seit zwei Wochen hal­te ich mich stun­den­lang unter frei­em Him­mel auf. Das ist des­halb so gekom­men, weil ich eine Auf­ga­be über­nom­men habe, die mir nach wie vor sehr inter­es­sant zu sein scheint. Ich beob­ach­te Bie­nen wie sie sich über eine Wie­se fort­be­we­gen. Des­halb lie­ge oder knie ich oder lau­fe gebückt dahin, den Kopf dicht über dem Boden, was nicht immer ganz leicht ist, weil Bie­nen doch sehr schnel­le Flie­ger sind. Jene Bie­nen­tie­re, die ich beob­ach­te, woh­nen in nächs­ter Nähe am Saum eines Wal­des, des­sen prä­zi­se Posi­ti­on ich nicht ver­ra­ten darf. Sie tra­gen Num­mern von 1 – 100 auf ihren Rücken, was für mei­ne Arbeit sehr bedeu­tend ist, da ich Bie­nen, die ohne eine Num­mer sind, nie­mals beach­te. So lau­tet mei­ne Instruk­ti­on, Bie­nen ohne Num­mer ist nicht zu fol­gen, viel­mehr ist solan­ge Zeit am Ran­de der Wie­se zu war­ten, bis eine Bie­ne mit Kenn­zeich­nung auf der Wie­se erscheint. Ich tra­ge eine Schirm­müt­ze gegen die Blend­wir­kung der Son­ne und eine Mon­okel­lu­pe, die vor mei­nem rech­ten Auge sitzt und mir einen prä­zi­sen Blick in die klei­ne Welt der Bie­nen in der Nähe des Bodens ermög­licht. Genau­ge­nom­men ist es mei­ne vor­neh­me Auf­ga­be, eine Bie­ne, die ich ein­mal in den Blick genom­men habe, solan­ge wie mög­lich zu beglei­ten auf ihrem Flug von Blü­te zu Blü­te. Ich bin indes­sen nicht ein­mal stumm. Ich sage zum Bei­spiel: Hier spricht Lou­is. Es ist 15 Uhr und 12 Minu­ten. Ich fol­ge Bie­ne No. 58. Wir nähern uns einer But­ter­blu­men­blü­te. Ja, das genau sage ich laut und deut­lich. Ich spre­che in ein Funk­ge­rät, von dem ich weiß, dass mir in der Fer­ne im See­bad Brigh­ton an der eng­li­schen Küs­te irgend­je­mand an einem ande­ren Funk­ge­rät zuhört. Ich sage: Hier spricht Lou­is. Bie­ne No 58: Lan­dung But­ter­blu­me. OVER! Dann betrach­te ich die Bie­ne wie sie in der Blü­te arbei­tet und war­te. Bald fliegt die Bie­ne wei­ter und ich sage kurz dar­auf: Bie­ne No 58: Lan­dung Feu­er­nel­ke. OVER! Ja, so mache ich das. Ich wer­de immer bes­ser dar­in. Ich glau­be, die Bie­nen mögen mich. Ich bin ihnen ver­traut gewor­den. In eini­gen Tagen wer­de ich viel­leicht etwas genau­er erzäh­len, war­um ich Bie­nen beob­ach­te. — Das Radio erzählt von Men­schen, die die rus­si­sche Höl­len­ma­schi­ne der Stadt Mariu­pol über­leb­ten. Man­che wür­den nun in der Frem­de lebend, Schlüs­sel ihrer ver­las­se­nen oder zer­stör­ten Woh­nun­gen in Taschen von Hosen und Män­teln und Klei­dern mit sich füh­ren. — stop

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kapriole

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tan­go : 6.15 UTC — Ein­mal erwach­te ich, weil ich Schrit­te hör­te, tan­zen­de Füße in Tanz­schu­hen auf Par­kett. Unmög­lich, dach­te ich, so etwas geht doch nicht. Ich mach­te Licht und hüpf­te aus dem Bett. Wie ich so im geräu­mi­gen Hotel­zim­mer stand, bemerk­te ich, die Geräu­sche der Schu­he kamen nicht von oben, son­dern von unten her, wes­halb ich eine Trep­pe abwärts vor ver­däch­ti­ger Türe ener­gisch klopf­te, wes­halb mir geöff­net wur­de, wes­halb ich unver­züg­lich in ein höchst selt­sa­mes Zim­mer trat. Tisch und Stüh­le und Bett und wei­te­re kom­mo­de Din­ge befan­den sich dort an der Decke. Ein Mann, sehr fein geklei­det, ein Tän­zer im dunk­len Anzug grüss­te kopf­über zu mir her­un­ter. Er sag­te, ange­neh­me Stim­me: “Guten Mor­gen, mein Herr! Sie sind wohl Einer, der an der Decke zu gehen ver­mag.” — Das Radio erzählt, ein klei­ner Jun­ge in der Stadt Mariu­pol habe mit eige­nen Augen gese­hen wie eine ihm bekann­te alte Dame in einem Hin­ter­hof von einem Schrapnell in den Bauch getrof­fen wur­de. Er habe, erzählt der klei­ne Jun­ge, sei­ne Hän­de vor sei­ne Augen gehal­ten, es war aber zu spät gewe­sen. — stop

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schneefliegen

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nord­pol : 1.15 UTC — Eine bis­lang unbe­kann­te Flie­gen­gat­tung soll unlängst in den Ber­gen Tibets ent­deckt wor­den sein. Es han­delt sich um Schnee­flie­gen, die über einen außer­or­dent­lich fei­nen Pelz ver­fü­gen. Die­ser Pelz nun, man wür­de in ihm zunächst  ein evo­lu­tio­nä­res Han­di­cap unter Flug­tie­ren ver­mu­ten, ist trotz sei­ner Dich­te von außer­or­dent­li­cher Leich­tig­keit. Es wird berich­tet, dass eini­ge der Schnee­flie­gen auf gehei­men Wegen nach Euro­pa trans­por­tiert wor­den sei­en, wo man sie ein­ge­hend unter­such­te. Sie ver­meh­ren sich selbst in gewöhn­li­chen Kühl­schrän­ken bei Licht mit rasen­der Geschwin­dig­keit. Wovon sie sich ernäh­ren ist bis­her nicht bekannt, aber dass man ihnen den Pelz vom Leib rei­ßen kann mit äußerst fei­nen Werk­zeu­gen ist sicher. Über die Fabri­ka­ti­on von Flie­gen­pe­lz­män­teln wird nun ernst­haft nach­ge­dacht, über Flie­gen­pe­lz­müt­zen, Flie­gen­pe­lz­hand­schu­he und wei­te­re Gegen­stän­de zur Wär­mung mensch­li­cher Exis­tenz. — Das Radio erzählt von der Mee­res­be­ob­ach­tung eines Man­nes im März des ver­gan­ge­nen Jah­res. Er habe, sagt der Mann, mit eige­nen Augen gese­hen,  wie Rake­ten ähn­li­che Flug­kör­per dicht über die Ober­flä­che des Was­sers hin in Rich­tung der Stadt Mariu­pol geflo­gen sei­en. — stop

ping

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unsichtbare Koffer

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hima­la­ya : 0.03 UTC — Mein Vater war ein Lieb­ha­ber tech­ni­scher Mess­ge­rä­te gewe­sen. Er notier­te mit ihrer Hil­fe Dau­er und Kraft des Son­nen­lichts bei­spiels­wei­se, das auf den Bal­kon über sei­nem Gar­ten strahl­te. Die Tem­pe­ra­tu­ren der Luft wur­den eben­so regis­triert, wie die Men­ge des Regens, der in den war­men Mona­ten des Jah­res vom Him­mel fiel. Selbst die Bewe­gun­gen der Gold­fi­sche im nahen Teich wur­den ver­zeich­net, Erschüt­te­run­gen des Erd­bo­dens, Tem­pe­ra­tu­ren der Pro­zes­so­ren sei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne. Es ist merk­wür­dig, bei­na­he täg­lich gehe ich zur Zeit auf die Suche, weil wie­der irgend­ei­ne die­ser Mess­ap­pa­ra­tu­ren einen piep­sen­den Ton von sich gibt, als ob mein Vater mit­tels sei­ner Maschi­nen noch zu mir spre­chen wür­de. Eine Foto­gra­fie, ich erin­ne­re mich, zeigt mich neben mei­nem ster­ben­den Vater. Ich sit­ze auf einem Stuhl, mein Vater liegt in einem Bett. Es ist ein Bild, das ich zunächst kaum anzu­se­hen wag­te. Ich habe tat­säch­lich eine Hand vor Augen gehal­ten und zwi­schen mei­nen Fin­gern her­vor­ge­späht. Jetzt ist mir warm, wenn ich das Bild betrach­te. Die Foto­gra­fie zeigt einen fried­li­chen Moment mei­nes Lebens. Etwas geschieht, wovor ich mich lan­ge Zeit gefürch­tet habe. Wei­nen und Lachen fal­ten sich wie Hän­de sich fal­ten. Mut­ter irr­te etwas spä­ter dann zwi­schen Haus und Fried­hof hin und her, als wür­de sie irgend­ei­ne unsicht­ba­re Ware in gleich­falls unsicht­ba­ren Kof­fern tra­gen. — Das Radio erzählt, Men­schen wür­den, ehe sie nach Wochen des Beschus­ses Kel­ler ver­lies­sen, gebe­tet haben. Im Kel­ler lagen ihre Toten. — stop

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nachtkäfer

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lima : 2.28 UTC — Für einen Moment dach­te ich heu­te Nacht an eine Geschich­te, die ich vor lan­ger Zeit ein­mal erzähl­te. Das war gegen 2 Uhr gewe­sen. Ich beob­ach­te­te aus meh­re­ren Metern Ent­fer­nung wie ein Käfer, der einem Zep­pel­in­kä­fer ähn­lich war, sehr lang­sam durch mein Zim­mer schweb­te, um auf einer Tisch­lam­pe zu lan­den. Dort blieb er für eini­ge Minu­ten sit­zen. Sofort such­te ich nach jener Geschich­te, die von einem Zep­pel­in­kä­fer han­delt. Sobald ich sie gefun­den hat­te, segel­te der Käfer, der mich an mei­ne Notiz erin­nert hat­te, in die Dun­kel­heit davon, sodass ich ihn bei­na­he für die per­so­ni­fi­zier­te Erin­ne­rung die­ser einen Geschich­te hal­ten möch­te. Sie geht so: Ein selt­sa­mes Wesen schweb­te kurz nach 1 Uhr in der Nacht schnur­ge­ra­de eine unsicht­ba­re Linie über den höl­zer­nen Fuß­bo­den mei­nes Arbeits­zim­mers ent­lang, wur­de in der Mit­te des Zim­mers von einer Luft­strö­mung erfasst, etwas ange­ho­ben, dann wie­der zurück­ge­wor­fen, ohne aller­dings mit dem Boden in Berüh­rung zu kom­men. — Ein merk­wür­di­ger Auf­tritt. – Und die­ser groß­ar­ti­ge Bal­lon von opa­k­em Weiß! Ein Licht, das kaum noch merk­lich fla­cker­te, als ob eine offe­ne Flam­me in ihm bren­nen wür­de. Ich habe mich zunächst gefürch­tet, dann aber vor­sich­tig auf Knien genä­hert, um den Käfer von allen Sei­ten her auf das Genau­es­te zu betrach­ten. — Fol­gen­des ist nun zu sagen. Sobald man einen Zep­pel­in­kä­fer von unten her besich­tigt, wird man sofort erken­nen, dass es sich bei einem Wesen die­ser Gat­tung eigent­lich um eine fili­gra­ne, flü­gel­lo­se Käfer­ge­stalt han­delt, um eine zer­brech­li­che Per­sön­lich­keit gera­de­zu, nicht grö­ßer als ein Streich­holz­kopf, aber schlan­ker, mit acht recht lan­gen Ruder­bei­nen, gestreift, schwarz und weiß gestreift in der Art der Zebra­pfer­de. Fünf Augen in grau­blau­er Far­be, davon drei auf dem Bauch, also gegen den Erd­bo­den gerich­tet. Als ich bis auf eine Nasen­län­ge Ent­fer­nung an den Käfer her­an­ge­kom­men war, habe ich einen leich­ten Duft von Schwe­fel wahr­ge­nom­men, auch, dass der Käfer flüch­tet, sobald man ihn mit einem Fin­ger berüh­ren möch­te. Ein Wesen ohne Laut. – Das Radio erzählt, im Kel­ler eines ver­schüt­te­ten Hau­ses der Stadt Mariu­pol wür­de seit zwei Tagen ein Tran­sis­tor­ra­dio selt­sa­me Geräu­sche machen, pfei­fen, piep­sen, ver­mut­lich des­halb, weil der Strom zurück­ge­kom­men ist. — stop

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tonbandspule

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romeo : 16.01 UTC — Vor 11 Jah­ren hat­te ich von der Ent­de­ckung eines Muse­ums der Nacht­häu­ser erzählt, das sich am Shore Bou­le­vard nörd­lich der Hell Gates Bridge befin­det, die den Stadt­teil Queens über den East River hin­weg mit Ran­di­lis Island ver­bin­det. Es ist noch immer ein recht klei­nes Haus, rote Back­stei­ne, ein Schorn­stein, der an einen Fabrik­schlot erin­nert, ein Gar­ten, in dem ver­wit­ter­te Apfel­bäu­me ste­hen, der Fluss so nah, dass man ihn rie­chen kann. Heu­te liegt der Gar­ten tief ver­schneit. Ich ste­he unter einem der Apfel­bäu­me, die ohne Blät­ter sind. Die­ser Baum trägt sei­ne Som­mer­früch­te so, als ob er sie fest­hal­ten wür­de, sie sind etwas klei­ner gewor­den, vol­ler Fal­ten, aber sie leuch­ten rot und sie duf­ten. Der jun­ge Mann, der mich bereits ein­mal durch das Muse­um geführt hat­te, kommt in die­sem Moment auf mich zu. Er freut sich, dass ich wie­der­ge­kom­men bin. Eine Wei­le ste­hen wir uns gegen­über, es ist zum Erbar­men kalt, wir tre­ten von einem Bein aufs ande­re, wäh­rend der jun­ge Mann eine Ziga­ret­te raucht, dann ist es fast dun­kel und wir tre­ten wie­der in das Muse­um ein. Er will mir eine klei­ne Maschi­ne zei­gen, die im ers­ten Stock seit vie­len Jah­ren in einer wei­te­ren Vitri­ne sitzt. Auf den ers­ten Blick scheint es sich um eine ähn­li­che Appa­ra­tur zu han­deln, wie jene von der ich berich­te­te. Ein Gecko von Metall, der in der Lage ist, sich zum Zwe­cke pro­tes­tie­ren­der Kom­mu­ni­ka­ti­on Wän­de hin­auf an die Decke eines Zim­mers zu bege­ben, um sich dort fest­zu­sau­gen. Aber anstatt eines oder meh­re­rer Schlag­in­stru­men­te, mit wel­chen gegen die Decke getrom­melt wer­den könn­te, ver­fügt die­ses klei­ne Wesen über einen Laut­spre­cher, der wie ein Mund gestal­tet ist, und des­halb her­vor­ra­gend geeig­net zu sein scheint, hef­ti­ge Geräu­sche des Spre­chens zu erzeu­gen. Bei die­ser Appa­ra­tur, sagt der jun­ge Ange­stell­te, han­delt es sich um den ers­ten Decken­spre­cher der Geschich­te, ein äußerst sinn­vol­les Gerät. Er for­dert mich auf, näher zu tre­ten. Sehen Sie genau hin, sehen Sie, er ist ver­beult! Tat­säch­lich war der klei­ne eiser­ne Gecko von zahl­rei­chen Schlä­gen so ver­letzt, dass er viel­leicht kaum noch in der Lage gewe­sen war, sei­ner Auf­ga­be nach­zu­kom­men. Denk­bar ist, dass er in einer Nacht der Tag­men­schen der­art wir­kungs­voll gear­bei­tet haben könn­te, dass man ihn fan­gen woll­te, wes­halb man in die Woh­nung des Nacht­men­schen ein­ge­bro­chen war, um ihn zum Schwei­gen zu brin­gen. Als man das ram­po­nier­te Gerät vie­le Jah­re spä­ter öff­ne­te, ent­deck­te man eine Ton­band­spu­le, auf wel­cher Lite­ra­tur von Bedeu­tung fest­ge­hal­ten war. Ein Bruch­stück der his­to­ri­schen Auf­nah­me war noch vor­han­den gewe­sen, und jetzt, in die­ser Nacht, spielt mir der jun­ge Mann vor, was der Appa­rat gespro­chen hat­te. Eine äußerst lau­te schep­pern­de Stim­me ist zu ver­neh­men: Zuerst woll­te er mit dem unte­ren Teil sei­nes Kör­pers aus dem Bett hin­aus­kom­men, aber die­ser unte­re Teil, den er übri­gens noch nicht gese­hen hat­te und von dem er sich kei­ne rech­te Vor­stel­lung machen konn­te, erwies sich als zu schwer beweg­lich; es ging so lang­sam; und als er schließ­lich, fast wild gewor­den, mit gesam­mel­ter Kraft, ohne Rück­sicht sich vor­wärts stieß, hat­te er die Rich­tung falsch gewählt, schlug an dem unte­ren Bett­pfos­ten hef­tig an, und der bren­nen­de Schmerz, den er emp­fand, belehr­te ihn, dass gera­de der unte­re Teil augen­blick­lich viel­leicht der emp­find­lichs­te war. — Hier endet die Spu­le, ums sofort wie­der von vor­ne zu begin­nen. — Das Radio erzähl­te von einem Jun­gen, der in einem Luft­schutz­kel­ler im Licht der Tele­fon­lam­pen sei­nen Geburts­tag fei­er­te. Er trug eine rote Papp­na­se im Gesicht und einen wei­ßen Papier­hut, einen run­den, spitz zulau­fen­den Zylin­der auf dem Kopf. — stop

ping

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von eisballonen

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sier­ra : 10.28 UTC — Ers­te Vor­stel­lung eines Polar­kä­fers bereits im Jahr 2008 notiert. Die­ser Käfer soll­te, dach­te ich, so hell sein, dass nur sehr fei­nes Schat­ten­licht auf sei­nem Pan­zer Struk­tu­ren eines Kör­pers sicht­bar wer­den lässt. Ich könn­te viel­leicht sagen, das heißt, ich könn­te behaup­ten, dass der Käfer hel­ler ist als der Schnee und käl­ter als das Eis. Er ver­trägt kei­ne Dun­kel­heit, auch Däm­me­rung ist Dun­kel­heit, und ernährt sich vom Fleisch sehr klei­ner Kreb­se, die in Eis­bal­lo­nen vom Wind durch die Luft getra­gen wer­den. Stun­de um Stun­de, je eine Bewe­gung, schlägt sein Herz. Das Radio erzählt von einem jun­gen Mann, der mit weis­ser Arm­bin­de in der Stadt Mariu­pol in einem Funk­wa­gen sitzt. Es ist kalt, es ist März. Der Atem des Man­nes dampft oder raucht, wäh­rend er ein Gedicht vor­trägt, wel­ches in roman­ti­scher Wei­se vom Krieg erzählt. In die­sem Augen­blick, scheint er selbst per­sön­lich eine Pau­se in der Tätig­keit des Mor­dens ein­ge­legt zu haben. — stop

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kabinenlicht

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romeo : 5.32 UTC — Wenn ich schla­fe, wache ich immer wie­der ein­mal auf, wäh­rend mei­ne Hän­de wei­ter­schla­fen. Das ist selt­sam, mei­ne Hän­de wachen zur Zeit ein wenig spä­ter auf als ich selbst. Ich tre­te ans Fens­ter. Manch­mal ist frü­her Mor­gen. Es ist noch dun­kel. Stra­ßen­bah­nen que­ren den Platz weit da unten. In ihrem Kabi­nen­licht sit­zen Men­schen, nun wie­der ohne Mas­ken vor Mund und Nase. Es sind die­sel­ben Per­so­nen, wie mir scheint, die ich ges­tern am Abend bereits durch mein Opern­glas beob­ach­tet habe. Sie wer­den ver­mut­lich für das Umher­fah­ren bezahlt. Zwei Tau­ben sit­zen tief unter mir auf einer Stra­ßen­la­ter­ne, sie schla­fen wie mei­ne Hän­de, die nun lang­sam wach wer­den, weil ich mit ihnen schrei­be. — Das Radio erzählt, in Mariu­pol wür­den Men­schen Schlüs­sel ihrer Woh­nun­gen wei­ter­rei­chen, ver­trau­te Schlüs­sel jener Woh­nun­gen, die nicht län­ger exis­tie­ren. — Guten Mor­gen! — stop