Aus der Wörtersammlung: fenster

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lichtinseln

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fox­trott : 6.15 — Ich kann viel­leicht sagen, dass ich, sobald sich die Augen eines Schla­fen­den vor mei­nen eige­nen Augen öff­nen, ohne Aus­nah­me sofort gefan­gen bin. Habe in der Beob­ach­tung schla­fen­der Men­schen nachts, wenn ich durch Flug­ha­fen­hal­len spa­zier­te oder in Sub­way­zü­gen reis­te, Erfah­run­gen gesam­melt, der Blick auf vor­über­zie­hen­de Licht­in­seln drau­ßen vor dem Fens­ter, dann wie­der auf das ent­spann­te Gesicht eines unbe­kann­ten Rei­sen­den, der träum­te. So schnell sich die Augen eines Schla­fen­den öff­nen, kann ich mei­nen beob­ach­ten­den Blick nie­mals ver­ber­gen. Ver­mut­lich exis­tiert kei­ne schnel­le­re Bewe­gung, zu der ein mensch­li­cher Kör­per in der Lage wäre, als jene Bewe­gung der Augen, wenn sie sich öff­nen. Erstaun­lich ist dar­über hin­aus, dass die­se in Bruch­tei­len einer Sekun­de ent­klei­de­ten Augen unver­züg­lich prä­sent sind, weil der Blick sogleich anwe­send ist und wir­kungs­voll, sein Licht, viel­leicht des­halb, weil ein Blick noch vor der Öff­nung der Augen­li­der beginnt oder zu Leb­zei­ten nie­mals endet. — stop

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asmara tigri

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lima : 16.01 — Die Frau, die mir sofort eine Geschich­te erzäh­len wird, scheint müde zu sein. Immer wie­der fal­len für Sekun­den ihre Augen zu. Frü­her Mor­gen, Tigri hat die Nacht über gear­bei­tet. Wir sit­zen in einem Schnell­zug vom Flug­ha­fen in die Stadt. Gera­de woll­te sie noch wis­sen, war­um ich auf dem Note­book einen Film betrach­te, der von ein­stür­zen­den Tür­men des World Trade Cen­ters berich­tet. Sie habe, bemerkt Tigri, sechs Stun­den lang Brie­fe sor­tiert, das heißt, Luft­post­brie­fe für Inseln, die im Pazi­fi­schen Oze­an lie­gen, weil sie eine Spe­zia­lis­tin für Inseln ist, auch für Inseln atlan­ti­scher Gebie­te, aber vor allem ken­ne sie sich aus mit Inseln, die Kiri­ba­ti hei­ßen oder Ton­ga oder Palau oder Vanua­tu. Sie sagt, dass sie die­se Namen lie­ben wür­de, dass sie Anfang der 70er Jah­re in einem Dorf nahe der eri­tre­ischen Haupt­stadt Asma­ra gebo­ren wor­den sei und dass das Dorf im Jahr 1984 wie­der auf­ge­baut wer­den muss­te, weil an einem Sonn­tag­abend ein MIG-Flug­zeug das Dorf zer­stört habe und vie­le ihrer Freun­de getö­tet. Zu die­sem Zeit­punkt leb­te Tigri bereits in West­deutsch­land. Wenn sie den Namen ihres Dor­fes aus­spricht, bin ich nicht imstan­de, das schö­ne Geräusch in mei­nem Kopf zu behal­ten, aber das Wort Asma­ra kann ich mir mer­ken. Sobald ich das Wort Asma­ra for­mu­lie­re, leuch­ten ihre Augen, also sage ich drei­mal Asma­ra und freue mich über die Wirk­sam­keit die­ses Wor­tes. Asma­ra soll eine Stadt hel­len Lich­tes sein, sage ich, es soll dort immer­zu nach Kaf­fee duf­ten, und Tigri lacht und ich den­ke, dass das jetzt ent­we­der so ist oder dass das nicht so ist, dass sie jeden­falls das Hel­le mag und auch den Kaf­fee­duft. Man spre­che Tig­ri­gna dort in ihrer Gegend, sagt Tigri, und ich bemer­ke, dass ihr gan­zer Name selbst in die­sem Wort ent­hal­ten sei. Wie­der lacht die jun­ge Frau, schließt kurz die Augen, erzählt, dass ihr Bru­der, ein Gynä­ko­lo­ge, aus den Diens­ten eines Kran­ken­hau­ses ent­las­sen wur­de, weil man ihn nicht als das behan­deln woll­te, was er zu sein wünsch­te. Mein Bru­der, wis­sen Sie, möch­te ein König sein. Nun ist er arbeits­los und König. Er ist natür­lich schwarz wie ich, genau­so schwarz, und schwarz steht den Köni­gen nur in Afri­ka. Sie macht eine kur­ze Pau­se, reibt sich die Augen. Wir sind jetzt allein auf die­ser Welt, sagt Tigri, alles ging sehr schnell. Im ver­gan­ge­nen Jahr sei ihr Vater gestor­ben in Eri­trea, ein glück­li­cher Mensch, ein Bus­fah­rer, ein sehr stol­zer Herr. Im Okto­ber des­sel­ben Jah­res sei schließ­lich die Mut­ter mit dem Flug­zeug via Rom nach Frank­furt gekom­men. Sie habe, ohne das zu wis­sen, einen Tumor im Kopf mit­ge­bracht, im Febru­ar war sie dann umge­fal­len und tot im März. Tigri lehnt ihren Kopf an die Wand des Zuges, schaut aus dem Fens­ter. Ein hei­ßer, schwü­ler Mor­gen. Ob sie den Film anse­hen dür­fe, will sie wissen.
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tonwellenschrauben

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echo : 22.18 – Lun­ger­te im Wald unter Loui­sia­na-Moo­sen. Sturm­ge­räu­sche, auch Zika­den waren zu hören gewe­sen, ihre Flü­gel­stim­men, hell, schrill, glä­sern, Ton­wel­len­schrau­ben. Auf Knien kroch ich bald jagend durchs Unter­holz, woll­te eines der locken­den Tie­re fan­gen. Anstatt Insek­ten ent­deck­te ich Spiel­do­sen, hun­der­te, ja tau­sen­de, krei­sen­de Lärm­ma­schi­nen. Sie leuch­te­ten, feu­er­rot und blau, je nach Höhe oder Tie­fe ihres Gesangs. Sobald ich mich näher­te, um eines der Wesen zu ergrei­fen, schos­sen sie senk­recht in die Luft, ganz so als wür­den sie über prall gefüll­te Druck­luft­bäu­che fürs flüch­ten­de Rei­sen gebie­ten. Dann wur­de ich wach. Es war Abend gewor­den. Sams­tag. Ein Orkan näher­te sich von Wes­ten, knis­tern­de Fens­ter, Frö­sche schweb­ten sum­mend vor den Fens­tern. Zwei Stun­den lang dach­te ich über die Erfin­dung dienst­ba­rer Käfer nach, Gat­tung, die Stil­le zu erzeu­gen ver­mag, wann immer gewünscht. Ich stell­te mir vor, wie sie sich rück­wärts über mei­ne Wan­gen hin zu mei­nen Ohren bewe­gen, wie sie ihre küh­len Lei­ber in mei­ne Gehör­gän­ge ver­sen­ken, wie sie sich deh­nen und stre­cken, sanft, sanft, bis sie nahe­zu ver­schwun­den sein wer­den. Zwei Füh­ler noch, ein Paar kleins­ter Augen links, ein Paar kleins­ter Augen rechts, Doch­te, nein, Dioden­lich­ter. Ich hör­te nichts. — stop

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schlafkapsel : standby

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oli­mam­bo : 14.28 — In der Stadt New York soll ein Schlaf­kap­sel­haus exis­tie­ren, man bezahlt 50 Dol­lar und darf sich in eine der 2700 Waben legen, die ange­nehm warm gestal­tet sind und gut iso­liert gegen Geräu­sche jeder Art. Oder in Schlaf­zü­gen rei­sen unter der Stadt, abge­dun­kel­te Fens­ter­bo­jen, die Lini­en 12 und 15, ohne je anzu­hal­ten Tag und Nacht. Man könn­te viel­leicht sehr bald ein­mal einen spe­zi­el­len Stoff­wech­sel­kreis­lauf für Men­schen erfin­den, einen spar­sa­men Modus der Ver­bren­nung, eine Vari­an­te, die akti­viert sein könn­te, sobald ein mensch­li­ches Wesen dau­er­haft erwerbs­los zu wer­den droht. Men­schen, frei von Auf­ga­be, wären nun in der Lage, zu exis­tie­ren, ohne nen­nens­wer­te Spu­ren zu hin­ter­las­sen, wür­den kaum noch Nah­rung zu sich neh­men, statt­des­sen schla­fen, län­ger schla­fen, als ande­re Men­schen, die sich in Brot und Arbeit befin­den. Man wünscht, sagen wir, in dem man schläf­rig wird, Zeit zu gewin­nen, Zeit zu über­brü­cken. Gan­ze Land­stri­che, Stadt­tei­le, Kon­ti­nen­te wären in die­ser Wei­se leich­ter Hand in einen Zustand des War­tens, der spar­sa­men, der schmerz­frei­en Dul­dung zu ver­set­zen. — stop
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PRÄPARIERSAAL : erste schritte erste minuten

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nord­pol : 3.12 — Abends spät erreicht mich die E‑Mail eines jun­gen Man­nes, den ich längst ver­ges­sen hat­te, ich mei­ne, ich hat­te ver­ges­sen, dass die­ser Mann jemals exis­tier­te, weil ich lan­ge Zeit, ein Jahr unge­fähr, nicht an ihn dach­te. Sein Name ist Elia. Elia hat­te auf eine Fra­ge, die ich ihm schrift­lich stell­te, nicht geant­wor­tet. Irgend­wann habe ich auf­ge­hört zu war­ten, ich kann nicht sagen, wann genau das gewe­sen sein könn­te, im Win­ter viel­leicht oder bereits im Herbst. Selt­sam ist, das fällt mir in die­ser Minu­te des Notie­rens auf, dass ich nie wahr­neh­men kann, wenn ich etwas ver­ges­se, den exak­ten Zeit­punkt des Leich­ter­wer­dens genau­er, weil ich das Ver­ges­sen stets mit einem Ein­druck der Schwe­re­lo­sig­keit in Ver­bin­dung setz­te. Das Ver­ges­sen scheint ein heim­li­cher Pro­zess zu sein, so heim­lich, dass ich erst dann, wenn etwas Ver­ges­se­nes zurück­kehrt ins Leben, über­haupt in der Lage bin, sein Ver­schwin­den zu bemer­ken. Nun ist sie also wie­der hier bei mir, mei­ne ver­ges­se­ne Fra­ge. Ich hat­te Elia gefragt, wie er die ers­ten Minu­ten in einem ana­to­mi­schen Prä­pa­rier­saal erleb­te. Er beob­ach­te­te Fol­gen­des: > Zuerst habe ich das Gebäu­de von außen gese­hen, die Milch­glas­fens­ter, die rie­si­gen Röh­ren an den Fens­tern vor­bei und die Run­dun­gen des ver­hei­ßen­den und mich ängs­ti­gen­den Rau­mes. dann hat mich das ehr­wür­di­ge Gebäu­de ver­schluckt. die Trep­pe hin­auf konn­te ich die­sen wider­li­chen Geruch atmen. ich fand es unglaub­lich, mit wel­cher Lie­be zum Detail die­ses Gebäu­de aus­ge­stat­tet ist. auf der Suche nach einem Ansprech­part­ner habe ich die Ver­zie­run­gen im Boden bewun­dert. nach­dem ich die Erlaub­nis bekom­men hat­te, bin ich den lan­gen Gang an den haut­far­be­nen Spin­den vor­bei­ge­gan­gen zur Tür des Prä­pa­rier­saa­les. sie war ver­schlos­sen. aber durch den klei­nen Spalt konn­te ich in eine Apsis vol­ler mit rot leuch­ten­den Wachs­tü­chern bedeck­ter Kör­per sehen. ich habe nur die Tücher gese­hen, aber ich wuss­te, was dar­un­ter sein wür­de und war mir dabei trotz­dem nicht sicher. ich hat­te Angst. in der Nacht hat­te ich Alb­träu­me und mach­te Sezier­ver­su­che. am nächs­ten Tag hat­te ich mei­nen fri­schen wei­ßen Kit­tel dabei, der aber durch das Bevor­ste­hen­de schon jetzt mit einer selt­sa­men Schwe­re ver­se­hen war. ich wur­de an ein paar Assis­ten­ten über­ge­ben. wil­len­los folg­te ich ihnen mit einer Mischung aus Angst und Neu­gier in den Saal. nach fünf Schrit­ten blieb ich ste­hen. ich hat­te das Gefühl, ich wür­de auf­ge­saugt vom Geruch und dem tosen­den Lärm der klap­pern­den Instru­men­te. mir war heiß und kalt. ich muss­te mich wider­wil­lig zwin­gen tie­fer zu atmen. und atme­te noch inten­si­ver den süß­lich ste­chen­den Duft des For­mal­ins. dies­mal mit den ent­spre­chen­den Bil­dern vor mei­nen Augen. ich befahl mir genau hin­zu­se­hen. ich zwang mei­ne Augen ihre Bli­cke über die Kör­per schwei­fen zu las­sen. um nicht mit den Mosai­ken im Boden zu ver­schmel­zen, muss­te ich alle Bil­der vor mei­nen Augen mit Wör­tern versehen.

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PRÄPARIERSAAL : ismene

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sier­ra : 18.02 — Abend. Die Fens­ter geöff­net, es reg­net, für einen Moment ist Herbst gewor­den. Höre ein Inter­view, das ich mit Isme­ne, einer Medi­zin­stu­den­tin, in Mün­chen führ­te. Sie erzählt mit ruhi­ger Stim­me fol­gen­de Geschich­te: > Wie wir ange­fan­gen haben? Ich erin­ne­re mich gut. Ich hat­te kaum geschla­fen. End­lich soll­te es los­ge­hen. Als ich dann im Prä­pa­rier­saal vor dem Tisch stand, war ich erst ein­mal irri­tiert vom Anblick des Leich­nams. Ich glau­be, alle mei­ne Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen waren irri­tiert gewe­sen, min­des­tens waren sie beein­druckt. Wenn man unsi­cher ist, schaut man nach, was die ande­ren tun. Und wenn die Bli­cke ein­an­der begeg­nen, lächelt man. Ich habe die­se ers­te Situa­ti­on vor dem Tisch als sehr authen­tisch emp­fun­den, als ehr­lich und unmit­tel­bar. Wir hat­ten nur unse­re Augen, unse­re Hän­de, also unse­ren Tast­sinn, ein Skal­pell und eine Pin­zet­te, um den Kör­per, der uns zur Ver­fü­gung gestellt war, zu unter­su­chen. Natür­lich arbei­te­ten wir auch mit unse­rem Gehör­sinn. Wir waren acht Leu­te an jedem der 52 Tische, und wir dis­ku­tier­ten, was wir gese­hen haben. An die­sem ers­ten Tag aber waren wir eher still gewe­sen. Ich glau­be, jeder von uns muss­te zunächst ein­mal mit sich selbst zurecht­kom­men. Das waren ja sehr kräf­ti­ge Ein­drü­cke. Ich habe mir, um mich vor dem schar­fen Geruch zu schüt­zen, ein Tuch in die Brust­ta­sche gesteckt, das ich in Euka­lyp­tus­öl getaucht hat­te. Und da war nun die­se alte Frau gewe­sen. Sie lag voll­kom­men unbe­klei­det auf dem Tisch vor uns. Ich habe gewusst, dass die­ser Moment kom­men wür­de, aber man kann sich auf den Augen­blick einer ers­ten Begeg­nung die­ser Art nicht wirk­lich vor­be­rei­ten. Viel­leicht hat­ten wir des­halb mit hoher, zupa­cken­der Geschwin­dig­keit die rote Decke und das wei­ße Tuch, die den Leich­nam vor Aus­trock­nung schüt­zen, ange­ho­ben, weil wir unse­rer Unsi­cher­heit Akti­vi­tät ent­ge­gen­set­zen woll­ten. Ich war sehr bewegt und ich war unru­hig und ich schäm­te mich für mei­nen sach­li­chen Blick, der das Gewicht der alten Dame schätz­te und ihre Grö­ße. Sie lag rück­lings auf dem Tisch. Ihre Bei­ne und Arme waren aus­ge­streckt. Wenn sie noch am Leben gewe­sen wäre, wür­de sie ver­mut­lich ver­sucht haben, sich zu schüt­zen. Sie hät­te ihre klei­nen, fla­chen Brüs­te mit Hän­den bedeckt und ihre Scham, und sie hät­te viel­leicht irgend­ei­ne abweh­ren­de Ges­te unter­nom­men. Ich sehe ihr Gesicht, ihre geschlos­se­nen Augen noch sehr genau vor mir. Ein fei­nes Gesicht. Das For­ma­lin hat­te ihr kaum zuge­setzt, an ihrem Kör­per war kei­ne wei­te­re Nar­be zu fin­den als ein Schnitt an der Innen­sei­te des lin­ken Ober­schen­kels, der von einer Kanü­le der Prä­pa­ra­to­ren ver­ur­sacht wor­den war. Und wenn ich jetzt sage, dass sie sehr echt aus­sah, wirk­lich, ver­letz­lich, dann kom­me ich der Ursa­che mei­ner Irri­ta­ti­on viel­leicht näher. Ver­ste­hen Sie, die alte Dame war mir ähn­lich. Ich bemerk­te eine Frau, eine Frau, die nur durch ein wenig Zeit von mir getrennt war. Ich sah eine Per­son und ich fürch­te­te, sie in ihrer Ruhe zu stö­ren, und des­halb sprach ich lei­se. Auch mei­ne jun­gen Freun­de am Tisch spra­chen sehr lei­se, zurück­hal­tend, behut­sam. Ich sah, dass ihre Hän­de in den Latex­hand­schu­hen schwitz­ten und auch, dass sie ein wenig zit­ter­ten, wäh­rend sie arbei­te­ten. Die Hän­de der alten Dame wirk­ten, als hät­te sie zu lan­ge geba­det. Das waren sehr fei­ne Hän­de. Sie hat­te zuletzt noch ihre Fin­ger­nä­gel bemalt in einem hel­len Rot. Sie hat­te sich noch geschmückt. Sie woll­te schön sein! Immer­zu muss­te ich ihre Hän­de betrach­ten. — stop

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new york januar 1938

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echo : 4.58 — 25 °C. End­lich wie­der so weit, dass Fal­ter durchs geöff­ne­te Fens­ter kom­men, Schat­ten an den Wän­den, klim­pern­de Kör­per unter Lam­pion­lam­pen­schir­men. Wie sie bald still sit­zen wer­den in der Dun­kel­heit des kom­men­den Tages. Groß­ar­ti­ge Stil­le, nur das Sum­men der Luft, alles schläft. An der Ent­de­ckung der Bass­kä­fer wei­ter­ge­ar­bei­tet, anstatt durch Schnee zu wan­dern, Schnee war nicht mög­lich, Flo­cken, die vom Janu­ar­sturm senk­recht gegen das Fens­ter eines Zim­mers peit­schen, in dem ich ges­tern auf­hör­te gegen 5 Uhr in der Früh. Eigent­lich hat­te ich vor, in die­ser Nacht mit Schnee­schu­hen an der Küs­te zu lau­fen, Ben­ny Good­man im Ohr. Wie zum Teu­fel könn­te es mög­lich wer­den, für ein paar Minu­ten nur, leib­haf­tig nach New York zurück in das Jahr 1938 zu gelan­gen, in ein Jahr, in dem ich selbst tat­säch­lich nicht ein­mal eine Idee gewe­sen war? — stop

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samuel beckett : 16 steine

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india : 3.25 – Ich nut­ze die­sen Auf­ent­halt, um mich mit Stei­nen zum Lut­schen zu ver­sor­gen. Es waren klei­ne Kie­sel, aber ich nen­ne sie Stei­ne. Ja, die­ses Mal brach­te ich einen bedeu­ten­den Vor­rat von ihnen zusam­men. Ich ver­teil­te sie gleich­mä­ßig in mei­nen vier Taschen und lutsch­te sie nach­ein­an­der. Dadurch ent­stand ein Pro­blem, das ich zunächst auf fol­gen­de Art lös­te: Ange­nom­men, ich hat­te sech­zehn Stei­ne und vier davon in jeder mei­ner vier Taschen, näm­lich in den zwei Taschen mei­ner Hose und den zwei­en mei­nes Man­tels. Wenn ich einen Stein aus der rech­ten Man­tel­ta­sche nahm und in den Mund steck­te, so ersetz­te ich ihn in der rech­ten Man­tel­ta­sche durch einen Stein aus der rech­ten Hosen­ta­sche, den ich durch einen Stein aus der lin­ken Hosen­ta­sche ersetz­te, den ich durch einen Stein aus der lin­ken Man­tel­ta­sche ersetz­te, den ich wie­der­um durch den Stein in mei­nem Mund ersetz­te, sobald ich mit dem Lut­schen fer­tig war. Auf die­se Wei­se befan­den sich immer vier Stei­ne in jeder mei­ner vier Taschen, aber nicht genau die­sel­ben… / Mitt­woch. stop. Samu­el Becketts wun­der­ba­rer Text der sech­zehn Stei­ne an die­sem frü­hen Mor­gen. Noch dun­kel. Schwe­re wür­zi­ge Luft der Kas­ta­ni­en­blü­te. Nacht­bie­nen pfei­fen am Fens­ter vor­über. Ich wer­de jetzt gleich eine Stun­de unter­neh­men, an die ich mich lan­ge Zeit, viel­leicht bis an mein Lebens­en­de erin­nern wer­de. In die­ser einen Stun­de habe ich nichts zu tun, als die­se eine Stun­de zu beob­ach­ten, und mich selbst, wie ich sie pas­sie­re. stop. — 3 Uhr 35

 

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malta : schnüre von luft

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sier­ra : 15.08 – Heu­te Mor­gen, der Kof­fer lag bereits geöff­net auf dem Bett, konn­te ich wie­der das Was­ser hören, wies sich in nächs­ter Nähe beweg­te. Hat­te ein Ohr an eine Zim­mer­wand gelegt, da waren Stim­men, die sich mit dem Was­ser unter­hiel­ten, gedämpf­te Geräu­sche, Wör­ter, die ich noch nie zuvor ver­nom­men hat­te. War dann spa­zie­ren in den Schat­ten, habe Namen gesam­melt, Türen und ihre Far­ben, die Gestalt der Trep­pen, der Brief­käs­ten, der Fens­ter­räu­me, Men­schen­spu­ren, durch all­täg­li­che Bewe­gung der Jahr­hun­der­te in die Stein­haut der Stra­ßen ein­ge­tra­gen. Wil­de Lei­tun­gen kreuz­ten von Haus zu Haus. Ich stell­te mir vor, Schnü­re umman­tel­ter Luft, jedes Tele­fon sei mit wei­te­ren Tele­fo­nen durch je eine eige­ne Lei­tung ver­bun­den. Und da waren beleuch­te­te Chris­tus­fi­gu­ren an Häu­ser­ecken. Ein paar Jungs spiel­ten Fuß­ball gegen stärks­te Nei­gung des Bodens, mit einem Ball, der ost­wärts flüch­ten woll­te. Am Hafen hock­ten Män­ner auf leich­ten Stüh­len von Holz. Sie schau­kel­ten Ruten über kla­rem Was­ser, in dem kein Fisch zu sehen war. Lan­ge Zeit der Beob­ach­tung. Die Män­ner plau­der­ten in ihrer wei­chen mal­te­si­schen Spra­che, für einen Moment war mir gewe­sen, als ob sie durch Beschwö­rung, durch ihr Lachen, Fische erzeug­ten, die genau in dem Moment ihrer Ent­ste­hung sich in die war­ten­den Haken der Jäger ver­bis­sen, um auf der Stel­le in die Luft gezo­gen zu wer­den, Fische mit sil­ber­nen Bäu­chen, blau­en Rücken, gel­ben Augen, Erfin­dun­gen, wie Wör­ter aus dem Nichts, die sich zu Lini­en for­mie­ren und blei­ben. Dann wei­ter. — stop



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