Aus der Wörtersammlung: gedanken

///

lupenvögel

2

tan­go : 20.58 — Es ist Sonn­tag, Okto­ber, und warm inmit­ten der Stadt. Lou­is darf sei­ne Fens­ter öff­nen, Vögel wer­den kei­ne ins Zim­mer kom­men, weil Vögel nicht zu hören sind, auch nicht am Mor­gen, weil Vögel kei­ne da drau­ßen in den Bäu­men woh­nen, außer einem Rot­kehl­chen, zwei Tau­ben und einer Els­ter, die sind ver­bürgt, die sind Lou­is unlängst vor die eige­nen Augen gekom­men. So ist also Sonn­tag fast ohne Vögel, die Fens­ter sind geöff­net, mal schaut Lou­is zum Fens­ter hin­aus, mal steht er vor sei­ner schnee­wei­ßen Tafel, die in der Nähe des Fens­ters an einer Wand befes­tigt ist. Magne­te, klei­ne sil­bern blit­zen­de Zylin­der hal­ten Papie­re fest. Auf den Papie­ren sind Schat­ten zu erken­nen, Wol­ken von win­zi­gen Zei­chen. Je näher man der Tafel kommt, des­to deut­li­cher sind Zei­chen­blö­cke zu erken­nen, eine Ord­nung in Wol­ken von Zei­chen­vö­geln, jeder der Vögel eine Geschich­te, hun­der­te Text­vö­gel, die nicht zu ent­zif­fern sind mit blo­ßem Auge. Sobald Lou­is in sei­nen Wer­ken liest, nähert er sich sei­ner Vogel­samm­lung mit­tels eines Mikro­skops, wel­ches sich an einem fili­gra­nen Arm befes­tigt, mil­li­me­ter­wei­se über den schnee­wei­ßen Metall­him­mel hin und her fah­ren lässt. So steht er und liest und sucht in sei­nen Gedan­ken, Erfin­dun­gen, Erzäh­lun­gen. Alles ist dort sicht­bar oder unsicht­bar zunächst für mensch­li­che Augen oder mensch­li­che Erin­ne­rung, alles liegt vor, Erkennt­nis­se, Ergeb­nis­se, Irr­tü­mer, das Glück und Unglück der Wor­te, der Sät­ze, alles. — stop

///

abend

2

gink­go : 20.18 UTC — Man könn­te sich vor eine Schreib­ma­schi­ne set­zen, mit etwas Scho­ko­la­de zur Sei­te und Was­ser und Kaf­fee für ein oder zwei Tage Zeit, auch eine Ente könn­te gegen­wär­tig sein, die bereits gebra­ten ist, und Brot und Reis. Weil die aus­ge­dach­te Schreib­ma­schi­ne ohne jedes Papier notie­ren kann, muss man sich über Papie­re kei­ne Gedan­ken machen. Man beginnt zu schrei­ben. Man schreibt viel­leicht zunächst nur ein Wort: Regen. Man schreibt das Wort Regen, weil in die­sem Augen­blick, da man zu schrei­ben beginnt, Regen vor den Fens­tern vom Him­mel fällt. Mit Regen könn­te man begin­nen, mit dem Wort Regen. Man schreibt also das Wort Regen, das unver­züg­lich auf dem Bild­schirm erscheint. Es reg­net. Ich höre, dass es reg­net, das Geräusch des Regens, das mir ver­traut ist, ein Geräusch, das ich als Kind bereits hör­te, wie in die­sem Augen­blick. Kann mich nicht erin­nern, wann es anfing zu reg­nen, viel­leicht wäh­rend ich noch über­leg­te, was ich notie­ren soll­te, ein güti­ger Regen, ein Regen, mit dem ich begin­nen konn­te. Wann lern­te ich, was Regen ist? Wann hör­te ich zum ers­ten Mal von dem Wort, das Regen bezeich­net? Was kann ich sagen über das Wort Regen. Wie lan­ge Zeit müss­te ich notie­ren in die­sem mei­nem fort­ge­schrit­te­nen Alter, um all das auf­schrei­ben zu kön­nen, was ich weiß vom Regen? Wie viel Gramm? — Was weiß ich noch? — stop

///

ai : SRI LANKA

aihead2

MENSCH IN GEFAHR: „Der Schrift­stel­ler Shakt­hi­ka Sath­ku­ma­ra wur­de am 1. April 2019 fest­ge­nom­men, als er auf einer Poli­zei­wa­che erschien, um eine Aus­sa­ge zu einer Beschwer­de zu machen, die bud­dhis­ti­sche Mön­che hin­sicht­lich sei­ner Kurz­ge­schich­te ein­ge­reicht hat­ten. Er wur­de unter Para­graf 3(1) des IPb­pR-Geset­zes und Para­graf 291(B) des sri­lan­ki­schen Straf­ge­setz­buchs ange­klagt. Die­se Para­gra­fen las­sen eine Frei­las­sung gegen Kau­ti­on sei­tens regu­lä­rer Amts­ge­rich­te nicht zu. Des­halb befand sich Shakt­hi­ka Sath­ku­ma­ra fast vier Mona­te lang in Haft. Sei­ne nächs­te Anhö­rung soll am 30. Sep­tem­ber vor dem Obers­ten Gerichts­hof statt­fin­den. / Shakt­hi­ka Sath­ku­ma­ras lite­ra­ri­sche Arbeit ist von meh­re­ren Orga­ni­sa­tio­nen, dar­un­ter auch dem Minis­te­ri­um für kul­tu­rel­le Ange­le­gen­hei­ten und der Kul­tur­ab­tei­lung des Minis­ter­prä­si­den­ten der Nord­west­pro­vinz, für Aus­zeich­nun­gen vor­ge­schla­gen wor­den. Para­graf 3(1) des IPb­pR-Geset­zes und Para­graf 291 des Straf­ge­setz­buchs kri­mi­na­li­sie­ren das Pro­pa­gie­ren von ras­sis­ti­schem und reli­giö­sem Hass, der Dis­kri­mi­nie­rung, Feind­se­lig­keit und Gewalt schürt./ Die Fest­nah­me von Shakt­hi­ka Sath­ku­ma­ra ist Teil einer beun­ru­hi­gen­den Ten­denz, das IPb­pR-Gesetz dazu zu nut­zen, fried­li­chen Aktivist_innen und Autor_innen in Sri Lan­ka die Rech­te auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung und Gedanken‑, Gewis­sens- und Reli­gi­ons­frei­heit abzu­spre­chen. Die­se Rech­te sind jedoch im Inter­na­tio­na­len Pakt über bür­ger­li­che und poli­ti­sche Rech­te fest­ge­schrie­ben. Im Mai 2019 wur­de eine Frau namens M. R. Mazahi­ma unter dem IPb­pR-Gesetz fest­ge­nom­men, weil sie eine Blu­se mit dem Auf­druck eines Schiffsteu­er­ra­des getra­gen hat­te. Als Begrün­dung wur­de von den anzei­gen­den Per­so­nen fälsch­li­cher­wei­se ange­ge­ben, dass dies ein bud­dhis­ti­sches Sym­bol sei. Sie wur­de mehr als drei Wochen lang in Gewahr­sam gehal­ten, bis ihr end­lich Kau­ti­on gewährt wur­de. Im Juni 2019 wur­de dem Kolum­nis­ten Kusal Perera unter dem IPb­pR-Gesetz mit der Fest­nah­me gedroht, weil er über den zuneh­men­den extre­mis­ti­schen Sin­ha­la-Bud­dhis­mus in Sri Lan­ka geschrie­ben hat­te. / Der will­kür­li­che Ein­satz des IPb­pR-Geset­zes – das Men­schen­rech­te schüt­zen und nicht gegen sie ver­sto­ßen soll – hat zu einem schwie­ri­gen Kli­ma im Land geführt. In Sri Lan­ka reagie­ren die Behör­den extrem sen­si­bel auf ver­meint­li­che Ver­un­glimp­fun­gen des Bud­dhis­mus und wer­den direkt von bestimm­ten Grup­pen bud­dhis­ti­scher Mön­che beein­flusst, die die Fest­nah­me und Straf­ver­fol­gung von Per­so­nen ver­lan­gen, von der sie mei­nen, dass sie die Reli­gi­on ver­un­glimpft haben./ Gemäß dem IPb­pR, an des­sen Umset­zung Sri Lan­ka gebun­den ist, darf das Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung und die Gedanken‑, Gewis­sens- und Reli­gi­ons­frei­heit nur in einem engen, klar defi­nier­ten Rah­men ein­ge­schränkt wer­den. Ein­schrän­kun­gen die­ser Rech­te sind nur dann zuläs­sig, wenn sie nötig sind, um die Rech­te und Frei­hei­ten ande­rer oder bestimm­te öffent­li­che Inter­es­sen (wie z. B. die natio­na­le bzw. öffent­li­che Sicher­heit, die öffent­li­che Ord­nung oder die öffent­li­che Gesund­heit oder Moral) zu schüt­zen, und wenn sie für die­sen Zweck nach­weis­bar not­wen­dig sind. Indi­rek­te oder direk­te Kri­tik an einer Reli­gi­on oder einem Glau­bens­sys­tem darf nicht als Volks­ver­het­zung kri­mi­na­li­siert wer­den.“ - Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen bis spä­tes­tens zum 17.10.2019 unter > ai : urgent action
ping

///

von blüten

9

lima : 15.01 UTC — Vor der Ver­kün­dung des Urteils hat sich das Gericht vor­nehm zurück­ge­zo­gen. Der Ange­klag­te sitzt auf sei­nem Platz und war­tet. Links und rechts etwas erhöht haben sich auch sei­ne Ver­tei­di­ger, zwei ange­se­he­ne Anwäl­te der Stadt, von ihren Plät­zen nicht erho­ben, man rech­net mit einer raschen Ent­schei­dung. So auch der Staats­an­walt, ein jün­ge­rer Herr, nicht ein­mal sei­ne Robe hat er abge­legt, wäh­rend­des­sen er den Ange­klag­ten glei­chen Alters in einer vor­sich­ti­gen Art und Wei­se betrach­tet, als sei er sich nicht sicher, mit sei­nem Plä­doy­er eine aus­rei­chen­de Begrün­dung für die hohe Stra­fe dar­ge­legt zu haben, die er zuletzt über den Ange­stell­ten der städ­ti­schen Biblio­the­ken zu wer­fen for­der­te. Genau so hat­te er noch gespro­chen, wer­fen, nicht ver­hän­gen sol­le man eine Stra­fe über die­sen Mann, der sich hier im Saa­le höchst unauf­fäl­lig benom­men hat­te. Wann hat­te er die ers­te Blu­me frei­ge­las­sen, wann den ers­ten Samen aus­ge­streut? War es ihm denn nicht in den Sinn gekom­men, dass er unrecht han­del­te, als er mit Vor­satz ver­such­te Urwald in der Stadt aus­zu­set­zen? Ja, wie konn­te er denn glau­ben, dass man ihn ohne Stra­fe davon kom­men las­sen wür­de, nach­dem sei­ne Laren­tiae Sinen­si­os vor dem Opern­haus das Pflas­ter spreng­ten, nach­dem man im schöns­ten der zen­tra­len Parks gera­de noch ver­hin­dern konn­te, dass der gold­ro­te Samen­staub der Lobe­lia Frasen­sis sich des Pal­men­hau­ses bemäch­tig­te? Ja wie konn­te er gestat­ten, dass man ihn rühm­te als einen guten Men­schen, da doch die von ihm vor­nehm­lich unter der Stra­ßen­bahn­fahrt in die Luft gepu­der­ten Kost­bar­kei­ten der Nemuso Lasas­tro in den Lun­gen der städ­ti­schen Bür­ger wun­der­sa­me Blü­ten zu trei­ben began­nen? Man hat­te lan­ge Zeit Mühe, sie in ihrem Wachs­tum zu begren­zen. Das Wun­der ihrer feu­er­ro­ten Kel­che drang aus den Grä­bern derer, die an den Blü­ten erstick­ten. Dort, unter den Ulmen und Kas­ta­ni­en­bäu­men, kämpf­ten die Gärt­ner einen unglei­chen Kampf, wie ihre Brü­der und Schwes­tern in den Hän­gen­den Gär­ten der glä­ser­nen Ban­ken­tür­me, die ver­geb­lich ver­such­ten, die Tar­a­xa­ca des gefrä­ßi­gen Schä­fer­korb­baums aus ihren Häu­sern zu kämp­fen. Mor­gens, wenn die herr­li­che Okto­ber­son­ne von Osten her in die rie­si­gen Atri­ien schien, sah man wohl­ge­form­ten Fall­schir­me die­ser frucht­bars­ten Pflan­zen­ge­schöp­fe in den künst­li­chen Win­den des Gebäu­des auf und nie­der­ge­hen. Es war dies die Stun­de, da man sich geschla­gen gab, um dann doch wie­der aus­zu­schwär­men, um den Not­ru­fen zu fol­gen, die von ver­zwei­fel­te Ange­stell­ten aus ihren Büros abge­setzt wor­den waren. Der jun­ge Staats­an­walt sieht durch das küh­le Licht des Saa­les zu dem Ange­klag­ten hin­über, und ein Schau­er über­läuft ihn bei dem Gedan­ken, dass gera­de jene von der Stadt bezahl­ten Stun­den des Stu­di­ums es den Biblio­the­ka­ren ermög­lich­ten, in den bio­lo­gi­schen Samm­lun­gen und Archi­ven nach den Gie­rigs­ten unter den Blu­men die­ser Welt zu for­schen. Er sieht die­sen beschei­de­nen Herrn an einem behörd­li­chen Schreib­tisch sit­zen, einem höl­zer­nen, wie er die Fächer sei­ner leder­nen Tasche mit Samen muni­tio­niert. Und dann sieht er ihn spa­zie­ren, da dort lächelnd eine Dosis Blü­ten­sa­men auf den Boden wer­fend, sodass schon bald dar­auf im Wech­sel der Duft von Kamil­le, der Duft der blau­en Anden­hya­zin­ten vom Schot­ter der Stra­ßen­bahn­ge­lei­se auf­zu­stei­gen begann. Aus der Regen­rin­ne des Poli­zei­prä­si­di­ums wuchert noch heu­te eine Com­mel­ine Cest­re him­mel­hoch über Radio­an­ten­nen hin­aus, das Bers­ten ihrer Nüs­se im Okto­ber ist noch über hun­der­te Metern hin deut­lich zu hören, es sind Schüs­se, es ist die reins­te Gefahr, die dort über den Dächern der Stadt auf den Win­ter lau­ert. Da sit­zen sie nun, ein jun­ger Herr, ein Samen­wer­fer und ein jun­ger Staats­an­walt, und war­ten auf das Urteil, das eine gerech­te Stra­fe aus­spre­chen möge. — stop

///

papiere körper

2

echo : 0.14 UTC — Unlängst ent­deck­te ich in der digi­ta­len Sphä­re ein Buch des ame­ri­ka­ni­schen Autors David Fos­ter Wal­lace. Ich dach­te, die­ses Buch ist sehr umfang­reich, schwer, ver­mut­lich und ver­letz­lich. Ich dach­te außer­dem, dass Som­mer gewor­den ist, dass ich das Buch mög­li­cher­wei­se ger­ne in einem Park lesen wür­de, auf einer Bank sit­zend oder im Gras lie­gend. Plötz­lich kauf­te ich eine elek­tro­ni­sche Aus­ga­be des Romans Unend­li­cher Spaß, des­sen Instanz weni­ge Sekun­den spä­ter voll­stän­dig auf mei­ner klei­nen, fla­chen Schreib­ma­schi­ne ange­kom­men war. Sehr erstaun­lich, wie schnell das geht, geräusch­los, so die Anlie­fe­rung der voll­stän­di­gen Werk­aus­ga­ben Anton Tschechows, Franz Kaf­kas, Flaubert’s weni­ge Wochen zuvor. Nun ist das so, dass ich spür­te, dass etwas fehlt, obwohl ich einen kom­ple­xen Text über­mit­telt bekom­men, also zuge­nom­men habe, mei­ne Biblio­thek, die Aus­wahl mei­ner Bücher, Wör­ter, Gedan­ken, die ich in mei­nem Zim­mer auf und ab gehend sofort in die Hand neh­men und mir vor Augen hal­ten könn­te. Ich glau­be, ich wer­de mir ein Stück Holz suchen, oder einen klei­nen Kar­ton, den ich beschrif­ten könn­te, um ihn stell­ver­tre­tend in mein Regal zu stel­len zu wei­te­ren Büchern, die noch tat­säch­lich papie­re­ne Per­sön­lich­kei­ten sind. — stop
ping

///

regenschirmtiere vol.3

2

ulys­ses : 0.12 UTC — Ein Jour­na­list, der für das Radio arbei­tet, erzähl­te unlängst am Tele­fon, er habe ein­mal an einer Repor­ta­ge gear­bei­tet, die von der Ent­de­ckung der Regen­schirm­tie­re berich­te­te. Unge­fähr in der Mit­te sei­nes Bei­tra­ges habe er einen Feh­ler ent­deckt. Er saß vor dem Radio­ge­rät und hör­te der Stim­me einer Spre­che­rin zu, die sei­nen Text sehr deut­lich las, es war also zu spät, der Jour­na­list konn­te an sei­nem Feh­ler nichts ändern. Das ver­sen­det sich, wur­de er von einer Redak­teu­rin getrös­tet. Und ich dach­te, das ist ein schö­nes Wort für ver­lo­re­ne Wor­te oder Gedan­ken, das ist wie mit Träu­men, die sich von der Erin­ne­rung lösen wie Regen­was­ser, das sich nicht wirk­lich fest­hal­ten, nicht wirk­lich begrei­fen lässt mit Hän­den, die­ses hel­le Was­ser, das die Luft erhell­te in einem Traum, den ich gera­de noch erzäh­len konn­te auf einem Blatt Papier, ehe der Traum sich ver­flüch­tig­te, in dem ich mich wun­der­te, dass ich, bei­de Hän­de frei, durch die Stadt gehen konn­te, obwohl ich doch allein unter einem Regen­schirm spa­zier­te. Als ich an einer Ampel war­ten muss­te, betrach­te­te ich mei­nen Regen­schirm genau­er und staun­te, weil ich nie zuvor eine Erfin­dung die­ser Art zu Gesicht bekom­men hat­te. Ich konn­te dunk­le Haut erken­nen, die zwi­schen bleich schim­mern­den Kno­chen auf­ge­spannt war, Haut, ja, Haut von der Art der Flug­haut eines Abend­seg­lers. Sie war durch­blu­tet und so dünn, dass die Rinn­sa­le des abflie­ßen­den Regens deut­lich zu sehen waren. In jener Minu­te, da ich mei­nen Schirm betrach­te­te, hat­te ich den Ein­druck, er wür­de sich mit einem wei­te­ren Schirm unter­hal­ten, der sich in nächs­ter Nähe befand. Er voll­zog leicht schau­keln­de Bewe­gun­gen in einem Rhyth­mus, der dem Rhyth­mus des Nach­bar­schirms ähnel­te. Dann wach­te ich auf. Es reg­net noch immer. Ich wer­de gleich tele­fo­nie­ren. — stop
ping

///

palmenhaus süd

2

gink­go : 15.01 UTC — Im Wüs­ten­haus das fei­ne Geräusch der Kak­teen, sobald ich ihr Sta­chel­horn mit einem Pin­sel, einem Mika­do­stäb­chen, einem Fin­ger berüh­re. Hell. stop. Federnd. stop. Pro­pel­lernd. stop. Klän­ge, für die in mei­nem suchen­den Wort­ge­hör wei­ter­hin kei­ne eige­ne Zei­chen­fol­ge zu fin­den ist. stop. Die Stil­le beim Durch­blät­tern eines feuch­ten Buches kurz dar­auf in der Man­gro­ven­ab­tei­lung des Pal­men­hau­ses. Ich beob­ach­te­te, dass ich einen Satz­ge­dan­ken, ehe der Gedan­ke zu einem Ende gekom­men ist, in mei­nem Kopf nur dann anzu­hal­ten ver­mag, sobald ich den Gedan­ken Wort für Wort voll­zie­he, also bereits so lang­sam den­ke, dass ich mit­zu­schrei­ben in der Lage bin. stop Man soll, hör­te ich, Kak­te­en­dor­ne als Gram­mo­fon­na­deln ver­wen­det haben. Erstaun­lich! — stop

///

verschwinden

2

gink­go : 0.01 UTC — Vor Kur­zem, vor fünf­zehn Minu­ten prä­zi­se, ist mir eine merk­wür­di­ge Geschich­te mit mir selbst pas­siert. Ich hat­te die­se Geschich­te bereits vor Jah­ren genau so erlebt, wie­der also vor dem Com­pu­ter­bild­schirm. Ich beob­ach­te­te, wie ein Ser­ver Zei­le um Zei­le mel­de­te, wel­che Datei einer digi­ta­len Arbeit gera­de aus der les­ba­ren Welt in eine nicht les­ba­re Welt beför­dert wird, als ich bemerk­te, dass mir das Löschen gefällt, dass auch das Ver­schwin­den, Zei­le für Zei­le, reiz­voll sein kann. Für einen kur­zen Moment hat­te ich die Idee, dass der Ser­ver, nach­dem er mei­ne Geschich­te zu Ende gelöscht haben wür­de, auf mich selbst zugrei­fen könn­te, also die Per­son des Autors zu sich holen und löschen, wie kurz zuvor die Gedan­ken­ar­beit zwei­er Tage. Womit, frag­te ich, wür­de er begin­nen? Mit einer mei­ner Hän­de even­tu­ell, oder mit mei­nen Augen oder mit mei­nen Ohren? Wie wür­de sich die­ses Ver­schwin­den bemerk­bar machen? Wür­de ich den Ein­druck haben, leich­ter zu wer­den, oder wür­de ich viel­leicht ver­geb­lich nach einem Blei­stift grei­fen, weil mei­ne zupa­cken­de Hand licht­durch­läs­sig gewor­den ist? – stop
ping

///

am telefon

pic

nord­pol : 15.15 UTC — Merk­wür­dig: Im Notie­ren kom­men Gedan­ken und Fra­gen wie Vogel­schwär­me her­an, zunächst kommt ein Gedan­ke allein und setzt sich und war­tet und schaut mich an. Dann kommt der nächs­te Gedan­ke, der schon zu zweit ist. — In der ver­gan­ge­nen Nacht träum­te ich von mir selbst. Ich saß in einem Roll­stuhl mit vie­len wei­te­ren alten Men­schen in einem Saal groß wie der War­te­saal eines Metro­po­len­bahn­ho­fes. Immer­zu woll­te ich tele­fo­nie­ren, ein klin­geln­des Tele­fon war zwar sicht­bar, aber nicht erreich­bar. Ich hör­te mei­ne Stim­me. Sie rief: Nun rufen Sie doch end­lich Mon­sieur Proust an, haben Sie denn sei­ne Num­mer nicht! Eine jun­ge, betö­rend schö­ne Frau beug­te sich zu mir hin­un­ter. Sie sag­te: Lou­is, bit­te, es ist jetzt wirk­lich genug, wir haben den Vor­mit­tag über ver­sucht Herrn Proust zu errei­chen, er nimmt den Hörer nicht ab. Aber der Bal­zac ruft andau­ernd an, wol­len sie nicht end­lich dran gehen! — Heut Regen, nas­se Vögel über­all. — stop

ping

///

gedankenechse

2

alpha : 0.25 — Seit Jah­ren tat­säch­lich, und mit Ver­gnü­gen, beob­ach­te ich einen Gedan­ken, der sich nicht bewegt, kein Buch­sta­ben­zei­chen des Gedan­kens rührt sich von der Stel­le. Manch­mal den­ke ich, der Gedan­ke bewegt sich heim­lich, wäh­rend ich ande­re Gedan­ken den­ke. — stop

ping



ping

ping