Aus der Wörtersammlung: mensch

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zarte lügen

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alpha

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : ZARTE LÜGEN

Mein lie­ber Jona­than, ges­tern, stel­len Sie sich vor, habe ich von Ihrem Mut erzählt, von Ihrer Begeis­te­rung, unse­re Welt, die Welt der Luft­men­schen zu erkun­den, eine Welt, die Sie so vie­le Jah­re in einer Was­ser­woh­nung lebend, nicht berüh­ren konn­ten. Man frag­te mich, wo genau Sie sich gera­de auf­hal­ten mögen und da muss­te ich zuge­ben, dass ich das nicht wüss­te. Auch woll­te man hören, wie Ihre fri­schen, jun­gen Lun­gen sich ver­hal­ten, wo genau an Ihrem Kör­per sie ange­bracht wor­den sind und wie sie funk­tio­nie­ren. Natür­lich habe ich kei­ne Aus­kunft erteilt, will Sie zunächst ersu­chen, mir zu sagen, ob ich berich­ten darf, weil ihr Atem­ver­mö­gen doch eine beson­de­re und des­halb auch pri­va­te Ange­le­gen­heit sein könn­te. Viel­leicht sind Sie so freund­lich, bei Gele­gen­heit sich mir in die­ser Sache zu erklä­ren. Ihren Eltern im Übri­gen geht es gut. Natür­lich machen sie sich erns­te Gedan­ken, weil Sie, mein lie­ber Kek­ko­la, nichts von sich hören las­sen. Ihre Mut­ter blass wie Krei­de, und Ihr Vater, ihr Vater um vie­le Jah­re älter gewor­den. Bald wer­de ich mei­nem Wunsch nach­ge­ben und Brie­fe erfin­den, zar­te Lügen, beru­hi­gen­de Nach­rich­ten aus den Wäl­dern, man will stolz sein, man will wis­sen, was sie so tun auf Ihrem Weg dem Süden zu und ob sie noch unter den Leben­den wei­len. Bleibt mir zu sagen, dass ihre Eltern wie­der Nah­rung zu sich neh­men. Ich ver­mu­te, sie glau­ben mir in die­sen Tagen end­lich, dass ihre Woh­nung nach Jahr­zehn­ten undicht gewor­den sein könn­te. Wir machen Fort­schrit­te. – Ihr Lou­is, ers­ten Schnee erwartend.

gesen­det am
02.12.2009
22.32 MEZ
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lou­is to jonathan
noe kekkola »


ping

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franny and zooey

9

fox­trott : 10.00 — Flug­zeug über Atlan­tik quer. 7 Stun­den 25 Minu­ten. Bewe­gung auf dem Bild­schirm wie Däm­me­rung, wie Eis­schmel­ze, wie Gras­wach­sen. Luft von Zimt, Mund­voll Leb­ku­chen. So lie­gen, ein Auge ruhend auf Pixel­meer, das ande­re auf Salin­gers Fran­ny. Wis­pern­de Stim­men der Man­hat­ten­of­fi­zers, lei­se Auf­nah­me, einen Tag fest­hal­ten, eine Nacht. Das Was­ser des Grön­land­ei­ses, noch lang­sa­mer als das Älter­wer­den und so sicher, so aus­ge­macht, wie es im Süden nach den Häu­sern der armen Küs­ten­men­schen greift. Man hört das nicht, man denkt das nicht. Es ist längst schon ein­ge­ar­bei­tet, viel­leicht, in jede Erwar­tung. Luft von Zimt, Mund­voll Leb­ku­chen. Ein Auge ruhend auf dem Meer, das ande­re auf Fran­ny. Col­tra­ne, John: A love supre­me. Zeit ver­geht. — stop

ba185

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segelohren

9

whis­key : 23.33 — Manch­mal, wenn ich nach Wör­tern, Sät­zen, Aus­we­gen suchend durch mei­ne klei­ne Woh­nung spa­zie­re, glau­be ich, auf einem Boden zu han­deln, der nicht fest ist, der schwankt, der schlin­gert. Ich gehe dann sofort anders­her­um, die­sel­be Stre­cke oder ein­mal kurz aus dem Haus rüber zum See, der in die­sen Tagen längst zuge­fro­ren sein müss­te. Das hilft gegen See­krank­heit auf dem Nacht­schiff und alle wei­te­ren Din­ge. — Kurz vor Mit­ter­nacht. Ruhi­ge, ent­spann­te Arbeits­stun­den ste­hen bevor. Ich hat­te seit dem frü­hen Abend eine Fra­ge in mei­nem Kopf so lan­ge ver­geb­lich hin und her bewegt, dass ich sie nun guten Gewis­sens zur Sei­te legen kann. Sie wird wie­der­kom­men. Ich ver­such­te näm­lich zu ver­ste­hen, wes­halb Barack Oba­ma auf den Ein­satz der Land­mi­nen­waf­fen, die ins­be­son­de­re gegen zivi­le Men­schen wir­ken, nicht ver­zich­ten will oder kann. In die­sen Momen­ten der Irri­ta­ti­on, wie­der die Ansicht, wie viel ich nicht weiß, eine Ahnung, die sich nur schwer wei­ter­den­ken lässt. Aber die Her­zen der Tief­see­ele­fan­ten sind mir bekannt, sind ver­traut, kom­men näher und näher wie ihre Ohren, fan­tas­ti­sche Haut­se­gel­flä­chen, die sie sanft über den san­di­gen Boden des Atlan­tiks tra­gen. – Gute Nacht!

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echo

9

echo : 0.15 — Fol­gen­des. Wenn Sie die­se hin und her gefal­te­te Zei­le lesen und immer wei­ter lesen, wer­den Sie einer klei­nen Geschich­te begeg­nen, die ich in der ver­gan­ge­nen Woche bereits notier­te und gesen­det habe. Eine Foto­gra­fie war damals hin­zu­ge­fügt, und weil ich sehr müde gewe­sen war, leg­te ich mich schla­fen, um zwei oder drei Stun­den spä­ter mit dem Gedan­ken wach zu wer­den: Nein, Lou­is, nein! Das ist kein guter Text, den Du da gesen­det hast! Ich has­te­te also zum Schreib­tisch und lösch­te den Text, und auch die Foto­gra­fie, und schlief sofort sehr zufrie­den wie­der ein. Kaum eine Stun­de ist ver­gan­gen, seit ich den Text noch ein­mal gele­sen habe. Ich wun­der­te mich, weil mich die Geschich­te nun doch berühr­te, und ich ahne sehr gründ­lich, war­um das so ist. Hier also ist mei­ne klei­ne gelösch­te Geschich­te ohne Foto­gra­fie, eine Geschich­te, die von einem Spa­zier­gang erzählt, der mich über einen Nacht­flug­ha­fen führ­te. Still war die Zeit, über­all in den Hal­len und auf den Flu­ren lagen schla­fen­de Men­schen her­um. In einem beson­ders gro­ßen Saal aber schau­kel­ten zwei Män­ner durch Luft, die Glüh­birn­chen in Fas­sun­gen schraub­ten, um weih­nacht­li­che Stim­mung zu erzeu­gen. Bei­de waren sie gut gelaunt, mach­ten Spä­ße und erzähl­ten sich laut­hals irgend­wel­che Geschich­ten, sie hat­ten ganz ohne Zwei­fel viel Freu­de mit ihrer Arbeit unter dem glä­ser­nen Gewöl­be an Sei­len hän­gend. Ein­mal kamen sie auf den Erd­bo­den zurück. Sie stan­den etwas unsi­cher auf den Bei­nen und flat­ter­ten mit ihren Armen. Als ich mich erkun­dig­te, ob ihnen viel­leicht schon irgend­wann eine Glüh­lam­pe von der Decke gefal­len und zer­bro­chen sei, ant­wor­te­te einer der Män­ner: Nein! Nie­mals! Ich mach­te dann eine Auf­nah­me, merk­wür­dig, die­ser Moment, da sie zur Flug­ha­fen­schwe­be­bahn schlen­der­ten. Denn genau in dem Augen­blick, als ich den Aus­lö­ser der Kame­ra drück­te, war ich mir sicher gewe­sen, dass die zwei Män­ner in ihren blau­en Anzü­gen auf mei­ner Foto­gra­fie spä­ter nicht zu sehen sein wür­den. – So, das war mei­ne Geschich­te, die in der ver­gan­ge­nen Woche ver­schwand. Jetzt ist sie wie­der da und wird ver­mut­lich blei­ben. Kurz nach Mit­ter­nacht. Ich tra­ge das schö­ne Wort Gan­dhi­neu­ron in mei­nem Kopf.
ping

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coney island

14

nord­pol

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : CONEY ISLAND

Mein lie­ber Kek­ko­la, das müs­sen Sie wis­sen, ich bin glück­lich, füh­le mich leicht, alle Sor­gen der ver­gan­ge­nen Wochen sind von mir gefal­len, ein Mensch, der mir nahe ist, wird wei­ter­le­ben. Wie schwe­ren Zei­ten, leich­te­re Zei­ten fol­gen! Nun wie­der ange­neh­mes Arbei­ten. Bin zu atlan­ti­schen Phä­no­me­nen zurück­ge­kehrt, das Hör­ver­mö­gen der Tief­see­ele­fan­ten, natür­lich, eine unend­li­che Geschich­te. Habe dar­über nach­ge­dacht, ob es nicht viel­leicht mög­lich sein könn­te, dass Tief­see­ele­fan­ten über klei­ne, kaum noch sicht­ba­re Ohren ver­fü­gen, die an ihren Rüs­sel­spit­zen gewach­sen sind über Jahr­mil­lio­nen ihres heim­li­chen Lebens hin­weg, um hören zu kön­nen, was man spricht in der Trom­pe­ten­spra­che jen­seits des Was­sers. So könn­te ich wei­ter­kom­men in die­ser Ange­le­gen­heit. Es ist nun bei­na­he sicher, dass ihre Her­den bereits in der Mit­te des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts vor Coney Island im Staa­te New York wahr­ge­nom­men wor­den sind. Ein Herr schrieb mir von Hand, sei­ne gelieb­te Rose habe ihm, wäh­rend eines Aus­flu­ges an den Strand, von Erschei­nun­gen erzählt, die alle unse­re Ver­mu­tun­gen bestä­ti­gen. Ich füge, lie­ber Kek­ko­la, mei­nem Brief eine Foto­gra­fie hin­zu, die an genau jenem Tag der Beob­ach­tung auf­ge­nom­men wor­den sein soll. Sieht sie nicht hin­rei­ßend unsterb­lich aus, Mrs. Rose, wie sie so sitzt und sich über das Tief­see­leuch­ten ihres Kop­fes zu freu­en scheint? – Ihr Lou­is, ihr Vogel.

gesen­det am
14.11.2009
22.58 MESZ
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lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

rose

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01001010

9

echo : 0.02 — Eine Foto­gra­fie, die ich lan­ge Zeit ver­geb­lich wie­der­zu­fin­den such­te, zeigt die Raum­sta­ti­on MIR in gro­ßer Höhe über der Erde schwe­bend. Ich kann mich noch gut an das far­bi­ge Bild erin­nern, viel­leicht des­halb, weil ich mich die Auf­nah­me tage­lang berühr­te. Ein Bull­au­ge, dort das Gesicht einer Frau, deren Namen ich ver­ges­sen habe, ein erns­tes Gesicht, Ahnung, Schat­ten, Züge einer rus­si­schen Kos­mo­nau­tin, die Mona­te allei­ne auf der MIR-Sta­ti­on leb­te. Sie beob­ach­tet die äußerst behut­sa­me Annä­he­rung eines Raum­schif­fes der NASA, in dem sich Men­schen befin­den, die mit­tels Funk ver­mut­lich bereits Kon­takt auf­ge­nom­men haben: Wir sehen Dich! — Da war das tie­fe Schwarz des Welt­alls im Hin­ter­grund, ein abso­lut töd­lich wir­ken­der Raum, der sich zwi­schen den bei­den Raum­kör­pern erstreck­te. Immer wie­der ein­mal in den ver­gan­ge­nen Jah­ren habe ich mich an das Gesicht der Kos­mo­nau­tin erin­nert, eine Iko­ne mensch­li­cher Ver­lo­ren­heit, und ins­ge­heim wei­ter gezeich­net. — stop
ping

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napapiin

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india : 6.22 — Schau­te gegen den Him­mel. Bemerk­te, dass sich die Dun­kel­heit wie eine Flüs­sig­keit ver­hielt. Vögel hüpf­ten in die­ser feuch­ten Licht­lo­sig­keit in Kas­ta­ni­en­bäu­men von Ast zu Ast, ein traum­ar­ti­ges Bild. Viel­leicht habe ich etwas gese­hen, das ich nur des­halb beob­ach­ten konn­te, weil ich ohne jeden Grund auf der Stra­ße stand, wie aus einem Ver­se­hen her­aus, ein Mann, der die fal­sche Tür genom­men hat­te. Jetzt, etwas spä­ter, ahne ich, dass ich dort vor dem Haus gelan­det war, weil ich ins­ge­heim wünsch­te, mit mei­nen Gedan­ken an den gewalt­sa­men Tod eines Tor­hü­ters, unter frei­em Him­mel zu ste­hen. Und wie ich so war­te­te, hör­te ich die Stim­me sei­ner muti­gen, jun­gen Frau in mei­nem Kopf, eine Stim­me, die ver­such­te, von all dem Wahn­sinn, dem Wahn­sinn des Ver­heim­li­chens zu spre­chen. Da war ein­mal ein Mensch gewe­sen, der nicht wei­ter­le­ben konn­te, der ster­ben muss­te, weil er sei­ne Ver­letz­lich­keit, sei­ne Schwä­che, sei­ne Mensch­lich­keit nicht zei­gen durf­te oder glaub­te, sie nicht zei­gen zu dür­fen. So könn­te das gewe­sen sein. Ein Mensch, der lan­ge Zeit über Was­ser has­te­te. So weit ist er gelau­fen, dass kein Land mehr zu sehen, kein Laut mehr zu hören gewe­sen war. — 2 Uhr und fünf­zehn Minu­ten. Die Welt dreht sich, um einen Atem­zug lang­sa­mer gewor­den, wei­ter, immer wei­ter. Soeben wur­de amt­li­cher­seits die Öff­nung fol­gen­der Weih­nachts­post­äm­ter, nörd­li­che Hemi­sphä­re, bekannt gege­ben: Nord­pol-Grön­land San­ta Claus Nord­po­len, Jule­man­dens Post­kon­tor DK-3900 Nuuk / Finn­land Santa’s Main Post Office FIN-96930 Napa­pi­in / USA San­ta Claus India­na 47579.
ping

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die privatheit der engel

9

echo : 0.28 – Wovon ich nicht berich­tet habe, am Mitt­woch bereits ist mir ein Fie­beren­gel zuge­flo­gen. Jetzt kom­men sie schon im Okto­ber ange­reist, wol­len getrös­tet, wol­len unter­hal­ten wer­den. Der Engel, von dem ich gera­de spre­che, lun­gert seit zwei Tagen in mei­ner nächs­ten Nähe auf Kis­sen her­um. Ein Anblick, der mich nicht ein­schla­fen lässt, das Beben sei­nes Gefie­ders, Herbst­laub­far­ben, die über einen blas­sen Kör­per stür­men. Durch hohe Tem­pe­ra­tu­ren, die in sei­nem Inne­ren bren­nen, ist der klei­ne Engel so matt gewor­den, dass ich ihn in eine Hand legen, dass ich ihn wie­gen konn­te. Eine leich­te Per­son, 80 g, sitzt in die­sen Minu­ten, da ich mei­nen Text notie­re auf mei­ner Schul­ter links nicht ohne Grund. Ich hat­te mei­ne Par­tic­les­ar­beit betont und dass ich dort von sei­ner Gegen­wart erzäh­len wür­de. Man ahnt nichts von der Wild­heit ihres Wesens. Mei­nen Namen soll­test Du nicht erwäh­nen! Ich war­ne Dich, flüs­ter­te der Engel. Er saß im Moment sei­ner Dro­hung auf dem Stiel eines Löf­fels in mei­ner Küche, steck­te die Spit­ze einer Feder in war­men Honig und dozier­te von Geheim­nis­sen, die Engel und Men­schen umge­ben. Du und ich! So sitzt er also und beob­ach­tet, was ich gera­de notie­re. Ich weiß, ich könn­te, ein Wort zu viel, sofort in Flam­men auf­ge­hen, also hör ich bes­ser auf. — Eine hal­be Stun­de nach Mit­ter­nacht, der letz­te Tag des Okto­bers ist ange­bro­chen. – Gute Nacht!
ping

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weitrufend

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sier­ra

~ : louis
to : Mr. jona­than noe kekkola
sub­ject : RADAR

Mein lie­ber Jona­than. Noch immer kein Zei­chen. Aber ich weiß, ich spü­re, dass Sie am Leben sind. Des­halb schrei­be ich wei­ter, über­mitt­le mei­ne Nach­rich­ten an Sie in der Hoff­nung, dass irgend­wann ein­mal eine Ant­wort ein­tref­fen wird. – Vor zwei Tagen von einer klei­nen Rei­se zurück­ge­kom­men, bin ich noch etwas müde, aber froh und vol­ler Zuver­sicht. Ich habe in einem Saal vor Men­schen aus einem Text vor­ge­le­sen, den Sie bereits ken­nen. Ich konn­te mei­ne Zuhö­rer nicht sehen, weil mein Gesicht beleuch­tet war. Und weil ich sie so wenig hören wie ich sie sehen konn­te, dach­te ich für einen Moment, dass sie viel­leicht auf­ge­hört haben zu atmen oder ganz ver­schwun­den sind, ohne dass ich ihre Flucht bemerk­te. Ich beob­ach­te­te mei­ne Stim­me, wäh­rend ich las. Sie war zunächst eine frem­de, öffent­li­che Stim­me gewe­sen, ent­fernt, aber dann, Wort für Wort, kam sie zu mir zurück. Ja, wie ich lang­sa­mer wur­de, weil mein Herz sich lang­sa­mer, ruhi­ger beweg­te. Wie jene Wör­ter, in einer wei­te­ren Zei­le als der gera­de beschall­ten Zei­le, bereits hör­bar waren in mei­nem Kopf. Ihre besänf­ti­gen­de Gegen­wart, mein lie­ber Jona­than! Und nun bin ich also zurück und den­ke nach und schrei­be Ihnen in der Hoff­nung, dass Sie lesen wer­den, was ich für sie notie­re. Ich habe von Ihnen erzählt, wis­sen Sie! Ich habe erzählt, dass ich mich um Sie sor­ge. Und ich war stolz, von dem ers­ten Men­schen berich­ten zu kön­nen, der sich mit künst­li­chen Lun­gen ver­se­hen, in die nord­ame­ri­ka­ni­sche Wild­nis wag­te. Ja, mein lie­ber Kek­ko­la, ich weiß, dass Sie noch am Leben sind. — Ihr Louis

gesen­det am
28.10.2009
23.58 MESZ
1161 zeichen

lou­is to jonathan
noe kekkola »

 

ping

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srebrenica

9

marim­ba : 14.05 – Zur Zeit unse­rer ers­ten Begeg­nung war Anisha zwan­zig Jah­re alt gewe­sen, hat­te gera­de ihr Medi­zin­stu­di­um auf­ge­nom­men und ging gern spa­zie­ren, wäh­rend ich Fra­gen stell­te, zum Bei­spiel, ob es für sie, eine Mus­li­ma, nicht schwie­rig sei, mensch­li­che Kör­per zu zer­glie­dern. Ich erin­ne­re mich, auch im Prä­pa­rier­saal lief sie gern her­um, immer­zu muss­te ich nach ihr suchen und ich such­te gern, weil sie oft fein­sin­ni­ge Gedan­ken in mein klei­nes Ton­band­ge­rät dik­tier­te. Ein­mal stan­den wir in einem Waren­haus vor Fern­seh­ge­rä­ten. Ein Doku­men­tar­film wur­de gezeigt, Sre­bre­ni­ca, wie die Bür­ger der Stadt an ser­bi­sche Trup­pen aus­ge­lie­fert wur­den. Eine Wei­le schau­te Anisha schwei­gend zu. Dann erzähl­te sie in kur­zen Sät­zen eine schwer­wie­gen­de Geschich­te. Das digi­ta­le Auf­nah­me­ge­rät lief wei­ter, wäh­rend ich ihr zuhör­te, wes­we­gen ich ihre Stim­me bald dar­auf mit mir neh­men konn­te, und ich notier­te ihre Bemer­kun­gen so genau wie mög­lich. Ges­tern Abend nun las ich Anisha per­sön­lich vor, was ich damals ein­ge­fan­gen hat­te. Ein selt­sa­mer Moment. Der Ein­druck, dass erst jetzt, sehr viel spä­ter, mit jedem gele­se­nen Wort mein Text authen­tisch wur­de. Die Geschich­te geht so: Stell Dir Män­ner vor, die Apri­ko­sen­bäu­me rau­chen. Wenn Abend wird, zün­den wir Ker­zen an, die wir aus dem Öl der Fisch­kon­ser­ven fabri­zie­ren. Und dann ist Nacht. Mut­ter steht am Fens­ter. Und dann ist Mor­gen und die schwe­ren Män­tel, die wir als Nacht­hem­den tra­gen, sind kalt gewor­den. Anstatt der Häh­ne unse­res Dor­fes, die wir längst gefres­sen haben, krä­hen uns Schüs­se an. Ich sehe die dür­ren Fin­ger mei­nes Vaters, die in sei­nem Gesicht nach Aus­we­gen gra­ben. Sie kom­men über eine graue Woll­de­cke spa­ziert und put­zen mir den Ruß von der Nase. Mut­ter steht immer noch am Fens­ter. Sie summt vor sich hin. Und dann gehen wir fort. Ich tra­ge einen Kof­fer, der groß ist wie ich. Auf einer Wie­se bren­nen Kühe.
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