Aus der Wörtersammlung: nichts

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belichtung

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romeo : 0.01 — Sobald ich einen Satz selt­sa­mer Din­ge gedacht habe, freue ich mich, kann dann nicht blei­ben, sprin­ge auf, wenn ich sit­ze, oder in die Luft, wenn ich bereits auf mei­nen Bei­nen gestan­den habe.  Ich soll­te ein­mal einen Film dre­hen, wie ich durch die Woh­nung hüp­fe. Oder durch eine U‑Bahn sege­le. Oder im Schlaf ein Rad schla­ge, weil ich sehr gern im Schlaf merk­wür­di­ge Din­ge vor­be­rei­te für Sät­ze im Wachen. - Eine Blei­stift­spit­ze an ein lee­res Blatt Papier gelegt, blitzt das Noch­nicht­sicht­ba­re durch Hand und Arm in den Kopf. Alles Notie­ren scheint ein Vor­gang der Belich­tung mit­tels Ver­dunk­lung zu sein. — stop

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radiusköpfchen

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echo : 10.18 — Neh­men wir ein­mal an, ich wäre nachts über eine däm­mern­de Kat­ze gestol­pert, wäre eine Trep­pe hin­un­ter­ge­stürzt, unsanft gelan­det, ich hät­te mir viel­leicht den Arm gebro­chen, und zwar den rech­ten in sei­ner Beu­ge, das Ellen­bo­gen­ge­lenk, Radi­us­köpf­chen zer­trüm­mert, Bän­der geris­sen, Mus­keln, im geschwol­le­nen Gewe­be suchen­de Struk­tu­ren. Bald Über­land­fahrt ins Hos­pi­tal, Minu­ten­schlaf im grel­len Licht einer chir­ur­gi­schen Ambu­lanz, vier Stun­den Zeit in Abwe­sen­heit, das Unter­su­chen, Beu­gen, Dre­hen, Zer­ren, Sägen, Boh­ren, Fei­len, Dis­ku­tie­ren, Nähen, ich hör­te, ich spür­te nichts. Wie ich, es ist Mit­tag gewor­den, mit mei­nem Namen von Fer­ne her geru­fen wer­de, Geis­ter­stim­men, Geis­ter­hän­de. Das stren­ge Kor­sett von dun­kel­blau­er Far­be, in dem der kran­ke Arm gebor­gen liegt in einer grü­ßen­den Hal­tung. Sand­au­gen­mü­dig­keit der Mor­phi­ne. Die Bewe­gung der Fin­ger, die mich glück­lich macht, einer nach dem ande­ren Fin­ger spür­bar, aber mei­ne Nase, mein Mund uner­reich­bar plötz­lich wie die Ober­flä­che des Mon­des. — stop

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ohrlamellenschirm

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pupil­le : 5.08 — 28 Lamel­len, eine kreis­för­mi­ge Ver­samm­lung feins­ter Häu­te, die unbe­merkt eng an mei­nen Gehör­gang­wän­den zu lie­gen gekom­men sind, famo­ses Werk. Und doch kann ich zu die­sem Zeit­punkt noch nicht sagen, dass ganz und gar geglückt ist, was man erdach­te, um den Lärm der Welt aus­zu­schlie­ßen, eine Schirm­ver­schluss­kon­struk­ti­on, Adap­ti­on, durch­blu­tet, einer Blen­de, ers­ter Ver­such, ers­te Ver­hand­lung. Da war ein ange­neh­mes Zie­hen heu­te Nacht gegen zwei, als sich die Schir­me in mei­nen Ohren schlos­sen. Es ist still jetzt, unver­gleich­bar stil­ler als sonst, nichts als mei­ne Kno­chen­räu­me pochen. Nein, nein, ich kann zu die­ser Stun­de nicht wirk­lich sagen, dass ganz und gar geglückt ist, was man erdach­te. Noch wird das Alles mit­tels mei­ner Augen gesteu­ert. Die­ser klei­ne Text zum Mor­gen wur­de von einem zeit­wei­se Blin­den geschrie­ben. — stop

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tonwellenschrauben

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echo : 22.18 – Lun­ger­te im Wald unter Loui­sia­na-Moo­sen. Sturm­ge­räu­sche, auch Zika­den waren zu hören gewe­sen, ihre Flü­gel­stim­men, hell, schrill, glä­sern, Ton­wel­len­schrau­ben. Auf Knien kroch ich bald jagend durchs Unter­holz, woll­te eines der locken­den Tie­re fan­gen. Anstatt Insek­ten ent­deck­te ich Spiel­do­sen, hun­der­te, ja tau­sen­de, krei­sen­de Lärm­ma­schi­nen. Sie leuch­te­ten, feu­er­rot und blau, je nach Höhe oder Tie­fe ihres Gesangs. Sobald ich mich näher­te, um eines der Wesen zu ergrei­fen, schos­sen sie senk­recht in die Luft, ganz so als wür­den sie über prall gefüll­te Druck­luft­bäu­che fürs flüch­ten­de Rei­sen gebie­ten. Dann wur­de ich wach. Es war Abend gewor­den. Sams­tag. Ein Orkan näher­te sich von Wes­ten, knis­tern­de Fens­ter, Frö­sche schweb­ten sum­mend vor den Fens­tern. Zwei Stun­den lang dach­te ich über die Erfin­dung dienst­ba­rer Käfer nach, Gat­tung, die Stil­le zu erzeu­gen ver­mag, wann immer gewünscht. Ich stell­te mir vor, wie sie sich rück­wärts über mei­ne Wan­gen hin zu mei­nen Ohren bewe­gen, wie sie ihre küh­len Lei­ber in mei­ne Gehör­gän­ge ver­sen­ken, wie sie sich deh­nen und stre­cken, sanft, sanft, bis sie nahe­zu ver­schwun­den sein wer­den. Zwei Füh­ler noch, ein Paar kleins­ter Augen links, ein Paar kleins­ter Augen rechts, Doch­te, nein, Dioden­lich­ter. Ich hör­te nichts. — stop

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Edna St. Vincent Millay

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sier­ra : 20.08 — Wie im Kurz­schlaf die Welt neu geord­net wird. Alle Geschich­ten erzäh­len sich, als hät­ten sie sich über die küh­le Hand einer Nacht gefal­tet. Jede begin­nen­de Stun­de, eine Stun­de vor unbe­kann­ter Land­schaft. — Nach­mit­tags dann begeg­net mir im Park wie­der ein­mal ein zen­tra­ler Satz des por­tu­gie­si­schen Erzäh­lers Antó­nio Lobo Antu­nes. Er sag­te, um ein Buch zu schrei­ben, müs­se man etwas ris­kie­ren. Ein Schrift­stel­ler, der nichts wage, sei unauf­rich­tig. Ich spa­zier­te und über­leg­te, was genau zu unter­neh­men ist, damit mein Schrei­ben so gefähr­lich wer­den könn­te, dass ich von einem Wag­nis spre­chen dürf­te. — Abend jetzt. Küh­le Luft. Vor weni­gen Minu­ten die Stim­me der Dich­te­rin Edna St. Vin­cent Mil­lay. Sie liest ihr Poem RECUERDO. We were very tired, we were very mer­ry, We had gone back and forth all night on the fer­ry. Das fei­ne Doku­ment auf­ge­ho­ben. Oder zu mir geholt. stop. Wie auch immer. — stop

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PRÄPARIERSAAL : skalpell

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romeo : 3.05 — Ich habe das Fau­chen eines Schwans gehört. Zunächst war ich mir nicht sicher gewe­sen, ob ich mich nicht viel­leicht geirrt haben könn­te, ein Nach­ge­räusch, dach­te ich, ein Schat­ten in den Ohren, wie in den Augen Nach­bil­der ent­ste­hen, weil ich am Abend wirk­li­chen, fau­chen­den Schwä­nen im Pal­men­gar­ten begeg­net war. Also spul­te ich das Band zurück und hör­te noch ein­mal genau­er hin, und da war das luf­ti­ge Geräusch tat­säch­lich wie­der zu hören gewe­sen, in einer Atem­pau­se Emi­lys, deren Stim­me ich im Nym­phen­bur­ger Schloss­park auf­ge­zeich­net hat­te. Sie woll­te Spa­zie­ren­ge­hen. Sie hat­te gesagt, sie kön­ne sich bes­ser kon­zen­trie­ren in Bewe­gung, vor allem bes­ser schwei­gen, nach­den­ken im Gehen. Win­ter­zeit, Schnee lag hoch bis zu den Knien und die Schwä­ne fauch­ten hung­rig. Emi­ly nun, so wie sie gespro­chen hat­te, ohne Pau­sen an die­ser Stel­le, weil ich ihr Schwei­gen in den Zei­chen ent­fern­te: > Bevor ich erzäh­le, wie ich die Öff­nung des Kör­pers erlebt habe, möch­te ich erwäh­nen, dass die­ser ers­te Tag und auch der zwei­te Tag für mich nur schwer zu ertra­gen gewe­sen sind. Ich war beein­druckt von der gro­ßen Zahl der Tische, die in den Apsi­den stan­den. Ganz ehr­lich, ich war ein­ge­schüch­tert. Ich fühl­te mich unsi­cher und unbe­deu­tend und ich glau­be, vie­le ande­re haben sich selbst auch so wahr­ge­nom­men. Man will das natür­lich nicht zei­gen. Man wünscht sich, sou­ve­rän zu sein. Aber ich muss­te mich über­win­den, den Kör­per über­haupt nur zu berüh­ren. Da war ein Wider­stand in mir, dem ich bis heu­te noch nach­spü­ren kann Ich habe meh­re­re Ver­su­che unter­nom­men und hat­te plötz­lich gro­ße Angst, dass ich das über­haupt nie­mals könn­te. Aber mei­ne Freun­de am Tisch waren sehr ver­ständ­nis­voll. Sie haben mich nicht gedrängt und auch unser Tischas­sis­tent nicht. Er sag­te, dass das ganz nor­mal sei und dass ich mich beru­hi­gen sol­le und ganz ruhig atmen. Ich hat­te eine irgend­wie ver­zerr­te Wahr­neh­mung, alles war so laut um mich her­um und ich bekam schlecht Luft. Ich bin dann erst ein­mal aus dem Saal geflüch­tet. Eine Freun­din hat mich beglei­tet und wir sind auf dem Flur hin- und her­ge­lau­fen. Und dann woll­te sie zurück und ich folg­te. Ich erin­ne­re mich an den grü­nen Kit­tel unse­res Assis­ten­ten. Er beug­te sich gera­de über den Kör­per des Toten und zog das Skal­pell vom Kinn in Rich­tung des Nabels. Ich wun­der­te mich, dass man gar nichts hören konn­te. Ver­ste­hen Sie, ich kann mir heu­te noch nicht erklä­ren, war­um ich ein Geräusch erwar­tet habe. Man konn­te auch kei­ne Spu­ren eines Schnit­tes erken­nen. Dann ist etwas Merk­wür­di­ges mit mir gesche­hen. Ich habe mei­ne Posi­ti­on am Tisch wie­der ein­ge­nom­men, das heißt, ich habe mich wie­der zu mei­ner Grup­pe gestellt. Ich habe mei­ne Hand­schu­he ange­zo­gen, mein Skal­pell aus­ge­packt und mei­ne Pin­zet­te und dann habe ich ange­fan­gen zu arbei­ten. Ich will das so sagen, ich habe den Kör­per auf dem Tisch zunächst mit dem Skal­pell berührt und dann mit mei­nen Hän­den. Ich war sehr glück­lich gewe­sen, dass ich mich über­win­den konn­te. Immer wie­der ist aber das Gefühl einer gewis­sen Unwirk­lich­keit zurück­ge­kehrt, der Ein­druck an die­sem Ort deplat­ziert zu sein, fremd oder so etwas. Sobald ich dann etwas getan habe, wenn ich gear­bei­tet habe, wenn ich also prä­pa­riert habe, ging das gut mit mir. Ich glau­be, ich war eine von jenen, die stets tief über das Prä­pa­rat gebeugt waren, ich bin sehr schnell in den Saal zum Tisch gelau­fen, und wenn ich fer­tig war, habe ich den Saal so rasch wie mög­lich wie­der verlassen.

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PRÄPARIERSAAL : zeppelin

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echo : 2.16 — Wall­street ges­tern Abend auf Fern­seh­bild­schirm. Hin­ter einem Repor­ter, der vom abwärts stre­ben­den Ver­hal­ten der Kur­se erzähl­te, war­te­ten japa­ni­sche Men­schen. Sie wink­ten fröh­lich in die Kame­ra, grüß­ten, fächel­ten sich Luft zu mit fleisch­far­be­nen Zei­tungs­pa­pie­ren. Es schien warm zu sein in New York, schwül. Wäre ich jetzt dort, dach­te ich, wür­de ich süd­wärts lau­fen zur nahe­ge­le­ge­nen Hafen­sta­ti­on, wür­de mich auf das obe­re Deck eines der alten Fähr­schif­fe bege­ben, wür­de bald im küh­len­den Fahrt­wind sit­zen, eine Coke in der lin­ken, eine Teig­ta­sche mit Hum­mer­fleisch in der rech­ten Hand, das Ton­band­ge­rät in der Tasche und Mels Stim­me im Kopf­hö­re­rohr, wie sie erzählt von ana­to­mi­scher Zeit. — 2 Uhr und zwan­zig Minu­ten. Regen. Blit­ze. Don­ner. Gera­de eben hör­te ich mich selbst, mei­ne eige­ne Stim­me. Ich for­mu­lier­te vor­sich­tig eine Fra­ge, woll­te wis­sen, ob Mel sich im ana­to­mi­schen Saal gefürch­tet habe? Nein, ant­wor­te­te Mel ohne zu zögern, sie habe sich nicht eine Sekun­de lang vor den Toten gefürch­tet. > Ich hat­te in die­sen 6 Wochen kei­ne Zeit, Angst zu haben. Ich habe mich auf mei­ne Auf­ga­be kon­zen­triert. Ich habe mich vor Testa­ten ein wenig gefürch­tet, und ganz am Anfang viel­leicht davor ein­mal rasch umzu­fal­len. Nur des­halb hat­te ich wirk­lich Angst, umzu­fal­len, das heißt nicht arbei­ten zu kön­nen, aber davon erzähl­te ich bereits. Wenn ich mir das jetzt genau über­le­ge, dann kann ich mich nicht erin­nern, dass im Prä­pa­rier­saal über­haupt irgend­je­mand umge­fal­len ist. Viel­leicht muss­te man mal aus dem Saal gehen und sich set­zen, weil man die Nacht zuvor nur kurz geschla­fen hat­te und des­halb müde war und weil die Augen brann­ten vom Form­alde­hyd in der Luft. Aber umge­fal­len, ich mei­ne, ohn­mäch­tig gewor­den, davon habe ich nichts mit­be­kom­men. Ich habe manch­mal den Ein­druck, dass ich das alles nur geträumt habe. Auch in der Zeit, als ich noch prä­pa­rier­te, hat­te ich bis­wei­len den Ein­druck, dass die­ser Saal nicht wirk­lich war. Ich konn­te mei­ne Ein­drü­cke nicht mit der Stra­ße, über die ich nach Hau­se spa­zier­te oder mit den Gesprä­chen der Men­schen, die ich in der U‑Bahn gehört habe, in Ver­bin­dung brin­gen. Ich hat­te den Ein­druck, dass der Saal, dass die gan­ze Situa­ti­on irgend­wie frei schweb­te, also ganz für sich war, iso­liert. Und so reis­te ich also hin und her, von da nach dort und wie­der zurück, aber das war nicht schwer gewe­sen, so hin und her zu sprin­gen. Ich habe von dem ein oder ande­ren mei­ner Freun­de gehört, dass sie Alb­träu­me gehabt hät­ten. Ich selbst habe aber nie geträumt. Ich kann mich jeden­falls nicht dar­an erin­nern, geträumt zu haben. Ich glau­be, ich war in irgend­ei­ner Wei­se geschützt. Ich kann nicht genau sagen, was mich geschützt hat, viel­leicht war es die Dich­te der Auf­ga­ben, die mir gestellt waren. Ich hat­te kei­ne Zeit, lan­ge über die­se merk­wür­di­ge Situa­ti­on nach­zu­den­ken. Ich mei­ne, ich habe nicht lan­ge dar­über nach­ge­dacht, dass ich, Mel, hier den Kör­per einer alten Frau so lan­ge zer­le­ge und betrach­te, dass er fast ver­schwun­den sein wird, wenn ich fer­tig sein wer­de. Ja, – es war sehr viel zu tun. Das hat es leich­ter gemacht.
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PRÄPARIERSAAL : namen

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marim­ba : 22.51 — Feuch­te Flie­gen lun­gern am Abend auf dem Boden her­um. Das sanf­te, ein­schlä­fern­de Geräusch des Was­sers, Dun­kel­heit kommt bald aus den Wol­ken gefal­len. Unter dem Schirm dort wei­ter ana­to­mi­sche Ton­bän­der ver­zeich­net. Vero­ni­ka* erzählt eine fei­ne Geschich­te, die ich bei­na­he genau so wie­der­ge­be, wie ich sie vor weni­gen Minu­ten hör­te: > Ich ste­he vor einem Tisch und betrach­te einen Kör­per. Das ist ein Bild, das ich nicht erfun­den habe, ein Bild, das jetzt zu mei­nem Leben gehört. Eine Frau, die in einem wei­ßen Kit­tel vor einem Tisch steht, auf dem ein Mensch liegt, der tot ist. Ich habe mit den Ursa­chen die­ses Todes nichts zu tun, ich emp­fin­de kei­ne Trau­er, aber Respekt. In den ers­ten Minu­ten im Saal am Tisch habe ich nicht sehr geord­net, nicht sys­te­ma­tisch jeden­falls nach­ge­dacht. Ich glau­be, ich habe zunächst ver­sucht, ein Gefühl, ein geeig­ne­tes Gefühl für die­se Situa­ti­on zu fin­den, eine Posi­ti­on, mei­ne Posi­ti­on. Kurz zuvor waren wir noch im Hör­saal gewe­sen. Unser Pro­fes­sor hat­te ein Prä­pa­rat mit­ge­bracht. Die­ser hel­le Kör­per, der weit ent­fernt in einem Oval unter den hoch auf­ra­gen­den Sitz­rei­hen auf einer Bah­re lag, hat­te etwas Ein­sa­mes an sich. Als ich mich dann an mei­nem Tisch ste­hend über den Kör­per eines Man­nes beug­te, den ich in den fol­gen­den Wochen zer­le­gen wür­de, such­te ich unwill­kür­lich nach Spu­ren, die zu einer Vor­stel­lung füh­ren könn­ten, wie er ein­mal leb­te. Aber da war nichts, was mich mit sei­ner Zeit noch ver­bin­den konn­te, kein Name. Das Haar des Man­nes war ent­fernt, an sei­nen Ohren waren höl­zer­ne Schil­der ange­bracht, auch an sei­nen Hand­ge­len­ken und an sei­nen Füßen, sein Gesicht war ohne jeden Aus­druck. Ich erin­ne­re mich, der Mann wirk­te weder fried­lich noch so, als wür­de er nur schla­fen, da waren weder Zei­chen einer lan­gen Lei­dens­zeit noch Spu­ren eines Kamp­fes. Das Gesicht war leb­los, ein Gesicht ohne Aus­strah­lung, ohne Elek­tri­zi­tät. Der Kör­per erin­ner­te mich an eine gro­ße Pup­pe, er hat­te etwas Sche­ma­ti­sches, aber viel­leicht war das bereits mein Blick, mei­ne Per­spek­ti­ve gewe­sen, die die­sen Ein­druck erzeug­te? Ein Bein und noch ein Bein. Ein Arm und noch ein Arm, und ein Kopf. Ich konn­te das bald gut, die­sen Mann, die­sen Kör­per betrach­ten. Ich war ganz ent­spannt dabei. Ich wuss­te auch, dass sich die­ser Kör­per sehr rasch ver­än­dern wür­de in der Fol­ge mei­ner Arbeit. Ich war der fes­ten Über­zeu­gung, dass wir dem Toten kei­nen Namen geben soll­ten. Ich war sehr froh, dass ich nicht wuss­te, wie sein Name lau­te­te, als er noch leb­te. Ich habe, kurz­um, ver­sucht, die­sen Kör­per auf dem Tisch als ein Prä­pa­rat zu betrach­ten, als eine für uns kost­ba­re Hül­le, als ein Ver­mächt­nis. Mei­ne Kom­mi­li­to­nen haben ihm einen Namen gege­ben, aber wir haben uns des­halb nicht gezankt. Ich habe mich an der Suche nach einem Namen ganz ein­fach nicht betei­ligt. - stop

* Name geändert
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kokons

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echo : 22.58 — Im bota­ni­schen Gar­ten das lei­se, das Nicht­den­ken geübt. Ich leg­te mein Ohr auf einen höl­zer­nen Tisch und dach­te nichts. Aber da war etwas merk­wür­dig: Mein Ohr auf dem Tisch hör­te sich selbst. Und das ande­re, zum Him­mel gerich­te­te Ohr, erleb­te den Besuch einer Amei­se. Also dach­te ich doch an die Amei­se, wie sie mei­ne Ohr­mu­schel unter­such­te. Wie gut, an Amei­sen und an nichts Wei­te­res den­ken zu müs­sen. Dann schlief ich ein. Als ich erwach­te, dach­te ich sofort wei­ter an nichts. Die Amei­se war ver­schwun­den, aber ich hör­te mein Ohr auf dem Tisch, und ich hör­te den Gesang einer Nach­ti­gall, die zunächst geschwie­gen, dann aber mei­nen Besuch viel­leicht ver­ges­sen hat­te, weil ich reg­los zu einer Pflan­ze unter ande­ren Pflan­zen gewor­den war. Ich frag­te mich, den­ke ich, indem ich der Stim­me eines Vogels lau­sche? Ist das Den­ken nur dann gedacht, wenn ich mei­ner den­ken­den Stim­me zuhö­re, mich und mei­ne den­ken­de Stim­me also wahr­neh­me? Immer wie­der bemerkt, dass ich Sekun­den zuvor noch an etwas oder über etwas gedacht habe, obwohl ich mir nicht zuge­hört hat­te. Eine Gedan­ke­n­erin­ne­rung. Manch­mal ver­hal­ten sich Gedan­ken wie Räu­me, Kokons, die ver­wi­ckel­te Gedan­ken­pa­ke­te ent­hal­ten. Schall­plat­ten­ge­dan­ken. Ich könn­te dem­nach Schall­plat­ten ver­zeich­nen, die ange­neh­me Stim­men und Stim­mun­gen wie­der­ho­len, fro­he Begeg­nun­gen und gelun­ge­ne Gesprä­che. — stop

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adresse insuffisante

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tan­go : 3.03 — Luft­post­brie­fe, fei­ne, leich­te Wesen, keh­ren in die­sen Tagen aus Japan nach Euro­pa zurück. Sie tra­gen einen Stem­pel­zug: Adres­se insuf­fi­san­te. Selt­sam ist, erzählt ein Freund, der mehr­fach Brie­fe die­ser Art in Hän­den gehal­ten hat­te, dass Namen, Orte, Stra­ßen der Emp­fän­ger, Brief für Brief mit­tels schräg geführ­ter Stri­che gezeich­net wor­den sind. Es sind immer drei die­ser Lini­en par­al­lel zuein­an­der auf das Papier über die Schrift gesetzt, als woll­te man in die­ser Wei­se zur Ansicht brin­gen, dass dort nichts mehr zu fin­den ist, kei­ne Stadt, kein Dorf, kei­ne Stra­ße, kein Haus, kein Name, auch kei­ne Hän­de, den Brief zu öff­nen, kei­ne Augen, den Brief zu lesen. stop — Vier Uhr fünf­zehn, Däm­me­rung in Damas­kus, Syri­en. — stop
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