papa : 22.00 ‑Eine grauenhafte Vorstellung ist, es könnte eines schönen Tages Cognac regnen. Eine taubengraue Wolke würde aufgezogen sein und mit Weinbrand werfen. Vor allem an schwülheißen Tagen würde sich rasch ein Zustand allgemeiner Unordnung ergeben. Man könnte vielleicht gerade noch unter die Dächer der Häuser fliehen, um der süßen Dampfluft zu entgehen. Auch Bäume wären sichere Orte, sobald das Malheur weiter gezogen sein wird. Man sitzt jetzt mit anderen Flüchtlingen nahe der Krone unter betrunkenen Vögeln. Wie ist das möglich, wird man fragen, wer hat den Weinbrand in die Wolke gesteckt? — stop
Aus der Wörtersammlung: regen
brooklyn
yanuk : lichtmaschine
~ : yanuk le
to : louis
subject : FROGS
date : june 1 08 8.15 p.m.
Lieber Mr. Louis, seit acht Tagen Regen. Verbrachte zuletzt sechs Stunden an den Stamm meines Baumes gefesselt, um nicht vom Sturm in die Tiefe gerissen zu werden. Gestern, sehr früh in der Morgendämmerung, dann auf Höhe 152 zurückgekehrt. Das Lager, ramponiert. Ein paar Affen, Tamarine, haben sich breit gemacht, musste kämpfen, ehe sie die Plattform räumten. Habe meine Vorräte zum Trocknen ausgebreitet, Nüsse, vorwiegend Nüsse, und ein paar Fleischkonserven sind da noch und etwas Brot, das hoffentlich nicht schimmeln wird. Bin jetzt ohne Lichtmaschine, der Sturm hat sie mit sich fortgerissen. Aber die Ameisen sind zurück, Du erinnerst Dich, träge Ameisentiere, die nach Langusten schmecken. Deshalb ohne Furcht, habe Trinkwasser im Überfluss. Werde morgen weiter zu den Fröschen sprechen. Wie seltsam, meine Stimme aus ihren Schallbeuteln zu vernehmen. So deutlich flüstern sie mir nach, als ob keine andere, als die menschliche Sprache, ihnen je zu Ohren gekommen wäre. Erstaunliche Entdeckung. Welchen Namen, frage ich Dich, soll ich ihrer Gattung geben? — Yanuk
eingefangen
20.57 UTC
1231 Zeichen
regenmaschine
charlie : 0.01 — Während eines Spaziergangs entdeckte ich unlängst im Eingangsbereich einer luxuriösen Wohnanlage eine Regenmaschine. Eine Regenmaschine, werden Sie vielleicht fragen, was ist denn das? Nach Beobachtung, eine halbe Stunde, lässt sich Folgendes notieren. Eine Regenmaschine regnet je für drei Sekunden genau dorthin, wohin ein ordentlicher Regen, der vom Himmel kommt, nicht fallen kann, weil ihn ein Dach, beispielsweise, daran hindert. Eine Regenmaschine hingegen regnet auch unter Dächern oder in Hauseingängen oder in Wohnungen, und auch dann, wenn es gerade einmal nicht vom Himmel regnet, regnet sie im Takt einer Minute. Dieser Regen einer Regenmaschine, wie ich sie vorgefunden habe, ist also ein besonderer Regen, ein Regen, der sich gegen Personen richtet, gegen Straßenbürger, gegen Menschen ohne eigenes Dach über dem Kopf. Organisierter Regen, sagen wir, Regen gegen den Schlaf und diese Dinge. — stop
edmond jabès
tango : 0.05 — Als würde Regen fallen, so mächtig die Küsse der Fliegen ins Wasser. Irr auch die Falter, die Weißen und die Roten und die Blauen. Und auch die Libellen am Himmel, alle irr von der Liebe. — Wenn der Stein durchsichtig wird oder – genauer – wenn die Durchsichtigkeit Stein wird, lassen sich alle Träume der Erde lesen. Edmond Jabès
flaubert
~ : louis
to : Mr. gustave flaubert
subject : MEMPHIS
Verehrter Mr. Flaubert, gestern, am späten Nachmittag, knisterte ein feiner Regen ans Dachfenster meines Zimmers und ich habe mich auf den Rücken gelegt und ihr ägyptisches Reisetagebuch geöffnet, eine sehr feine Arbeit, detailliert, das Abschiednehmen, ihre voraus reisenden Koffer. Während Sie gerade an Bord der Canja Memphis passierten, bin ich eingeschlafen, vielleicht weil ich müde war von einer viel zu kurzen Nacht. Als ich wieder wach wurde, knisterte der Regen noch immer gegen das Fenster, und ich erinnerte mich, ihnen erzählen zu wollen, dass ich seit vorgestern, 15 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit, Augenpaare sammle, die meine elektrische Seite besuchen. Vermutlich werden Sie mich für einen seltsamen Vogel halten, weil ich Augen paarweise zähle, ihre Existenz und woher sie kommen und welche Brillen sie tragen und die Zeit messe, die sie mit meinen Wörtern verbrachten. Gestern Abend um 22 Uhr 17 Minuten und 11 Sekunden hatte ich Besuch aus Shanghai. In großer Entfernung lurten also ein paar Augen, verweilten, kaum zu glauben, sechs Sekunden auf meinen Zeilen, dann waren sie wieder weg. Ich habe mir gedacht, dass diese hastigen Augen vielleicht meine Schriftzeichen nicht entziffern konnten, dass sie deshalb nur zwei oder drei Atemzüge lang bei mir verweilten. Ja, lieber Flaubert, das könnte sein, nein, ich hoffe, dass es so gewesen ist. Später Abend schon wieder. Werde jetzt weiter lesen in Ihrer ägyptischen Reise, während die Augenzählmaschine arbeitet, ohne dass ich mich auch nur einmal für sie bewegen müsste. Ihr Louis, mit allerbesten Grüßen.
nasa
echo : 0.15 — Im botanischen Garten spaziert. Das angenehm rasselnde Geräusch des Regens, die Luft hell vom Wasser, das noch kalt und geruchlos ist. Stöberte in Notizbüchern. Entdeckte folgende Sequenz: Sonntag. Heute ist Schwester Julia wieder im Dienst. Sehe zu, wie sie Marikki vorsichtig wäscht. Behutsame Bewegungen, ja, sehr feine Berührungen, beinahe zärtlich. Sie trägt einen Mundschutz, der sich, wenn sie lacht, wie ein Segel bläht. Sie sagt, dass Marikki uns hören könne, deshalb summe sie und deshalb hört Marikki gerade etwas NASA, während ich in ihrer Nähe sitze und notiere und im Cheever lese, heitere Gespräche der Apollo 14 Besatzung auf dem Flug vom Mond zurück. Habe bemerkt, dass ich die Luft anhalte, wenn ich sie betrachte, dass ich jenseits der amerikanischen Stimmen, die links und rechts ihres zierlichen Kopfes wispernd durch die Häute der gepolsterten Ohrhörer dringen, nach weiteren, beruhigenden Geräuschen suche. 18. Juni 2006
zoulou
sierra : 2.05 — Eine angenehme Nacht mit Benny Goodman und seinem Orchester 1938 in der Carnegie Hall. | stop | I play lightly, softly singing. | stop | Regen. | stop | Nasse Fliegen, nasse Falter. | stop | Habe in meiner Küche vor dem Ofen Platz genommen und eine Ente und die Hitze betrachtet und über die Zeit nachgedacht, über die hohe Geschwindigkeit, in der ich arbeite. Eine neue Geschichte beginnen, eine sehr langsam erzählte Geschichte, jeden Tag ein Zeichen. Ich beginne mit dem Zeichen : z – zoulou
larynx
22.05 – Da war ein Tisch vor wenigen Stunden. Auf diesem Tisch lag ein geöffneter menschlicher Körper. In nächster Nähe lehnte eine hochgewachsene junge Frau mit dem Rücken an einer Wand, Augen geschlossen, als wäre sie eingeschlafen. Ihre Hände betasteten einen Kehlkopf, das heißt, genauer betrachtet hüpften ihre Finger über den kleinen hellbraunen Körper hin, als wären sie Lebewesen für sich. Wenig später war die Frau wach geworden. Sie legte die filigrane Struktur auf den Tisch zurück, zog ihre Handschuhe aus und sagte: Aber natürlich darfst Du das wissen. Ich habe nachgedacht und geträumt zur gleichen Zeit. Rasch machte sie mit einer Hand eine Schale, hob den Kehlkopf mit der anderen Hand vom Tisch und legte ihn dorthin ab: Larynx! Grandios, nicht wahr! Was ich mit meinen Fingern angeschaut habe, geht nie wieder fort! – Taubengrauer Himmel. Leichter Regen. Sturm von Südwest. — stop
mercè rodoreda
0.02 — Eine wunderbare Geschichte habe ich entdeckt, eine Geschichte der katalanischen Schriftstellerin Mercè Rodoreda. Ich darf sie rasch notieren: Sie ist weiß und sie ist blau. Das heißt, sie ist weiß wie die weiße Rose, und ganz plötzlich wird sie blau. Ein Insekt färbt sie, so scheint es, aber niemand weiß, wie es das macht. Ein Augenblick der Zerstreutheit und schon ist sie blau. Dieses Insekt trägt in einem Knie, mit fadigem Speichel festgenäht, ein Päckchen, und in diesem Päckchen, umgeben von Eiern und von Blau – reinstes Indulin – ist der Ehemann. Dieser Ehemann schläft den ganzen Tag und bebrütet die Eier, die durch ein Loch in das Päckchen fallen, das in dem Knie ist, woran es festgenäht ist. Wenn die Stunde kommt, kriecht das Insekt der Blume ins Herz, lädt das Päckchen ab, und die Blume, die weiß war, wird blau von oben bis unten. Sie sagen: — Oh, es ist nämlich so, daß der Ehemann, sobald er sich blumenumhüllt sieht, das Päckchen aufbricht und alles von blauem Saft überschwemmt wird und die Eier platzen und die Kleinen sofort losfliegen, jedes mit seinem Päckchen im Knie … einverstanden. Aber das sind bloße Vermutungen. Die Wahrheit ist, daß die Blume in einem Nu blau wird. Wie? Dahinter kommt man nie, und jedermann ist ein bißchen durcheinander und verwirrt. — stop