Aus der Wörtersammlung: schlaf

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auf der intensivstation

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ulys­ses : 8.22 UTC — Am Tele­fon berich­te­te eine Schwes­ter der Inten­siv­me­di­zin: Heu­te Nacht war es ernst, sie hat­te eine Atem­kri­se. Viel­leicht wol­len sie kurz vor­bei­kom­men? Eine Stra­ßen­bahn­halb­stun­de spä­ter trat ich in die Sta­ti­on. Selt­sam hupen­de Geräu­sche von da, von dort. Blin­ken­de Appa­ra­tu­ren, gelb, rot, grün. Eine wei­te­re Schwes­ter erzähl­te, sie habe mor­gens bei der Über­ga­be gehört, es sei knapp gewe­sen: Das Leben ihrer Freun­din hing an einem sei­de­nen Faden. Und ich dach­te, sie wird nicht die­sel­be sein, wenn sie wie­der auf­wa­chen wird. Wer wird sie sein? Und ich dach­te noch dazu: Jedes der Zim­mer an die­sem Ort, jedes Abteil, ist eine Sor­gen­welt. Und schon saß ich auf einem Stuhl vor dem Bett der Schla­fen­den. Sie lag auf dem Bauch, ich konn­te ihr Gesicht nicht sehen, aber ihre Ohren. Eine der tap­fer fröh­li­chen Schwes­tern schlug vor, ich sol­le doch mög­lichst mit der Schla­fen­den spre­chen: Das mögen sie näm­lich! Und schon waren wir unter uns allein mit den Maschi­nen. Ich ver­such­te also zu spre­chen. Es ist schwer, einer schla­fen­den Per­son zu erzäh­len, man hört nur sich selbst, und man glaubt nicht, was man erzählt, obwohl doch alles wahr ist, was man erzählt. Sofort in die­ser Not­la­ge such­te ich in den Maga­zi­nen mei­ner Schreib­ma­schi­ne nach Geschich­ten, die ich vor­le­sen könn­te, vor­le­sen, sagen wir, wie spre­chen, mit mei­ner Stim­me locken. Ich sag­te: Fol­gen­des, hör zu! Da ist ein Muse­um, das Muse­um der Nacht­häu­ser, das sich in New York am Shore Bou­le­vard nörd­lich der Hell Gates Bridge befin­det, ein recht klei­nes Haus, rote Back­stei­ne, ein Schorn­stein, der an einen Fabrik­schlot erin­nert, ein Gar­ten, in dem ver­wit­ter­te Apfel­bäu­me ste­hen, und der East River so nah, dass man ihn rie­chen kann. Wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges, zufäl­lig, ent­deck­te ich die­ses Muse­um, von dem ich nie zuvor hör­te. Es war ein spä­ter Nach­mit­tag, ich muss­te etwas war­ten, weil, so war zu lesen, das Muse­um nicht vor Ein­bruch der Däm­me­rung geöff­net wür­de. Es ist eben ein Muse­um für Nacht­men­schen, die in Nacht­häu­sern woh­nen, wel­che erfun­den wor­den waren, um Nacht­men­schen art­ge­rech­tes Woh­nen zu ermög­li­chen. Als das Muse­um dann öff­ne­te, war ich schon etwas müde gewor­den, und weil ich der ein­zi­ge Besu­cher in die­ser Nacht gewe­sen war, führ­te mich ein jun­ger Mann her­um. Er war sehr gedul­dig, war­te­te, wenn ich wie wild in mein Notiz­buch notier­te, weil er über­aus span­nen­de Geschich­ten erzähl­te von jenen merk­wür­di­gen Gegen­stän­den, die in den Vitri­nen des Muse­ums ver­sam­melt waren. Von einem die­ser Gegen­stän­de will ich kurz erzäh­len, von einem metal­le­nen Wesen, das mich an eine Kreu­zung zwi­schen einem Gecko und einer Spin­ne erin­ner­te. Das Ding war ver­ros­tet. Es hat­te die Grö­ße eines Schuh­kar­tons. An je einer Sei­te des Objekts saßen Bei­ne fest, die über Saug­näp­fe ver­füg­ten, eine Kame­ra thron­te oben­auf wie ein Rei­ter. Der jun­ge Mann erzähl­te, dass es sich bei die­sem Gerät um ein Instru­ment der Ver­tei­di­gung han­de­le, aus einer Zeit da Nacht­men­schen mit Tag­men­schen noch unter den Dächern ein und der­sel­ben Häu­ser wohn­ten. Das klei­ne Tier saß in der Vitri­ne, als wür­de er sich ducken, als wür­de es jeder­zeit wie­der eine Wand bestei­gen wol­len. Das war näm­lich sei­ne vor­neh­me Auf­ga­be gewe­sen, Zim­mer­wän­de zu bestei­gen in der Nacht, sich an Zim­mer­de­cken zu hef­ten und mit klei­nen oder grö­ße­ren Ham­mer­werk­zeu­gen Klopf,- oder Schlag­ge­räu­sche zu erzeu­gen, um Tag­men­schen aus dem Schlaf zu holen, die ihrer­seits weni­ge Stun­den zuvor noch durch ihre har­ten Schrit­te den Erfin­der der Geck­oma­schi­ne, einen Nacht­ar­bei­ter, aus sei­nen Träu­men geris­sen hat­ten. Ja, zum Teu­fel, schon zum hun­derts­ten Male war das so gesche­hen, obwohl man aller freund­lichst um etwas Ruhe, um etwas Vor­sicht gebe­ten hat­te, nein gefleht, nein geflüs­tert. Es war, sag­te der jun­ge Mann, immer so gewe­sen damals in die­ser schreck­li­chen Zeit, dass sich jene Tag­men­schen, die über geräu­mi­gen Zim­mern wohn­ten, sicher fühl­ten vor jenen Nacht­men­schen, die unter ihnen wohn­ten und mit ihren Schrit­ten die Zim­mer­de­cke nie­mals errei­chen konn­ten. Aus und fini! — stop
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im regenzimmer

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marim­ba : 0.28 UTC — Seit 1911 Tagen bereits ver­su­che ich von einem Zim­mer zu träu­men, in dem es immer­fort reg­net. Ich mache das so, dass ich in den Minu­ten, da ich einzu­schlafen wün­sche, über­lege, wie es wäre, wenn in dem Zim­mer, in dem ich mich gera­de befin­de, Regen fal­len wür­de. Die­se Metho­de des Regen­den­kens ist lei­der bis­lang nicht sehr erfolg­reich gewe­sen. Immer wie­der schla­fe ich ein, ohne je vom Regen­zim­mer zu träu­men. Ein­mal, als ich erwach­te, hör­te ich wirk­li­chen Regen drau­ßen in den nächt­li­chen Bäu­men. Ich ging dann spa­zie­ren und dach­te dar­über nach, wie sich unse­re Menschen­welt verän­dern wür­de, wenn wir von einem Tag zum ande­ren Tag über arm­lan­ge Zun­gen der Geckos ver­füg­ten? In wel­cher Form kämen sie in einer voll besetz­ten Stra­ßen­bahn zum Ein­satz? Und wie bei der Lie­be? Und wie im Streit? Und was wür­den die­se Zun­gen wohl im Schlaf unter­nehmen? Was wäre, wenn wir uns nie wie­der berüh­ren dürf­ten, kein Mensch einen wei­te­ren Mensch, ohne zugrun­de zu gehen? – stop

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chicago

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echo : 15.12 UTC — Am Ende jeden Tages eine Auf­ga­be notie­ren, die sofort nach Schlaf­zeit zu tun ist, zum Bei­spiel: Natha­lie Sar­rau­tes Kind­heit lesen. Oder: 1 Par­tic­les schrei­ben, wel­ches? Oder eine Roman­se­quenz stu­die­ren: Dave Eggers Zeit­o­un. Ein brü­tend hei­ßer Tag. Lud­wig rief an, ja, der Lud­wig, die­ser ner­vö­se, freund­li­che Mann, der seit Jah­ren von einer klei­nen Erb­schaft lebt, die ihm sei­ne Mut­ter hin­ter­ließ, etwas Geld also für beschei­de­nes Leben, sowie ein Kabi­nett voll grau­sa­mer Erin­ne­run­gen. Lud­wig berich­tet, er habe nun 580 Mas­ken der Schutz­klas­se FFP2 zur Ver­fü­gung, ein Vor­rat, gelie­fert von der Post nach un d nach, der für vie­le Jah­re aus­rei­chend sein könn­te, wenn man bedenkt, dass Lud­wig nur ein oder zwei Male in der Woche für kur­ze Zeit sei­ne Woh­nung ver­lässt. Er trägt wun­der­schö­ne Schu­he, ich wür­de Lud­wig sofort anhand sei­ner Schu­he erken­nen. Auch sei­ne Schu­he lie­fert die Post. Im Grun­de, das ist denk­bar, wur­de Lud­wigs Leben durch die Pan­de­mie nur unwe­sent­lich ver­än­dert. Das Leben drau­ßen war bereits sehr gefähr­lich, als das Virus noch nicht exis­tier­te, als das Virus nur eine Idee gewe­sen war. Lud­wigs Geld könn­te an Wert ver­lie­ren, dar­über haben wir nicht gespro­chen, aber über den Klang der Was­ser­spra­chen. — stop

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ai : IRAN

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MENSCH IN GEFAHR: „Der 47-jäh­ri­ge Kur­de Arsalan Khod­kam ist in Gefahr, im Gefäng­nis von Urumieh in der Pro­vinz West-Asder­bai­dschan hin­ge­rich­tet zu wer­den. Er war am 14. Juli 2018 wegen “Spio­na­ge” für die Kur­di­sche Demo­kra­ti­sche Par­tei des Iran (KDPI), eine bewaff­ne­te Oppo­si­ti­ons­grup­pe, zum Tode ver­ur­teilt wor­den. Damals war er ein nied­ri­gran­gi­ger Ange­hö­ri­ger der Revo­lu­ti­ons­gar­den. Er hat die­se Anschul­di­gun­gen immer bestrit­ten und erklärt, dass die Behör­den ihn der Spio­na­ge beschul­dig­ten, nach­dem sie erfah­ren hat­ten, dass er über Insta­gram mit einem Ver­wand­ten sei­ner Frau kom­mu­ni­zier­te, der Mit­glied der KDPI war. Arsalan Khod­kam wur­de weni­ger als drei Mona­te nach sei­ner Fest­nah­me in einem unfai­ren Ver­fah­ren, das nur 30 Minu­ten dau­er­te, auf­grund von “Geständ­nis­sen”, die er sei­nen Anga­ben zufol­ge unter Fol­ter und ande­ren Miss­hand­lun­gen unter­zeich­net hat­te, zum Tode ver­ur­teilt. Er hat­te zu kei­nem Zeit­punkt Zugang zu einem Rechts­bei­stand sei­ner Wahl. Im Febru­ar 2020 ver­such­te sein Anwalt Ein­sicht in die Gerichts­un­ter­la­gen zu erhal­ten, um ein Gna­den­ge­such vor­zu­be­rei­ten. Die Staats­an­walt­schaft teil­te dem Rechts­bei­stand jedoch mit, er kön­ne Arsalan Khod­kam nicht ver­tre­ten. Ein Gna­den­ge­such, das Arsalan Khod­kam aus dem Gefäng­nis gestellt hat­te, wur­de abge­lehnt. Im Mai 2020 wur­den sei­ne Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen gewarnt, er kön­ne jeder­zeit hin­ge­rich­tet wer­den. / Nach sei­ner Fest­nah­me am 23. April 2018 wur­de Arsalan Khod­kam in eine Haft­ein­rich­tung der Revo­lu­ti­ons­gar­den in der Mili­tär­ka­ser­ne Almah­di in Urumieh gebracht. Dort hielt man ihn 36 Tage in Ein­zel­haft ­ ohne Kon­takt zu sei­ner Fami­lie oder einem Rechts­bei­stand. Wäh­rend die­ser Zeit wur­de er sei­nen Anga­ben zufol­ge wie­der­holt gefol­tert, um ihn zu einem “Geständ­nis” zu zwin­gen. Er sag­te, er sei wie­der­holt aus­ge­peitscht bzw. mit Stö­cken geschla­gen und mit Faust­hie­ben und Trit­ten trak­tiert wor­den, unter ande­rem auf den Rücken, wo er ein chir­ur­gi­sches Implan­tat hat. Des­halb habe er mehr­fach das Bewusst­sein ver­lo­ren. Die Verhörbeamt_innen sol­len ihn über lan­ge Zeit­räu­me in schmerz­haf­ter Wei­se die Hän­de gefes­selt haben. Wäh­rend die­ser Zeit ver­wei­ger­te man ihm den Gang zu Toi­let­te, so dass er sich ein­näss­te oder den Harn so lan­ge ein­hielt, bis er Bla­sen- und Nie­ren­schmer­zen hat­te. Er gab außer­dem an, am Schla­fen gehin­dert wor­den zu sein. / Arsalan Khod­kam wur­de von der Abtei­lung 1 des Mili­tär­ge­richts in West-Aser­bai­dschan der “Feind­schaft zu Gott” (moh­are­beh) durch “Spio­na­ge” für schul­dig befun­den. Er traf sei­nen vom Gericht bestimm­ten Rechts­bei­stand zum ers­ten Mal wäh­rend des Gerichts­ver­fah­rens. Die­ser habe vor Gericht nichts zu sei­ner Ver­tei­di­gung vor­ge­tra­gen. Die Abtei­lung 32 des Obers­ten Gerichts­hof wies sein Rechts­mit­tel im Schnell­ver­fah­ren zurück, ohne dar­auf ein­zu­ge­hen, dass unter Fol­ter erpress­te “Geständ­nis­se” vor Gericht zuge­las­sen wur­den. Ein dar­auf­fol­gen­der Antrag auf gericht­li­che Über­prü­fung des Ver­fah­rens wur­de am 3. Okto­ber 2018 zurück­ge­wie­sen. Arsalan Khod­kam hat bis heu­te kei­ne schrift­li­che Fas­sung des Urteils gegen ihn erhal­ten. Die Anwen­dung der Todes­stra­fe wegen “Spio­na­ge” ver­stößt gegen das Völ­ker­recht, das die Todes­stra­fe auf die “schwers­ten Ver­bre­chen”, wie vor­sätz­li­che Tötun­gen, beschränkt. / Amnes­ty Inter­na­tio­nal wen­det sich in allen Fäl­len, welt­weit und aus­nahms­los gegen die Todes­stra­fe, unge­ach­tet der Schwe­re und der Umstän­de einer Tat, der Schuld, Unschuld oder beson­de­ren Eigen­schaf­ten des Ver­ur­teil­ten, oder der vom Staat gewähl­ten Hin­rich­tungs­me­tho­de, da sie das Recht auf Leben ver­letzt und die grau­sams­te, unmensch­lichs­te und ernied­ri­gends­te aller Stra­fen dar­stellt.“ - Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen bis spä­tes­tens zum 28.9.2020 unter > ai : urgent action

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auf dem bildschirm

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nord­pol : 3.55 UTC — Phil­ip Roth, der in einem Gespräch von einem Bild­schirm aus erzählt, ein Schrift­stel­ler müs­se los­schrei­ben, dür­fe sich nicht beschrän­ken, vor allem nicht sei­ne Spra­che. — Kurz vor Däm­me­rung. Sechs Mari­en­kä­fer haben in die­ser Nacht zu mir gefun­den. Wie sie geräusch­los über schnee­wei­ße Wän­de lau­fen, immer wie­der kurz sit­zen, dann wei­ter, dann wie­der sit­zen, viel­leicht schla­fen. — stop
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fred im zug

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sier­ra : 22.32 UTC — Im Zug, es war Sams­tag, saßen nur weni­ge Men­schen. Sie tru­gen alle eine Mas­ke vor Mund und Nase. Ein selt­sa­mer, berüh­ren­der Anblick. Gera­de des­halb, weil sie schlie­fen, wirk­ten sie ver­letz­lich. Wie ich lang­sam an den Schla­fen­den vor­über­ging, die Ver­su­chung je einer Foto­gra­fie. Plötz­lich dach­te ich an den Posau­nis­ten Fred Wes­ley: Wie geht es Dir, Fred? Ich erin­ner­te mich so im Gehen an eine Nacht vor Jah­ren, da ich Fred Wes­ley mit­tels eines Film­do­ku­ments so lan­ge beob­ach­tet hat­te, bis ich der fes­ten Über­zeu­gung gewe­sen sein konn­te, eine Posau­ne habe auf Fred Wes­leys Schul­ter wie ein Tier Platz genom­men, sie habe den kor­pu­len­ten, alten Herrn sozu­sa­gen okku­piert:  Fun­ky! Fun­ky! Mit Fred Wes­ley ist das hof­fent­lich noch immer so: Er bewegt sich geschmei­dig und ele­gant, er scheint zu tan­zen, selbst dann noch, wenn er reg­los, wie schein­bar ange­hal­ten, für Sekun­den vor einem Mikro­fon ver­harrt. Ich hat­te damals den Ver­dacht, der alte Posau­nist ver­fü­ge über die Fähig­keit, außer­ge­wöhn­lich lan­ge Zeit die Luft anzu­hal­ten. Des­halb notier­te ich unver­züg­lich fol­gen­de E‑Mail: Sehr geehr­ter Mr. Wes­ley, es ist Mit­ter­nacht in Euro­pa. Ich hei­ße Lou­is, und ich wüss­te ger­ne, wo Sie sich gera­de befin­den, weil ich ein Gespräch mit Ihnen zu füh­ren wün­sche über das Anhal­ten der Luft und die­se Din­ge, die einem Posau­nis­ten, wie sie einer sind, viel­leicht außer­or­dent­lich gut gelin­gen. Ges­tern auf dem Weg von einem Zim­mer in ein ande­res Zim­mer, wäre ich um Haa­res­brei­te umge­fal­len, weil mir schwin­de­lig wur­de, weil ich kurz zuvor eine Minu­te und eine hal­be Minu­te nicht geat­met hat­te. Ich fra­ge mich, ob ich viel­leicht etwas falsch gemacht haben könn­te. Wie trai­nie­re ich am bes­ten und was sind sinn­vol­le Zie­le, die ein Mensch in die­sem Sport errei­chen kann, ohne sein Leben aufs Spiel zu set­zen? Soll ich mir eine Posau­ne kau­fen? Wie auch immer, ver­ehr­ter Mr. Wes­ley, ich wäre Ihnen dank­bar, wenn Sie mir recht bald ant­wor­ten wür­den, damit ich sogleich mit mei­nen Übun­gen fort­fah­ren kann. Ihr Lou­is — stop
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eine uhr

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tan­go : 0.58 UTC — Dach­te an Mut­ter, wie sie noch vor zwei Jah­ren reg­los in einem Bett lag, nicht spre­chen, nur schau­en konn­te. Im nahen Wohn­zim­mer, zwei Stra­ßen­zü­ge weit nur um die Ecke, ihre Stand­uhr, die schon Groß­mutter Abend für Abend auf­ge­zo­gen haben muss­te. Wie Mut­ter, als sie noch gehen konn­te, klei­ner und immer klei­ner wur­de, stell­te sie einen Sche­mel vor die Uhr. Und als sie noch klei­ner wur­de, stand sie dort auf dem Sche­mel, wie­der­um auf den Spit­zen ihrer Zehen, um mit ihrem rech­ten Zei­ge­fin­ger behut­sam den Minu­ten­zei­ger einer wun­der­schö­nen, geräusch­voll ticken­den Uhr zu berüh­ren, deren Zeit mit Mut­ters Sturz ende­te. Ich erin­ne­re mich, Abend für Abend stand die alte Frau vor ihrer Uhr, um sie zur Schlaf­zeit anzu­hal­ten. Und mor­gens stand die alte Frau vor ihrer Uhr, um sie wie­der in Bewe­gung zu ver­set­zen bis zuletzt. Ein­mal erzähl­te ich Mut­ter, die mich indes­sen im Bett lie­gend unver­wandt betrach­te­te, von Kie­men­men­schen. Gegen Mit­ter­nacht kehr­te ich ins Haus zurück. Stil­le. Es war Win­ter. Schnee lag im Gar­ten. — stop

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rosetta

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romeo : 3.12 UTC — Nabo­kov schrieb vor lan­ger Zeit, er habe mir eine unge­wöhn­li­che Uhr geschickt, ich sol­le ihm notie­ren, sobald sie ange­kom­men sei. Weni­ge Wochen spä­ter erneu­te Fra­ge: Lie­ber Lou­is, ist die Uhr, die ich vor zwei Mona­ten sen­de­te, ange­kom­men? Eine ers­te Uhr Nabo­kovs lag kurz dar­auf im Brief­kas­ten, zoll­amt­li­cher Ver­merk: Zur Prü­fung geöff­net. Nun, in die­sem selt­sa­men Mai, habe ich eine wei­te­re Uhr von Nabo­kov erhal­ten. Zoll­amt­li­cher Ver­merk, der­sel­be. Ich will an die­ser Stel­le bemer­ken, von der Öff­nung des Päck­chens war wie­der­um nicht die min­des­te Spur zu erken­nen, kein Schnitt, kein Riss, kei­ne Fal­te. Im Päck­chen die­ses Mal eine Schach­tel von rotem Kar­ton, in der Schach­tel Sei­den­pa­pie­re, von Nabo­kovs eige­ner Hand ver­mut­lich zer­knüllt. In wei­te­re Sei­den­pa­pie­re ein­ge­schla­gen, besag­te Uhr, wun­der­ba­res Stück, recht­ecki­ges Gehäu­se, ble­chern, ver­mut­lich Trom­pe­te, wel­ches schwer in der Hand liegt. Kurio­ser­wei­se fehlt auch die­ser Uhr das Zif­fer­blatt, wei­ter­hin kei­ner­lei Zei­ger, weder Dioden noch Leucht­zei­chen. Ich ver­such­te das Gehäu­se der Uhr zu öff­nen, erneut ver­geb­lich. Wenn ich auf das Gehäu­se der Uhr Druck aus­übe, öff­net sich am Uhr­bo­den ein schma­ler Schacht, dem, wie zum Beweis der Exis­tenz der Zeit, ein Strei­fen feins­ten Papiers ent­kommt, auf wel­chem ein Uhr­zeit­punkt auf­ge­tra­gen wor­den ist: Acht­zehnzwölf. — Es ist Nacht gewor­den. Ich lie­ge im Halb­schlaf auf dem Sofa. Mei­ne Schreib­ma­schi­ne atmet lei­se, ein bestän­di­ges Fau­chen. Seit eini­gen Tagen arbei­tet sie auch wäh­rend ich schla­fe, rech­net vor sich hin für ein beson­de­res Pro­jekt: Rosetta@home — stop
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missing flamingos

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sier­ra : 22.58 — Sanf­te Frau­en­stim­me spricht: Ach­tung! Hal­ten Sie 1 Meter 50 Abstand. Mei­den Sie Men­schen­an­samm­lun­gen! In der Hal­le, indes­sen kein Mensch zu sehen, kein Kof­fer, kein Hund, kei­ne Kat­ze, aber Mäu­se, ein gutes Dut­zend Mäu­se, die über den spie­geln­den Mar­mor­bo­den flitz­ten, als hät­ten sie Schlitt­schu­he an ihren Füßen. Ich war die ein­zi­ge mensch­li­che Per­son an einem Ort, der ver­mut­lich nie ohne Men­schen gewe­sen ist. Ich erin­ne­re mich, selbst inmit­ten der Nacht habe ich im Ter­mi­nal immer­zu flüs­tern­de Men­schen wahr­ge­nom­men, auch Schla­fen­de auf Sitz­bän­ken oder Stüh­len der Cafés. Nun war Stil­le, kein Traum wur­de erzählt. Sel­ten ein­mal das Geräusch sich bewe­gen­der Zei­chen auf einer Anzei­ge­ta­fel. Aus Neu­see­land kom­mend soll­te Minu­ten spä­ter ein Flug­zeug lan­den, ein Hin­weis wie ein letz­ter Reflex. Jene über den spie­geln­den Boden dahin­glei­ten­den Mäu­se jedoch, unbe­irrt, ob sie sich wun­der­ten über die­se eine war­ten­de Per­son im Saal, die ich selbst gewe­sen war in einem Moment des Notie­rens auf mei­ner fla­chen Schreib­ma­schi­ne? Wie ich sie ver­miss­te, Steh­schlä­fer, mei­ne Steh­schlä­fer, wel­che nicht Vögel sind, Fla­min­gos, sagen wir, nein, Steh­schlä­fer, die Men­schen sind, gegen­wär­ti­ge Per­so­nen, die sich, soll­ten sie ein­mal zurück­keh­ren, genau so ver­hal­ten wer­den, wie das Wort, das sie bezeich­net: Sie schla­fen im Ste­hen. — stop

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