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malta : schnüre von luft

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sier­ra : 15.08 – Heu­te Mor­gen, der Kof­fer lag bereits geöff­net auf dem Bett, konn­te ich wie­der das Was­ser hören, wies sich in nächs­ter Nähe beweg­te. Hat­te ein Ohr an eine Zim­mer­wand gelegt, da waren Stim­men, die sich mit dem Was­ser unter­hiel­ten, gedämpf­te Geräu­sche, Wör­ter, die ich noch nie zuvor ver­nom­men hat­te. War dann spa­zie­ren in den Schat­ten, habe Namen gesam­melt, Türen und ihre Far­ben, die Gestalt der Trep­pen, der Brief­käs­ten, der Fens­ter­räu­me, Men­schen­spu­ren, durch all­täg­li­che Bewe­gung der Jahr­hun­der­te in die Stein­haut der Stra­ßen ein­ge­tra­gen. Wil­de Lei­tun­gen kreuz­ten von Haus zu Haus. Ich stell­te mir vor, Schnü­re umman­tel­ter Luft, jedes Tele­fon sei mit wei­te­ren Tele­fo­nen durch je eine eige­ne Lei­tung ver­bun­den. Und da waren beleuch­te­te Chris­tus­fi­gu­ren an Häu­ser­ecken. Ein paar Jungs spiel­ten Fuß­ball gegen stärks­te Nei­gung des Bodens, mit einem Ball, der ost­wärts flüch­ten woll­te. Am Hafen hock­ten Män­ner auf leich­ten Stüh­len von Holz. Sie schau­kel­ten Ruten über kla­rem Was­ser, in dem kein Fisch zu sehen war. Lan­ge Zeit der Beob­ach­tung. Die Män­ner plau­der­ten in ihrer wei­chen mal­te­si­schen Spra­che, für einen Moment war mir gewe­sen, als ob sie durch Beschwö­rung, durch ihr Lachen, Fische erzeug­ten, die genau in dem Moment ihrer Ent­ste­hung sich in die war­ten­den Haken der Jäger ver­bis­sen, um auf der Stel­le in die Luft gezo­gen zu wer­den, Fische mit sil­ber­nen Bäu­chen, blau­en Rücken, gel­ben Augen, Erfin­dun­gen, wie Wör­ter aus dem Nichts, die sich zu Lini­en for­mie­ren und blei­ben. Dann wei­ter. — stop

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malta : carmelite church

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del­ta : 22.07 – Als er mich über die Stra­ße kom­men sieht, erhebt sich der alte Mann von dem Stuhl vor der Tür sei­nes Hau­ses. Sofort, schon von Wei­tem, hat er mich wie­der­erkannt, viel­leicht an dem roten Pull­over, den ich über mei­nen Schul­tern tra­ge oder an mei­nem Gang. Jetzt folgt er mir gruß­los in die Kir­che an der Old Mint Street, deren Kup­pel­bau die Sil­hou­et­te der Stadt Val­let­ta weit­hin prägt. Ges­tern noch haben wir ein klei­nes Gespräch geführt vor dem Got­tes­haus, das dem alten Mann kost­bar zu sein scheint, ein Ort, den er zu schüt­zen ver­sucht, vor Per­so­nen wie mir bei­spiels­wei­se, die kom­men und gehen wie sie wol­len, ohne je ein­mal zu fra­gen, ob es statt­haft sei, an die­sem hei­li­gen Ort zu foto­gra­fie­ren. Jetzt will er mich prü­fen, will mein Ver­spre­chen genau­er, das ich gege­ben habe, prü­fen, ob ich es ein­hal­te, ob ich glaub­wür­dig sei. Und so sit­ze ich bald unweit des Altars, der alte Mann ein paar Rei­hen hin­ter mir, und über­le­ge, ob es mög­lich sein könn­te, in die­ser Kir­che ein Aqua­ri­um zu errich­ten, ein Glas­ge­häu­se von enor­mer Grö­ße, in dem Kie­men­men­schen schwe­ben und somit in der Lage sein wür­den, an hei­li­gen Fei­ern unter Lun­gen­men­schen teil­zu­ha­ben. Lan­ge Zeit sit­ze ich fast bewe­gungs­los, dann begin­ne ich eini­ge Sät­ze in mein Notiz­buch zu schrei­ben, fer­ti­ge eine Zeich­nung an, einen Grund­riss in etwa, der Kir­che und eini­ger Posi­tio­nen, da ein Aqua­ri­um zu errich­ten sinn­voll wäre. Und wie ich so lei­se vor mich hin arbei­te, kaum wage ich zu atmen, höre ich, wie der alte Mann hin­ter mir sich erhebt, er kommt an mir vor­über, bleibt eini­ge Minu­ten in mei­ner Nähe ste­hen, ver­beugt sich bald vor dem Altar und ver­lässt die Kir­che durch einen Sei­ten­ein­gang. — Sonn­tag. Ich habe heu­te Bäu­me ent­deckt, die mit ihren wei­chen Blät­tern selt­sa­me Nüs­se bebrü­ten. — stop

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malta : operation odyssey dawn

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echo : 22.01 – Zu Fuß die Stra­ße von Mdi­na rauf zu den fel­si­gen Höhen, ihrem groß­ar­ti­gen Blick süd­wärts über das Meer. Links und rechts der asphal­tier­ten Stra­ße, Fel­der, wie in Fächer gelegt von stei­ner­nen Wäl­len umge­ben. In den Blät­tern der Kak­teen­ge­wäch­se sit­zen Schne­cken in Höh­len und schmau­sen vom fau­lig gewor­de­nen Fleisch. Was ich höre in die­sen Minu­ten des Lau­fens ist der Wind, der sich an den Wider­stän­den der wil­den Land­schaft reibt. Er scheint gegen die stei­len Fel­sen, die schon in nächs­ter Nähe sind, him­mel­wärts zu pfei­fen, ein afri­ka­ni­scher Wind an die­sem Tag ein Mal mehr, ein Wind aus einem mili­tä­ri­schen Ope­ra­ti­ons­ge­biet, das einen Namen trägt: Odys­sey Dawn. Aber vom Krieg ist nichts zu sehen an die­ser Stel­le, in die­sem Moment, da ich die Cliffs errei­che, wie mein Augen­licht sich zu einem Kame­ra­licht ver­wan­delt, wie das Land unter den Füßen weicht, wie ich für einen kur­zen Moment glau­be, abhe­ben zu kön­nen und zu flie­gen weit raus auf  him­mel­blaue Was­ser­flä­che, deren Ende nicht zu erken­nen ist. Kein Flug­zeug, kein Schiff, außer einem klei­ne­ren Boot, das auf dem Weg nach Misu­ra­ta sein könn­te, ein­ge­schlos­se­nen Men­schen Mehl und Medi­ka­men­te zu brin­gen. Tau­ben lun­gern im bereits tief über dem Hori­zont ste­hen­den Licht der Son­ne auf war­men Stei­nen, Eidech­sen, grün und blau und gol­den schim­mernd, sit­zen erho­be­nen Kop­fes und war­ten. Sie beneh­men sich, als hät­ten sie noch nie zuvor ein mensch­li­ches Wesen gese­hen. — stop

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malta : carduelis carduelis, sanfter irrer

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india : 8.32 – Im Zucker­wa­ren­la­den in der Man­oel­street No 15 pen­delt über der Laden­the­ke ein höl­zer­ner Käfig, nicht grö­ßer als ein Schuh­kar­ton, in dem sich ein Stieg­litz befin­det, ein Männ­chen genau­er, das bis in den Abend hin­ein, ohne je eine Pau­se ein­zu­le­gen, sofort mit der Öff­nung des Ladens gegen acht Uhr mor­gens zu sin­gen beginnt. Das ist eine Art von Gesang, die kaum in Geräu­schwör­tern wie­der­ge­ge­ben wer­den kann, ich höre ein dudu­di­de oder ein didi­di­du oder ein tschirrrz­id. Der Käfig hängt dicht unter der gewölb­ten Decke. Er scheint sich stets in leich­ter Bewe­gung zu befin­den, obwohl kein Wind­zug zu spü­ren ist in den schat­ti­gen Räu­men. Eine schläf­ri­ge Frau sitzt dort hin­ter einem Tre­sen von Glas, unter dem mit Whis­key, Pini­en­ker­nen und Kir­schen gefüll­te Pron­jo­la­ta­ta­schen sorg­fäl­tig gesta­pelt lagern, Kas­ta­ni­en­tor­ten, Oran­gen­ku­chen, kan­dier­te Früch­te aller Art, und dar­über eben jener Vogel, der unent­wegt jubi­liert oder nach Hil­fe ruft. Er sitzt auf einer Stan­ge immer an der­sel­ben Stel­le, dreht oder neigt ein wenig sei­nen Kopf zur Sei­te hin und scheint die Bewe­gung sei­ner Woh­nung in der Luft, allein durch die Vibra­ti­on sei­nes Kör­pers im Gesang her­vor­zu­ru­fen. Manch­mal ver­schließt der Vogel mit­tels eines sil­ber­nen Häut­chens, das weit­ge­hend durch­sich­tig sein könn­te, ein Auge. Nach ein oder zwei Sekun­den nur ist er wie­der zurück. Er scheint auf­merk­sam zu beob­ach­ten, wie ich in mein Notiz­buch notie­re, was ich von ihm höre. Ein sanf­ter Irrer. — stop

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malta : eine scheeweiße frau

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tan­go : 10.18 – Kurz nach 10 Uhr mor­gens sind heu­te ein paar selt­sa­me Din­ge gesche­hen. Ich saß auf einem schma­len Bal­kon in ange­nehms­ter Luft und hör­te dem bezau­bern­den Gesang eines nicht sicht­ba­ren Vogels zu. Eine Fäh­re, viel­leicht von Sizi­li­en her, kreuz­te indes­sen den Aus­schnitt des Mee­res, den ich von mei­nem Stuhl aus wahr­neh­men konn­te. Sobald sie ver­schwun­den gewe­sen war, öff­ne­te ich die Times vom Vor­tag und las, dass noch immer nicht bekannt gewor­den sei, wo der chi­ne­si­sche Künst­ler Ai Wei­wei gefan­gen gehal­ten wird. In Japan ver­such­te man wei­ter­hin unter höchs­ter Gefahr in ver­seuch­tem Gebiet, Opfer des Tsu­na­mi zu ber­gen. In die­sem Moment öff­ne­te sich ein Fens­ter jen­seits der Stra­ße, eine Frau, deren Gesicht schnee­weiß gewe­sen war, starr­te mich für eini­ge Sekun­den an. Das war ein merk­wür­di­ger Blick, ein Blick, als ob sie mich in die­sen Sekun­den mit ihren Augen foto­gra­fie­ren wür­de. Bald zog sie ihren Kopf wie­der zurück in den Schat­ten des Rau­mes, um kurz dar­auf wie­der­zu­keh­ren, mit einem Korb in der Hand, der an einer Schnur befes­tigt war. Sie seil­te den Korb zur Stra­ße hin ab, sah mich in die­ser Bewe­gung wie­der foto­gra­fie­rend an, beob­ach­te­te dem­zu­fol­ge, wie ich ihrem Korb mit den Augen folg­te. Vor dem Haus weit unter uns war­te­te ein Brief­trä­ger. Der jun­ge Mann ent­nahm dem Korb ein Schrift­stück und leg­te statt­des­sen eine Fla­sche hin­ein. Unver­züg­lich hol­te die Frau den Korb wie­der zu sich nach oben. Kräf­ti­ge Bewe­gun­gen ihrer dür­ren Arme. Auch ihre Arme waren so strah­lend weiß, dass ich den Ein­druck hat­te, sie wären aus Licht gemacht oder von der Ein­sam­keit des Zim­mers. — stop

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malta : fernaugen

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sier­ra : 15.02 – Roll­lä­den von ros­ti­gem Metall. Zer­bro­che­ne Leucht­schrift­zei­chen. Der Fuß­bo­den vor dem Laden mit schwar­zer Far­be beschmiert. Das Büro der Liby­en Air, trost­lo­se Aus­sicht, als hät­te ein gan­zes Land sei­ne Fern­au­gen für immer geschlos­sen. Gleich links und rechts des eiser­nen Lids sit­zen jun­ge Men­schen in Cafés. Diens­tag, frü­her Vor­mit­tag, Taxi­fah­rer lun­gern in der St Pius Street. Ich fol­ge einer Kat­ze, die ihrer­seits Gerü­chen, Geräu­schen, Bewe­gun­gen und wei­te­ren unsicht­ba­ren Spu­ren und Wün­schen folgt. Präch­ti­ges Tier, schwar­zes, zer­zaus­tes Fell, brei­ter Kopf, gel­be Augen. Sie scheint ihren Beob­ach­ter ange­nom­men zu haben, dreht sich immer wie­der ein­mal nach mir um, als wür­de sie mich in der Ver­fol­gung ermun­tern. Von der Repu­blik Street in die Wind­mill Street, dann nord­wärts die Mer­chant Street ent­lang. Schul­kin­der in Uni­for­men, ein paar älte­re Men­schen, Frau­en, Män­ner, in dunk­ler, fei­ner Klei­dung, klei­ne­re Läden, Süß­stof­fe im Halb­dun­kel. Mein Blick ein­mal zur Kat­ze hin, dann wie­der hin­auf zu den hän­gen­den Win­ter­gär­ten an den Fas­sa­den der alten Häu­ser, die schmal sind, ohne Zwi­schen­räu­me. In der Old Hos­pi­tal Street eine ver­wit­ter­te Tür, die sich im Wind leicht bewegt. Dort ver­schwin­det die Kat­ze. Wild­nis ohne Dach. Zitro­nen­bäu­me ent­kom­men dem Boden. An einer Wand, von Flech­ten besetzt, ein Ofen. Im Regal gleich dar­über, eine Tas­se von Por­zel­lan. — stop
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malta : 81er bus

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echo : 22.05 – Sagen wir das so: Ich bin heu­te, an die­sem son­ni­gen Mon­tag mit dem Bus hin und her übers Land gefah­ren, mit einem 81er-Bus, mit Luca’s Bus, und zwar die Stre­cke von Val­let­ta nach Rabat bis rauf zu den Ding­li Cliffs, von wo man weit aufs Meer hin­aus süd­wärts nach Afri­ka schau­en könn­te, wenn die Erde nicht rund wäre wie wir sie vor­ge­fun­den haben. Luca ist ein Bus­fah­rer aus Lei­den­schaft. Er trägt ein blau­es Hemd, sei­ne Arme sind gebräunt wie sein Gesicht, rechts, von wo die Son­ne kommt, etwas stär­ker als von links. 47 Cent kos­tet eine ein­fa­che Fahrt nach Rabat. Jeder, der her­ein­kommt, wird begrüßt: Wel­co­me, wel­co­me! Dann 15 Kilo­me­ter ste­tig dem Him­mel zu, links und rechts der Stra­ße, Spu­ren von Wei­zen, Toma­ten, Kar­tof­feln, Inseln blü­hen­der Blu­men, Mohn und Mar­ge­ri­ten und Lini­en von Kak­teen­pflan­zen, als sei­en Mee­res­wel­len zu flei­schi­gen Blatt­kör­pern gefro­ren für alle Zeit. Da und dort ein Dorf, Büsche, Oran­gen­bäu­me, Wind­rä­der, Funk­an­ten­nen. Nach einer Stun­de kommt man dann an in Rabat oder Mdi­na, man weiß jetzt, dass man über einen Kno­chen­kör­per ver­fügt, und man ahnt, dass Luca sei­nen Weg noch fin­den wür­de, wenn er ein­mal blind gewor­den sein soll­te. Luca sam­melt Mari­en­bil­der wie ich Über­ra­schun­gen samm­le, Momen­te wie die­sen, da Luca bemerkt, dass ich nicht aus­stei­gen, dass ich wie­der mit ihm zurück­fah­ren wer­de, dass der Bus und er selbst für mich bedeu­ten­der sind, als Orte und Land­schaft, die wir durch­rei­sen. Jetzt darf ich ihn foto­gra­fie­ren und sein Arma­tu­ren­brett, Die­sel, Die­sel! Und ich darf ihm eine Fra­ge stel­len, ich woll­te näm­lich wis­sen, ob es für ihn denk­bar ist, sei­nen Bus ein­mal bis hin unter die Decke mit Was­ser zu fül­len, ob er sich vor­stel­len kön­ne, mit einem Bus voll leben­der Fische über Land zu fah­ren. Luca’s Hupe, eine Luft­trom­pe­te. — stop

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malta : fallschirmregen

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nord­pol : 16.22 – Aus hei­te­rem Him­mel setzt sich vor der Natio­nal­bi­blio­thek eine uralte bri­ti­sche Lady zu mir in den Schat­ten. Hel­le, fal­ti­ge Haut, die sich mit dem See­wind über ihren dür­ren Kör­per hin­zu­be­we­gen scheint. Sie trägt einen grü­nen Son­nen­hut, gel­be Leder­san­da­len und einen lan­gen beige­far­be­nen Rock; hell­blaue Augen, Steck­na­del­pu­pil­len, die mich fixie­ren, kein Lid­schlag. Wo ich her­kom­me, will sie wis­sen, was ich da notie­re, ob ich mit dem Inter­net ver­bun­den sei. Indem sie mir zuhört, lehnt sie sich in ihren Stuhl zurück, um sich sofort wie­der zu nähern, wenn sie selbst zu spre­chen beginnt. Dass es ein Wun­der sei, wie schnell die Deut­schen nach dem Krieg wie­der wohl­ha­bend gewor­den sind. Ja, die Deut­schen, sagt sie mit ihrer hel­len Stim­me, alles, was die Deut­schen tun, machen sie gründ­lich. Ein­mal, als sie noch ein klei­nes Mäd­chen gewe­sen war, reg­ne­ten eines frü­hen Mor­gens Fall­schir­me auf die Ebe­nen Mal­tas her­ab. Sie hat­ten es nicht leicht mit der Lan­dung, da waren über­all stei­ner­ne Wäl­le zum Schutz vor dem Wind. Kurz dar­auf fie­len Bom­ben auf den klei­nen Ort Mos­ta. Wenn Sie Zeit haben, besu­chen Sie Mos­ta, das müs­sen Sie unbe­dingt tun! Eine Bom­be traf die Kir­che, dort­hin hat­ten sich hun­der­te Men­schen geflüch­tet, aber die Wän­de, das Gewöl­be waren unbe­sieg­bar gewe­sen. Eine wei­te­re Bom­be traf den Markt­platz und töte­te ein Dut­zend Hüh­ner. Die alte Frau spricht jetzt lang­sam und prä­zi­se, als erwar­te­te sie, dass ich ihre Erzäh­lung Wort für Wort im Kopf mit­schrei­ben wür­de. Eine ihrer Schwes­tern sei ver­wun­det wor­den, ein Split­ter habe den Onkel, der sich auf sie gewor­fen habe, glatt durch­schla­gen. Ihr Vater habe dann ein Zelt im Haus für die Fami­lie errich­tet, weil das Haus sein Dach ver­lo­ren hat­te durch den Luft­druck, als ein benach­bar­tes Grund­stück einen Voll­tref­fer erhielt. Es ist schon ein Wun­der, sagt sie und lächelt, es ist schon ein Wun­der. - stop
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malta : lower barracca gardens

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india : 23.37 – Sams­tag. stop. Seit bald zwei Tagen kei­ne Zei­tung gele­sen. Über den wol­ken­lo­sen mal­te­si­schen Him­mel streu­nen Was­ser­flug­zeu­ge. Es ist heiß in der Son­ne, aber es weht ein ange­nehm küh­ler Wind durch die Gas­sen der alten Stadt. Habe in den Lower Bar­rac­ca Gar­dens Stun­den ver­sucht, selt­sam luf­ti­ge Wesen zu foto­gra­fie­ren, sie sind ohne Aus­nah­me, sobald ich auf den Aus­lö­ser drü­cke, Flüch­ten­de, das heißt, Abwe­sen­de, als ob sie mei­ne pla­nen­den Gedan­ken lesen könn­ten, segeln mit einem sir­ren­den Geräusch unter ver­wit­ter­ten Bäu­men davon, Gril­len viel­leicht, Gril­len­vö­gel, weil sie nicht sprin­gen, son­dern flie­gen, aber nicht von der Gestalt der Vögel, son­dern von der Gestalt der Insek­ten sind. Gold­gelb die Far­be ihres Kör­pers, wie die Stei­ne der Stadt so gold­gelb, für einen Moment dach­te ich, dass sie selbst stei­ner­ne Wesen sein könn­ten, dass sie den Wän­den der Häu­ser ent­kom­men, dass die Stadt in die­ser Wei­se in klei­nen Tei­len gegen die Abend­luft zu ent­wei­chen wünscht, eine Stadt kurz vor dem Abflug, aber noch nicht ent­schlos­sen, kehrt sie zurück, ehe die Son­ne ganz ver­schwun­den ist. Da sind Füh­ler an den flie­gen­den Stein­tie­ren befes­tigt, län­ger als ihr Haupt­kör­per sind sie, und hauch­dün­ne Segel­flü­gel, die Däm­me­rung vom Him­mel rufen. Lot­sen­schif­fe ver­las­sen den Hafen. Gegen Mit­ter­nacht wer­den sie zurück­kom­men, Tank­schif­fe, rie­si­gen gewäs­ser­ten Zep­pe­li­nen ähn­lich, im Schlepp. — stop

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malta : manoelstreet

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echo : 22.56 – Im Auf­zug des Hau­ses Man­oel­street No 8 sitzt eine Schne­cke mit gel­bem Gehäu­se auf dunk­lem Fur­nier. Bald wer­de ich erfah­ren, dass es von Höl­zern genom­men wur­de, die Eng­län­der vor lan­ger Zeit nach Mal­ta impor­tier­ten, Bäu­me die­ser Far­be wach­sen hier nicht aus der roten Insel­er­de, aber nied­ri­ge Oran­gen und Zitro­nen­ge­wäch­se. Wenn man abends im Wind, der von der See her in die Stadt spa­zie­ren kommt, in einem der klei­ne­ren Parks lan­ge genug war­tet, kann man die Früch­te fal­len hören, wei­che, seuf­zen­de Geräu­sche, kaum wahr­nehm­bar. — Spä­ter Abend. Wäh­rend der Fahrt vom Flug­ha­fen her in einem uralten Bus durch­ge­schüt­telt, habe ich ein Ohr ver­lo­ren. Ich tra­ge es behut­sam in der Hosen­ta­sche den Flur ent­lang zu mei­nem Zim­mer, das von war­mer Far­be ist, eine Tür, die von selbst ins Schloss fällt, ein Bal­kon hin zum Meer, irgend­wo da drau­ßen in der Dun­kel­heit soll es schon lan­ge exis­tie­ren. Still die Stadt an die­sem Abend, weni­ge Stim­men, klap­pern­de Töp­fe, die Glo­cken einer Kir­che zur vol­len Stun­de, nichts wei­ter. Wie ich mein Ohr betrach­te, das auf dem Bett liegt, noch immer knis­ternd vom Sturz­flug aus grö­ßer Höhe kurz nach Sizi­li­en unter Tur­bu­len­zen hin­durch, die­ser selt­sa­me Ein­druck eines Tage wäh­ren­den Zwi­schen­rau­mes, nicht mehr zu Hau­se und doch schon im Süden ange­kom­men, unwirk­lich, alles ist denk­bar. Seh mich nach Mit­ter­nacht über eine Kat­zen­stra­ße der Stadt Val­let­ta gehen. Das Meer aus nächs­ter Nähe, brau­send aus dem unend­li­chen, dunk­len Raum her­an, fried­lich an die­ser Stel­le zu die­ser Stun­de. — stop
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