Aus der Wörtersammlung: bunt

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PRÄPARIERSAAL : cerebum

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nord­pol : 8.02 — TONAUFNAHME / Mai 2005 — Yomo : Als wir das Gehirn ent­nah­men, haben wir uns zunächst kei­ne Gedan­ken dar­über gemacht, was für ein fas­zi­nie­ren­des Teil des mensch­li­chen Kör­pers wir gera­de in der Hand hiel­ten. Wir hat­ten das näm­lich so ver­stan­den, dass die Stu­den­ten das Gehirn selbst ent­neh­men dür­fen und wir haben das dann auch gemacht. Aber bald haben wir fest­ge­stellt, dass die Assis­ten­ten, nicht die Stu­den­ten, das an den ande­ren Tischen mach­ten. Wir hat­ten bei der Ent­nah­me einen Feh­ler gemacht und das Gehirn an der fal­schen Stel­le durch­trennt. Wir waren sofort damit beschäf­tigt, zu über­le­gen, was wir jetzt machen sol­len, um kei­nen Ärger zu bekom­men. Wir haben des­halb in die­ser Situa­ti­on nicht so sehr an das Gehirn gedacht. Zum Glück kam dann aber eine net­te Assis­ten­tin und hat das Gehirn voll­stän­dig ent­nom­men, ohne uns wei­ter Vor­wür­fe zu machen. Sie fand unse­re Art der Ent­nah­me fast noch bes­ser als die vor­ge­ge­be­ne Metho­de, da man vie­le Struk­tu­ren sehen konn­te, die wir anders nicht gese­hen hät­ten. Wir waren auf jeden Fall ziem­lich froh, dass wir kei­nen Ärger bekom­men haben. Ich habe erst etwas spä­ter ein beson­de­res Gefühl gespürt, als ich das Gehirn in den Hän­den hat­te. Viel­leicht lag das auch dar­an, dass wir uns am Anfang auch noch gar nicht so genau mit dem Gehirn aus­kann­ten. Ein paar Din­ge über das Gehirn wuss­te ich zwar schon aus der Schu­le, aber wie genau es auf­ge­baut ist, aus wie vie­len Struk­tu­ren das Gehirn besteht und was man alles an einem Gehirn sehen kann, das habe ich erst in der Ana­to­mie gelernt. So wur­de das Gehirn im Lauf Zeit zu einem immer inter­es­san­te­ren und fas­zi­nie­ren­de­ren Kör­per­teil für mich. An dem Tag, als wir die Sul­ci mit bun­ten Fäden aus­le­gen soll­ten, hat­te ich das Gehirn dann län­ger in der Hand. Das ist jener Tag, an den ich mich beson­ders inten­siv erin­nern kann, da ich ein beson­de­res Gefühl hat­te, als ich das Gehirn in der Hand gehal­ten habe. Ich war ein biss­chen glück­lich und stolz auch, denn wer hat schon die Mög­lich­keit ein Gehirn in der Hand zu hal­ten. Für mich war kaum vor­stell­bar, dass die­se Struk­tur in mei­ner Hand ein­mal so vie­le und wich­ti­ge Auf­ga­ben erfüllt hatte.

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rikers island

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bun­tu : 5.03 — In der ver­gan­ge­nen Nacht von zwei bis drei Uhr habe ich das Expe­ri­ment unter­nom­men, einen gehei­men Gedan­ken, in dem sich die Zei­chen­fol­ge Rikers Island befin­det, solan­ge zu den­ken, bis ich ihn von der Mit­te mei­nes Kopf­denk­rau­mes zur lin­ken Sei­te des sel­ben Rau­mes hin zu ver­schie­ben ver­moch­te. Soweit bin ich nun gekom­men, dass ich zu ver­ste­hen mei­ne, das Ver­schie­ben der Wahr­neh­mung des Den­kens im Kopf könn­te mit der Beschwe­rung des einen oder ande­ren Ohres mit­tels Kon­zen­tra­ti­on ver­bun­den sein. Auch dass man Übun­gen die­ser Art nicht im Ste­hen, viel­mehr im Sit­zen voll­zie­hen soll­te, gilt seit 2.58 MESZ als gesi­chert. — stop
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blaue kamele

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tan­go : 3.28 – Wie wir auf den Schul­tern unse­res Vaters durch die Welt schau­kel­ten, als säßen wir auf dem Rücken eines Dro­me­dars, das die mensch­li­che Spra­che spre­chen konn­te. Wie er uns das Licht erklär­te, die Geschwin­dig­keit und die Zeit, die das Licht unter­wegs gewe­sen war, um zu uns zu kom­men. Sei­ne gro­ßen Schu­he, in wel­chen wir durch den Gar­ten segel­ten. Und Gene Krup­pa, Drum­mer Man, dort, noch lan­ge vor unse­rer Zeit, Vater mit Schlips im Anzug als jun­ger Mann. Heu­te Nacht erzäh­len wir uns Geschich­ten. Und schon ist es kurz nach zwei Uhr gewor­den. Ich habe ganz heim­lich mei­ne Schreib­ma­schi­ne ange­schal­tet, um eine wei­te­re klei­ne Geschich­te auf­zu­schrei­ben, weil Geschich­ten auf Papier oder Geschich­ten, die man von einem Bild­schirm lesen kann, wie alle ande­ren Geschich­ten als lei­se beten­de Stim­men zu ver­neh­men sind. Die­se Geschich­te nun geht so. Immer an Frei­ta­gen, ich war fünf oder sechs Jah­re alt gewe­sen war, brach­te mein Vater aus dem Insti­tut, in dem er als Phy­si­ker arbei­te­te, Kar­ten mit nach Hau­se, die ich bema­len durf­te, Com­pu­ter­loch­kar­ten, kräf­ti­ge, beige Papie­re, in wel­chen sich selt­sa­me Löcher befan­den. Die­se Löcher waren nie­mals an der­sel­ben Stel­le zu fin­den, und ich erin­ne­re mich, dass ich mich über ihr Ver­hal­ten hef­tig wun­der­te. Ich war zu jener Zeit ein begeis­ter­ter Maler, ich mal­te mit Wachs­krei­de und ich mal­te in allen Far­ben, über die ich ver­fü­gen konn­te, weil ich das Bunt­sein schon immer moch­te. Ich mal­te blaue Kame­le und schwar­ze Blu­men und rote Mon­de. Ein­mal frag­te ich mei­nen Vater, was jene Löcher bedeu­te­ten, über deren Exis­tenz ich mich freu­te, weil sie ver­steck­te Bil­der zeig­ten, die ich solan­ge such­te, bis ich sie gefun­den hat­te. Hör zu, sag­te mein Vater.
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luftpost

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alpha : 23.52 – Ein­mal lag ein bun­tes Stück Papier auf mei­nem Schreib­tisch, ein Luft­post­brief. Als ich das Cou­vert des Brie­fes genau­er betrach­te­te, das heißt, als ich den Brief so nahe an mei­ne Augen her­an­führ­te, dass ich die Stem­pel­ein­trä­ge sei­ner Anschrif­ten­sei­te ent­zif­fern konn­te, bemerk­te ich, dass der Luft­post­brief bereits vor lan­ger Zeit in Euro­pa auf­ge­ge­ben und über den Atlan­tik geflo­gen wor­den war. In Sant­ia­go de Chi­le dann ange­kom­men, konn­te der Brief nicht zuge­stellt wer­den, ver­mut­lich weil die Zei­chen, die den Brief beschrif­te­ten, kaum zu ent­zif­fern gewe­sen waren. Nach eini­gen Wochen War­te­zeit, reis­te der Brief, nun mar­kiert mit einem Schild­chen in blau­er, spa­ni­scher Far­be: Impo­si­ble de ent­re­gar! *, über den Atlan­tik zurück, um sich nur weni­ge Tage spä­ter erneut auf den Weg über das Meer nach Chi­le zu bege­ben. Ein wei­te­rer Schrift­zug war hin­zu­ge­kom­men, ein fei­ner, aber groß­zü­gi­ger Stem­pel­auf­druck: -Die­se Sen­dung wur­de von einem Blin­den geschrie­ben!- Zwei fri­sche Wert­mar­ken, nichts sonst ver­än­dert. Und so mach­te sich der Brief bald dar­auf ein vier­tes Mal auf den Weg über das Meer wie­der nach Euro­pa zurück und lan­de­te, weiß der Him­mel war­um, in mei­ner Nähe, in der Nähe mei­ner Schreib­ma­schi­ne. — stop

* Nicht zustellbar

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Geraldines Sommerhut

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ulys­ses

~ : geraldine
to : louis
sub­ject : MEIN SOMMERHUT

Ahoi, Mr. Lou­is! Heu­te ist ein ganz beson­de­rer Tag. Ich füh­le mich wie neu­ge­bo­ren. Ja, wie neu­ge­bo­ren. Als ich ges­tern erwach­te, saß der Dok­tor an mei­nem Bett. Ich hör­te sei­ne Stim­me. Er sag­te, ich glau­be Geral­di­ne wird wach. Und als ich die Augen auf­ge­macht habe, lach­te der Dok­tor und Mama lach­te auch. Sie erzähl­ten mir, dass ich zwei Tage geschla­fen habe und ich weiß nicht war­um ich solan­ge Zeit geschla­fen habe. Wenn Sie mich jetzt doch nur sehen könn­ten, Mr. Lou­is, wie ich in mei­nem Korb­stuhl am Bug des Schif­fes sit­ze und das hel­le Haar schäu­men­den Was­sers betrach­te, das wir hin­ter uns her zie­hen. Ich tra­ge mei­nen Som­mer­hut, den ich so sehr lie­be und ich hof­fe, dass er mir nicht davon flie­gen wird. Es ist heu­te sehr win­dig, müs­sen Sie wis­sen. Wie ich die­sen Wind doch mag, sei­nen Duft. Aber das Schöns­te ist, dass ich ganz bunt bin im Gesicht. Mama hat mich geschminkt und jetzt sit­ze ich da und ver­su­che mei­nen Mund nicht zu bewe­gen, damit mir die fei­ne rote Far­be nicht ver­rutscht. Viel­leicht wol­len Sie wis­sen, war­um ich mich geschmückt habe? Das will ich Ihnen ger­ne erzäh­len. Ich habe vor, mei­nen klei­nen Ste­ward heu­te noch nach sei­nem Namen zu fra­gen. Immer­hin weiß er mei­nen Namen und des­halb habe ich wohl das Recht, auch sei­nen Namen zu wis­sen. Ich kann ihn sehen, wäh­rend ich die­sen Brief an Sie schrei­be. Er arbei­tet auf dem Unter­deck und ich sit­ze hier oben und schaue mit pochen­dem Her­zen zu ihm hin und bewun­de­re sei­ne fei­nen, klei­nen Schrit­te, wie er auf den Wel­len tanzt. Manch­mal den­ke ich, dass ich viel zu alt für ihn bin, aber das stimmt natür­lich nicht, weil er 25 Jah­re alt sein muss und ich bin nur 20, wie sie wis­sen. Und doch füh­le ich, dass ich etwas schwe­rer bin an Zeit als er, den ich doch so lie­be. Ich glau­be, er hat mich schon bemerkt, er wird bald kom­men, er tut nur so, als wür­de er mich nicht sehen. Ich muss jetzt auf­hö­ren, Mr. Lou­is, ich bin so schreck­lich auf­ge­regt! Ist das nicht wun­der­bar, Mr. Lou­is? — Ich grü­ße Sie herz­lich! Ihre Geral­di­ne auf hoher See.

notiert im Jah­re 1962
an Bord der Queen Mary
auf­ge­fan­gen am 22.01.2009
20.12 MEZ

geral­di­ne to louis »

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eisenbahn

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nord­pol : 15.02 — Als ich ges­tern Nach­mit­tag mit einer Such­ma­schi­ne in Sam­mel­ord­nern des Jah­res 2003 nach Notiz­tex­ten forsch­te, die ich in den Tagen des Irak­krie­ges notiert haben könn­te, ent­deck­te ich eine Pas­sa­ge, die von einem Loch in mei­nem Per­ser­tep­pich erzählt. Ich konn­te das Loch damals von mei­ner Posi­ti­on aus als Beob­ach­ter auf dem Sofa vor dem Fern­seh­bild­schirm gut erken­nen. Ich erin­ne­re mich, dass ich mich wun­der­te, die­ses Loch nun plötz­lich zu betrach­ten, obwohl ich vie­le Jah­re die Ver­let­zung des Tep­pichs, eine Schar­te von der Brei­te einer Hand, nicht wahr­ge­nom­men hat­te. Ich glau­be, ich hat­te die Geschich­te, die davon erzählt, wie das Loch in den Tep­pich gekom­men war, ganz ein­fach ver­ges­sen. Aber dann war sie plötz­lich gegen­wär­tig, weil ein ame­ri­ka­ni­scher Pan­zer wäh­rend einer Live­auf­nah­me in Bag­dad ein Hotel beschos­sen hat­te, in dem sich Jour­na­lis­ten befan­den. Die Gra­na­te des Pan­zers traf einen Bal­kon und auf die­sem Bal­kon einen Kame­ra­mann, des­sen Kör­per, der noch hef­tig blu­te­te, mit dem Auf­zug ins Foy­er gefah­ren wur­de. Eine Stim­me auf dem Bild­schirm kom­men­tier­te das Gesche­hen mit dem Satz, der Jour­na­list habe sich im fal­schen Moment am fal­schen Ort befun­den. Und da war nun jene Geschich­te von einer Sekun­de zur ande­ren Sekun­de wie­der in mein Bewusst­sein zurück­ge­kehrt, die Geschich­te, die vom Loch in mei­nem Per­ser­tep­pich erzähl­te. Ich saß auf dem Sofa und notier­te, dass ich mich wun­de­re, und ich betrach­te­te den Tep­pich und das Loch, das von dem Split­ter einer bri­ti­schen Gra­na­te im Jahr 1942 in das Gewe­be geris­sen wor­den war, und für einen Augen­blick sah ich mei­nen Vater, ein Kind, wie er auf die­sem Tep­pich, der sein Tep­pich gewe­sen war, spiel­te, viel­leicht mit einer Eisen­bahn aus Bunt­me­tall, die er gera­de noch recht­zei­tig auf­ge­ho­ben haben könn­te und mit­ge­nom­men in den Luft­schutz­kel­ler. — stop

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blutgefäss

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romeo : 0.05 — Ein­mal, an einem hei­ßen Som­mer­abend, habe ich eine Stadt durch­wan­dert. Sie lag bereits unterm Nacht­zep­pe­lin, wes­halb ich nicht sofort bemerk­te, dass an der Innen­sei­te mei­nes lin­ken Ober­schen­kels ein volu­mi­nö­ses Blut­ge­fäß aus der Fas­sung gesprun­gen war. Der selt­sa­me Ein­druck, wäh­rend ich spa­zier­te, ein klei­nes Tier wür­de mich kosend berüh­ren. Kurz dar­auf notier­ten Fahr­gäs­te eines U‑Bahnwagons, ich wür­de, der­art weit geöff­net, viel­leicht bald ernst­haf­ten Scha­den erlei­den. Und tat­säch­lich, da war ein Schlauch von dun­kel­blau­em Gum­mi, der nahe mei­ner Leis­ten­ge­gend unru­hig durch die Luft zap­pel­te. Ich konn­te sei­ne Bewe­gung gut erken­nen, weil ich, weiß der Him­mel war­um, ins­ge­samt nicht beklei­det gewe­sen war. Eine älte­re Dame, eine Ärz­tin, nahm dann Platz in mei­ner Nähe. Mit blo­ßen Hän­den erwei­ter­te sie mei­nen Schen­kel bis hin zum Knie, sodass wei­te­re Schläu­che aus dem Ober­schen­kel fie­len, die sie sor­tier­te, wäh­rend sie gelas­sen eine Melo­die vor sich hin summ­te. Da waren Struk­tu­ren, kein Blut, in gel­ber, in roter, in grü­ner, in blau­er Far­be. Indem sie an einem der geschmei­di­gen Röhr­chen zog, an einem fili­gra­nen Gefäß, nein, an einem hauch­dün­nen Seil­zug, sand­far­ben, schloss sich das Lin­ke mei­ner Augen gegen mei­nen Wil­len, und die Ärz­tin lach­te und sag­te, schau her, wie schön bunt Du doch bist. Wenn ich hier ein wenig zie­hen wer­de, machst Du auch noch das rech­te Auge zu. Dann wach. — Heu­te ist Sonn­tag, bald wie­der Nacht. Geträumt habe ich bereits am Sams­tag. — stop

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revolver

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india : 3.26 — Das Selt­sa­me an den Nacht­bü­chern ist, dass man sie nur nachts und nur unter frei­em Him­mel lesen kann. Ich war des­halb bis kurz nach Zwei im Pal­men­gar­ten am See und hör­te den Spin­nen zu beim Sei­len, und lausch­te Pan­thern bei lei­ser Fres­se­rei und ande­ren ange­neh­men Din­gen, die man so macht, wenn man bemerkt, dass man ein Pan­ther gewor­den ist in einer Vor­som­mer­nacht. Dann ging ich nach Hau­se und leg­te das Nacht­buch, das von einer Chi­ne­sin erzählt, die sich wun­dert, dass sie eine Chi­ne­sin ist, ins Regal zu ande­ren Nacht­bü­chern zurück. Sit­ze jetzt auf dem Sofa und die Fens­ter sind geöff­net und ein Fal­ter flat­tert in einem Lam­pion­ her­um und notie­re eine klei­ne wil­de Geschich­te. Die­se Geschich­te geht so: Irgend­wann, sagen wir im Som­mer, sagen wir mor­gens. Ein Spie­ler steht am Fens­ter. Er schaut in Rich­tung des gegen­über­lie­gen­den Hau­ses. Die Sicht ist gut. Kein Nebel. Kein Dunst. Ein oder zwei Vögel, Later­nen­hö­he, auf und ab. Jetzt rich­tet der Spie­ler den Revol­ver gegen die Schlä­fe. Alle Kam­mern der Waf­fe sind muni­tio­niert. Der Spie­ler war­tet ab. Glü­hen­der Kopf. Film zurück, mal bunt, mal nicht. Bril­lan­ter Strei­fen. Ver­lässt ein Mann das Haus, schießt sich der Spie­ler eine Kugel in den Kopf. Game over. Ende. Fin. Ver­lässt eine Frau das Haus, hat der Spie­ler einen Tag gewon­nen. Es ist dann ein Tag leich­ten Genie­ßens, ein Tag aber auch von Unru­he, sobald Abend gewor­den ist. Jetzt schläft der Spie­ler. Dann wacht der Spie­ler auf. Wie­der steht er am Fens­ter, wie­der ist frü­her Mor­gen und wie­der ist Som­mer. Die Maschi­ne lässt sich nicht anhal­ten, auch die Zeit nicht, — Revol­ver gegen Stirn. Ent­weicht dem Haus eine Kat­ze, wird eine Kugel ent­nom­men. Jede wei­te­re Kat­ze ent­nimmt der Revol­ver­trom­mel eine wei­te­re Kugel. Sechs Kat­zen bedeu­ten eine Frau. Frau­en und Kat­zen brin­gen Glück. Natür­lich lässt sich das unend­lich ver­fei­nern. Eine rote Kat­ze erzwingt eine zwei­te Auf­füh­rung noch an dem­sel­ben Mor­gen. Kommt ein Nas­horn aus dem Haus, hört der Spie­ler für immer auf zu spie­len. Ein Nas­horn mit drei Hör­nern und der Spie­ler wird Pries­ter. Wir sehen, die Bedin­gun­gen des Spie­lers ein Pries­ter zu wer­den, sind ein­deu­tig defi­niert. Kein Ent­kom­men. Kein Aus­weg. Ein Lieb­ha­ber kon­zen­trier­ten Lichts. Cine­ma Paradiso. 

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rote handtasche tot

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20.50 — Die alte Frau mit der roten Hand­ta­sche ist tot. Wäh­rend des Tages irgend­wann muss sie im Hos­pi­tal gestor­ben sein. Jetzt, es ist ohne sie wie­der Abend gewor­den, ver­lässt ihr Fern­seh­ge­rät das Haus. Ein Hin und Her auf der Stra­ße, noch nie gese­he­ne, tief­flie­gen­de Vögel. Im Haus, vom Flur her, Kampf­ge­räu­sche, Geze­ter, Ver­wün­schun­gen, Emp­feh­lun­gen, hei­se­re Stim­men. Der Sohn ist da und der Sohn des Soh­nes, betrun­ken steht der blut­jun­ge Gei­er auf der Stra­ße her­um und regelt den Ver­kehr. Woh­nungs­auf­lö­sung. Nun, zu vor­ge­rück­ter Stun­de, hat sich mir das Wort erschlos­sen. Ein Pro­zess der Entro­pie, der Ver­wer­tung, des Ver­schwin­dens. Ich sehe die Ver­schwun­de­ne wie im Traum, eine 89-jäh­ri­ge Frau in bun­ter Klei­dung, Steh­lam­pe in der Hand, das Haus ver­las­sen. Unlängst noch war sie unter­wegs gewe­sen. Sie hat­te bereits den Gang der Hoch­see­ma­tro­sen. Manch­mal ras­te­te sie im Schat­ten der Bäu­me. Sie ging spa­zie­ren, als mel­de sie sich, Tag für Tag, bin noch am Leben. Nie­mand weiß genau, wie lan­ge sie in der Gegend, die­sem Haus, die­ser Woh­nung leb­te, sie war schon hier, als Bom­ben fie­len, und noch immer, bis ges­tern, stolz und ein­sam und zu lang­sam für die rasen­de Stadt. Jawohl, sie war stolz gewe­sen, ließ sich nicht hel­fen, nie­mand durf­te ihr Milch oder den Sand für ihre Tie­re durch das Trep­pen­haus in die Woh­nung tra­gen. Manch­mal heul­te das Fern­seh­ge­rät durch die Wand. Jetzt ist es vor­bei, jetzt wer­den Mon­teu­re und Maler kom­men. Es ist vor­bei, auch für die Kat­zen. — stop

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