Aus der Wörtersammlung: sekunde

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lebenszeichen

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alpha : 5.56 – Ich habe heu­te Nacht eine Ton­band­ma­schi­ne, einen Notiz­block, Blei­stif­te, einen Radier­gum­mi und einen gezeich­ne­ten Grund­riss jenes Ortes, von dem ich erzäh­le, auf den Tisch vor mir abge­legt, auch einen höl­zer­nen Kas­ten, in dem ich Kar­tei­kar­ten ver­wah­re, die ich im Prä­pa­rier­saal rasch beschrie­ben habe, Sekun­den­wa­re, ein Ver­zeich­nis der Geräu­sche, der Bewe­gun­gen, der Fra­gen, Atmo­sphä­ren, Gedan­ken, die ich mit unru­hi­gen Hän­den in mei­ne geöff­ne­te Hand­flä­che notier­te. Ich mei­ne, einen fei­nen Geruch von For­ma­lin zu ver­neh­men, der noch immer von den Kärt­chen auf­zu­stei­gen scheint. Jetzt schrei­be ich das Wort Meer und sofort danach das Wort Atlan­tik. Eine jun­ge Frau sitzt vor die­sem atlan­ti­schen Meer an Deck eines sehr gro­ßen Schif­fes. Sie unter­hält sich mit einem Matro­sen, der ihr eine Zei­tung brach­te. Wenn ich sie so heim­lich beob­ach­te, mei­ne ich zu erken­nen, dass sie ver­liebt ist. Sie errö­tet, wenn der jun­ge Mann zu ihr spricht, schlägt die Augen nie­der, dann wirft sie Brot in die Luft zu den Möwen hin. — 5 Uhr 18. Seit Mon­tag 25.8. wie­der Funk­zei­chen aus Peking > Zeng Jin­yan ( chi­ne­se : eng­lish by babelfish )

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speed

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lima : 0.01 — Ich hör­te im Radio, ein Mann aus Jamai­ka sei eine Stre­cke von 100 Metern in 9.69 Sekun­den gelau­fen. Sofort setz­te ich mich vor das Fern­seh­ge­rät und beob­ach­te­te die­sen Mann, von dem ich gehört hat­te, und ich dach­te, dass ich ihn ger­ne ein­mal berüh­ren wür­de, abklop­fen oder mein Ohr auf einen sei­ner Ober­schen­kel legen und lau­schen. — stop

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memory

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oli­mam­bo : 3.02 — Vor einer Stun­de unge­fähr, aus hei­te­rem Him­mel, erin­ner­te ich mich an eine Brief­mar­ke, die sich zu einer Zeit in mei­nem Besitz befun­den hat­te, als ich noch ein Kind gewe­sen war. Die­se Mar­ke, obwohl sehr vie­le Jah­re weit von mir ent­fernt, war so gegen­wär­tig von einer Sekun­de zur ande­ren, als hät­te ich sie weni­ge Minu­ten zuvor einem Sam­mel­al­bum ent­nom­men und auf einen Luft­post­brief geklebt. Zu Ehren des Schim­pan­sen Ham, der in den Welt­raum gereist war, um dort eini­ge Übun­gen in der Schwe­re­lo­sig­keit zu absol­vie­ren, war sie in einer begrenz­ten Auf­la­ge gedruckt gewor­den. Das Beson­de­re an Ham war ohne Fra­ge sei­ne Men­schen­ähn­lich­keit gewe­sen, auch dass Ham, im Gegen­satz zu Lei­ca, einer rus­si­schen Hun­de­da­me, sei­nen Aus­flug in den Kos­mos über­leb­te. Der klei­ne Brief­mar­ken­af­fe trug einen Helm, genau genom­men einen wei­ßen Astro­nau­ten­helm, der unglück­li­cher­wei­se von einem Stem­pel getrof­fen wor­den war. In die­sem Moment, da ich notie­re, erin­ne­re mich an einen Riss, der mein Brief­mar­ken­al­bum bedroh­te, weil er mit jeder Besich­ti­gung der Samm­lung, knis­ternd wuchs. Ein­mal habe ich einem Mäd­chen, in das ich ver­liebt gewe­sen war, mein Album mit Riss gezeigt, eine selt­sa­me Erfah­rung, wes­halb ich das Sam­meln der Brief­mar­ken auf­ge­ben habe und mich den Schall­plat­ten zu wid­men begann. Die­ses Mäd­chen, das mich von den Brief­mar­ken ent­fern­te, hieß Patri­zia und trug sehr klei­ne blaue Knöp­fe in bei­den Ohren, die herr­lich fun­kel­ten, sobald sie sich beweg­te. Ja, sie fun­kel­ten damals bis in mei­ne Träu­me hin­ein und sie fun­keln noch heu­te oder wie­der, wäh­rend ich hier still in einer küh­len Nacht her­um­sit­ze und mich wun­de­re, dass ich an Din­ge den­ke, die ich vor einer Stun­de noch nicht wuss­te. — stop

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letztes licht

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del­ta : 0.06 — Die letz­te Foto­gra­fie eines Men­schen, auf­ge­nom­men zu einem Zeit­punkt, als die­ser foto­gra­fier­te Mensch noch leb­te. Oder jener letz­te Film, der Bena­zir Bhut­to zeigt, das letz­te beweg­te Bild. Ich beob­ach­te eine Frau, die lächelnd durch eine Men­schen­men­ge schrei­tet. Wäh­rend ich sie betrach­te, weiß ich, dass sie in weni­gen Sekun­den getö­tet wer­den wird. Was sehe ich?

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propeller

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sier­ra : 5.15 — Für einen Moment, für 20 oder 30 Sekun­den, war heu­te Nacht der Strom aus­ge­fal­len. Über­fall­ar­tig die schwar­ze Far­be der feucht­war­men Luft und in die­ser Far­be, die sanft mein Gesicht berühr­te, das schnur­ren­de Geräusch der Pro­pel­ler mei­ner Süß­was­ser­fil­ter­ma­schi­ne, Fische, die schlaf­trun­ken durchs Was­ser schos­sen, Fische, die die Gren­zen ihrer glä­ser­nen Welt berühr­ten, auch das ein Geräusch, ein etwas dunk­le­res p i n g, knö­chern, schmerz­haft. Da war noch das Seuf­zen der Kühl­schrank­tür von der Küche her, das Geräusch mei­ner Fin­ger, die auf dem Schreib­tisch nach einem Feu­er­zeug such­ten, Schrit­te von oben, vom Dach, mein Atem. In die­sem Moment der Fins­ter­nis, ich weiß nicht war­um, erin­ner­te ich mich an Noe, mei­nen Tau­cher, und sofort, nach­dem das Licht zurück­ge­kehrt war und mit die­sem Licht, die Mög­lich­keit, das Inter­net zu errei­chen, besuch­te ich Noe, lausch­te eine Wei­le, las was er zu sagen hat­te, was er in der Tie­fe des Atlan­tiks vor Neu­fund­land in die Schreib­ma­schi­ne tipp­te, war glück­lich, dass Noe noch exis­tier­te: r e d f i s h r i g h t w a r d s. s t o p also schrei­be ich. s t o p ich schrei­be was ich sehe. s t o p fei­ne stäu­be trei­ben durchs was­ser. s t o p schat­ten­lo­se wesen. s t o p licht­zei­chen. s t o p pul­se. s t o p habe ver­sucht die gestalt eines kühl­schranks zu erin­nern? s m a l l b l u e f i s h r i g h t h a n d . s t o p lan­ge zei­ten der beob­ach­tung. s m a l l g r e e n f i s h t o p l e f t. s t o p mei­ne schrei­ben­den hän­de. s t o p die bewe­gung der hand­schu­he auf der tas­ta­tur der maschi­ne. s t o p als ob ein ande­rer arbei­te­te so fern schei­nen mir ihre ges­ten zu sein. s t o p fremd. s t o p wie lan­ge zeit habe ich mei­ne unbe­klei­de­ten hän­de nicht gese­hen? s t o p

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torero

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marim­ba : 4.52 — Dich­te Flie­gen­wol­ken in der Gewit­ter­luft überm Pal­men­gar­ten­see. Man müss­te als Vogel mit auf­ge­ris­se­nem Schna­bel nur zwei oder drei­mal knapp über das Was­ser rasen, schon hät­te man sich den Magen ver­dor­ben. In genau die­sem Zusam­men­hang beob­ach­te­te ich ver­gan­ge­ne Woche einen Fal­ter, der sich über der Was­ser­ober­flä­che wie ein Tore­ro ver­hielt. Rasan­te Flug­ma­nö­ver lock­ten einen angrei­fen­den Sper­ling immer wie­der ins Lee­re. Mit Span­nung auf den Absturz des Vogels ins Was­ser gewar­tet. Aber dann führ­te ein mini­ma­ler Wind­stoß in der fal­schen Sekun­de doch noch zum Ende des Fal­ters, der ein ver­we­ge­nes Tag­pfau­en­au­ge gewe­sen war. — Es ist jetzt 4 Uhr und noch immer Nacht, weil es dun­kel ist. Ich habe gera­de eine Notiz seziert, die ich auf einem sehr alten Zet­tel wie­der ent­deck­te. Ich kann mich an den Moment der Notiz nicht erin­nern, aber die Schrift ist mei­ne Hand­schrift. Sie ist zwan­zig Jah­re alt. Ein merk­wür­di­ger Anblick, als wür­de ich die Gedan­ken eines Frem­den betrach­ten, der mir doch ver­traut ist. Der Frem­de schrieb: Ein­mal für eine Stun­de lang über einer gro­ßen Stadt unter einem Zep­pe­lin auf der Stel­le schwe­ben, für die­se eine Stun­de nur, da die Gedan­ken der Men­schen in der Stadt hör­bar wer­den, die stren­gen, die leich­ten, die erin­ner­ten, die rasen­den Gedan­ken einer Stadt. — Ein Rau­schen viel­leicht. — stop

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ein kind

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marim­ba : 6.16 — In der Schnell­bahn vom Flug­ha­fen wie­der ein merk­wür­di­ges Kind beob­ach­tet. Das Kind saß auf dem Schoß der Mut­ter, hat­te einen Schnul­ler im Mund und betrach­te­te Fahr­gäs­te, die dort in sei­ner nächs­ten Nähe saßen oder stan­den. Alle waren sie müde, ein Lang­stre­cken­flug von New York her über den Atlan­tik lag hin­ter ihnen, das Kind aber schien gut geschla­fen zu haben. Es hat­te blitz­blan­ke Augen von dun­kel­brau­ner Far­be, und mit die­sen Augen nun arbei­te­te es sich von einem Erwach­se­nen­ge­sicht zum nächs­ten. Wenn die Augen des Kin­des ein Gesicht erreich­ten, ver­weil­ten sie eine gewis­se Zeit lang, als ob sie sich das Gesicht für immer ein­prä­gen, oder aber als ob sie in dem Gesicht etwas fin­den woll­ten, nach dem gesucht wer­den muss­te. Wenn das Kind mit der Beob­ach­tung eines Gesichts fer­tig gewor­den war, hüpf­ten sei­ne Augen auf das nächs­te Gesicht, und so wei­ter und so fort. Nie, ich mei­ne, nie, solan­ge ich das Kind und sei­ne Augen beob­ach­te­te, kehr­te sein Blick zu einem Gesicht zurück, das es bereits ein­mal besucht hat­te, sodass ich behaup­ten möch­te, dass sei­ne Augen, das heißt, das Gehirn des Kin­des, den Raum des Zuges sys­te­ma­tisch unter­such­te. Für eine Sekun­de hat­te ich den Gedan­ken, dass das Kind viel­leicht ein uralter Mensch gewe­sen war, der rück­wärts leb­te, für den sich die Zeit umge­kehrt hat­te, der bald den Anfang sei­ner Exis­tenz wie­der errei­chen wür­de, der noch ein­mal alles ansah, mit Kin­der­au­gen, aber viel­leicht einem uralten Gehirn. Wer aber, wenn ich die­ses Gefü­ge wei­ter­den­ke, war die­se müde Frau gewe­sen, auf des­sen Schoss das Kind ruh­te und schau­te? – Weit nach Mit­ter­nacht. Habe den Ver­dacht, die­se Geschich­te schon ein­mal erzählt zu haben. Ein Déjà-vu. Wer­de mir sofort zur Beru­hi­gung eine klei­ne Ente bra­ten. — stop

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eisenbahn

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nord­pol : 15.02 — Als ich ges­tern Nach­mit­tag mit einer Such­ma­schi­ne in Sam­mel­ord­nern des Jah­res 2003 nach Notiz­tex­ten forsch­te, die ich in den Tagen des Irak­krie­ges notiert haben könn­te, ent­deck­te ich eine Pas­sa­ge, die von einem Loch in mei­nem Per­ser­tep­pich erzählt. Ich konn­te das Loch damals von mei­ner Posi­ti­on aus als Beob­ach­ter auf dem Sofa vor dem Fern­seh­bild­schirm gut erken­nen. Ich erin­ne­re mich, dass ich mich wun­der­te, die­ses Loch nun plötz­lich zu betrach­ten, obwohl ich vie­le Jah­re die Ver­let­zung des Tep­pichs, eine Schar­te von der Brei­te einer Hand, nicht wahr­ge­nom­men hat­te. Ich glau­be, ich hat­te die Geschich­te, die davon erzählt, wie das Loch in den Tep­pich gekom­men war, ganz ein­fach ver­ges­sen. Aber dann war sie plötz­lich gegen­wär­tig, weil ein ame­ri­ka­ni­scher Pan­zer wäh­rend einer Live­auf­nah­me in Bag­dad ein Hotel beschos­sen hat­te, in dem sich Jour­na­lis­ten befan­den. Die Gra­na­te des Pan­zers traf einen Bal­kon und auf die­sem Bal­kon einen Kame­ra­mann, des­sen Kör­per, der noch hef­tig blu­te­te, mit dem Auf­zug ins Foy­er gefah­ren wur­de. Eine Stim­me auf dem Bild­schirm kom­men­tier­te das Gesche­hen mit dem Satz, der Jour­na­list habe sich im fal­schen Moment am fal­schen Ort befun­den. Und da war nun jene Geschich­te von einer Sekun­de zur ande­ren Sekun­de wie­der in mein Bewusst­sein zurück­ge­kehrt, die Geschich­te, die vom Loch in mei­nem Per­ser­tep­pich erzähl­te. Ich saß auf dem Sofa und notier­te, dass ich mich wun­de­re, und ich betrach­te­te den Tep­pich und das Loch, das von dem Split­ter einer bri­ti­schen Gra­na­te im Jahr 1942 in das Gewe­be geris­sen wor­den war, und für einen Augen­blick sah ich mei­nen Vater, ein Kind, wie er auf die­sem Tep­pich, der sein Tep­pich gewe­sen war, spiel­te, viel­leicht mit einer Eisen­bahn aus Bunt­me­tall, die er gera­de noch recht­zei­tig auf­ge­ho­ben haben könn­te und mit­ge­nom­men in den Luft­schutz­kel­ler. — stop

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italo calvino

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romeo : Viel­leicht kann ich, wenn ich an das Meer in den Stra­ßen Vene­digs den­ke, von Wel­len­be­we­gun­gen spre­chen, die einem sehr lang­sa­men Rhyth­mus fol­gen, von Halb­jah­res­wel­len, von Wel­len, die sich, sobald ich sie jen­seits ihrer eigent­li­chen Zeit betrach­te, wie Palom­ar’s Sekun­den­wel­len beneh­men. — Wann beginnt und wann genau endet eine Wel­le? Wie vie­le Wel­len kann ein Mensch ertra­gen, wie vie­le Wel­len von einer Wel­len­art, die Kno­chen und Häu­ser zer­trüm­mert? – Däm­me­rung. Stil­le. Nur das Geräusch der trop­fen­den Bäu­me. Eine Nacht voll Gewit­ter, glim­men­de Vögel irren am Him­mel, Nacht­vö­gel ohne Füße, Vogel­we­sen, die nie­mals lan­den. — stop

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