Aus der Wörtersammlung: tonband

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PRÄPARIERSAAL : libelle

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echo : 6.12 — Ich habe  auf einem Fern­seh­bild­schirm Jona­than Fran­zen beob­ach­tet, wie er in sei­nem New Yor­ker Arbeits­zim­mer sit­zend von Appa­ra­tu­ren erzählt, die ihm behilf­lich sein könn­ten, den Lärm der Stadt oder des Hau­ses, in dem er sich befin­det, von sei­nen Ohren zurück­zu­hal­ten. Er berich­tet das unge­fähr so: Ich habe ein Men­ge Lärm­schutz­vor­rich­tun­gen. Ich schüt­ze mich gegen Lärm mit Schaum­gum­mistöp­seln. Sie sind wich­tig. / Und dar­über hin­aus habe ich mei­ne Kopf­hö­rer. Und zudem noch rosa Rau­schen auf CD. / Das ist wie wei­ßes Rau­schen, aber es ist etwas wär­mer im Ton. Es beschränkt sich auf die nied­ri­gen Fre­quen­zen. Es klingt wie eine Raum­kap­sel in der Atmo­sphä­re mit einem wun­der­vol­len Brau­sen, ein alles umhül­len­des Brau­sen, das plötz­lich ver­schwin­det. stop. Weit nach Mit­ter­nacht, küh­le Luft. stop. Lun­ge­re auf dem Sofa her­um, höre ana­to­mi­sche Ton­band­auf­nah­men ab, Wör­ter, Sät­ze, Gedan­ken einer fer­ne­ren Zeit, die sofort wie­der sehr nahe kom­men, viel­leicht des­halb, weil sie von typi­schen Geräu­schen jenes Ortes, an dem sie auf­ge­nom­men wur­den, beglei­tet sind. Das Rau­schen der Stim­men hun­der­ter Men­schen. Pin­zet­ten, die gegen Metall klop­fen. Eine Laut­spre­cher­durch­sa­ge: Den­ken Sie bit­te dar­an, der Prä­pa­rier­saal wird vor dem Tes­tat am kom­men­den Mon­tag bereits um 7 Uhr geöff­net. Das klei­ne Wie­der­ga­be­ge­rät, das neben mir auf einem Kis­sen ruht, bewegt sich nicht oder nur so leicht, dass mei­ne Augen die­se Bewe­gung nicht wahr­neh­men kön­nen. Ein­mal den­ke ich an etwas ande­res, als das, was zu hören gewe­sen war, und bemer­ke in die­ser Wei­se, dass ich, in dem ich an etwas den­ke, das ent­fernt ist, mei­ne Ohren aus­zu­schal­ten ver­mag. Des­halb muss­te ich gera­de eben das Band zurück­spu­len und Tho­mas’ fei­ne Geschich­te wie­der­ho­len, die von einer Libel­le erzählt. Hört zu: Wir hat­ten einen Mann auf dem Tisch, einen männ­li­chen Kör­per von sehr dunk­ler Far­be und von außer­or­dent­li­cher Grö­ße. Ich glau­be, die­ser Kör­per war der größ­te Kör­per des Kur­ses. Ich war erstaunt, weil ich mit einem Prä­pa­rat, das grö­ßer sein wür­de als ich selbst, nicht gerech­net habe. Nein, einen Hünen hat­te ich wirk­lich nicht erwar­tet. Sie müs­sen wis­sen, ich habe mir sehr bewusst kei­ne genau­en Vor­stel­lun­gen von der Wirk­lich­keit des Ana­to­mie­saa­les gemacht. Ich hat­te ver­mu­tet, dass die Luft kühl sein wür­de, aber an dem Tag, als wir unse­re Arbeit auf­nah­men, war es som­mer­lich warm und ich schwitz­te und hat­te Mühe, ohne Unter­bre­chung dar­an zu den­ken, mir mit den feuch­ten Hand­schu­hen nicht ins Gesicht zu fah­ren. Ich hat­te erwar­tet, dass das Licht im Saal eher gedämpft sein wür­de, aber es war strah­lend hell, ein Licht, das kaum einen Schat­ten warf. Und ich hat­te einen über­schau­ba­ren Kör­per erwar­tet, einen eher klei­nen Kör­per, den Kör­per eines uralten Men­schen. Ich habe mit altern­den Men­schen immer Gestal­ten in Ver­bin­dung gebracht, die zer­brech­lich sind, Kör­per, die klei­ner wer­den, die sich zurück­zie­hen, die man stüt­zen muss, füh­ren, die noch im Leben durch­läs­sig wer­den für das Licht. Dort vor mir auf dem Tisch aber lag ein Mann, der gera­de­zu strotz­te vor Kraft. Er war nicht fett, son­dern mus­ku­lös, und am Bauch und an der Brust, an Armen und Bei­nen sehr stark behaart gewe­sen. Ich wer­de die­sen Anblick mein Leben lang nicht ver­ges­sen. Ich habe den Mann sehr lan­ge Zeit betrach­tet. Die­ses geschwol­le­ne Gesicht war das Gesicht eines schla­fen­den Boxers. Sei­ne Augen waren geschlos­sen, die Hän­de zu Fäus­ten geballt und sei­ne Füße sahen ganz so aus, als hät­te er sie schon vor sehr lan­ger Zeit ver­ges­sen. Ich habe ihn mehr­fach umkreist, und dann haben wir ihn gemein­sam auf dem Tisch her­um­ge­dreht. Sehr fest muss­ten wir zugrei­fen. Ich sage Ihnen, das ist nicht leicht, am ers­ten Tag in die­sem Saal so fest zuzu­fas­sen. Man ist ja sehr vor­sich­tig und man ist dank­bar für die­ses Geschenk, das ein Mensch für uns zurück­ge­las­sen hat. Und als wir ihn dann her­um­ge­dreht hat­ten, konn­ten wir eine Libel­le erken­nen. Sie war links oben auf sei­nem Rücken ein­tä­to­wiert, regio sca­pu­la­ris, Sie ver­ste­hen? Ein erstaun­lich prä­zi­se gezeich­ne­tes Bild, nicht sehr groß, viel­leicht gera­de so groß wie ein Mit­tel­fin­ger des Man­nes und in blau­en und roten und grü­nen Farb­tö­nen aus­ge­führt. In die­sem Moment hat­te ich eine Vor­stel­lung, die in das Leben des Man­nes auf dem Tisch zurück­führ­te. Ich habe mir vor­ge­stellt, wie er als jun­ger Mann in einer Bade­an­stalt mit den Mus­keln spiel­te, wie er sei­nen Insek­ten­vo­gel in Bewe­gung setz­te, um einer Frau zu gefal­len viel­leicht. Aber da war noch etwas ande­res, da war die Fra­ge, was wir sehen wür­den, sobald wir die Haut unter der Libel­le so weit gelöst hät­ten, dass ein Blick auf ihre Rück­sei­te mög­lich wer­den würde.

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PRÄPARIERSAAL : nachtzeit

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india : 20.18 — Regen. Schnü­re von Regen. Däm­me­rung heu­te bereits gegen 18 Uhr. Seit drei Stun­den höre ich Ton­band­auf­nah­men ab, Stim­men, die prä­zi­se for­mu­lie­rend vom Prä­pa­rie­saal und sei­ner Umge­bung erzäh­len. Immer wie­der hal­te ich die Maschi­ne an, schrei­be auf, was ich hör­te, stemp­le Zeit­an­ga­ben. Chris­to­pher kurz vor acht Uhr über sei­ne Erfah­rung jen­seits der Tage: > Was ich nachts gemacht habe? Mei­ne Freun­din sagt, ich wür­de in latei­ni­scher Spra­che mit ihr gespro­chen haben : pau­se 2 sec : Viel­leicht habe ich etwas mimi­sche Mus­ku­la­tur repe­tiert. Mus­cu­lus fron­ta­lis. Mus­cu­lus cor­ru­ga­tor super­ci­lii. Mus­cu­lus orbicu­la­ris ocu­li. Das war eine sehr wich­ti­ge Nacht­ar­beit, die ich da ver­rich­tet habe, ver­ste­hen Sie? Ich hat­te Schwie­rig­kei­ten die­se fremd­ar­ti­gen Wör­ter aus­zu­spre­chen. Wie soll­te ich sie im Kopf behal­ten, wenn ich sie nicht spre­chen konn­te! : pau­se 3 sec : Ich habe also nachts nicht wirk­lich geträumt, son­dern nur Sprech­übun­gen gemacht. : pau­se 5 sec : Auch dann, wenn ich wach war, das kön­nen Sie mir glau­ben, habe ich Wör­ter geübt. : pau­se 4 sec : Das Wort Lei­che woll­te ich nicht aus­spre­chen. Ich habe immer von Kör­pern gespro­chen. : pau­se 3 sec : In den ers­ten Tagen manch­mal, sobald ich den Prä­pa­rier­saal betre­ten habe, hat­te ich den Ein­druck einer gewis­sen Unwirk­lich­keit der Situa­ti­on. Ich hat­te den Ein­druck, jene toten Men­schen ver­kör­per­ten nur eine Vor­stel­lung, als hät­te man sie für uns her­ge­stellt, orga­ni­sche Aus­stel­lungs­räu­me, mit Erde bezeich­ne­te Lehm­kör­per. Auch wenn das viel­leicht selt­sam klin­gen mag, die ers­te Berüh­rung des Kör­pers auf dem Tisch war eine Bewe­gung, die der Ver­ge­wis­se­rung dien­te, dass der Kör­per vor mir auf dem Tisch wirk­lich anwe­send war. : pau­se 2 sec : Kör­per also. Sie boten mei­nen Hän­den Wider­stand. Sie waren kühl und sie wirk­ten zeit­los. — stop
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suspense

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gink­go : 0.55 — Im for­schen­den Gespräch mit Tai­ni*. Vor eini­ger Zeit hat­te sie auf mei­ne Fra­ge hin, ob sie sich jetzt, da sie schon vie­le Jah­ren in Euro­pa lebt, als Euro­päe­rin wahr­neh­men wür­de, geant­wor­tet, sie sei doch eher noch immer eine India­ne­rin und das wür­de sich wohl nie­mals ändern, schon des­halb nicht ändern, weil ihre Gesichts­zü­ge, weil das tie­fe Schwarz ihres Haa­res und ihre äußerst zier­li­che Gestalt sie an ihren Ursprung täg­lich erin­ner­ten. Ich sehe mich, sagt sie, ja, ich sehe mich! Wie sie jetzt lachend erzählt, dass sie einst schlei­chend ihre Spra­che ver­lo­ren habe, die ver­bo­te­ne Spra­che ihrer Kind­heit, und dass sie nun die Spra­che jener Män­ner den­ken und spre­chen wür­de, vor wel­chen sie sich als Mäd­chen in die Bäu­me flüch­ten muss­te. Lang­sam for­mu­liert sie, Wort für Wort, betrach­tet auch dann, wenn ich sie nicht anse­he, mein Gesicht, indem ich notie­re, was sie erzählt. Sel­ten wirft sie einen Blick auf das Notiz­buch, das neben der Ton­band­ma­schi­ne auf dem Tisch zwi­schen uns liegt, macht manch­mal eine Kopf­be­we­gung, die bewirkt, dass ich mein Werk­zeug her­um­dre­he, damit sie sehen kann, was ich auf­ge­schrie­ben habe. Dei­ne Schrift ist nicht zu lesen, bemerkt sie und schüt­telt amü­siert den Kopf, viel­leicht weil ich noch immer nicht gelernt habe, so zu schrei­ben, dass sie mei­ne Gedan­ken ent­zif­fern könn­te. Also lese ich ihr vor, zum Bei­spiel die Fra­ge, wie Amei­sen schme­cken oder das Stich­wort Schu­le. Kannst Du Dich noch an Dei­nen ers­ten Schul­tag erin­nern? Ihr Schwei­gen. Eine anmu­ti­ge, in sich suchen­de Erschei­nung. Du musst eine span­nen­de Geschich­te dar­aus machen, sagt sie ein­mal. Ihr Blick, als ich sie fra­ge, was sie denn unter einer span­nen­den Geschich­te ver­ste­hen würde.

* Name geändert
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schweizer jazz : paul nizon

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india : 0.03 — Ges­tern bin ich Paul Nizon wie­der­be­geg­net. Durf­te beob­ach­ten, wie er in Paris eine sei­ner Arbeits­woh­nun­gen spa­zier­te. Natür­lich waren zwi­schen ihm und mir eine Kame­ra­lin­se, ein Bild­schirm und dort etwas ver­gan­ge­ne Zeit auf­ge­spannt. Trotz­dem konn­te ich ihn gut erken­nen. Er trägt jetzt einen klei­nen run­den Bauch vor sich her und sein Haar ist grau gewor­den, und doch ist er ganz der alte, ver­ehr­te Schrift­stel­ler geblie­ben. Vor allem sei­ne schö­ne Stim­me, das sorg­fäl­ti­ge Spre­chen, die war­me Melo­die der Spra­che, das Schwei­ze­ri­sche, hier waren sie wie­der, und auch das Ton­band­ge­rät, das auf einem Tisch ruhend die Luft­wel­len der notier­ten Sät­ze eines Tages erwar­te­te. In die­sem Moment, grad ist Diens­tag gewor­den, erin­ne­re ich mich, dass ich Paul Nizon ein­mal per­sön­lich begeg­net war in der Stra­ße, in der ich woh­ne, und dar­an, dass ich damals dach­te: Er ist klei­ner, als ich erwar­tet habe. Er trug einen grau­en Man­tel, weiß der Teu­fel, wes­halb ich die Far­be sei­nes Man­tels gespei­chert habe, und einen Hut, neh­me ich an. Und da war noch etwas gewe­sen, mein Herz näm­lich schlug in einer Wei­se, dass ich’s in mei­nem Kopf hören konn­te. — Ein Früh­lings­abend. — Ja, ein Früh­lings­abend. — Und ich sag­te zu mir: Lou­is, reg dich nicht auf! Du bist an einem fla­nie­ren­den Geist vor­über­ge­kom­men. – Nacht. stop. Schnee. stop. Flü­gel. stop
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srebrenica

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marim­ba : 14.05 – Zur Zeit unse­rer ers­ten Begeg­nung war Anisha zwan­zig Jah­re alt gewe­sen, hat­te gera­de ihr Medi­zin­stu­di­um auf­ge­nom­men und ging gern spa­zie­ren, wäh­rend ich Fra­gen stell­te, zum Bei­spiel, ob es für sie, eine Mus­li­ma, nicht schwie­rig sei, mensch­li­che Kör­per zu zer­glie­dern. Ich erin­ne­re mich, auch im Prä­pa­rier­saal lief sie gern her­um, immer­zu muss­te ich nach ihr suchen und ich such­te ger­ne, weil sie oft fein­sin­ni­ge Gedan­ken in mein klei­nes Ton­band­ge­rät dik­tier­te. Ein­mal stan­den wir in einem Waren­haus vor Fern­seh­ge­rä­ten. Ein Doku­men­tar­film wur­de gezeigt, Sre­bre­ni­ca, wie die Bür­ger der Stadt an ser­bi­sche Trup­pen aus­ge­lie­fert wur­den. Eine Wei­le schau­te Anisha schwei­gend zu. Dann erzähl­te sie in kur­zen Sät­zen eine schwer­wie­gen­de Geschich­te. Das digi­ta­le Auf­nah­me­ge­rät lief wei­ter, wäh­rend ich ihr zuhör­te, wes­we­gen ich ihre Stim­me bald dar­auf mit mir neh­men konn­te, und ich notier­te ihre Bemer­kun­gen so genau wie mög­lich. Ges­tern Abend nun las ich Anisha per­sön­lich vor, was ich damals ein­ge­fan­gen hat­te. Ein selt­sa­mer Moment. Der Ein­druck, dass erst jetzt, sehr viel spä­ter, mit jedem gele­se­nen Wort mein Text authen­tisch wur­de. Die Geschich­te geht so: Stell Dir Män­ner vor, die Apri­ko­sen­bäu­me rau­chen. Wenn Abend wird zün­den wir Ker­zen an, die wir aus dem Öl der Fisch­kon­ser­ven fabri­zie­ren. Und dann ist Nacht. Mut­ter steht am Fens­ter. Und dann ist Mor­gen und die schwe­ren Män­tel, die wir als Nacht­hem­den tra­gen, sind kalt gewor­den. Anstatt der Häh­ne unse­res Dor­fes, die wir längst gefres­sen haben, krä­hen uns Schüs­se an. Ich sehe die dür­ren Fin­ger mei­nes Vaters, die in sei­nem Gesicht nach Aus­we­gen gra­ben. Sie kom­men über eine graue Woll­de­cke spa­ziert und put­zen mir den Ruß von der Nase. Mut­ter steht immer noch am Fens­ter. Sie summt vor sich hin. Und dann gehen wir fort. Ich tra­ge einen Kof­fer, der groß ist wie ich. Auf einer Wie­se bren­nen Kühe.
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tuba auditiva

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vic­to­ria : 8.12 — Ana­to­mi­sche Arbei­ten. Spiel­te Ton­band­stim­men, las zum Gehör, stu­dier­te Struk­tu­ren der Muschel. — Zehn Uhr und zwei­und­zwan­zig Minu­ten MEZ in Shan­gil Tobay, Darfur.

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lebenszeichen

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alpha : 5.56 – Ich habe heu­te Nacht eine Ton­band­ma­schi­ne, einen Notiz­block, Blei­stif­te, einen Radier­gum­mi und einen gezeich­ne­ten Grund­riss jenes Ortes, von dem ich erzäh­le, auf den Tisch vor mir abge­legt, auch einen höl­zer­nen Kas­ten, in dem ich Kar­tei­kar­ten ver­wah­re, die ich im Prä­pa­rier­saal rasch beschrie­ben habe, Sekun­den­wa­re, ein Ver­zeich­nis der Geräu­sche, der Bewe­gun­gen, der Fra­gen, Atmo­sphä­ren, Gedan­ken, die ich mit unru­hi­gen Hän­den in mei­ne geöff­ne­te Hand­flä­che notier­te. Ich mei­ne, einen fei­nen Geruch von For­ma­lin zu ver­neh­men, der noch immer von den Kärt­chen auf­zu­stei­gen scheint. Jetzt schrei­be ich das Wort Meer und sofort danach das Wort Atlan­tik. Eine jun­ge Frau sitzt vor die­sem atlan­ti­schen Meer an Deck eines sehr gro­ßen Schif­fes. Sie unter­hält sich mit einem Matro­sen, der ihr eine Zei­tung brach­te. Wenn ich sie so heim­lich beob­ach­te, mei­ne ich zu erken­nen, dass sie ver­liebt ist. Sie errö­tet, wenn der jun­ge Mann zu ihr spricht, schlägt die Augen nie­der, dann wirft sie Brot in die Luft zu den Möwen hin. — 5 Uhr 18. Seit Mon­tag 25.8. wie­der Funk­zei­chen aus Peking > Zeng Jin­yan ( chi­ne­se : eng­lish by babelfish )

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tonbandstimmen

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echo : 5.15 — Vier Abend­stun­den mit Ton­band­ma­schi­ne im Pal­men­gar­ten gear­bei­tet. Folg­te Stim­men jun­ger Men­schen, die von einer Zeit erzäh­len, die sie im ana­to­mi­schen Prä­pa­rier­saal ver­brach­ten. Manch­mal spu­le ich das Ton­band zurück, notie­re mit der Schreib­ma­schi­ne Wort für Wort, um sie in einen grö­ße­ren Text­kör­per zu trans­por­tie­ren. Da ist Mel, zum Bei­spiel, ihre hell­sich­ti­gen Gedan­ken zur Lun­ge. Als ich an den Tisch kom­me, um ihr mei­ne Fra­gen zu über­rei­chen, legt sie gera­de Bron­chi­en frei. Sie sagt, ich sol­le doch rasch füh­len, wie weich das Gewe­be der Lun­ge sei und wie erstaun­lich leicht. Wäh­rend sie eine hal­be Stun­de zu mir spricht, ver­knüpft sie kunst­voll einen Hand­schuh mit einem wei­te­ren Hand­schuh, ohne den Blick auch nur ein­mal von mei­nem Mikro­fon zu heben. Etwas spä­ter wird sie sagen, dass ihr mein Mikro­fon wie ein klei­nes flie­gen­des Ohr vor­ge­kom­men sei. – Libel­len. — In der Däm­me­rung noch Unschär­fen der Luft. — stop

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roman opalka

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tan­go : 2.15 – Eines Tages im Jah­re 1965, viel­leicht an einem Sams­tag, viel­leicht an einem Sonn­tag, ich konn­te schon lau­fen und hat­te gelernt, mir die Schu­he zu bin­den, nahm Roman Opal­ka den kleins­ten sei­ner ver­füg­ba­ren Pin­sel in die rech­te Hand und mal­te mit titan­wei­ßer Far­be das Zei­chen 1 auf eine schwarz grun­dier­te Lein­wand­flä­che. Bevor er die­se ers­te Zif­fer mal­te, foto­gra­fier­te er sich selbst. Er war gera­de 34 Jah­re alt gewor­den, und als er etwas spä­ter sei­ne Arbeit unter­brach, — er hat­te wei­te­re Zif­fern, näm­lich eine 2 und eine 3 und eine 4 auf die Lein­wand gesetzt -, foto­gra­fier­te er sich erneut. Er war nun immer noch 34 Jah­re alt, aber doch um Stun­den, um Zif­fern geal­tert. Auch am nächs­ten und am über­nächs­ten Tag, Woche um Woche, Jahr um Jahr, wur­de er älter, indem er Zif­fern mal­te, die an mathe­ma­ti­scher Grö­ße gewan­nen. Wenn eine Lein­wand, ein Detail ( 196 x 135 cm ), zu einem Ende gekom­men war in einer letz­ten Zei­le unten rechts, setz­te er fort auf einer wei­te­ren Lein­wand oben links, die indes­sen eine Licht­spur hel­ler gewor­den war, als die Grun­die­rung des Bil­des zuvor. Bald sprach er Zahl für Zahl laut­hals in die Luft, um mit sei­ner Stim­me auf einem Ton­band die Spur sei­ner Zei­chen zu doku­men­tie­ren. — In unse­rer Zeit, heu­te, ja, sagen wir HEUTE, oder nein, sagen, wir mor­gen, ja, sagen wir MORGEN, wird Roman Opal­ka mit wei­ßer Far­be auf wei­ßen Unter­grund malen, Zif­fern, die nur noch sicht­bar sind durch die Erhe­bung des Mate­ri­als auf der Ober­flä­che des Details. Der Betrach­ter, stel­le ich mir vor, muss das Bild von der Sei­te her betrach­ten, um die Zei­chen in ihren Schat­ten erken­nen zu kön­nen. — stopping