tango : 0.02 — Ich fahre in der Subway, ein Buch in Händen, in oder über der Stadt unter Menschen sitzend dahin und bändige meinen Blick. Ich kann nun tatsächlich lesen, also abwesend sein. Oder ich kann vorgeben, als ob ich lesen würde. In diesem Fall betrachte ich Buchstaben oder die Seite eines Buches und ihre Zeichen oder das Buch insgesamt. Andere, die in meiner Nähe reisen, betrachten ihre Hände oder ihr Telefon oder eine Zeitung. Wieder andere lesen in der Zeitung, sind demzufolge tatsächlich nicht anwesend oder nur zum Teil anwesend, während ein Auge den Zeilen folgt, trachtet das andere Auge nach innen gerichtet in den kommenden Abend oder auf den vergangenen Morgen zurück. Gestern, auf der Fahrt mit der Linie D von der 96. Straße West nach Coney Island, habe ich ein schönes Buch beobachtet. E.B.Whites Essay Here is New York. stop. Regen. stop. Es ist warm geworden. Manche New Yorker tragen Sommerkleidung für einen Tag, andere Handschuhe. In der Dämmerung in den Pfützen der Straßen wieder blinkende, dampfende Hunde, künstliche Lichtnaturen. Gespenster. — stop
Aus der Wörtersammlung: esa
south ferry : elektrischer vogel
delta : 0.08 — Im Regen gestern am frühen Morgen meinte ich, einen elektrischen Vogel wahrgenommen zu haben, zunächst in der digitalen Fassadenhaut der Port Authority Busstation, später am Times Square, Ecke 46. Straße, ein Phänomen, das sich in die Anzeigen der Stadt eingefädelt haben könnte, einen Code, eine Irritation, ein Lebewesen, ein mit mir durch den Tag wanderndes Sekundengeschöpf. Auch im Wartesaal der Staten Island Fähre war der Vogel gegenwärtig gewesen, dort als ein Schatten, der von Ost nach West über eine Wetteranzeigetafel raste. Gleich darunter warteten Menschen, die ihre nassen Schirme zausten. Leichter Seegang. — stop
brooklyn : ausgebeulte Stimmen
foxtrott : 2.32 — Wenn ich aus dem Fenster sehe, wenn tiefe Nacht ist, dann scheinen die Menschen alle gleichwohl noch immer zu arbeiten oder sie verfügen über keinerlei Lichtschalter in New York. Ja, die Menschen arbeiten und arbeiten und arbeiten und dann sitzen sie eine halbe oder eine ganze Stunde Fahrt in der Subway und schlafen. Das Seltsame ist, dass sie zur rechten Zeit aufwachen, jawohl, sie scheinen mit ihrem Gehör an einer Geräuschspur zu hängen, wie Straßenbahnen in Europa an einer Oberleitung. Einerseits schlafen sie, andererseits warten sie darauf, von einem vertrauten Signal geweckt zu werden. Vielleicht ist da ein besonderes Kreischen oder Rütteln, das nur an einer bestimmten Stelle ihrer Strecke heimwärts zu vernehmen ist, die ausgebeulte Stimme einer Maschineninformation. Kurz darauf stehen sie auf, so als wär kein Schlaf gewesen und spazieren aus dem Zug, erstaunlich! — Samstag. Später Abend. Es heult wieder herum, da unten auf Höhe der Straße, ein Unglück irgendwo vielleicht. Wenn man den Feuerwehrautos so zuhört den Tag entlang, dann möchte man bald meinen, die Stadt insgesamt würde in Flammen stehen. – stop
sekundenzeit
india : 10.01 — Ich habe eine lustige Geschichte mit mir selbst erlebt. Ich stand in einem Garten am späten Abend und versuchte, indem ich mich konzentrierte, die Umrisse meines Körpers wahrzunehmen, nicht die Umrisse einer bestimmten, einer ausgewählten Region meines Körpers, sondern die Umrisse meines Körpers insgesamt. Plötzlich meinte ich, mich in einem Film zu befinden, einem Film, der sich sehr langsam bewegte, mit einem Bild pro Jahrhundert, sagen wir, sodass ich mich nicht erinnern konnte, überhaupt schon einmal in Bewegung gewesen zu sein. Auch der wolkenlose Himmel über mir hatte sich noch nie zuvor bewegt, und die gefrorenen Blätter der Bäume und ihre Nachtschatten. Wie ich in dieser Weise verharrte und mich in die Vorstellung der Bewegungslosigkeit vertiefte, für einen Moment der Eindruck, Minutenzeit wahrnehmen zu können. — stop
lichtinseln
foxtrott : 6.15 — Ich kann vielleicht sagen, dass ich, sobald sich die Augen eines Schlafenden vor meinen eigenen Augen öffnen, ohne Ausnahme sofort gefangen bin. Habe in der Beobachtung schlafender Menschen nachts, wenn ich durch Flughafenhallen spazierte oder in Subwayzügen reiste, Erfahrungen gesammelt, der Blick auf vorüberziehende Lichtinseln draußen vor dem Fenster, dann wieder auf das entspannte Gesicht eines unbekannten Reisenden, der träumte. So schnell sich die Augen eines Schlafenden öffnen, kann ich meinen beobachtenden Blick niemals verbergen. Vermutlich existiert keine schnellere Bewegung, zu der ein menschlicher Körper in der Lage wäre, als jene Bewegung der Augen, wenn sie sich öffnen. Erstaunlich ist darüber hinaus, dass diese in Bruchteilen einer Sekunde entkleideten Augen unverzüglich präsent sind, weil der Blick sogleich anwesend ist und wirkungsvoll, sein Licht, vielleicht deshalb, weil ein Blick noch vor der Öffnung der Augenlider beginnt oder zu Lebzeiten niemals endet. — stop
PRÄPARIERSAAL : traumzeit
kilimandscharo : 15.16 — Einen Raum der Zeit, den ich dafür verwende, Stimmen mittels eines Tonbandgerätes einzufangen, benötige ich etwas später zum zweiten Mal, um die verzeichneten Stimmen von demselben Tonbandgerät aus wieder freizulassen. stop. Markus an einem Mittwoch. Februar. Abend: Versuchen Sie bitte sich vorzustellen, Sie wüssten für sechs lange Wochen nicht, ob Sie sich in einem Traum befinden oder ob Sie doch eher wach sind. Wenn ich von meiner Zeit im Präpariersaal spreche, dann spreche ich gerne von meiner Traumzeit. Ich hatte den Eindruck, einen gewaltigen Satz zu tun. Ich meine, ich machte eine Erfahrung, die nicht ganz alltäglich ist. Ich stand morgens um 6 Uhr auf und wenn ich abends um 10 Uhr zurückkam, dann hatte ich drei oder vier Stunden mit einem Skalpell am Körper eines toten Menschen gearbeitet. Ich hatte eine gewisse Vorstellung davon, was in einem Präpariersaal geschieht, nicht aber davon, dass der Körper insgesamt unter meinen Händen verschwinden wird. Das Verschwinden dieses Körpers vor mir auf dem Tisch habe ich als etwas Unwirkliches, als traumartiges Geschehen empfunden. Das war kein Albtraum, ganz gewiss nicht. Vielmehr hatte ich den Eindruck, mich in einem Film zu befinden, der mal zu schnell und mal zu langsam abgespielt wurde, so dass ich nie wissen konnte, wie schnell ich mich, oder ob ich mich überhaupt bewegen würde im nächsten Augenblick. Ich konnte mich selbst nicht berechnen. Ich war zu langsam einerseits und zu schnell andererseits. Ich habe meine Hände betrachtet, wie sie Haut vom Gesicht eines Menschen entfernten. Ich hatte den Eindruck, meine Hände würden nicht zu mir gehören. — stop
tonwellenschrauben
echo : 22.18 – Lungerte im Wald unter Louisiana-Moosen. Sturmgeräusche, auch Zikaden waren zu hören gewesen, ihre Flügelstimmen, hell, schrill, gläsern, Tonwellenschrauben. Auf Knien kroch ich bald jagend durchs Unterholz, wollte eines der lockenden Tiere fangen. Anstatt Insekten entdeckte ich Spieldosen, hunderte, ja tausende, kreisende Lärmmaschinen. Sie leuchteten, feuerrot und blau, je nach Höhe oder Tiefe ihres Gesangs. Sobald ich mich näherte, um eines der Wesen zu ergreifen, schossen sie senkrecht in die Luft, ganz so als würden sie über prall gefüllte Druckluftbäuche fürs flüchtende Reisen gebieten. Dann wurde ich wach. Es war Abend geworden. Samstag. Ein Orkan näherte sich von Westen, knisternde Fenster, Frösche schwebten summend vor den Fenstern. Zwei Stunden lang dachte ich über die Erfindung dienstbarer Käfer nach, Gattung, die Stille zu erzeugen vermag, wann immer gewünscht. Ich stellte mir vor, wie sie sich rückwärts über meine Wangen hin zu meinen Ohren bewegen, wie sie ihre kühlen Leiber in meine Gehörgänge versenken, wie sie sich dehnen und strecken, sanft, sanft, bis sie nahezu verschwunden sein werden. Zwei Fühler noch, ein Paar kleinster Augen links, ein Paar kleinster Augen rechts, Dochte, nein, Diodenlichter. Ich hörte nichts. — stop
PRÄPARIERSAAL : skalpell
romeo : 3.05 — Ich habe das Fauchen eines Schwans gehört. Zunächst war ich mir nicht sicher gewesen, ob ich mich nicht vielleicht geirrt haben könnte, ein Nachgeräusch, dachte ich, ein Schatten in den Ohren, wie in den Augen Nachbilder entstehen, weil ich am Abend wirklichen, fauchenden Schwänen im Palmengarten begegnet war. Also spulte ich das Band zurück und hörte noch einmal genauer hin, und da war das luftige Geräusch tatsächlich wieder zu hören gewesen, in einer Atempause Emilys, deren Stimme ich im Nymphenburger Schlosspark aufgezeichnet hatte. Sie wollte Spazierengehen. Sie hatte gesagt, sie könne sich besser konzentrieren in Bewegung, vor allem besser schweigen, nachdenken im Gehen. Winterzeit, Schnee lag hoch bis zu den Knien und die Schwäne fauchten hungrig. Emily nun, so wie sie gesprochen hatte, ohne Pausen an dieser Stelle, weil ich ihr Schweigen in den Zeichen entfernte: > Bevor ich erzähle, wie ich die Öffnung des Körpers erlebt habe, möchte ich erwähnen, dass dieser erste Tag und auch der zweite Tag für mich nur schwer zu ertragen gewesen sind. Ich war beeindruckt von der großen Zahl der Tische, die in den Apsiden standen. Ganz ehrlich, ich war eingeschüchtert. Ich fühlte mich unsicher und unbedeutend und ich glaube, viele andere haben sich selbst auch so wahrgenommen. Man will das natürlich nicht zeigen. Man wünscht sich, souverän zu sein. Aber ich musste mich überwinden, den Körper überhaupt nur zu berühren. Da war ein Widerstand in mir, dem ich bis heute noch nachspüren kann Ich habe mehrere Versuche unternommen und hatte plötzlich große Angst, dass ich das überhaupt niemals könnte. Aber meine Freunde am Tisch waren sehr verständnisvoll. Sie haben mich nicht gedrängt und auch unser Tischassistent nicht. Er sagte, dass das ganz normal sei und dass ich mich beruhigen solle und ganz ruhig atmen. Ich hatte eine irgendwie verzerrte Wahrnehmung, alles war so laut um mich herum und ich bekam schlecht Luft. Ich bin dann erst einmal aus dem Saal geflüchtet. Eine Freundin hat mich begleitet und wir sind auf dem Flur hin- und hergelaufen. Und dann wollte sie zurück und ich folgte. Ich erinnere mich an den grünen Kittel unseres Assistenten. Er beugte sich gerade über den Körper des Toten und zog das Skalpell vom Kinn in Richtung des Nabels. Ich wunderte mich, dass man gar nichts hören konnte. Verstehen Sie, ich kann mir heute noch nicht erklären, warum ich ein Geräusch erwartet habe. Man konnte auch keine Spuren eines Schnittes erkennen. Dann ist etwas Merkwürdiges mit mir geschehen. Ich habe meine Position am Tisch wieder eingenommen, das heißt, ich habe mich wieder zu meiner Gruppe gestellt. Ich habe meine Handschuhe angezogen, mein Skalpell ausgepackt und meine Pinzette und dann habe ich angefangen zu arbeiten. Ich will das so sagen, ich habe den Körper auf dem Tisch zunächst mit dem Skalpell berührt und dann mit meinen Händen. Ich war sehr glücklich gewesen, dass ich mich überwinden konnte. Immer wieder ist aber das Gefühl einer gewissen Unwirklichkeit zurückgekehrt, der Eindruck an diesem Ort deplatziert zu sein, fremd oder so etwas. Sobald ich dann etwas getan habe, wenn ich gearbeitet habe, wenn ich also präpariert habe, ging das gut mit mir. Ich glaube, ich war eine von jenen, die stets tief über das Präparat gebeugt waren, ich bin sehr schnell in den Saal zum Tisch gelaufen, und wenn ich fertig war, habe ich den Saal so rasch wie möglich wieder verlassen.
PRÄPARIERSAAL : libelle
echo : 6.12 — Ich habe auf einem Fernsehbildschirm Jonathan Franzen beobachtet, wie er in seinem New Yorker Arbeitszimmer sitzend von Apparaturen erzählt, die ihm behilflich sein könnten, den Lärm der Stadt oder des Hauses, in dem er sich befindet, von seinen Ohren zurückzuhalten. Er berichtet das ungefähr so: Ich habe eine Menge Lärmschutzvorrichtungen. Ich schütze mich gegen Lärm mit Schaumgummistöpseln. Sie sind wichtig. / Und darüber hinaus habe ich meine Kopfhörer. Und zudem noch rosa Rauschen auf CD. / Das ist wie weißes Rauschen, aber es ist etwas wärmer im Ton. Es beschränkt sich auf die niedrigen Frequenzen. Es klingt wie eine Raumkapsel in der Atmosphäre mit einem wundervollen Brausen, ein alles umhüllendes Brausen, das plötzlich verschwindet. stop. Weit nach Mitternacht, kühle Luft. stop. Lungere auf dem Sofa herum, höre anatomische Tonbandaufnahmen ab, Wörter, Sätze, Gedanken einer ferneren Zeit, die sofort wieder sehr nahe kommen, vielleicht deshalb, weil sie von typischen Geräuschen jenes Ortes, an dem sie aufgenommen wurden, begleitet sind. Das Rauschen der Stimmen hunderter Menschen. Pinzetten, die gegen Metall klopfen. Eine Lautsprecherdurchsage: Denken Sie bitte daran, der Präpariersaal wird vor dem Testat am kommenden Montag bereits um 7 Uhr geöffnet. Das kleine Wiedergabegerät, das neben mir auf einem Kissen ruht, bewegt sich nicht oder nur so leicht, dass meine Augen diese Bewegung nicht wahrnehmen können. Einmal denke ich an etwas anderes, als das, was zu hören gewesen war, und bemerke in dieser Weise, dass ich, in dem ich an etwas denke, das entfernt ist, meine Ohren auszuschalten vermag. Deshalb musste ich soeben das Band zurückspulen und Thomas’ feine Geschichte wiederholen, die von einer Libelle erzählt. Hört zu: Wir hatten einen Mann auf dem Tisch, einen männlichen Körper von dunkler Farbe und von außerordentlicher Größe. Ich glaube, dieser Körper war der größte Körper des Kurses. Ich war erstaunt, weil ich mit einem Präparat, das größer sein würde, als ich selbst, nicht gerechnet habe. Nein, einen Hünen hatte ich wirklich nicht erwartet. Sie müssen wissen, ich habe mir sehr bewusst keine genauen Vorstellungen von der Wirklichkeit des Anatomiesaales gemacht. Ich hatte vermutet, dass die Luft kühl sein würde, aber an dem Tag, als wir unsere Arbeit aufnahmen, war es sommerlich warm und ich schwitzte und hatte Mühe, ohne Unterbrechung daran zu denken, mir mit den feuchten Handschuhen nicht ins Gesicht zu fahren. Ich hatte erwartet, dass das Licht im Saal eher gedämpft sein würde, aber es war strahlend hell, ein Licht, das kaum einen Schatten warf. Und ich hatte einen überschaubaren Körper erwartet, einen eher kleinen Körper, den Körper eines uralten Menschen. Ich habe mit alternden Menschen immer Gestalten in Verbindung gebracht, die zerbrechlich sind, Körper, die kleiner werden, die sich zurückziehen, die man stützen muss, führen, die noch im Leben durchlässig werden für das Licht. Dort vor mir auf dem Tisch aber lag ein Mann, der geradezu strotzte vor Kraft. Er war nicht fett, sondern muskulös, und am Bauch und an der Brust, an Armen und Beinen sehr stark behaart gewesen. Ich werde diesen Anblick mein Leben lang nicht vergessen. Ich habe den Mann sehr lange Zeit betrachtet. Dieses geschwollene Gesicht war das Gesicht eines schlafenden Boxers. Seine Augen waren geschlossen, die Hände zu Fäusten geballt und seine Füße sahen ganz so aus, als hätte er sie schon vor sehr langer Zeit vergessen. Ich habe ihn mehrfach umkreist, und dann haben wir ihn gemeinsam auf dem Tisch herumgedreht. Sehr fest mussten wir zugreifen. Ich sage Ihnen, das ist nicht leicht, am ersten Tag in diesem Saal so fest zuzufassen. Man ist ja sehr vorsichtig und man ist dankbar für dieses Geschenk, das ein Mensch für uns zurückgelassen hat. Und als wir ihn dann herumgedreht hatten, konnten wir eine Libelle erkennen. Sie war links oben auf seinem Rücken eintätowiert, regio scapularis, Sie verstehen? Ein erstaunlich präzise gezeichnetes Bild, nicht sehr groß, vielleicht gerade so groß wie ein Mittelfinger des Mannes und in blauen, roten und grünen Farbtönen ausgeführt. In diesem Moment hatte ich eine Vorstellung, die in das Leben des Mannes auf dem Tisch zurückführte. Ich habe mir vorgestellt, wie er als junger Mann in einer Badeanstalt mit den Muskeln spielte, wie er seinen Insektenvogel in Bewegung setzte, um einer Frau zu gefallen vielleicht. Aber da war noch etwas anderes, da war die Frage, was wir sehen würden, sobald wir die Haut unter der Libelle so weit gelöst hätten, dass ein Blick auf ihre Rückseite möglich werden würde.
PRÄPARIERSAAL : nachtzeit
india : 20.18 — Regen. Schnüre von Regen. Dämmerung heute bereits gegen 18 Uhr. Seit drei Stunden höre ich Tonbandaufnahmen ab, Stimmen, die präzise formulierend vom Präpariersaal und seiner Umgebung erzählen. Immer wieder halte ich die Maschine an, schreibe auf, was ich hörte, stemple Zeitangaben. Christopher kurz vor acht Uhr über seine Erfahrung jenseits der Tage: > Was ich nachts gemacht habe? Meine Freundin sagt, ich würde in lateinischer Sprache mit ihr gesprochen haben : pause 2 sec : Vielleicht habe ich etwas mimische Muskulatur repetiert. Musculus frontalis. Musculus corrugator supercilii. Musculus orbicularis oculi. Das war eine sehr wichtige Nachtarbeit, die ich da verrichtet habe, verstehen Sie? Ich hatte Schwierigkeiten diese fremdartigen Wörter auszusprechen. Wie sollte ich sie im Kopf behalten, wenn ich sie nicht sprechen konnte! : pause 3 sec : Ich habe also nachts nicht wirklich geträumt, sondern nur Sprechübungen gemacht. : pause 5 sec : Auch dann, wenn ich wach war, das können Sie mir glauben, habe ich Wörter geübt. : pause 4 sec : Das Wort Leiche wollte ich nicht aussprechen. Ich habe immer von Körpern gesprochen. : pause 3 sec : In den ersten Tagen manchmal, sobald ich den Präpariersaal betreten habe, hatte ich den Eindruck einer gewissen Unwirklichkeit der Situation. Ich hatte den Eindruck, jene toten Menschen verkörperten nur eine Vorstellung, als hätte man sie für uns hergestellt, organische Ausstellungsräume, mit Erde bezeichnete Lehmkörper. Auch wenn das vielleicht seltsam klingen mag, die erste Berührung des Körpers auf dem Tisch war eine Bewegung, die der Vergewisserung diente, dass der Körper vor mir auf dem Tisch wirklich anwesend war. : pause 2 sec : Körper also. Sie boten meinen Händen Widerstand. Sie waren kühl und sie wirkten zeitlos. — stop