MELDUNG. Ameisengesellschaft LN — 1821 [ Honigtopfameise : Camponotus inflatus ] Position 36°40’S 144°16’O nahe Bendigo [ Australia ] / Folgende Objekte wurden bei hochsommerlichen Temperaturen am 31. Dezember des vergangenen Jahres von 9.00 — 10.02 Uhr AEST über das nordwestliche Wendelportal ins Warenhaus eingeführt : einundfünfzig trockene Fliegentorsi geringer Größe [ meist ohne Kopf ], elf Baumstämme [ à 5 Gramm ], zweiundzwanzig Raupen in Grün, sechs Raupen in Orange, achtundachtzig Insektenflügel [ vermutlich der Gattung Odysseusfalter,], sechs Streichholzköpfe [ à ca. 1.8 Gramm ], sonnengetrocknete Rosenblätter [ ca. 122 Gramm aus dem vergangenem Jahr ], einhundertundzwei Schneckenhäuser [ je ohne Schnecke ], zwölf gelähmte Schnecken [ je ohne Haus ], siebenundachtzig Ameisen anliegender Staaten [ betäubt oder tranchiert ], zwei hellgraue Diebkäfer [ schlafend ], drei Aaskugeln eines afrikanischen Pillendrehers, wenig später der Pillendreher selbst, einhunderachtundachzig Wildbienen, fünfundfünfzig Galläpfel, zwei Injektionsnadeln je 3.005 Gramm. — stop
Aus der Wörtersammlung: kopf
beobachtung
sierra : 16.25 UTC — Samstag. Leichter Regen. Es ist kalt geworden. Noch immer, nach jahrelanger Beobachtung, habe ich keine Antwort auf die Frage, weshalb Kiemenmenschen, sobald sie schlafen oder sich küssen, Kopf nach unten in ihren Wasserwohnungen schweben. – stop
ai : BELARUS
MENSCH IN GEFAHR: „Viachaslau Rahashchuks Gesundheitszustand ist so schlecht, dass er umgehend in ein Krankenhaus eingewiesen werden müsste. Doch stattdessen befindet er sich in der Untersuchungshaftanstalt Nr. 6. Seine Verletzungen sind auf Folter und andere Misshandlungen zurückzuführen, denen er in der Haft ausgesetzt war. / Der Taxifahrer wurde am Abend des 10. August in Pinsk von mindestens fünf Polizeibeamt_innen gewaltsam und willkürlich festgenommen, als er mit seiner Schwester und ihrem zwölfjährigen Sohn spazieren ging. Am Vortag waren die Wahlergebnisse der Präsidentschaftswahl offiziell bekanntgegeben worden und nach massiven Betrugsvorwürfen hielten die Proteste in der Stadt noch an. Viachaslau Rahashchuk hat keine Straftat begangen und seine Festnahme und nachfolgende Inhaftierung sind willkürlich. In der Zwischenzeit wurde er nach Paragraf 293 Teil 1 des belarussischen Strafgesetzbuches angeklagt, der im Zusammenhang mit dem Vorwurf von “Massenunruhen” steht. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. / Am 11. August nahm einer der damaligen Mithäftlinge von Viachaslau Rahashchuk Kontakt zu dessen Mutter auf und teilte ihr mit, dass ihr Sohn von Gefängniswärtern schwer misshandelt worden sei. Er habe ein Hämatom hinter dem Ohr, drei Schnittwunden am Kopf und Prellungen an der gesamten Wirbelsäule. Außerdem seien die Gefängniskorridore voller Blutlachen von all denjenigen, die geschlagen wurden. / Seitdem hat Viachaslau Rahashchuk ein permanentes Klingeln in seinem Kopf. Seine Angehörigen baten einen Gefängnismediziner darum, ihm eine Überweisung zur Computer-Tomografie auszustellen. Dieser meinte jedoch nur, dass es Viachaslau Rahashchuk gut gehe und dass die Familie weiterhin Medikamente zur Linderung der Symptome schicken solle. Glaubwürdigen und aktuellen Berichten zufolge hat Viachaslau Rahashchuk wiederholt für bis zu 20 Minuten das Bewusstsein verloren. Außerdem hat er auf der linken Seite des Brustkorbs einen Tumor entwickelt. Die wiederholten Bitten seiner Familie, ihn einer unabhängigen ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, wurden allesamt abgelehnt. Viachaslau Rahashchuk wird die dringend benötigte medizinische Behandlung verweigert.”- Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen bis spätestens zum 8.2.2021 unter > ai : urgent action
von vögeln
sierra : 22.08 UTC — Wong Kar-Wais Vögel ohne Füße, die niemals landen. Immer wieder eine wunderbare Vorstellung. Ein Bild auch in diesen Monaten, das mich berührt, da ich selbst nicht landen kann in Tagen von Sicherheit. Oder die Vorstellung der Zeppeline, die Jahrhunderte lang wie Wolken langsam um den Erdball schweben. Einmal vor Jahren zeichnete ich ein Rotkehlchen mit einem Bleistift auf ein Blatt Papier. Ich will erwähnen, dass die Zeichnung des kleinen Vogels, der von rechts her kommend über das Blatt nach links hin segelte, damals missglückte, es war das erste Rotkehlchen gewesen, das ich in meinem Leben zeichnete. Immerhin waren zwei Flügel zu erkennen gewesen und ein Körperchen in der Mitte, ein Schnabel und ein kleiner Kopf. Auch ein roter Fleck auf dem Körperchen in der Gegend des Halses war zu entdecken, weil ich nach einem roten Buntstift suchte, das dauerte recht lange, während der kleine Vogel geduldig wartete, dass ich mit wesentlicher Farbe zu ihm zurückkehren würde. — Weswegen ich ein Rotkehlchen gezeichnet habe? — Nun, ich habe diese Zeichnung angefertigt, weil ich mich fragte, ob irgendwann einmal fliegende Servermaschinen in der Gestalt der Singvögel denkbar sein werden, die in Schwärmen herumfliegen, indessen sie mittels unsichtbarer Wellen miteinander kommunizieren? Wie lange Zeit würden wir diese flüchtigen Schwarmobjekte noch als unsere Geschöpfe verstehen? Wären wir in der Lage, sie jemals wieder einzufangen? — stop
zeitoun
whiskey : 9.35 UTC — In den letzten 10 Tagen des Oktobermonats lernte meine Schreibmaschine folgende Wörter, die in ihren Prüfverzeichnissen vordem nicht zu finden gewesen waren: Abstandsignale . Aquarelia . Bangsein . Birdy . Brieftaubenwörter . Camar . Carecon . Clustersuche . Contagion . Coronasimulation . Drohnenauge . Drohnensichtung . Drohnenvogel . Drollbirne . Ebolavirus . Eichhörnchenschatten . Fingercurser . Inari. Inzidenz. Jennifer.five . Kolibriwesen . Krokodilmodell . Kürbissuppe . Libellenlarven . Looters . luren . Meeresgewächse . Meereswesen . Monroe . Mundschutzalgorithmus . Nachtschifftag . neuronal . Palanca . Pandemietote . Pandemiezeit . Particleszeichen . Pfuhlschnepfe . Plexiglasscheiben . Resilienz . Rotkopfschildkröten . Sars-Cov‑2 . Sarslämpchen . Schiffpendelbewegung . Schlafdurcheinanderzeit . Seeanemonenblüte . Seetangklumpen . Spätabendmenschen . Spelling . Superdomehalle . Süßwasseranemone . Tänzerraver . Teillockdown . Tresspassangers . Vakzin . Warlogs . Wortkernbilder . Zattere . Zeitoun . Zeppelinwerkstatt . Zeppelinwolken. — stop
hamstern
india : 21.20 UTC — In einer Abendsekunde, da ich Kontakt zu ihm aufnehme, hebt er seinen müden Blick von dem Scanner, der unter einer rötlich schimmernden Scheibe von Glas verborgen liegt, über die er Waren zieht, die er selbst noch von eigener Hand in Regale räumte, die er selbst noch von Staub befreite, den er selbst nicht in diesen Supermarktladen eingeführt haben konnte in dieser Menge, dieser Staub muss an Füßen der Kunden hereingekommen sein, ein Staub der immerhin sichtbar ist, bei Gott, ist das doch gut, dass noch Wesen existieren, die sichtbar sind, sichtbar für menschliche Augen, nicht unsichtbar wie jene kleinsten Partikel, die Menschenwesen auf diesem Erdball hinter Maskentüchern zwingen, sodass sie sich ähnlich werden, diese Menschenwesen überall sich ähnlich werden in ihrer Schutzbedürftigkeit, ähnlich, ob sie nun hinter roten, gelben, blauen oder schneeweißen Masken sich zu verbergen haben, um nicht vielleicht sterben zu müssen, bei Gott, Menschen eben. Er hebt den Kopf in diesem Moment, da ich Kontakt zu ihm aufnehme, da ich sage, sie hamstern wieder, nicht wahr, es wird Herbst und sie hamstern wieder, Teigwaren, Taschentücher, und diese Dinge, hamstern und streiten vor den Regalen, nicht wahr? Und da sagt er, dass das ein Krieg sei, dass eigentlich das Militär hier auf diesem seinem Platz zu sitzen habe, der Katastrophenschutz, weil diese Scheibe von künstlichem Glas, ihn doch niemals schützen könne, weil hier das Unsichtbare herumfliege, all diese Sachen, die das Fieber bringen, da kann man nur warten, warten, warten. — stop
im wald
ulysses : 18.12 UTC — Einmal spazierte ich mit Mutter durch einen Wald. Die alte Dame, sie trug rote Turnschuhe, fragte mich, ob sie denn seltsam aussehen würde, so wie sie ging. Und ich antwortete: Nein, dein Gang ist vielleicht etwas steif geworden, etwas langsamer, vorsichtiger, aber nicht seltsam. Am Himmel kreiste ein Modellflugzeug mit einem Kopfpropeller, sehr leise, kunstvoll über einem Hügel, von dem aus wir Vaters Segelflugzeuge in herbstliche Winde hängten. In jenem Wald, ich erinnere mich, den ich mit Mutter spazierte, suchte ich als Junge nach Skeletten. Es war ein dichter Wald junger Tannen. Man erzählte, dass die Tiere sich dorthin zurückzogen, um in Ruhe zu sterben. Vermutlich deshalb habe ich sehr viele Knochen gefunden. Sie waren über Jahre hin über den Boden gewandert, das waren vermutlich Wildschweine gewesen. Ich trug zahlreiche Knochen nach Hause, um sie zu sortieren, mithilfe eines naturkundlichen Buches. In einem großen Karton verwahrte ich Knochen, die ich nicht zuordnen konnte. Einmal schüttete ich diese Knochen vor mich auf den Boden und setzt sie so zusammen, dass sich ein Tier abzeichnete, welches über mehrere Schädel verfügte und zahlreiche Beine. Das Tier war sehr lang, ein Tier, über dessen Leben ich aufregende Geschichten erzählen konnte. — stop
giraffe
ulysses : 6.28 UTC — Ich träumte, meine Mutter würde von einer Straßenbahn überrollt worden sein. Sie hatte den schweren Unfall im Traum überlebt, aber ihr Hals war nun lang wie der Hals einer Giraffe. Weil ihr dort, wo Giraffen am Hals über erhebliche Muskelpakete verfügen, jede Stützung fehlt, wurde ein Gerüst von feinem Kirschbaumholz gezimmert, eine Röhre, durch welche zur Säuberung Wasser eingeleitet werden könnte. Getragen wird die Konstruktion von einem fahrbaren elektrischen Stuhl, den meine Mutter bewohnt, in welchem sie sitzen, aber auch zum Spazieren fahren kann. In einem weiteren Traumsegment hatte sich der Kopf meiner Mutter tatsächlich in den Kopf einer Giraffe verwandelt. Sie lebte an einem Ort weiterer Giraffenmenschen. Ich sah diese wunderbaren Wesen majestätisch durch die Parks der Umgebung streifen. Da und dort führten Leitern in die Kronen der Kastanienbäume. — stop
vor abend zeit
sierra : 16.08 UTC — Ehe ich meine Wohnung verließ, telefonierte ich mit K. K. sagte, er würde zurzeit sehr viel lieber zu Hause bleiben, als auf die Straße zu treten. Du bist jung, Du kannst ruhig spazieren gehen, ich bin bald neunzig, ich warte ab. K. erzählte, er habe einen großen Balkon, das sei jetzt seine Straße, mal laufe er dort oben, 5. Stock, langsam auf und ab, dann wieder beobachte er Menschen weit unten auf der Straße. Sie tragen fast alle Maske, das sei doch beruhigend, trotzdem wolle er lieber hier oben bleiben, noch genug Zeit, um später einmal unten bei den Passanten spazieren zu gehen. So wie ich auf- und abgehe oder hin und her, sagte K., könnte man mich doch ernsthaft für eine Spindel halten, die etwas webt. In den Bäumen sitzen Vögel. Die Vögel wundern sich. Wenn Du das Haus verlässt, sagte K., solltest Du eine dieser sehr dichten Masken tragen. Du musst das üben, Louis! Du solltest erst einmal sechs Stunden eine dieser speziellen Segeltaschen vor Mund und Nase spannen, probieren, ob Du das gut aushalten kannst. Geh herum, steige ein paar Treppen, probiere, ob Du ausreichend Luft bekommst. Seit zwei Stunden also trage ich eine dieser Masken, die so dicht sein sollen, dass sie Aerosole, kleinste fliegende Teilchen einzufangen vermögen. Ich höre meinem Atem zu. Ich habe den Eindruck, als hörte ich mit meiner Nase. Auch habe ich den Eindruck, dass ich vielleicht mit meinen Ohren atme, als ob unbekannte Wege der Luftzirkulation in meinem Kopf existierten. Ich muss das beobachten. Noch vier Stunden, dann gehe ich aus. — stop
früh auf der straße
marimba : 8.56 UTC — Einmal, Jahre sind vergangen, hatte ich mir vorgenommen, eine Notiz über eine Ameise zu schreiben, die ich an einem Nachmittag in einem U‑Bahnwaggon angetroffen hatte. Aber dann beobachtete ich meine Hände, Hände, wie sie dicht über der Tastatur der Schreibmaschine schwebend auf Anweisung warteten. Ich bemerkte damals, dass meine Hände jene anatomischen Strukturen meines Körpers sind, die ich am besten kenne, weil ich sie oft betrachtet habe. Alle meine Hände, die ich erinnern kann, sind die Hände eines Menschen, der nicht mehr Kind ist. Aber ich erinnere mich an Bewegungen, die Kissen in einem Kinderwagen sortieren. Ich erinnere mich an meinen Wunsch, in meinem Kinderwagen Ordnung zu halten. An hölzernes Spielzeug erinnere ich mich, das vor meiner Nase baumelte. Da sind jetzt winzige, blaue Schuhe in meinem Kopf. Sie bewegen sich, wenn ich wünsche, dass sie sich bewegen. — Heute am frühen Morgen wartete ich vor einem Laden auf Einlass. Ich trug eine Mundbedeckung, noch immer versuche ich mich an Stoffstreifen vor meinem Gesicht zu gewöhnen. In meiner nächsten Nähe ging eine uralte Frau auf ihren Stock gestützt auf und ab. Ich glaube, sie wollte trainieren. Sie war klein, zierlich, zerbrechlich. Auch sie trug einen Mundschutz vor dem Gesicht, der zerknittert war, als würde sie ihn bereits seit Jahren tragen. Ich wollte sie auf den Arm nehmen, um sie zu beschützen. Ich glaube, sie fürchtete meinen Blick. — stop