Aus der Wörtersammlung: lage

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am Wasser

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gink­go : 2.08 — Eine Foto­gra­fie, die mich ges­tern Abend per E‑Mail erreich­te, zeigt eine älte­re Frau auf der Dach­ter­ras­se eines Hau­ses, das voll­stän­dig aus Holz zu bestehen scheint. Das Gebäu­de befin­det sich an der Küs­te des Atlan­tiks auf Sta­ten Island. Ein blü­hen­der Gar­ten umgibt das Anwe­sen weit­räu­mig, man kann das gut erken­nen, weil der Foto­graf zum Zwe­cke der Auf­nah­me auf einen höhe­ren Baum gestie­gen sein muss, im Hin­ter­grund das Del­ta des Lemon Creek, zwei schnee­wei­ße Segel­boo­te, die vor Anker lie­gen, und Schwä­ne, sowie ein paar ame­ri­ka­ni­sche Sil­ber­mö­wen, die sich zan­ken. Die Frau nun winkt mit ihrer lin­ken Hand zu dem Foto­gra­fen hin. Mit der ande­ren Hand drückt sie ihren Som­mer­hut fest auf den Kopf, ver­mut­lich des­halb, weil an dem Tag der Auf­nah­me eine fri­sche Bri­se vom Meer her weh­te. Far­ben sind auf dem Schwarz-Weiß-Bild nur zu ver­mu­ten. Ich erin­ne­re mich jedoch, dass mir jemand erzähl­te, das Haus sei in einem leuch­ten­den Rot gestri­chen. Bei der Frau auf der Foto­gra­fie han­delt es sich übri­gens um Emi­ly im Alter von 62 Jah­ren. Ich kann das so genau sagen, weil in einer Notiz, die der E‑Mail bei­gefügt wur­de, einen Hin­weis zu fin­den war, eben auf Emi­ly, die sich im Moment der Belich­tung auf der Dach­ter­ras­se ihres Hau­ses damit beschäf­tig­te, eine Salz­wie­se anzu­le­gen: Das ist mei­ne Emi­ly als sie noch leb­te. Ein hei­ßer Tag. Wir waren von einem Spa­zier­gang zurück­ge­kom­men, hat­ten in Ufer­nä­he Salz­mie­ren, Strand­a­s­tern, Mit­tags­blu­men, Fuchs­schwän­ze, Blei­wurz und Was­ser­nüs­se gesam­melt. Am Nach­mit­tag mach­te sich Emi­ly an die Arbeit. Sie brach­te san­di­ge Erde auf ihren Blu­men­ti­schen aus, in wel­cher Lei­tun­gen für Flut, für Ebbe ver­bor­gen lagen. Sie war glück­lich gewe­sen, aber sie ahn­te bereits, dass das Was­ser stei­gen wird. Sie fürch­te­te sich vor den Win­ter­stür­men, ihren Namen, ihrer tosen­den Wild­heit. An dem Abend, als ich die Auf­nah­me mach­te, sag­te Emi­ly, dass es selt­sam sei, sie habe das Gefühl, an einem Ort zu woh­nen, der eigent­lich bereits dem Meer gehö­re. Dein S. – stop
ping

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ping

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alpha : 3.28 — Ich den­ke an eine Appa­ra­tur, die in der Lage sein könn­te, ein Buch in einem vor­ge­ge­be­nen Rhyth­mus selbst­stän­dig umzu­blät­tern. Ich habe von die­ser Maschi­ne vor zwei Jah­ren bereits schon ein­mal berich­tet. Auch davon, dass ich die Maschi­ne in mei­nem Kopf zusam­men­setz­te, wäh­rend ich zur glei­chen Zeit die Anzahl der Schrau­ben notier­te, die im wirk­li­chen Leben zur Fer­ti­gung nötig sein wer­den. Ich könn­te die­se Geschich­te im Grun­de Wort für Wort noch ein­mal erzäh­len, weil ich sie gera­de erleb­te oder weil ich mich an sie erin­ner­te. Die Maschi­ne in mei­ner Geschich­te soll­te über zwei Arme ver­fü­gen, gleich­wohl über fin­ger­ähn­li­che Fort­sät­ze, einen Motor und Sen­so­ren, emp­find­lich für Licht. Wäh­rend ich die Maschi­ne in mei­nem Kopf zusam­men­setz­te, notier­te ich wie­der­um die Anzahl der Schrau­ben, die im wirk­li­chen Leben zur Fer­ti­gung nötig sein wer­den, hand­schrift­lich auf ein Blatt Papier. Immer wie­der, wenn ich in mei­ner Arbeit gestört wur­de, setz­te ich neu an. Das ist näm­lich nach wie vor sehr merk­wür­dig mit Maschi­nen, die ich erfin­dend mon­tie­re, sie ver­schwin­den voll­stän­dig aus dem Kopf, sobald ich nur für eine Sekun­de mei­ne Arbeit zu unter­bre­chen habe, sagen wir, weil ich höre, wie drau­ßen weit unten auf der Stra­ße Schrit­te lau­fen. — Noch zu tun: Das Wort Zitro­nen­bach unter­su­chen. — stop
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sophia

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echo : 2.10 — Lud­wig schick­te mir einen Wecker, der es in sich hat. Als wür­den fünf oder sechs Bie­nen im Wecker­ge­häu­se ihre Run­den dre­hen, solch ein Geräusch kommt aus dem Wecker. Eigent­lich sieht der Wecker aus wie jeder ande­re Wecker sei­ner Art, etwas alt­mo­disch in der Gestal­tung. Er ruht auf drei Bein­chen, und sein Zif­fer­blatt ist rund und mit einer Zeich­nung geschmückt, irgend­wel­che Blu­men, Blü­ten, weiß, rot und blau. Oben auf dem Wecker sit­zen zwei metal­le­ne Schir­me fest, zwi­schen ihnen ruht ein Kegel, damit könn­te der Wecker sich ver­stän­di­gen, wenn man ihn dazu auf­for­dern soll­te. Natür­lich han­delt es sich bei die­sem Wecker, den Lud­wig mir schick­te, um einen beson­de­ren Appa­rat, der nicht nur die Zeit mes­sen, son­dern angeb­lich auch Zeit­räu­me aus­lö­schen kann, in dem er jedes mensch­li­che Wesen, das sich in sei­ner Nähe auf­hält, in den Schlaf zu schi­cken ver­mag. Ja, tat­säch­lich, kein Irr­tum. Man habe, hör­te ich, Lud­wigs Gelieb­te Sophia unlängst auf­ge­fun­den, wie sie vor einem Wecker saß, genau so einem Wecker, wie Lud­wig ihn mir schick­te. Lan­ge Zeit war sie ver­schwun­den gewe­sen. Als man ihre Woh­nung gewalt­sam öff­ne­te, war nichts zu hören als ein Radio, das lei­se spiel­te. Sophia saß in der Küche vor dem Küchen­tisch, ihr Kopf war etwas geneigt von der Schwer­kraft, ihre Hän­de lagen im Schoss, ein Glas, das Was­ser dar­in weit­ge­hend ver­duns­tet, stand neben dem Wecker auf dem Tisch. Sie wirk­te fried­voll, schien zu lächeln, ver­mut­lich hat­te sie bis zuletzt geschla­fen. Schmal war sie gewor­den und blass, ihre Haut fühl­te sich an, als wäre sie von Papier. Die Luft im Raum muss schwer gewe­sen sein, und süß und scharf in glei­cher Wei­se. Alle, die sich dem Wecker auf dem Tisch näher­ten, schlie­fen auf der Stel­le ein, sodass man sich nicht anders zu hel­fen wuss­te, als auf den Wecker zu schie­ßen. — stop
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stehen … schlafen

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nord­pol : 3.08 — Wenn man ein Hotel für Steh­schlä­fer betritt, ist das meis­tens spät in der Nacht, alle wei­te­ren Hotels, wel­che geeig­net wären, im Lie­gen zu schla­fen, sind aus­ge­bucht. Auch mit klei­ne­ren Spen­den, die man ger­ne offe­riert, weil man müde ist, weil man kei­nen wei­te­ren Schritt zu tun in der Lage zu sein glaubt, war an den Rezep­tio­nen nichts zu machen. Jetzt ist man also hier, wo man sehr preis­wert in Schlaf­spin­den oder ganz ein­fach an Wän­den leh­nend schla­fen kann. Das Beson­de­re an einem Hotel für Steh­schlä­fer ist, dass sich das Per­so­nal um schla­fen­de Gäs­te auch dann noch bemüht, wenn das Licht längst aus­ge­schal­tet ist. Gur­te, wel­che zur Sta­bi­li­tät um Ober,- und Unter­schen­kel gewi­ckelt sind, wer­den straff gehal­ten, fal­len­de Per­so­nen wie­der auf­ge­rich­tet. Auch für einen tie­fen Schlaf wird gesorgt, wie das gemacht wird, davon soll­te ich nicht erzäh­len, nicht das lei­ses­te Wort, nie­mand will das wirk­lich wis­sen, selbst die Schla­fen­den nicht. Man schläft behü­tet, man schläft so lan­ge man will, eine Stun­de oder eine Nacht oder meh­re­re Tage. Sobald man nun erwacht, nimmt man sei­nen Kof­fer vom Boden auf und geht ganz ein­fach davon. Es ist schon ein merk­wür­di­ger Anblick, hun­der­te Men­schen, die ent­lang der Wän­de eines Saa­les neben ihren Kof­fern ste­hen. Man­che spre­chen, ande­re sin­gen lei­se im Schlaf. Vögel flie­gen umher oder sit­zen auf den Schla­fen­den selbst, die sich nicht rüh­ren, obwohl sie noch leben. Irgend­wo muss ein Fens­ter offen ste­hen. Ein leich­ter Wind geht. Ich höre das Horn eines Schif­fes, aber ich bin mir nicht sicher, ob das Schiff wirk­lich exis­tiert. Für einen Moment wird es hell wie am Tag, als ob die Son­ne mir direkt ins Auge leuch­tet. Eine Hand fährt über mei­ne Stirn, ich höre ein Flüs­tern, ich mei­ne gehört zu haben, wie jemand sag­te: Er ist schon vier Wochen hier, wir müs­sen ihn wecken oder baden. Ja, irgend­wo muss ein Fens­ter offen ste­hen. Ein leich­ter Wind. — stop

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fukushima daiichi

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whis­key : 6.28 — Am 29. April 2013, vor zwei Tagen, notier­te die New York Times, 280 Liter Grund­was­ser wür­den pro Minu­te in die hava­rier­te Atom­an­la­ge von Fuku­shi­ma-Dai­i­chi flie­ßen und dort, durch Kon­takt mit radio­ak­ti­ven Teil­chen oder Gasen, ver­seucht. — Ist das heu­te noch eine Nach­richt? — stop

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ai : MEXIKO

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MENSCHEN IN GEFAHR : “Die Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Artí­cu­lo 19 hat einen anony­men Droh­brief erhal­ten. Die Orga­ni­sa­ti­on setzt sich für das Recht der frei­en Mei­nungs­äu­ße­rung ein und hat ihr Büro in der Haupt­stadt Mexi­ko-Stadt. / Am 19. April war ein Brief an der Haus­tür des Büros von Artí­cu­lo 19 gefun­den wor­den. Der Brief war an den Lei­ter der Orga­ni­sa­ti­on, Darío Ramí­rez, sowie die rest­li­chen Mit­ar­bei­ter von Artí­cu­lo 19 gerich­tet: “Klei­ner ver­damm­ter Chef… Du Stri­cher hast kei­ne Ahnung, mit wem du es zu tun hast… Wol­len wir mal sehen, ob dein Herz nicht auf ein­mal auf­hört zu schla­gen. Zu viel beschis­se­ne Frei­heit. Mal sehen, wie Macho du bist, wenn wir dich und dei­ne klei­nen Schei­ßer wirk­lich kalt­ge­macht haben… Wir beob­ach­ten euch ganz genau… Ihr wisst, wer wir sind und dass wir das durch­zu­zie­hen kön­nen” (Pin­che jefe­si­to pendejo…eres un puto que no sabes con qui­en te estas metiendo…A ver si con una madri­sa no se te para el cora­zon. Mucha puta libert­ad ver­dad. A ver que ten ver­ga eres cuan­do ter­mi­nes tu y tus puti­tos bien puteados…Estamos vien­do­te y bien cerca…Sabes quie­nes somos y que si lo pode­mos ahcer [sic]). / Artí­cu­lo 19 hat wegen der Dro­hung Anzei­ge bei den städ­ti­schen Behör­den erstat­tet. Die Orga­ni­sa­ti­on for­dert, dass die Schutz­maß­nah­men, die für Jour­na­lis­ten und Men­schen­rechts­ver­tei­di­ger ein­ge­rich­tet wur­den, auch für Darío Ramí­rez und die Mit­glie­der von Artí­cu­lo 19 Anwen­dung fin­den. Die städ­ti­schen Behör­den haben auf der Grund­la­ge einer Schutz­an­ord­nung der Men­schen­rechts­kom­mis­si­on von Mexi­ko-Stadt (Comi­sión de Derechos Huma­nos del Dis­tri­to Fede­ral) Poli­zei­strei­fen ein­ge­setzt. / Artí­cu­lo 19, der Lei­ter und die Mit­glie­der der Orga­ni­sa­ti­on haben ent­schie­den, ihre Arbeit, die Frei­heit der Mei­nungs­äu­ße­rung in Mexi­ko zu doku­men­tie­ren, zu ver­tei­di­gen und zu för­dern, fort­zu­set­zen. Artí­cu­lo 19 hat vie­le Fäl­le doku­men­tiert, in denen Jour­na­lis­tIn­nen im gan­zen Land ange­grif­fen und/oder bedroht wer­den und in denen die Behör­den kei­ne effek­ti­ven Unter­su­chun­gen durch­ge­führt und somit die Sicher­heit von Jour­na­lis­tIn­nen nicht sicher­ge­stellt haben.” — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 5. Juni 2013 hin­aus, unter »> ai : urgent action

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vögel

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del­ta

~ : oe som
to : louis
sub­ject : VOEGEL
date : april 24 13 2.05 p.m.

Ich hör­te, wie Noe mit Vögeln sprach. Eine Stun­de lang war sei­ne knis­tern­de Stim­me zu ver­neh­men. Er flüs­ter­te: Hal­lo, hier ist Noe, seht ihr mich? Schaut her, was für ein Wun­der!  Aber dann, sobald sich die Vögel von ihm ent­fern­ten, wur­de sei­ne Stim­me laut, sein Aus­druck nach­drück­lich. Er ver­such­te sich bemerk­bar zu machen, als ob er hoff­te, sie wür­den ihn mit sich neh­men. Nie­mand kann sei­ne Stim­me hören, nur wir kön­nen Noes Stim­me hören! Gegen drei Uhr habe ich Tau­cher Noe ange­spro­chen, um ihn fest­zu­hal­ten, um ihn dar­an zu erin­nern, dass wir noch bei ihm sind. Noe, sag­te ich, Noe, hör zu! Ich erwar­te, dass Du mir erzählst, was Du siehst! — Da sind Vögel, ant­wor­te­te Noe, sehr gro­ße Vögel, Vögel, wie ich sie noch nie zuvor gese­hen habe. Wir wol­len davon schwei­gen! — Der Mor­gen kam glück­li­cher­wei­se rasch, Mar­tin mach­te sich unver­züg­lich auf den Weg in die Tie­fe, noch drei oder vier Stun­den und er wird Noe errei­chen. Unser Tau­cher indes­sen war ein­ge­schla­fen. Mehr­fach habe ich ver­sucht, ihn zu wecken. Ich sag­te: Noe, wie geht es Dir? Erzähl mir, was sind das für Vögel, die Du siehst? Kei­ne Ant­wort. Stil­le von der Tie­fe her, nichts als Noes lang­sam schla­gen­des Herz. Gegen den Mit­tag zu ver­merk­te Noe plötz­lich, wir hät­ten ihm schon lan­ge Zeit eine Bril­le ver­spro­chen. Ich mei­ne, fuhr Noe fort, dass ich ein Recht auf eine Bril­le habe, wenn ich schon lese, stun­den­lang aus Büchern lese, die ich weder wähl­te noch wünsch­te. Mei­ne Augen schmer­zen, Ihr soll­tet mich her­auf­ho­len und mir eine Bril­le ver­pas­sen. Das sag­te Noe noch vor weni­gen Minu­ten. Es klang wie eine Dro­hung. — stop. — Mitt­woch, 24. April 2013. Tau­cher Noe seit 781 Tagen unter Was­ser. — stop. Tie­fe 828 Fuß. — stop. Ahoi! Dein OE SOM

gesen­det am
24.04.2013
1852 zeichen

oe som to louis »

polaroidqualle

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elisabeth

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hima­la­ya : 6.10 — Im Win­ter des ver­gan­ge­nen Jah­res, an einem win­dig kal­ten Tag, besuch­te ich in Brook­lyn einen alten Herrn, Mr. Tomaszwes­ka und sei­ne Frau Eli­sa­beth. Sie woh­nen nahe der Clark Street in einem sechs­stö­cki­gen Haus mit Blick auf die Upper Bay von New York. Ich hat­te den alten Mann wäh­rend einer Fahrt auf einem Fähr­schiff zufäl­lig ken­nen­ge­lernt. Er beob­ach­te­te, wie ich Fahr­gäs­te foto­gra­fier­te, die ihre Namen heim­lich in die höl­zer­nen Sitz­bän­ke des Schif­fes ritz­ten. Er sprach mich freund­lich an, woll­te mir einen Schrift­zug zei­gen, den er selbst drei Jahr­zehn­te zuvor an Ort und Stel­le in der glei­chen Wei­se wie die beob­ach­te­ten Pas­sa­gie­re ein­ge­tra­gen hat­te. Stolz war der alte Mann gewe­sen. Wir führ­ten ein kur­zes Gespräch über die New Yor­ker Hafen­be­hör­de, Eisen­bah­nen und Flug­zeu­ge, weiß der Him­mel, wie dar­auf gekom­men waren. Als wir das Schiff ver­lie­ßen, lud Mr. Tomaszwes­ka mich ein, ein­mal zu ihm zu kom­men, dar­um stieg ich nur weni­ge Tage spä­ter in den sechs­ten Stock des schma­len Hau­ses auf den Höhen Brook­lyns. Die Tür zur Woh­nung stand offen, war­me Luft kam mir ent­ge­gen, die nach süßem Teig duf­te­te, nach Zimt und Früch­ten. Die Räu­me hin­ter der Tür waren ver­dun­kelt. Ich hat­te sogleich den Ein­druck, dass ich viel­leicht träum­te oder ver­rückt gewor­den sein könn­te, weil in die­sem Halb­dun­kel an den Wän­den, auch auf dem Boden, Lam­pen, Dioden­lich­ter, glüh­ten. Modell­ei­sen­bahn­zü­ge fuh­ren auf schma­len Gelei­sen her­um. Ich höre noch jetzt das lei­se Pfei­fen einer Dampf­lo­ko­mo­ti­ve, das mei­nen Besuch beglei­te­te. Es war eine rasen­de Zeit, Stun­den des Stau­nens, da in der Woh­nung des alten Herrn eine sehr beson­de­re Modell­an­la­ge gas­tier­te, ja, ich soll­te sagen, dass die Woh­nung selbst zur Anla­ge gehör­te, wie der Him­mel zur wirk­li­chen Welt. Alle Züge fuh­ren auto­ma­tisch von einem Com­pu­ter gesteu­ert, die Luft über den Gelei­sen roch scharf nach Zinn. Wir spra­chen indes­sen nicht viel, Mr. Tomaszwes­ka und ich, son­dern schau­ten dem Leben auf dem Boden in aller Stil­le zu. An einem Fens­ter, des­sen Vor­hän­ge zuge­zo­gen waren, saß Mr. Tomaszweska’s Frau Eli­sa­beth. Sie beach­te­te mich nicht, starr­te viel­mehr lächelnd auf eine klei­ne Klap­pe, die in die Wand des Hau­ses ein­ge­las­sen war. Manch­mal öff­ne­te sich die Klap­pe und ich konn­te für Momen­te das Meer erken­nen, das an die­sem Tag von grün­grau­er Far­be gewe­sen war, wun­der­ba­re Augen­bli­cke, denn immer dann, wenn das Meer in dem klei­nen Fens­ter erschien, lach­te die alte Frau mit glo­cken­hel­ler Stim­me auf, um kurz dar­auf wie­der zu erstar­ren. Ein­mal setz­te sich Mr. Tomaszwes­ka neben sei­ne Frau und füt­ter­te sie mit war­mem Oran­gen­ku­chen, den er selbst geba­cken hat­te. Und wie wir uns wie­der auf den Boden setz­ten, um ein Modell des Ori­ent­ex­press durch die Zim­mer der Woh­nung krei­sen zu sehen, erzählt der alte Mann, dass sie gemein­sam hier oben sehr glück­lich sei­en. Er kön­ne mit sei­ner Frau zwar nicht mehr spre­chen, er kön­ne sie nur noch strei­cheln, was sie irgend­wie ver­ste­hen wür­de oder sich erin­nern an die Spra­che sei­ner Hän­de. Ver­stehst Du, sag­te er, sie ver­gisst immer sofort, alles ver­gisst sie, auch wer ich bin, aber sie ver­gisst nie­mals nach den klei­nen Engeln zu sehen, die uns besu­chen, sie kom­men dort durch die Klap­pe, siehst Du, schau genau hin, es ist schon ein Wun­der, sag­te der alte Mann, wie schön sie lacht, mein jun­ges Mäd­chen, nicht wahr, mein jun­ges Mäd­chen. — stop

polaroidstrandburg

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aleppo

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char­lie : 20.05 — Als Kind konn­te ich an Geräu­schen der Luft unter­schei­den, ob ich einer sin­gen­den Amsel lausch­te oder einer Mei­se, einer Ler­che, einem Rot­kehl­chen. Ich hör­te nun, die Kin­der von Alep­po sol­len in der Lage sein, sehr genau zu unter­schei­den, um wel­che Art Muni­ti­on es sich han­delt, die nachts ihre Bet­ten erschüt­tert, wel­che Flug­zeug­gat­tun­gen sich am Him­mel befin­den, das Kali­ber deto­nie­ren­der Gra­na­ten zu erra­ten. — stop

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zwergseerosen

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sier­ra : 6.38 — Vor Kur­zem noch habe ich nicht gewusst, dass Lam­pen­me­du­sen bevor­zugt Zwerg­see­ro­sen zu sich neh­men. Eigent­lich müss­te ich sagen, dass Lam­pen­me­du­sen ihrer Auf­ga­be der Lich­ter­zeu­gung nur dann nach­zu­kom­men in der Lage sind, wenn sie eini­ge Gramm einer bestimm­ten Zwerg­see­ro­sen­gat­tung auf­ge­nom­men haben. Die­se Zwerg­see­ro­sen nun sind wun­der­ba­re Wesen, die man mit blo­ßem mensch­li­chem Auge nicht wahr­zu­neh­men ver­mag. Sobald sie aber häu­fig sind, also gehäuft, sagen wir zehn­tau­send Zwerg­see­ro­sen in nächs­ter Nähe zuein­an­der, sehen wir eine röt­li­che Wol­ke, die sich in der Form einer fla­chen Lin­se sehr wohl­zu­füh­len scheint. Unter einem Mikro­skop betrach­tet sind an jeder Zwerg­see­ro­se wun­der­vol­le Blü­ten von roter Far­be zu erken­nen, die sich lang­sam um die eige­ne Ach­se dre­hen, wes­we­gen Zwerg­see­ro­sen durch das Was­ser wan­dern­de Geschöp­fe sind, schwe­ben­de, oder genau­er, tau­chen­de Blu­men. Sie sol­len zart nach Hum­mer­fleisch schme­cken, jedoch nicht genieß­bar sein, weil auch dann, wenn Men­schen sie ver­kos­ten, eben jene Men­schen in der Art der Lam­pen­me­du­sen zu leuch­ten begin­nen, ihre Haut und ihre Haa­re, dann fal­len sie um und hören auf zu atmen. Einer, der das nicht glau­ben woll­te, wur­de ges­tern auf hoher See bestat­tet. Ein selt­sa­mer Anblick, wie man berich­tet, ein blau­es Leuch­ten mit Armen, Bei­nen und einem Kopf, das lang­sam in der Tie­fe ver­schwand. — Es ist schon weit nach Mit­ter­nacht, also Nach­mit­tag gewor­den. Ich spa­zie­re lei­se durch mei­ne Woh­nung, weil ich nie­man­den wecken möch­te. Unter mir schla­fen Men­schen. Das ist immer wie­der eine selt­sa­me Vor­stel­lung, dass sie sehr nah sind, nur durch etwas Holz und Bast und Stein von mir getrennt. Man kann in die­ser Wei­se Jah­re woh­nen, ohne zu wis­sen, wen genau man atmen oder spa­zie­ren hört. Einer der Men­schen unter mir, scheint im Schlaf zu spre­chen. Wenn er zu spre­chen beginnt, höre ich das Geräusch einer Tür, dann hört er auf zu spre­chen. Für eine Wei­le ist es still. Es gibt viel zu erzäh­len im Schlaf. — stop

polaroidblumen

 



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