delta : 0.18 — Ich bat einen Freund, eine Geschichte zu erzählen vom Glück, als er noch ein Kind gewesen war. Er musste nicht lange überlegen. Er sagte, dass er abends, sobald das Licht in seinem Zimmer ausgeschaltet wurde, heimlich in seinen Büchern gelesen habe. Zu diesem Zweck hatte er eine Taschenlampe unter seinem Kopfkissen versteckt. Er las immer im Sitzen, die Beine verschränkt, Jules Vernes zum Beispiel. Aufregend, nicht nur die Bücher, sondern das verbotene Lesen zur Nachtzeit selbst. Während mein Freund von seinem Glück berichtete, erinnerte er sich, wie sein Bruder, der in demselben Zimmer geschlafen hatte, ihm einmal erzählte, er, der Ältere der beiden, habe zur Sommerzeit wie ein leuchtender Berg ausgesehen, der sich manchmal bewegte. Hin und wieder flackerte das Licht, weil die Kraft der Batterien in der kleinen Lampe zur Neige ging. Man musste dann immer ein wenig warten, bis sich die Batterien wieder erholten. Oft war er in dieser Zeit des Wartens noch im Sitzen eingeschlafen. — stop
Aus der Wörtersammlung: lampe
lampedusa
echo : 22.01 — Das Wort Lampedusa in meinem Gehirn, sobald ich das Wort Lampedusa denke. Wie viel Gramm? — stop
innenohrmuscheln
echo : 6.22 — Ludwig, der mich gestern Abend besuchte, hatte einen kleinen Rausch mitgebracht, an dem wollte er weiter voran arbeiten. Er hatte darum eine Flasche billigen Cognacs in eine Papiertüte gesteckt, um sie den Abend über an seinem Bauch zu wärmen. Wenn er ab und zu einen Schluck aus der Flasche nahm, machte er seine Augen zu Schlitzen, er konnte dann nicht mehr sehen, obwohl er eigentlich nichts schmecken wollte. Es war ein lustiger Abend, einmal schlief Ludwig ein im Bad, ich weckte ihn und führte ihn zurück in die Küche. Das war gegen 22 Uhr gewesen. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt keine Beweise dafür finden, dass Ludwig mir noch immer zuhörte oder mich überhaupt noch hören konnte. Aber sich selbst schien er noch wahrnehmen zu können. Wörter entgleisten, die Sätze, die seine Geschichten erzählten, waren jedoch mittels Kombination verständlich. Um kurz vor Mitternacht berichtete Ludwig von einer Frau, die er einmal liebte. Sie wohnte lange Zeit in Lissabon, was sie dort machte, wovon sie lebte, wusste Ludwig nicht zu berichten, aber dass sie über besondere Ohren verfügte. In ihren Ohrmuscheln links und rechts sollen sich weitere kleine Ohrmuscheln befinden, exakt in derselben Form angelegt, nur eben kleiner. Aber nicht genug damit, wenn man mit einer Taschenlampe in die Innenohrmuscheln der Frau leuchtete, waren ein weiteres Paar noch kleinerer Ohrmuscheln zu entdecken. Das war eine seltene anatomische Erscheinung. Als ich wissen wollte, wie sich Ludwig implizierte Muschelformationen erklärte, war der verliebte Mann bereits eingeschlafen. Er saß vor meinem Küchentisch, die Flasche war geleert, der Kopf auf seine schmale Brust gesunken, so schlief er, ohne vom Stuhl zu fallen. Als ich am frühen Morgen die Küche betrat, saß er noch immer in dieser Haltung am Tisch. Beinahe hätte ich ihn für ein Kunstwerk gehalten, für eine bekleidete Gipsfigur: Trinkender Freund. Aber Ludwig atmete. Der Atem war flach. Es war ein Atem, der gerade noch zum Leben reichte. Ich musste Ludwig wecken, ich musste ihn wecken, um nicht schuldig zu werden. – Guten Morgen. Es ist Montag. — stop
batavia
ginkgo : 22.16 — Ich bin nahe daran, mich an die Existenz der Schnecke Esmeralda zu gewöhnen, die am 20. Oktober in der Gestalt eines Geschenks zu mir gekommen war. Es ist so, dass ich nun behutsam durch meine Wohnung laufe, auch niemals im Dunkeln, Esmeralda könnte vielleicht gerade über den Boden wandern. Alle Türen stehen offen, manchmal muss ich längere Zeit nach der kleinen Schnecke suchen. Heute Morgen saß sie an der Decke meines Arbeitszimmers, das war zum ersten Mal, ich entdeckte sie nach einer Stunde, ich hatte sogar hinter den Kühlschrank geschaut, einen Tisch, drei Lampen, Stühle und zwei Kommoden verrückt. Eine Schnecke, mit einem Schneckenhaus auf dem Rücken, erscheint als äußerst zerbrechliches Wesen, gerade dann, wenn sie über einem Abgrund wandelt. Eine halbe Stunde begleitete ich Esmeralda auf ihrem Weg von Ost nach West. Ich hörte, wie ich mit ihr sprach. Esmeralda, sagte ich, Esmeralda! Hielt indessen einen Hut in der Hand, um Esmeralda im Notfall auffangen zu können. Gegen den Abend zu, sie hatte eine Weile in einem Meter Höhe an der Wand neben meinen Büchern ausgeruht, erreichte sie den Boden, kroch von West nach Ost quer durch mein Zimmer, um an der gegenüberliegenden Wand wieder zur Decke hin aufzusteigen. Ich lockte mit einem Stückchen Apfel, vergeblich. Ich zog Esmeralda an ihrem Häuschen von der Wand, setzte sie in der Küche neben einem Blatt Bataviasalates ab, auch das war nicht erfolgreich gewesen. Esmeralda wendete unverzüglich, kletterte vom Tisch, um am späten Abend genau jenen Ort wieder zu erreichen, den sie zuvor eingenommen hatte. Nach wie vor wundere ich mich darüber, dass Esmeralda ihr Gehäuse wie ein Schmuckstück auf dem Rücken zu tragen pflegt. Ich habe noch nie wahrgenommen, dass sie sich in ihr Häuschen zurückgezogen hätte. Ihr Körper ist feucht, ihre Stielaugen sinken manchmal zu Boden, das ist der Moment, da sie zu schlafen scheint. — stop
lumen
echo : 2.15 — Von winzigen Lampen wird berichtet, die entwickelt worden sein sollen, um in lebende Körper eingesetzt zu werden, von Lichtstäbchen präzise, deren Batterien aus der Ferne geladen werden. Sie verfügen über Schalter, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Diese Schalter nun werden magnetisch bewirkt. Ich stellte mir vor, ich würde 500 dieser kleinen Lampen unter der Haut meiner Hände tragen, wundervoll könnte ich leuchten, wann immer ich wollte. Ja, ich sollte bald mit meinen Händen beginnen, zunächst einen einzelnen Lichtfinger versuchen, probieren, ob es schmerzt, dann weitere Beleuchtung, Finger um Finger, die Rücken meiner Hände mit Licht besetzen, Arme, Schultern, Hals. — stop
unter wasser
delta : 22.58 — Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn ich durch meine Wohnung tauchen könnte. Machte mich unverzüglich an die Arbeit. Zunächst stieg das Wasser in den Zimmern. Es kam nicht von oben, sondern von unten, das Wasser kam wie ein Gast durch die Wohnungstür herein, die geschlossen war, aber nicht wirklich dicht. Es stieg schnell, viel zu schnell, um meine Bücher noch in Sicherheit bringen zu können. Saß auf einem Stuhl in der Küche, die Füße auf dem Boden, als das Wasser, bernsteinfarben und warm, eine Steckdose erreichte. Ich erwartete, von einem Wandblitz getroffen zu werden, ein Irrtum. Stattdessen begann ich zu leuchten, zunächst leuchtete ich mit den Händen, dann leuchteten meine Arme. In dem Moment, da das Wasser meinen Mund erreichte, holte ich tief Luft und tauchte los. Eine Banane schwebte vorüber wie ein Fisch, Papiere und Zeitungen und zwei heftig zappelnde Mäuse, von deren Existenz ich nichts ahnte. Die Schreibmaschine auf dem Tisch funktionierte noch, wie alle Lampen in der Wohnung. Und so schwebe ich nun also gerade kopfüber und schreibe. Schöne Geräusche sind zu hören, es knistert, vielleicht bin ich das selbst. Später Abend. — stop
linie 16
romeo : 4.15 — Mit der ersten Fahrt der Straßenbahn morgens kommt der Tag in die Nacht, Vögel steigen aus, hocken sich in Bäume und singen, während Fliegen und Falter aus meiner Wohnung flüchten, um einzusteigen und schnell auf und davonzufahren. Ich sollte einmal morgens auf die Straße treten und zur Haltestelle gehen. Wenn nun die erste Fahrt der Linie 16 eintreffen wird, der Fahrer von Nachtfaltern bedeckt, Sitze und Lampen und auch die Arbeiter und Arbeiterinnen der Frühschicht. Dichte, bittere, staubige Luft, ein sonores Summen tausender Flügel. Kleine, harte Käferkörper, Verirrte, stürmen durch den weichen, fliegenden Falterwald. Abends kommt man dann wieder zurück, steigt aus mit der letzten Fahrt, hellgraue Geister. Ende August. In Syrien, nahe Damaskus, sollen mehr als 1000 Menschen durch Giftgas getötet worden sein. — stop
lufteis
ulysses : 0.22 — Ob es geheimdienstlichen Analysemaschinen möglich ist, zwischen fiktionalen Texten und nicht fiktionalen Texten zu unterscheiden? — Weiterhin Wärme in den Zimmern. Kaum Fliegen, vielleicht weil es draußen schön kühl ist. Gewitterduft, würzig nach Moos und Fröschen. Ich erinnere mich in diesem Moment vor einigen Jahren einen besonderen Kühlschrank in Empfang genommen zu haben, einen Behälter von enormer Größe. Ich wiederhole, dass dieser Kühlschrank, in welchem ich plane im Sommer wie auch im Winter kostbare Eisbücher zu studieren, eigentlich ein Zimmer für sich darstellt, ein gekühltes Zimmer, das wiederum in einem hölzernen Zimmer sitzt, das sich selbst in einem größeren Stadthaus befindet. Nicht dass ich in der Lage wäre, in meinem Kühlschrankzimmer auf und ab zu gehen, aber es ist groß genug, um einen Stuhl in ihm unterzubringen und eine Lampe und ein kleines Regal, in dem ich je zwei oder drei meiner Eisbücher ausstellen werde. Dort, in nächster Nähe zu Stuhl und Regal, habe ich einen weiteren kleineren, äußerst kalten, einen sehr gut isolierten Kühlschrank aufgestellt, einen Kühlschrank im Kühlschrank sozusagen, der von einem Notstromaggregat mit Energie versorgt werden könnte, damit ich in den Momenten eines Stromausfalles ausreichend Zeit haben würde, jedes einzelne meiner Eisbücher in Sicherheit zu bringen. Es ist nämlich eine unerträgliche Vorstellung, jene Vorstellung warmer Luft, wie sie meine Bücher berührt, wie sie nach und nach vor meinen Augen zu schmelzen beginnen, all die zarten Seiten von Eis, ihre Zeichen, ihre Geschichten. Seit ich denken kann, wollte ich Eisbücher besitzen, Eisbücher lesen, schimmernde, kühle, uralte Bücher, die knistern, sobald sie aus ihrem Schneeschuber gleiten. Wie man sie für Sekunden liebevoll betrachtet, ihre polare Dichte bewundert, wie man sie dreht und wendet, wie man einen scheuen Blick auf die Texturen ihrer Gaszeichen wirft. Bald sitzt man in einer U‑Bahn, den leise summenden Eisbuchreisekoffer auf dem Schoß, man sieht sich um, man bemerkt die begeisterten Blicke der Fahrgäste, wie sie flüstern: Seht, dort ist einer, der ein Eisbuch besitzt! Schaut, dieser glückliche Mensch, gleich wird er lesen in seinem Buch. Was dort wohl hineingeschrieben sein mag? Man sollte sich fürchten, man wird seinen Eisbuchreisekoffer vielleicht etwas fester umarmen und man wird mit einem wilden, mit einem entschlossenen Blick, ein gieriges Auge, nach dem anderen gegen den Boden zwingen, solange man nicht angekommen ist in den frostigen Zimmern und Hallen der Eismagazine, wo man sich auf Eisstühlen vor Eistische setzen kann. Hier endlich ist Zeit, unter dem Pelz wird nicht gefroren, hier sitzt man mit weiteren Eisbuchbesitzern vertraut. Man erzählt sich die neuesten arktischen Tiefseeeisgeschichten, auch jene verlorenen Geschichten, die aus purer Unachtsamkeit im Laufe eines Tages, einer Woche zu Wasser geworden sind: Haben sie schon gehört? Nein! Haben sie nicht? Und doch ist keine Zeit für alle diese Dinge. Es ist immer die erste Seite, die zu öffnen, man fürchtet, sie könnte zerbrechen. Aber dann kommt man schnell voran. Man liest von unerhörten Gestalten, und könnte doch niemals sagen, von wem nur diese feine Lufteisschrift erfunden worden ist. — stop
sieben punkte
himalaya : 5.06 — Draußen, vor wenigen Stunden noch, rauschte Wasser vom Himmel. Aber jetzt ist es still. Es ist eine tatsächlich nahezu geräuschlose Nacht. Die letzte Straßenbahn ist längst abgefahren, kein Wind, deshalb auch die Bäume still und die Vögel, alle Menschen im Haus unter mir scheinen zu schlafen. Für einen Moment dachte ich, dass ich vielleicht wieder einmal mein Gehör verloren haben könnte, ich sagte zur Sicherheit ein Wort, das ich gestern entdeckte: Kaprunbiber. Das Wort war gut zu hören gewesen, meine Stimme klang wie immer. Aber auf dem Fensterbrett hockt jetzt ein Marienkäfer, einer mit gelbem Panzer, sieben Punkte, ich habe nicht bemerkt, wie er ins Zimmer geflogen war. Es ist nicht der erste Käfer dieses Jahres, aber einer, den ich mit ganz anderen Augen betrachte. Ich hatte für eine Sekunde die Idee, dieser Käfer könnte vielleicht ein künstlicher Käfer sein, einer, der mich mit dem Vorsatz besuchte, Fotografien meiner Wohnung aufzunehmen, oder Gespräche, die ich mit mir selbst führe, während ich arbeite. Warum nicht auch ich, dachte ich, ein Ziel. Ich nahm den Käfer, der seine Gehwerkzeuge unverzüglich eng an seinen Körper legte, in meine Hände und transportierte ihn in die Küche, wo ich ihn in das grelle Licht einer Tischlampe legte. Wie ich ihn betrachtete, bemerkte ich zunächst, dass ich nicht erkennen konnte, ob der Käfer in der künstlichen Helligkeit seine Augen geschlossen hatte. Weder Herzschlag noch Atmung war zu erkennen, auch nicht unter einer Lupe, nicht die geringste Bewegung, aber ich fühlte mich von dem Käfer selbst beobachtet. Also drehte ich den Käfer auf den Rücken und suchte nach einem Zugang, nach einem Schräubchen da oder dort, einer Kerbe, in welche ich ein Messerwerkzeug einführen könnte, um den Panzer vom Käfer zu heben. Man stelle sich einmal vor, ein sehr kleiner Motor wäre dort zu finden, Mikrofone, Sender, Linsen, es wäre eine ungeheure Entdeckung. Gegenwärtig zögere ich noch, den ersten Schnitt zu setzten, es regnet wieder, jawohl, ich werde am besten zunächst noch ein wenig den Regen beobachten, es ist kurz nach drei. – stop
handtasche rot
sierra : 6.35 — Im Haus, in dem ich manchmal wohne, existierte vor langer Zeit eine alte Frau. Sie war so alt geworden, dass sie von Nächten erzählen konnte, die sie im Keller desselben Hauses verbracht hatte, weil Bomben vom Himmel fielen. Damals, als der Krieg endete, muss sie eine junge Frau gewesen sein, sie heiratete, gebar fünf Kinder, wurde geschieden. Ihr Mann und ihre Kinder waren längst gestorben, bis auf einen Sohn, der in ihrem Leben zuletzt kaum noch eine Rolle spielte, ihr einziger Enkel hatte sie ausgeraubt, sie war eine wirkliche einsame Person. Jedes Jahr zu Silvester stellte sie kleine Marmorkuchen vor die Wohnungstüren ihrer Nachbarn wie zur Erinnerung, dass sie noch lebte. Ich erinnere mich gut, der Kuchen schmeckte nach Nelken. Wenige Monate vor ihrem Tod kaufte sie noch drei Katzen und verursachte einen Wasserschaden. Von diesem Zeitpunkt an wurde offen über ihren Geisteszustand gesprochen, man fürchtete, mit der alten Frau in die Luft zu fliegen, weil sie mit Gas kochte und mit Kohlen heizte. Noch heute scheint der Keller nach der alten Frau zu riechen, nach Öl und nach Eierbriketts. Gestern nun habe ich mich wieder einmal an die alte Frau erinnert. Ich war bei einem jungen Mann eingeladen, in dessen Wohnzimmer auf einem Gestell von Holz eine schwere Stahltür ruhte. Diese Tür hatte sich bis vor Kurzem noch im Keller aufgehalten. Es war die Tür zum Luftschutzbunker. In der Mitte der Tür befand sich ein Spion von gepanzertem Glas, ein winziges Auge, durch das die Frau, von der ich erzählte, als Mädchen noch gesehen haben könnte. Immer wieder an diesem Abend betrachtete ich jenes seltsame Auge in der Tür, das gegen die Zimmerdecke schaute. – Samstag, kurz nach 3 Uhr. Es regnet, die Luft ist hell vom Wasser. Gerade eben habe ich nach einem Text gesucht, den ich notierte an dem Tag als die alte Frau gestorben war. Der Text ging so: Die alte Frau mit der roten Handtasche ist tot. Während des Tages irgendwann muss sie im Hospital gestorben sein. Jetzt, es ist ohne sie wieder Abend geworden, verlässt ihr Fernsehgerät das Haus. Ein Hin und Her auf der Straße, noch nie gesehene, tief fliegende Vögel. Im Haus, vom Flur her, Kampfgeräusche, auch zartes Gezeter, Verwünschungen, Empfehlungen, heisere Stimmen. Der Sohn ist da und der Sohn des Sohnes, betrunken steht der blutjunge Geier auf der Straße herum und regelt den Verkehr. Wohnungsauflösung. Nun, zu vorgerückter Stunde, hat sich mir das Wort erschlossen. Ein Prozess der Entropie, der Verwertung, des Verschwindens. Ich sehe die Verschwundene, eine 89-jährige Frau in bunter Kleidung, Stehlampe in der Hand, das Haus verlassen. Unlängst noch war sie unterwegs gewesen. Sie hatte bereits den Gang der Hochseematrosen. Manchmal rastete sie im Schatten der Bäume. Sie ging spazieren, als melde sie sich an, Tag für Tag, und zurück. Niemand weiß genau wie lange sie in der Gegend, diesem Haus, dieser Wohnung lebte, sie war schon da als Bomben fielen, und noch immer, bis gestern, stolz, einsam und zu langsam für die rasende Stadt. Jawohl, sie war stolz gewesen, ließ sich nicht helfen, niemand durfte ihr Milch oder den Sand für ihre Tiere durch das Treppenhaus in die Wohnung tragen. Manchmal heulte das Fernsehgerät durch die Wand. Jetzt ist es vorbei, jetzt werden Monteure und Maler kommen. Es ist vorbei, auch für die Katzen. — stop