Aus der Wörtersammlung: not

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von herzohren schmeckknospen schwefel

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nord­pol : 2.28 — In der ver­gan­ge­nen Nacht das Wesen der Schmeck­knos­pen stu­diert, außer­dem eine ana­to­mi­sche Geschich­te, die sich mit dem Wort Schmeck­knos­pen ver­bin­det. Der Him­mel blitz­te ohne Don­ner, kaum Regen. Ich atme­te mit Vor­sicht, die Luft duf­te­te nach Schwe­fel. Wäh­rend ich las, bemerk­te ich, dass ich auch im Lesen sehr lang­sam gewor­den bin. Manch­mal lese ich so lang­sam, dass ich nicht Satz für Satz, son­dern Wort für Wort vor­wärts lese, jedes Wort, sagen wir, wahr­neh­me, wie es ist. Wäh­rend ich ins­ge­samt lang­sa­mer wer­de, schei­nen vie­le Men­schen um mich her schnel­ler zu wer­den, sie lesen immer schnel­ler, und sie lie­ben immer schnel­ler, und sie schrei­ben immer schnel­ler, und ihre Schu­he fal­len ihnen vom rasen­den Gehen immer schnel­ler von den Füßen. Und Ihre Woh­nun­gen wech­seln Stadt­men­schen so rasant wie frü­her ande­re Per­so­nen ihre Zim­mer in Hotels. Ich kann nicht sagen, ob ich nicht viel­leicht schon viel zu lang­sam gewor­den bin für das moder­ne Leben. Sicher ist, ich spre­che noch immer viel zu schnell, auch für sehr schnel­le Men­schen spre­che ich viel zu schnell. Wenn ich Herz­oh­ren sehr schnell erzäh­le, fällt nie­man­dem auf, dass ich von Herz­oh­ren erzähl­te, man glaubt, ich erzähl­te von Her­zen und ande­rer­seits von Ohren. Ein­mal wan­der­te ich sehr lang­sam von einem Zim­mer in ein ande­res. Ich beob­ach­te­te mit gro­ßer Freu­de, dass ich in mei­ner Haut alles das, was not­wen­dig für das Leben sein wür­de, von dem einen Zim­mer, in dem ich aus dem Fens­ter geschaut hat­te, in das ande­re Zim­mer, in dem ich ein wei­te­res Buch lesen woll­te, mit mir genom­men hat­te, nichts blieb zurück. — stop

polaroidstrandszene

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mailand

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ulys­ses : 6.56 — Die fol­gen­de Nach­richt ist selbst­ver­ständ­lich Wort für Wort erfun­den. Auch Satz­zei­chen, die in der erfun­de­nen Nach­richt ent­hal­ten sein wer­den, sind ver­mut­lich nicht authen­tisch. Wenn Sie also von erfun­de­nen Nach­rich­ten nichts hal­ten, soll­ten Sie nicht wei­ter­le­sen. Hier beginnt es sofort, bereits der nächs­te Satz wird erfun­den sein, die gan­ze Geschich­te, die sich im geschäf­ti­gen Mai­land gegen­wär­tig in der Sta­zio­ne Cen­tra­le ereig­net. Zwei­hun­dert sehr beson­de­re Zwerg­baumm­äu­se sol­len auf einem Labor­trans­port befind­lich aus dem Besitz der städ­ti­schen Uni­ver­si­tät ent­kom­men sein. Wenn ich das spe­zi­el­le Ver­mö­gen die­ser flüch­ti­gen Mäu­se beschrei­ben woll­te, müss­te ich sie zunächst als fun­ken­de Zwerg­baumm­äu­se oder schlicht als Funk­baumm­äu­se bezeich­nen. Sie fun­ken tat­säch­lich, sind, prä­zi­se for­mu­liert, in der Lage, mit­tels einer tech­ni­schen Erwei­te­rung ihres Gehirns, Not­ruf­zen­tra­len von Poli­zei und Ambu­lanz anzu­wäh­len. Das machen sie gern, ohne jedoch mit einer der ange­wähl­ten Stel­len je zu kom­mu­ni­zie­ren. Sie schwei­gen statt­des­sen oder piep­sen voll­stän­dig unhör­bar. Ver­mut­lich haben sie von ihren Tele­fon­an­ru­fen per­sön­lich kei­ne Kennt­nis, immer dann, wenn sie rechts­her­um im Krei­se tan­zen, sen­den sie ihren Code, weil sie nicht anders kön­nen. Man möch­te sie nun gern zum Schwei­gen brin­gen, man rück­te ihnen mit süßen Gif­ten, die sie nicht zu sich nah­men, und Blas­roh­ren zu Lei­be. Umsonst. Jetzt war­tet man dar­auf, dass sie bald alt wer­den und ster­ben, viel­leicht in einem Monat schon wer­den sie aus­rei­chend alt gewor­den sein, nie­mand weiß das genau zu sagen. Noch immer sind sie schnell, ihr Fell ist sei­dig, es schim­mert röt­lich, und ihre Augen sind von einem vor­neh­men Blau, sie fun­keln, manch­mal leuch­ten sie rot. Auf den Köp­fen der Zwerg­baumm­äu­se wach­sen wie­der Haa­re, die noch sei­di­ger sind als die Haa­re ihres Bau­ches oder ihres Rückens. Die Stirn krönt eine Aus­buch­tung, nicht grö­ßer als eine Steck­na­del. Wenn man sie so sieht, möch­te man sie gern in die Hand neh­men und behut­sam schüt­teln. — stop

ping

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von stäbchen von rädchen

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del­ta : 6.12 — Im Traum hat­te ich an einer Appa­ra­tur gear­bei­tet, mit deren Hil­fe ich bald in der Lage sein wer­de, hand­schrift­li­che Noti­zen der­art zu ver­klei­nern, dass ich Papie­re von der Grö­ße einer Brief­mar­ke beschrei­ben könn­te, sagen wir, eine Erzäh­lung von 85 Sei­ten à 1800 Zei­chen auf einer Luft­post­mar­ke Finn­lands zu 80 Cent. Ich könn­te in die­ser Arbeit der Ver­klei­ne­rung oder Ver­dich­tung auf eine Lupe ver­zich­ten, wür­de auf übli­chen Papie­ren notie­ren, wäh­rend mit­tels mecha­ni­scher Über­tra­gung, fast geräusch­los von hun­der­ten Stäb­chen zu hun­der­ten Räd­chen, Zei­chen für Zei­chen in mikro­sko­pi­sche Dimen­sio­nen tran­skri­biert wer­den wür­de. Eine Biblio­thek könn­te in weni­gen Jah­ren mit mir in einem Brief­mar­ken­al­bum rei­sen, eine Biblio­thek, deren Mikro­gramm­bü­cher selbst­ver­ständ­lich nicht les­bar wären, ohne sie unter ein Mikro­skop zu legen, eine Biblio­thek jedoch, die mich glück­lich stim­men wür­de, ich wüss­te, dass sie exis­tiert und mit ihr die Mög­lich­keit des Lesens all der ver­steck­ten Geschich­ten, die im Moment des erin­nern­den Gedan­kens, schon wie­der so groß gewor­den sind, wie sie immer waren. — stop
ping

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kollibry

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echo : 5.55 — Im ver­gan­ge­nen Novem­ber ver­leg­te ich eine Nach­richt, die mir per E‑Mail zuge­stellt wor­den war. Ver­mut­lich hat­te ich ihre Exis­tenz bereits nach weni­gen Stun­den ver­ges­sen, sodass ihr Sen­der ver­geb­lich auf eine Ant­wort war­te­te. Heu­te Nacht habe ich sie glück­li­cher­wei­se wie­der ent­deckt. Es war damals etwas Bedeu­ten­des gesche­hen. L. hat­te ein Note­book geschenkt bekom­men, das ers­te Note­book sei­nes Lebens. Es war kein neu­es, es war ein gebrauch­tes Gerät, aber noch in einem guten Zustand, kaum ein Krat­zer am sil­ber­grau­en Gehäu­se, sei­ne Tas­ten funk­tio­nier­ten tadel­los, und die Pro­gram­me des Betriebs­sys­tems waren her­vor­ra­gend sor­tiert. Ein erns­tes Pro­blem stell­te aller­dings eine Buch­sta­ben­ma­schi­ne dar, prä­zi­se die Kor­rek­tur­rou­ti­ne eines Text­ver­ar­bei­tungs­pro­gramms, wel­ches vom Vor­be­sit­zer des Note­books jah­re­lang inten­siv ver­wen­det wor­den sein muss­te. Das klei­ne Zusatz­pro­gramm konn­te nicht aus­ge­schalt wer­den, was ange­nehm gewe­sen wäre. Zahl­rei­che feh­ler­haf­te Wör­ter waren in sei­ne tie­fen Spei­cher gewan­dert, und so web­te das Pro­gramm, wäh­rend L. mit sei­ner Hil­fe notier­te, Vor­schlä­ge in gera­de eben ent­ste­hen­de Tex­te, bei­spiels­wei­se anstatt des Wor­tes Koli­bri das Wort Kol­li­bry, was schließ­lich zu äußerst erstaun­li­chen Befun­den führ­te. L. glaub­te bald, sehr ernst­haft krank gewor­den zu sein. Er bat mich um Unter­stüt­zung, er wol­le den Spei­cher der Wort­miss­bil­dun­gen unver­züg­lich aus­ra­die­ren. – Es ist kurz vor drei Uhr. Ver­mut­lich kom­me ich mit mei­nen Hin­wei­sen viel zu spät, das ist denk­bar, sogar wahr­schein­lich, dass ich viel zu spät sein wer­de. Machen wir uns trotz­dem sofort auf die Suche nach einer Lösung. Gewit­ter­stim­mung vor den Fens­tern, Flie­gen, Blit­ze, aber kein Don­ner, viel­leicht eine Art Wet­ter­leuch­ten, gran­dio­se, aus dem Him­mel stür­zen­de Bäu­me von Licht. – stop

polaroidglobus

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nachtjäger

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ulys­ses : 3.55 — Ich bemerk­te wie­der ein­mal, dass ich bei­de Arme hebe, also von mir abwen­de, also Flü­gel mache, sobald ich durch die Woh­nung lau­fe und dar­über nach­den­ke, wie es wäre, ohne jedes Gewicht zu sein. Das war gegen drei Uhr in der Nacht gewe­sen. Ich spiel­te sehr lei­se etwas von Gene Krupa auf dem Radio. In dem Moment, da ich die Küche ver­ließ und über den Flur spa­zier­te, über­hol­te mich eine Flie­ge. Sie flog in der Höhe mei­ner Schul­tern, und zwar sehr lang­sam gera­de­aus. Sie war nicht viel schnel­ler als ich selbst gewe­sen. Ich hat­te den Ein­druck, sie wür­de mir fol­gen, sie wür­de mit mir das Zim­mer wech­seln, nicht einem Reflex fol­gend, son­dern über­legt und mit Genuss. Sie war so lang­sam, dass man sie auf einer Foto­gra­fie mei­ner Zim­mer­wan­de­rung gut hät­te erken­nen kön­nen. In die­sen Minu­ten sitzt die Flie­ge direkt über mir an der Decke, wäh­rend ich auf dem Sofa auf dem Rücken lie­ge und notie­re. Die Flie­ge beob­ach­tet mich viel­leicht genau­so, wie ich sie beob­ach­te. Von Wes­ten her nähert sich eine Spin­ne da oben, die so klein ist, dass wir sie nicht ernst neh­men wol­len. Bald Däm­me­rung. — stop
ping

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frau blum

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del­ta : 5.08 — In der Biblio­thek ent­deck­te ich vor eini­ger Zeit einen Zet­tel. Der Zet­tel steck­te in einem Buch, das ich ent­lie­hen hat­te, um nach einer Geschich­te zu suchen, die ich viel­leicht schon ein­mal gele­sen haben könn­te vor vie­len Jah­ren. Es war eine Geschich­te, die von einem Gespräch erzählt, wel­ches Frau Blum mit ihrem Milch­mann führ­te, in dem sie dem Milch­mann Bot­schaf­ten sen­de­te, ein Ver­hal­ten, das not­wen­dig gewe­sen war, weil Frau Blum übli­cher­wei­se schlief, wenn der Milch­mann früh­mor­gens das Haus besuch­te, in dem sie wohn­te. Die­se Geschich­te, ein wun­der­ba­res Stück, hat Peter Bich­sel geschrie­ben, eine gan­ze Welt scheint in ihr ent­hal­ten zu sein, obwohl sie so kurz ist, drei Sei­ten, dass man sie von einer Sta­ti­on zur nächs­ten Sta­ti­on in einer Stra­ßen­bahn rei­send Wort für Wort zu Ende lesen könn­te. Ich erin­ne­re mich, das Buch lag weich in mei­ner Hand, es war etwas schmut­zig, zer­le­sen, auf sei­ner Rück­sei­te waren eini­ge dut­zend Stem­pel­auf­trä­ge zu fin­den, so wie man das frü­her noch mach­te, Bücher mit Rück­ga­be­ter­mi­nen zu ver­se­hen, so dass jeder sehen konn­te, wie oft das Buch bereits gele­sen wor­den war. Die­ses Buch, von dem ich gera­de erzäh­le, war seit über zwan­zig Jah­ren nicht mehr aus­ge­lie­hen wor­den. Ich stell­te mir vor, dass das Bänd­chen viel­leicht hin­ter eine der Bücher­rei­hen gerutscht sein könn­te, wes­we­gen es lan­ge Zeit nicht gefun­den wer­den konn­te. Ver­mut­lich war das Buch längst ver­lo­ren gemel­det, so dass ich ein Buch­ex­em­plar in Hän­den hielt, das in den Ver­zeich­nis­sen der Biblio­thek nicht län­ger exis­tier­te. Ander­seits scheint es mög­lich zu sein, dass das Buch ver­steckt wor­den sein könn­te. Viel­leicht war es von genau jener Per­son ver­steckt wor­den, die den Zet­tel in das Buch gelegt hat­te, eine Per­son, die mög­li­cher­wei­se bereits gestor­ben ist. Das alles ist natür­lich rei­ne Spe­ku­la­ti­on, allein die Exis­tenz des Zet­tels ist sicher. Dort war in blau­er, akku­ra­ter Schrift zu lesen: Wie man einen Ver­merk schreibt, um sich an gele­se­ne Geschich­ten erin­nern zu kön­nen. – stop
ping

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nordseebild

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hima­la­ya : 0.58 — Eine Post­kar­te, die mich ges­tern erreich­te, zeigt die Foto­gra­fie einer Insel. Die Auf­nah­me wur­de aus gro­ßer Höhe, ver­mut­lich aus einem Flug­zeug, auf­ge­nom­men. Ein reet­ge­deck­tes Haus. Und Scha­fe. 12 dun­kel­haa­ri­ge und 21 hell­haa­ri­ge Scha­fe. Auf einem Pfad, der zu einem Ladungs­steg führt, ein Mann neben einem Fahr­rad. Er blickt viel­leicht auf das Meer. Weder die Far­be des Fahr­ra­des noch das Alter des Man­nes ist zu erken­nen, der Mann könn­te eine Frau sein. Auf der Rück­sei­te der Post­kar­te wur­de mit unge­len­ken Schrift­zei­chen eine Bot­schaft notiert: Lie­be Aka, es ist hier sehr schön. Es ist 25 °C. Das Was­ser ist 15 °C. Wir waren natür­lich drin. Euer J. – Eine Anschrift fehl­te. — stop

polaroidgame

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bumerangkäfer no 2

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echo : 3.01 — Heu­te Nacht erleb­te ich ein lus­ti­ges Déjà-vu. Das war unge­fähr so gewe­sen, dass ich in dem Moment des Déjà-vus gera­de bei geöff­ne­ten Fens­tern Schif­fe beob­ach­te­te, die auf mei­nem Bild­schirm durch einen weit ent­fern­ten Hafen pen­del­ten in ech­ter Zeit. Es war kurz nach zwei Uhr, da lan­de­te ein Mari­en­kä­fer auf mei­ner lin­ken Wan­ge. Ich konn­te mich, wie schon im ver­gan­ge­nen Jahr, nicht ent­schei­den, ob das viel­leicht ein Zufall gewe­sen war. Indem ich das rech­te Auge schloss, aber mit dem lin­ken Auge so weit wie mög­lich nach unten sah, konn­te ich die halb­ku­gel­för­mi­ge Wöl­bung sei­nes Rückens erken­nen. Und ich spür­te eine leich­te Bewe­gung, der Käfer schien mich zu betas­ten. Natür­lich über­leg­te ich sofort, ob es sich bei die­sem Käfer nicht um ein fern­ge­steu­er­tes Wesen han­deln könn­te, das mich besuch­te, um Pro­ben von mei­ner Kör­per­ober­flä­che auf­zu­neh­men. Nach eini­gen Minu­ten ver­än­der­te der Käfer sei­ne Posi­ti­on, er ging zu Fuß, klet­ter­te an mir her­ab, saß für eini­ge Minu­ten an mei­nem Hals, dort konn­te ich ihn weder sehen noch spü­ren, um kur­ze Zeit spä­ter auf mei­nem Hemd zu erschei­nen, wo er sich sehr wohl­ge­fühlt haben moch­te, weil er dort eine gute Stun­de sei­ner Lebens­zeit ver­brach­te. Viel­leicht hat­te der Käfer geschla­fen, oder sich von Stra­pa­zen erholt, die mir unbe­kannt. In die­sem Moment nun, da ich mei­nen Text notie­re, sitzt der in Wör­tern ver­merk­te Käfer am lin­ken unte­ren Rand des Bild­schir­mes mei­ner Schreib­ma­schi­ne. Er presst sich fest an das Gehäu­se. Wei­te­re Käfer sit­zen an den Wän­den, es sind ein gutes Dut­zend, auch Käfer mit gel­bem Gehäu­se sind dar­un­ter. Ges­tern habe ich beob­ach­tet, dass gelb Käfer mit vier­und­zwan­zig Punk­ten, wenn ich sie behut­sam in eine mei­ner Hän­de set­ze und in die Dun­kel­heit wer­fe, sofort wie­der zurück­kom­men. Man könn­te sagen, dass es sich bei die­ser Art um Bume­rang­kä­fer han­deln könn­te. In die­sem Jahr tra­gen sie Strei­fen. — stop
ping

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zwergherzrose

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echo

~ : malcolm
to : louis
sub­ject : ZWERGHERZROSE
date : jun 3 14 4.28 p.m.

Es ist vier Uhr nach­mit­tags, ein hei­ßer Tag in New York. Wir sit­zen auf dem Pro­me­na­den­deck, fah­ren in Rich­tung Sta­ten Island. Die Flut kommt, der Schiffs­kör­per unter uns zit­tert. Eich­hörn­chen Fran­kie kau­ert auf einer Bank, als wäre er ein Mensch. Kin­der füt­tern ihn mit Nüs­sen. Er hält sein Gesicht in den Wind, ach­tet auf Möwen, die ihn mehr­fach atta­ckier­ten. In sei­ner Nähe seit zwei Wochen immer wie­der anzu­tref­fen, eine jun­ge Frau, auch in die­sem Moment ist sie anwe­send. Sie kommt am frü­hen Mor­gen auf das Schiff, setzt sich an eines der Fens­ter und beginnt zu lesen. An den Ter­mi­nals geht sie je von Bord, nimmt iei­ne ande­re Fäh­re, um nach zwei oder drei Fahr­ten wie­der auf der John F. Ken­ne­dy zurück zu sein. Fran­kie mag an ihr Gefal­len gefun­den zu haben. Er sitzt jeden­falls immer in ihrer Nähe, ohne einen Grund, den wir erken­nen könn­ten, sie hat ihn bis­her noch nie gefüt­tert. Auch beach­tet sie ihn kaum, weil sie liest. Ein­mal durch­stö­ber­te Fran­kie ihre Hand­ta­sche, jag­te mit einem Blei­stift davon. Die jun­ge Frau hat­te ihn beob­ach­tet, sie lächel­te und folg­te ihm mit ihrem Blick. Eine rei­zen­de Per­son. Ele­gant geklei­det, heu­te mit einem roten Stroh­hut auf dem Kopf. Alli­son hat­te sie am drit­ten Tag ihres Erschei­nens eini­ge Stun­den lang beschat­tet. Am Abend folg­te sie ihr nach Brook­lyn, sie scheint nicht ver­däch­tig zu sein, eine Per­son, die über Zeit ver­fügt, die viel­leicht Schiffs­fahr­ten mag. Wir notie­ren sorg­fäl­tig ihre Lek­tü­re, ges­tern noch Carson McCul­lers Roman Clock Wit­hout Hands. Auch ken­nen wir bereits ihren Namen, wis­sen, dass ihre Eltern noch leben, wel­che Schu­le sie besuch­te, sie scheint noch nie in ihrem Leben ange­stellt gewe­sen zu sein. Ja, es ist vier Uhr nach­mit­tags an einem hei­ßen Tag in New York. Es ist kaum spä­ter gewor­den. Ein blau­er Ball rollt hin und her, als such­te er einen Aus­weg. Ges­tern war ein Mann von Bord gesprun­gen und wur­de geret­tet. — Ihr Mal­colm / code­wort : zwergherzrose 

emp­fan­gen am
4.06.2014
1948 zeichen

mal­colm to louis »

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MELDUNGEN : MALCOLM TO LOUIS / ENDE

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quallenhautkoffer

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ulys­ses : 3.25 — Ein blau­er ita­lie­ni­scher Him­mel und Wär­me, Hit­ze. Mit­te Mai. Über den Sand­bo­den schau­keln müde Eidech­sen, zwei Enten sit­zen auf einer Park­bank in unse­rer Nähe im Park. Als wir tele­fo­nier­ten, erin­nert sie mich dar­an, dass sie in einer Grenz­si­tua­ti­on lebe. Ich ver­ges­se immer wie­der ihr Alter. Sie sei bald voll­stän­dig belich­tet, rei­se aber noch viel her­um, Kof­fer wer­den ihr getra­gen, mit einem klei­nen Ruck­sack auf dem Rücken, Notiz­bü­chern, einem Note­book. Das Note­book ruht in die­sem Moment auf ihren Knien. Sie sucht in der digi­ta­len Sphä­re einen Text, an den ich mich erin­nern kann. Sie liest mir vor, und ich notie­re vom Qual­len­zim­mer. Sie will das Zim­mer von mei­ner Hand in ihrem Notiz­buch haben. Ich schrei­be lang­sam. Im Notiz­buch fin­den sich zahl­rei­che wei­te­re Hand­schrif­ten, die nicht ihre Hand­schrif­ten sind. Sie scheint Geschich­ten zu sam­meln, oder Augen­bli­cke des Schrei­bens. Ich höre mei­ne eige­ne Geschich­te, eine Ent­de­ckung mei­ner Hän­de, die von einem freund­li­chen, hel­len Raum erzäh­len, einem Zim­mer von feins­ter Qual­len­haut, einem Zim­mer von Was­ser, einem Zim­mer von Salz, einem Zim­mer von Licht. Man könn­te die­ses Zim­mer, und alles, was sich im Zim­mer befin­det, das Qual­len­bett, die Qual­len­uhr, und all die Qual­len­bü­cher und auch die Schreib­ma­schi­nen von Qual­len­haut, trock­nen und fal­ten und sich 10 Gramm schwer in die Hosen­ta­sche ste­cken. Und dann geht man mit dem Zim­mer durch die Stadt spa­zie­ren. Oder man geht kurz mal um die Ecke und setzt sich in ein Kaf­fee­haus und war­tet. Man sitzt also ganz still und zufrie­den unter einer Ven­ti­la­tor­ma­schi­ne an einem Tisch, trinkt eine Tas­se Kakao und lächelt und ist gedul­dig und sehr zufrie­den, weil nie­mand weiß, dass man ein Zim­mer in der Hosen­ta­sche mit sich führt, ein Zim­mer, das man jeder­zeit aus­pa­cken und mit etwas Was­ser, Salz und Licht, zur schöns­ten Ent­fal­tung brin­gen könn­te. — stop

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