Aus der Wörtersammlung: spinne

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im keller

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gink­go : 1.52 — Sechs Stock­wer­ke abwärts, ich stei­ge in den Kel­ler in räu­di­ge Land­schaft, schnee­wei­ße Spin­nen­ge­bei­ne, die von der Decke schau­keln. Nacht ist, ich ahne Rat­ten, die mich betrach­ten von irgend­wo­her, ein unheim­li­cher Ort, einer, der dem Besu­cher die Augen öff­net. Im Licht der Taschen­lam­pe kann man den Leu­ten, die über der Kel­ler­land­schaft schla­fen, in ihre Müll­höh­len schaun. Die­ses Durch­ein­an­der von Holz­tei­len und Ölfäs­sern und Fahr­rad­ske­let­ten könn­te zur Woh­nung X gehö­ren, und das alles zur Woh­nung Y, wie sorg­fäl­tig sich die Kar­to­na­gen doch sta­peln, in wel­chen Bücher ver­mo­dern und Män­tel und Schals und Strümp­fe. In einem der Kel­ler­ab­tei­le ruht ein Plat­ten­spie­ler zen­tral auf dem Boden, sonst ist dort nichts zu sehn, nur die­ser eine Plat­ten­spie­ler, stau­big. Hin­ter der Luft­schutz­tür von schwe­rem Eisen rei­hen sich Schau­feln der Haus­meis­te­rei, die schon lan­ge ohne den Haus­meis­ter selbst aus­kom­men muss, das Hoch­was­ser des ver­gan­ge­nen Jah­res, wie es eine Linie zeich­ne­te, stand den Besen bis zum Hals. Nicht rau­chen ist noch immer an einer Wand ver­merkt in alt­deut­scher Schrift. Und wenn ich so wei­ter­ge­he um eine Ecke her­um, sto­ße ich auf ein schma­les Abteil, das sich mit einer Geschich­te ver­bin­det. Es scheint nun leer zu sein, war aber ein­mal ein beson­de­rer Ort. Ich erin­ne­re mich an eine Öllam­pe, an eine Matrat­ze, einen Stuhl und den Schat­ten eines Men­schen, der auf die­ser Matrat­ze ruh­te: Im Schat­ten saßen Augen fest, sie starr­ten in mei­ne Lam­pe, dann flüch­te­ten sie, dann kamen sie nicht zurück. — stop

station

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kym

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del­ta : 5.05 — Ges­tern Abend ent­deck­te ich einen Brief, den ich vor lan­ger Zeit ein­mal erhal­ten und damals nicht geöff­net hat­te. Im Brief befand sich ein von hand­schrift­li­chen Zei­chen bedeck­tes Stück Papier, wei­ter­hin eine Foto­gra­fie, die einen blü­hen­den Gar­ten zeigt. Außer­dem bewahr­te das Kuvert, wel­ches den Brief umhüll­te, eine hauch­dün­ne, in Sei­den­pa­pier ein­ge­schla­ge­ne Schei­be Christ­stol­lens, die stein­hart gewor­den war. Der Brief wur­de einst von mei­ner Groß­mutter auf den Weg gebracht, sie ist längst gestor­ben. Ich leg­te das Gebäck, — Rosi­nen, Anis, Zimt, Mar­zi­pan, Mohn, — vor­sich­tig auf einen Tel­ler ab, bald lan­de­ten Flie­gen auf der Zucker­schei­be. Kurz dar­auf näher­te sich eine Zebra­spring­spin­ne, so dass ich mit­tels mei­ner Lese­bril­le dra­ma­ti­sche Sze­nen beob­ach­te­te. — Däm­me­rung. Gro­ße Hit­ze unterm Dach. Maceo Par­ker Shake ever­y­thing you’­ve got. — stop

tasche

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zebraspringspinne

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hima­la­ya : 5.02 — Ich beob­ach­te an die­sem Mor­gen auf dem Fens­ter­brett nach Süden zu eine Zebra­spring­spin­ne von höchs­tens 2 Gramm Gewicht. Sie spa­ziert dort unter mei­nen Augen furcht­los auf und ab. Mög­li­cher­wei­se ist sie kürz­lich erst durch die Luft geflo­gen oder aber den gan­zen Win­ter über in mei­ner Nähe gewe­sen, ohne dass ich sie bemerk­te. Für einen Moment hal­ten wir bei­de inne und schau­en in Rich­tung der Däm­me­rung. Eine Stra­ßen­bahn kommt um die Kur­ve gefah­ren, es ist die ers­te Stra­ßen­bahn die­ses Tages. Ich schlie­ße die Fens­ter. Mit die­ser ers­ten Stra­ßen­bahn kommt der Tag in die Nacht, Vögel stei­gen aus und hocken sich in Bäu­me und sin­gen, wäh­rend Flie­gen und Fal­ter aus mei­ner Woh­nung flüch­ten, um ein­zu­stei­gen und rasch davon­zu­fah­ren. Ich soll­te mor­gens ein­mal auf die Stra­ße tre­ten und zur Hal­te­stel­le gehen und war­ten, da nun die ers­te Fahrt der Linie 16 ein­tref­fen und der Fah­rer von Nacht­fal­tern bedeckt sein wird, und die Sit­ze und Lam­pen, und auch die Arbei­ter und Arbei­te­rin­nen der Früh­schicht. Dich­te, bit­te­re, stau­bi­ge Luft, ein sono­res Sum­men zehn­tau­sen­der Flü­gel. Klei­ne, har­te Käfer­kör­per stür­men durch wei­chen, flie­gen­den Fal­ter­wald, ping, pong, ping. — stop

ping

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unterm maulbeerbaum

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del­ta : 18.12 — Hele­na erzählt, sie habe einen Text notiert, 258 Sei­ten, in dem von einem jun­gen Mann die Rede sein soll, der sich unter einen Maul­beer­baum setz­te, um sei­nen Puls­schlag zu zäh­len. Wie er nun gegen sei­ne Müdig­keit kämpft, gegen das auf­rei­zen­de Gefühl der Amei­sen­bei­ne, wel­che unter sei­nen Hosen­bei­nen spa­zie­ren, auch gegen Durst- und Hun­ger­ge­füh­le, wie lan­ge Zeit kann man so sit­zen und zäh­len, nicht lan­ge. Es war noch nicht ein­mal dun­kel gewor­den, als der jun­ge Mann auf­stand und ver­schwand. Da war nun also ein Maul­beer­baum gewe­sen irgend­wo im Süden, ein paar Vögel außer­dem, Hasen, Füch­se, Eidech­sen, Spin­nen, Käfer und eine Erzäh­le­rin, die dar­auf war­te­te, dass der jun­ge Mann wie­der kom­men und sei­ne Pul­se wei­ter­zäh­len wür­de. Wie sie in ihrem Kopf Stun­den, Tage, Wochen lang den Baum beob­ach­te­te, wie sie sich indes­sen ein­mal erin­ner­te an einen Freund, der ver­rückt gewor­den sein soll, weil er nicht damit auf­hö­ren konn­te, Zei­tungs­pa­pie­re mit­tels Sche­ren zu zer­le­gen. Er sam­mel­te Bewei­se für dies und das! Ber­ge von Zei­tun­gen soll er in sei­ner Lei­den­schaft für Beweis­si­che­rung zer­legt haben, auch unter­wegs konn­te er nicht damit auf­hö­ren, ein Selt­sa­mer, der nur des­halb in Zug­ab­tei­len sicht­bar wur­de, weil die Papie­re, die Zei­tun­gen selbst damals, als er leb­te, noch sicht­bar gewe­sen waren. Heut­zu­ta­ge darf man, sagt Hele­na, in unsicht­ba­rer Wei­se ver­rückt wer­den, fast alle sind wir schon längst ver­rückt, haben auf Com­pu­tern Tex­te gesam­melt, die wir nie­mals lesen wer­den, weil das Leben nicht reicht, auch nicht für Bewei­se. In ihrer Geschich­te im Übri­gen will sie eine wei­te­re Erzäh­lung ver­steckt haben, jedes ein­zel­ne Wort der Geschich­te, auch gan­ze Sät­ze. Um wel­che Erzäh­lung es sich prä­zi­se han­delt, möch­te sie nicht ver­ra­ten. Die Erzäh­lung soll von einer berühm­ten Schrift­stel­le­rin erfun­den wor­den sein, eine wun­der­ba­re Minia­tur. Sie war­tet noch immer. — stop

polaroidbondid

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auf dem nachtschiff

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ulys­ses : 5.12 — Ein­mal war­te­te ich auf mei­nem Sofa, plötz­lich schlin­ger­te der Boden. Such­te nach mei­ner Bril­le und war­te­te wei­ter. Alles still, mit­ten in der Nacht. Da schau­kel­te das Sofa wie­der, der Boden beweg­te sich tat­säch­lich, auch eine Steh­lam­pe in mei­ner Nähe mach­te merk­wür­di­ge Geräu­sche. Vom Fens­ter im 5. Stock mei­nes Hau­ses aus war nicht zu erken­nen, ob irgend­je­mand bemerk­te, was ich beob­ach­te­te, Vögel flo­gen her­um, obwohl es dun­kel war. Kaum zurück auf dem Sofa, beb­te das Möbel­stück zum drit­ten Mal, ein Schwin­gen, sanft, ein Schlin­gern, zwei Spin­nen has­te­ten über die Wand, ich ver­fass­te einen Bericht für die Erd­be­ben­war­te. Ich schrieb: Sehr geehr­te Damen und Her­ren, Vögel und Spin­nen. Es war um kurz nach drei Uhr. — stop

ping

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kurz nach mitternacht

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echo : 1.28 — Um kurz nach Mit­ter­nacht öff­ne­te ich ein Fens­ter. Sofort fühl­te ich, dass ich beob­ach­tet wer­de. Tat­säch­lich saß rechts an der noch war­men Wand des Hau­ses eine sehr klei­ne, viel­leicht jun­ge Spring­spin­ne. Ich habe das Licht ihrer Augen wahr­ge­nom­men oder eine Bewe­gung. Sie duck­te sich, als ich mich näher­te, aber sie flüch­te­te nicht. Ich konn­te mir die­ses Ver­hal­ten zunächst nicht erklä­ren, dann hat­te ich die Idee, dass die Spin­ne mich viel­leicht kennt. Mög­li­cher­wei­se wur­de ich schon drei oder vier Wochen lang beob­ach­tet, ohne die Beob­ach­tung der Spin­ne bemerkt zu haben. Ver­mut­lich war die Spin­ne, als sie mei­ner Gestalt zum ers­ten Mal ansich­tig wur­de, sofort geflüch­tet. Ich stel­le mir vor, sie könn­te sich in die Tie­fe gestürzt haben, wo sie im Gar­ten von einem Löwen­zahn­blatt auf­ge­fan­gen wur­de. Am fol­gen­den Tag mach­te sich die Spin­ne wie­der auf den Weg nach oben. Sie wird ver­mut­lich in Etap­pen gewan­dert sein, zwei oder drei Tage, dann wie­der Nacht, das War­ten auf zar­te Fal­ter, auf süßes, flie­gen­des Fleisch. Ein war­mer Wind. Ein Fens­ter, das sich öff­net. Wie­der­um Flucht in die Tie­fe, erneu­ter Auf­stieg, müh­sam und schmerz­voll, hin­auf wo der rie­si­ge Vogel wohnt, wo das Licht ist, der war­me Wind, das Fens­ter, Flucht nun aber zu Fuß, nur ein oder zwei Meter abwärts und wie­der zurück. Es ist erstaun­lich. Von alle­dem habe ich nichts bemerkt. Zurück an die Arbeit. In die­ser Nacht las­se ich das Fens­ter geöff­net. Ben­ny Good­man spielt Live at Car­ne­gie Hall. Ich sit­ze und war­te. — stop

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geschichte von einem chinareisenden

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oli­mam­bo : 0.28 — Alles fing damit an, dass M. ein beson­de­res Schul­heft, wel­ches sich sei­ne Toch­ter wünsch­te, nicht bezah­len konn­te. In die­ser Sekun­de, da er die Ent­täu­schung in den Augen des Kin­des wahr­neh­men muss­te, ent­schloss sich der Vater zu han­deln. Er ran­gier­te sein klei­nes Auto aus der Gara­ge, roll­te Ersatz­rei­fen und Fahr­rä­der in den Gar­ten, feg­te Blät­ter und Papie­re auf die Stra­ße, ent­fern­te Ölfle­cken und Spin­nen­net­ze, dann begann er zu spa­ren. Er spar­te so sehr, dass er mager wur­de. Manch­mal besuch­te er abends nach der Arbeit sei­ne Gara­ge und stell­te sich vor, mit welch wun­der­ba­ren Waren er sie bald fül­len wür­de. Als er lan­ge genug gespart hat­te, 12 Mona­te und drei Wochen, setz­te er sich in ein Flug­zeug und reis­te nach Chi­na. Es war ein Aben­teu­er, er konn­te weder Chi­ne­sisch und noch Eng­lisch, er konn­te nur die tür­ki­sche und ein wenig die deut­sche Spra­che. Am Flug­ha­fen wur­de er abge­holt von einem Lands­mann, den er seit sehr lan­ger Zeit kann­te. Sie fuh­ren aus der Stadt Peking her­aus nord­wärts nach Yanging, dort besuch­ten sie eine Fabrik, die DVD-Schei­ben pro­du­zier­te, sie war groß wie eine klei­ne Stadt. Zwei Tage blieb M. noch in Peking, er besuch­te den Platz des himm­li­schen Frie­dens, dann flog er zurück nach Euro­pa. Vier wei­te­re Mona­te spä­ter lan­de­te ein Con­tai­ner im Ham­bur­ger Hafen an. Ein­hun­dert­tau­send DVD-Schei­ben, unbe­spielt, waren im Con­tai­ner ent­hal­ten. Zu die­sem Zeit­punkt ist das Ende der Geschich­te, einer wah­ren Geschich­te, noch voll­stän­dig offen. stop. Zwei Uhr acht­und­zwan­zig in Gaza City. – stop

polaroidbadende1

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nachtjäger

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ulys­ses : 3.55 — Ich bemerk­te wie­der ein­mal, dass ich bei­de Arme hebe, also von mir abwen­de, also Flü­gel mache, sobald ich durch die Woh­nung lau­fe und dar­über nach­den­ke, wie es wäre, ohne jedes Gewicht zu sein. Das war gegen drei Uhr in der Nacht gewe­sen. Ich spiel­te sehr lei­se etwas von Gene Krupa auf dem Radio. In dem Moment, da ich die Küche ver­ließ und über den Flur spa­zier­te, über­hol­te mich eine Flie­ge. Sie flog in der Höhe mei­ner Schul­tern und zwar sehr lang­sam gera­de­aus. Sie war nicht viel schnel­ler als ich selbst gewe­sen. Ich hat­te den Ein­druck, sie wür­de mir fol­gen, sie wür­de mit mir das Zim­mer wech­seln, nicht einem Reflex fol­gend, son­dern über­legt und mit Genuss. Sie war so lang­sam, dass man sie auf einer Foto­gra­fie mei­ner Zim­mer­wan­de­rung sehr gut hät­te erken­nen kön­nen. In die­sen Minu­ten sitzt die Flie­ge direkt über mir an der Decke, wäh­rend ich auf dem Sofa auf dem Rücken lie­ge und notie­re. Die Flie­ge beob­ach­tet mich viel­leicht genau­so wie ich sie beob­ach­te. Von Wes­ten her nähert sich eine Spin­ne da oben, die so klein ist, dass wir sie nicht ernst neh­men wol­len. Bald Däm­me­rung. — stop
ping

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vom nachthausmuseum

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sier­ra : 20.14 — Mein lie­ber Freund, als ich Dei­nen nächt­li­chen Brief las von den Geräu­schen im Haus, in dem Du wohnst, erin­ner­te ich mich an eine Geschich­te, die ich vor zwei Jah­ren notier­te. Ich stel­le mir vor, die­se Geschich­te könn­te Dich inter­es­sie­ren. Wenn Du Fra­gen haben soll­test, wie man als Nacht­mensch unter Tag­men­schen sinn­voll exis­tie­ren kann, mel­de Dich bit­te unver­züg­lich. Dein Lou­is. ps. Hier mei­ne Geschich­te: Das Muse­um der Nacht­häu­ser befin­det sich am Shore Bou­le­vard nörd­lich der Hell Gates Bridge, die den Stadt­teil Queens über den East River hin­weg mit Ran­di­lis Island ver­bin­det. Es ist ein recht klei­nes Haus, rote Back­stei­ne, ein Schorn­stein, der an einen Fabrik­schlot erin­nert, ein Gar­ten, in dem ver­wit­ter­te Apfel­bäu­me ste­hen, und der Fluss so nah, dass man ihn rie­chen kann. Wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges, zufäl­lig, ent­deck­te ich die­ses Muse­um, von dem ich nie zuvor gehört hat­te. Es war ein spä­ter Nach­mit­tag, ich muss­te etwas war­ten, weil, so war zu lesen, das Muse­um nicht vor Ein­bruch der Däm­me­rung geöff­net wür­de. Es ist eben ein Muse­um für Nacht­men­schen, die in Nacht­häu­sern woh­nen, wel­che erfun­den wor­den waren, um Nacht­men­schen art­ge­rech­tes Woh­nen zu ermög­li­chen. Als das Muse­um öff­ne­te, war ich schon etwas müde gewor­den, und weil ich der ein­zi­ge Besu­cher in die­ser Nacht gewe­sen war, führ­te mich ein jun­ger Mann her­um. Er war sehr gedul­dig, war­te­te, wenn ich wie wild in mein Notiz­buch notier­te, weil er über­aus span­nen­de Geschich­ten erzähl­te von jenen merk­wür­di­gen Gegen­stän­den, die in den Vitri­nen des Muse­ums ver­sam­melt waren. Von einem die­ser Gegen­stän­de will ich kurz erzäh­len, von einem metal­le­nen Wesen, das mich an eine Kreu­zung zwi­schen einem Gecko und einer Spin­ne erin­ner­te. Das Ding war ver­ros­tet. Es hat­te die Grö­ße eines Schuh­kar­tons. An je einer Sei­te des Objekt saßen Bei­ne fest, die über Saug­näp­fe ver­füg­ten, eine Kame­ra thron­te oben­auf wie ein Rei­ter. Der jun­ge Mann erzähl­te, dass es sich bei die­sem Gerät um ein Instru­ment der Ver­tei­di­gung han­de­le, aus einer Zeit da Nacht­men­schen mit Tag­men­schen noch unter den Dächern ein und der­sel­ben Häu­ser wohn­ten. Das klei­ne Tier saß in der Vitri­ne, als wür­de er sich ducken, als wür­de es jeder­zeit wie­der eine Wand bestei­gen wol­len. Das war näm­lich sei­ne vor­neh­me Auf­ga­be gewe­sen, Zim­mer­wän­de zu bestei­gen in der Nacht, sich an Zim­mer­de­cken zu hef­ten und mit klei­nen oder grö­ße­ren Ham­mer­werk­zeu­gen Klopf,- oder Schlag­ge­räu­sche zu erzeu­gen, um Tag­men­schen aus dem Schlaf zu holen, die ihrer­seits weni­ge Stun­den zuvor noch durch ihre har­ten Schrit­te den Erfin­der der Geck­oma­schi­ne, einen Nacht­ar­bei­ter, aus sei­nen Träu­men geris­sen hat­ten. Ja, zum Teu­fel, schon zum hun­derts­ten Male war das so gesche­hen, obwohl man aller­freund­lichst um etwas Ruhe, um etwas Vor­sicht gebe­ten hat­te, nein gefleht, nein geflüs­tert. Es war, sag­te der jun­ge Mann, immer so gewe­sen damals in die­ser schreck­li­chen Zeit, dass sich jene Tag­men­schen, die über geräu­mi­gen Zim­mern wohn­ten, sicher fühl­ten vor jenen Nacht­men­schen, die unter ihnen wohn­ten und mit ihren Schrit­ten die Zim­mer­de­cke nie­mals errei­chen konn­ten. Aus und fini! — stop

polaroidqueens

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lichthals

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romeo : 1.28 — Noch ein Kind gewe­sen, beob­ach­te­te ich Flie­gen und Mücken mit arg­wöh­ni­schen Augen. Sie waren so wen­dig, wil­lens­stark und aus­dau­ernd in ihrer Jagd nach Zucker oder Blut, dass ich sie fürch­te­te und bewun­der­te zur sel­ben Zeit. Sir­ren­de Geräu­sche. Sturz­schrau­ben­flü­ge. Mos­ki­tos, die man nie­mals leben­dig mit einer Hand fan­gen, aber töten konn­te. Das Mikro­skop, mit des­sen Hil­fe ich vor lan­ger Zeit Flie­gen­lei­chen unter­such­te, habe ich unlängst wie­der­ge­fun­den. Ein schwe­res Objekt, schwarz lackier­tes Guss­ei­sen, dar­an befes­tigt, beweg­li­che Mes­sing­tei­le, Räd­chen ins­be­son­de­re, ein Spie­gel, und ein run­der, beweg­li­cher Tisch. Das Gerät war im zurück­lie­gen­den Jahr­hun­dert von Ernst Leitz in Wetz­lar gefer­tigt wor­den. An sei­nem zen­tra­len Licht­hals trägt es die Signa­tur No. 158461. Robert Koch soll aus die­ser Serie der Mikro­sko­pe das Mikro­skop mit der Zif­fer 100000 erhal­ten haben, Paul Ehr­lich das Mikro­skop mit der Num­mer 150000. Damals, als ich noch sehr klein gewe­sen war, konn­te ich das Mikro­skop kaum auf den Tisch heben, an den ich mich zur Unter­su­chung gefan­ge­ner Flie­gen setz­te sobald frü­her Abend gewor­den war. Um eine Flie­ge sezie­ren zu kön­nen, benö­tigt man sehr fei­nes Besteck, mei­ne Hän­de zit­ter­ten. Die ers­te Flie­ge, der ich mich mit einem Skal­pell näher­te, wach­te auf, sie beweg­te ihre Bein­chen, ich flüch­te­te aus dem Zim­mer. Die zwei­te Flie­ge, die ich unter­su­chen woll­te, war so gründ­lich tot, dass sie über kei­nen eigent­li­chen Kör­per mehr ver­füg­te, der unter­sucht wer­den konn­te. Die drit­te Flie­ge öff­ne­te sich, sie war uner­war­tet feucht gewe­sen. In einer metal­le­nen Schach­tel ver­wahr­te ich mei­ne Opfer. Der Schach­tel ent­kam eine bit­te­rer Geruch. Ich habe nun über­legt, ob ich die Unter­su­chung der Flie­gen oder klei­ne­rer Spin­nen­tie­re nicht drin­gend wie­der auf­neh­men soll­te. — stop
ping