Aus der Wörtersammlung: auge

///

manhattan, 5th avenue no 45

9

hima­la­ya : 15.15 UTC — Vor eini­gen Wochen hör­te ich, das New Yor­ker Wohn­ge­bäu­de eines wohl­ha­ben­den Man­nes in der 5th Ave­nue sei nicht etwa 68, son­dern in Wirk­lich­keit, also mit blo­ßem Auge zähl­bar, 58 Stock­wer­ke hoch. Ich dach­te, der wohl­ha­ben­de Besit­zer des Hau­ses könn­te viel­leicht in mitt­le­rer Höhen­la­ge sei­nes Gebäu­des äußerst fla­che, kaum sicht­ba­re Stock­wer­ke errich­tet haben. Kurz dar­auf las ich, der wohl­ha­ben­de Mann habe sei­nem Gebäu­de tat­säch­lich zehn nicht exis­tie­ren­de Stock­wer­ke mit­tels Spra­che hin­zu­ge­fügt, dem­zu­fol­ge erfun­den. Ich las wei­ter­hin, dass der wohl­ha­ben­de Mann selbst die­sen Vor­gang geis­ti­ger Erhö­hung sei­nes Bau­wer­kes bestä­tigt und als einen Vor­gang über­trie­be­ner Wahr­haf­tig­keit bezeich­net haben soll. Das scheint nun doch eine ver­rück­te Geschich­te zu sein, oder aber eine Geschich­te, die von einem Ver­rück­ten han­delt. Wie, fra­ge ich mich sor­gen­voll, kann man einer Per­so­nen­grup­pe oder einer Per­son argu­men­tie­rend begeg­nen, die offen­sicht­lich mit dem Gedan­ken spielt, eine Welt alter­na­ti­ver Wahr­heit (Fak­ten) mit­tels per­ma­nen­ter Wie­der­ho­lung in Wahr­neh­mung und Über­zeu­gung der Men­schen ein­zu­stem­peln? — Frü­her Mor­gen. Ich habe noch etwas Wei­te­res zu ver­mel­den, das schmerzt. Ein Freund, der am kom­men­den Don­ners­tag zum 26. Mal New York besu­chen woll­te, weil er seit drei Jah­ren Lil­ly liebt, die zeit­le­bens in Brook­lyn in der Atlan­tic Ave­nue lebt, weil sie dort gebo­ren wur­de, wird sei­nen Kof­fer nicht packen, weil er wie­der­um in der per­si­schen Stadt Izeh das Licht der Welt erblick­te. Er lebt seit 28 Jah­ren äußerst fried­voll in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. — stop

ping

///

no 45

9

oli­mam­bo : 23.52 UTC – Ges­tern habe ich etwas Selt­sa­mes mit mir selbst erlebt. Ich saß am Tisch vor mei­ner Schreib­ma­schi­ne, als es plötz­lich dun­kel wur­de in der Woh­nung, nur etwas Licht vom Him­mel war noch zu erken­nen gewe­sen. Auch war es ganz still gewor­den, John Col­tra­ne in dem Augen­blick ver­stummt, als sich das Radio aus­schal­te­te, ein Kli­cken, kaum wahr­nehm­bar. Nach ein oder zwei Minu­ten bemerk­te ich, dass der Bild­schirm mei­ner Schreib­ma­schi­ne noch hell ins Zim­mer strahl­te, trotz­dem hat­te ich den Ein­druck, dass es stock­fins­ter gewor­den war, eine selt­sa­me Beob­ach­tung, dass ich das Licht der Schreib­ma­schi­ne nicht als eigent­li­ches Licht wahr­ge­nom­men habe. Was, frag­te ich mich, wür­de ich unter­neh­men, wenn nun nach zwei oder drei Stun­den mei­ne Schreib­ma­schi­ne sich erschöpft aus­schal­ten wür­de, wie mein Radio sich aus­ge­schal­tet hat­te. Neh­men wir ein­mal an, dach­te ich, es wird dun­kel blei­ben und still für Mona­te oder Jah­re, wäre ich in der Lage, mich an mei­ne Gedan­ken, an mei­ne Geschich­ten, die sich in der Schreib­ma­schi­ne noch immer auf­hal­ten wer­den, aber nicht les­bar sein wür­den, erin­nern? Tat­säch­lich über­leg­te ich bald, ob es mög­lich wäre, mit Gegen­stän­den, die sich in mei­nem Besitz befin­den, Strom zu erzeu­gen. Wie lan­ge Zeit müss­te ich eine Hand­kur­bel dre­hen, um kurz dar­auf für eine Stun­de Zeit, Tex­te auf dem Bild­schirm mei­ner Schreib­ma­schi­ne lesen zu kön­nen. — Kurz vor Mit­ter­nacht. Agen­tu­ren mel­den, dass Men­schen aus sie­ben mus­li­misch gepräg­ten Län­dern im Trans­fer­be­rei­ches des New Yor­ker John F. Ken­ne­dy Air­port gestran­det, das heißt, fest­ge­hal­ten sind. — stop
ping

///

eine schreibmaschine

9

sier­ra : 6.14 UTC — Ich hör­te von der Exis­tenz einer mecha­ni­schen Schreib­ma­schi­ne, die nicht grö­ßer sein soll als ein Stück Wür­fel­zu­cker. Wür­de man die­se klei­ne Schreib­ma­schi­ne mit blo­ßem Auge betrach­ten, wür­de man ver­mut­lich sagen, das könn­te der Form nach eine Schreib­ma­schi­ne sein. Sie ver­fügt über Tas­ten, wie bei einer gewöhn­li­chen Schreib­ma­schi­ne sowie eine Wal­ze, die Papie­re zu trans­por­tie­ren ver­mag, auch über ein Farb­band von Haa­res­brei­te, und über Häm­mer­chen, an deren Enden Plätt­chen befes­tigt sind, auf wel­chen sich Zei­chen befin­den, die wir ken­nen. Wie, frag­te ich mich, soll die­se Schreib­ma­schi­ne nur zu bedie­nen sein, wenn sie doch so klein ist, dass sie von einem mensch­li­chen Fin­ger ganz und gar zer­drückt wer­den könn­te, oder ver­bo­gen, sodass sie nie wie­der schrei­ben wür­de. Und über­haupt, wer hat die­se Appa­ra­tur aus wel­chem Grun­de in jener selt­sa­men Grö­ße mon­tiert? Man könn­te mit ihrer Hil­fe viel­leicht in der Art und Wei­se Jack Kerou­acs einen Text ver­fas­sen, könn­te dem­zu­fol­ge einen sehr lan­gen Text auf eine Luft­schlan­ge notie­ren, wenn man nur in der Lage wäre, die Tas­ten der Schreib­ma­schi­ne in äußerst zärt­li­cher Art und Wei­se anzu­schla­gen. Eine Lupe scheint unver­zicht­bar. — stop
ping

///

seltsam

2

ulys­ses : 1.18 — Wie ist es mög­lich, Geschich­ten zu erzäh­len, die selt­sam sind, ohne sofort selbst für selt­sam oder merk­wür­dig oder gar gefähr­lich gehal­ten zu wer­den, da doch die­se merk­wür­di­gen Geschich­ten in mei­nem Kopf ent­ste­hen? Ich habe L. von Esme­ral­da erzählt, dass Esme­ral­da eine Schne­cke sei, die in mei­ner Woh­nung lebe, als wäre sie eine Kat­ze, dass ich das klei­ne Tier füt­tern wür­de, dass ich mei­ne Woh­nung im Win­ter behei­ze, auch wenn ich nicht anwe­send sei, damit Esme­ral­da nicht frie­ren möge. Lie­be L. sag­te ich, ich wäre nie­mals auf die Idee gekom­men, mir aus frei­en Stü­cken eine Schne­cke zu kau­fen oder aber zur Som­mer­zeit in einem Gar­ten ein­zu­fan­gen, nein, nie­mals, wenn nun jedoch eine Schne­cke als Geschenk, als kos­ten­freie Offer­te auf pos­ta­li­schem Wege zu mir reis­te, war­um soll­te ich das Geschenk zurück­wei­sen, war­um nicht einen Ver­such unter­neh­men, ein guter oder vor­züg­li­cher Schne­cken­hal­ter zu wer­den? Wir wer­den es ver­su­chen, sag­te ich zur Schne­cke kurz nach­dem sie ange­kom­men war. Jah­re sind seit­her ver­gan­gen, Esme­ral­da scheint mit ihrem Leben in mei­ner Woh­nung ein­ver­stan­den zu sein. Ein­mal öff­ne­te ich die Tür zum Trep­pen­haus und war­te­te. Ein ande­res Mal öff­ne­te ich ein Fens­ter und war­te­te wie­der­um eini­ge Zeit, Esme­ral­da blieb oder kehr­te zurück. Es stellt sich nicht zum ers­ten Mal die Fra­ge: Wie alt wer­den Schne­cken? Ist Esme­ral­da nicht viel­leicht bereits viel zu alt, um noch als gewöhn­li­che Schne­cke betrach­tet wer­den zu kön­nen? — stop

nach­rich­ten von esmeralda »
ping

///

ein wort

pic

alpha : 3.28 — In einem Gespräch hör­te ich ein schreck­li­ches Wort. In dem Augen­blick, da ich das Wort hör­te, dach­te ich: Die­sem Wort bin ich nie zuvor begeg­net. Jetzt, da ich das schreck­li­che Wort in mei­nem Kopf habe, wer­de ich es nie wie­der ver­ges­sen, ich wer­de die­ses Wort nie wie­der ver­lie­ren. — Leich­ter Schnee­fall. Wei­te­re Her­z­wör­ter ein­ge­fan­gen: herz­fän­ger, herz­far­be, herz­f­ei­bel, herz­fell, herz­fens­ter, herz­fie­ber, herz­fin­ger, herz­fleisch, herz­för­mig, herz­form, herz­fres­send, herz­freu­de, herz­freund, herz­be­frie­dung, herz­fröh­lich, herz­fröm­mig­keit, herz­fromm, herz­fül­le, herz­ge­b­eint, herz­ge­bet, herz­ge­blüt, herz­ge­b­op­pelt, herz­ge­dan­ke, herz­ge­fahr, herz­ge­fan­ge­ner, herz­ge­fühl, herz­geist, herz­ge­krab­belt, her­zens­bruch, herz­faen­ger, herz­lich­keit, her­zen­schrein, herz­be­frie­di­gung, her­zen­s­ehr, herz­rueh­rung, herz­rüh­rung, her­zen­lei­de, herz­be­keh­rung, herz­ge­liebt, herz­ge­mein, herz­ge­neigt, herz­ge­schrei, herz­ge­sel­le, herz­ge­span, herz­ge­spann, herz­ge­sperr, herz­ge­spie­le, herz­ge­spött, herz­ge­spräch, herz­ge­treu, herz­ge­wächs, herz­ge­win­nend, herz­ge­wünscht, herz­gol­den, herz­gras, herz­gru­be, herz­gründ­lich, herz­grund, herz­gül­den, herz­gut, herz­häus­lein, herz­häut­lein, herz­haft, herz­haf­tig, herz­haf­tig­keit, herz­haf­tig­lich, herz­herz­li­chen, herz­hoch, herz­hof­fär­tig, herz­hohl, herz­hold, herz­horn, her­zie­hen, her­zig, her­zi­gen, her­zig­lich, her­zi­gung, her­zin­brüns­tig, her­zin­nig, her­zin­nig­lich, her­zisch, herz­kä­fer, herz­kalt, herz­kam­mer, herz­keim, herz­kind, herz­kir­sche, herz­kit­zelnd, herz­klee, herz­klop­fen, herz­klop­fend, herz­klop­fer, herz­klop­fung, herz­kno­chen, herz­knor­pel, herz­köl­b­lein, herz­kö­nig, herz­kör­nig, herz­kohl, herz­krab­be, herz­krän­kend, herz­krän­kung, herz­krampf, herz­krank, herz­krank­heit, herz­kraut, herz­kün­di­ger, herz­küt­zelnd, herz­la­bung, herz­läpp­chen, herz­lap­pen, herz­laub, herz­leer, herz­leid, herz­lein, herz­leuch­te, herz­leuch­tend, herz­lich, herz­li­chen, herz­lich­ge­liebt, herz­lich­hoch, herz­lich­keit, herz­licht, herz­lieb, herz­lieb­chen, herz­lie­bend, herz­lo­ckend, herz­los, herz­lo­se, herz­lo­sig­keit, herz­ma­cher, herz­mah­ner, herz­man­gel, herz­ma­ril­le, herz­mensch, herz­mit­te, herz­mix­tur, herz­mu­schel, herz­mut­ter, herz­na­gel, herz­na­gen, herz­na­gend, herz­neh­mend, herz­netz, herz­noth, herz­ohr, herz­pein, herz­pfeil, herz­pfeil­ge­malt, herz­pfir­sche, herz­pfört­lein, herz­pfrie­me, herz­po­chen, herz­po­lei, herz­pol­le, herz­po­lyp, herz­prie­me, herz­pro­be, herz­prü­fer, herz­pul­ver, herz­punkt, herz­pup­pern, herz­rad, herz­räu­be­risch, herz­rau­bend, herz­re­gie­rend, herz­re­gung, herz­reich, herz­rein, herz­reis, herz­reue, herz­ring, herz­rit­te, herz­rit­tig, herz­röh­re, herz­rös­lein­gras, herz­rüh­rend, herz­rühr­lich, herz­rüh­rung, herz­ru­hig, herz­sack, herz­saft, herz­sa­me, herz­schild, herz­schlag, herz­schlecht, herz­schlech­tig, herz­schlech­tig­keit, herz­schmerz­lich, herz­schnei­dend, herz­schrein, herz­schwä­che, herz­sehn­lich, herz­seuf­zend, herz­si­e­ben, herz­spann, herz­span­ne, herz­sperr, herz­spruch, herz­sta­chelnd, herz­stär­kend, herz­stär­kung, herz­stein, herz­stem­mend, herz­stich, herz­st­osz, herz­strick, herz­sucht, herz­süch­tig, herz­täu­schend, herzt­au­sig, herzt­hei­len, herzt­hür, herz­tief, herz­trau­er, herz­trau­er­lich, herz­trau­rig, herz­traut, herz­treu, herz­treu­lich, herz­tu­te, her­zung, herz­va­ter, herz­ver­bun­den, herz­ver­driesz, herz­ver­drusz, herz­ver­ein, herz­ver­gif­te­rin, herz­ver­knüpft, herz­ver­nü­gen, herz­ver­traut, herz­viel­ge­liebt, herz­voll, herz­was­ser, herz­weh, herz­werth, her­zwil­lig, her­zwin­gen, herzwis­ser, herz­wün­schend, her­z­wun­de, her­z­wun­der, herz­wurm, herz­wurz, herz­wur­zel, herz­zer­na­gend, herz­zer­reiszend, herz­zer­schnei­dend, herz­zit­tern, herz­zu­cker, herzzwinger,

stop

///

drei brillen

pic

del­ta : 3.32 — Leich­ter Schnee­fall, ohne Wind, schau­keln­de Licht­pelz­fet­zen. Eich­hörn­chen jagen über die Stra­ße hin und her, als freu­ten sie sich. Gegen zwei Uhr notie­re ich eine E‑Mail an Moses Fer­nan­dez, von dem ich hör­te, dass er in einem Haus nahe Pina­mar bei Bue­nos Aires leben soll. Lie­ber Moses, Lil­li, die sie per­sön­lich ken­nen­lern­ten in die­sem Som­mer, erzähl­te, dass sie eine Maschi­ne ent­wi­ckelt haben, die in der Lage sein soll, win­zi­ge, für mensch­li­che Augen nicht ent­zif­fer­ba­re Schrift­zei­chen zu notie­ren. Ich wür­de sehr ger­ne eine Schrift­pro­be in Auf­trag geben. Wür­den Sie mir bit­te einen kur­zen Text, den ich im Anschluss an Sie sen­den wer­de, in nicht les­ba­re Grö­ße trans­fe­rie­ren. Ich ver­fü­ge über ein Mikro­skop, um die Qua­li­tät ihrer Arbeit prü­fen zu kön­nen. Wenn mög­lich, sen­den Sie das Schrift­stück bit­te auf dem Luft­post­we­ge an fol­gen­de Adres­se: Lou­is 8711 Kvarøy Sjøhus Nor­way. Mit bes­tem Dank im Vor­aus ver­blei­be ich mit herz­li­chen Grü­ßen: Ihr Lou­is /// Text­pro­be no1: go > 17.03 — Heu­te Mor­gen, war noch dun­kel im Haus, hör­te ich ein sir­ren­des Geräusch. Das Geräusch näher­te sich über die Trep­pe abwärts. Zunächst war nichts zu sehen, dann aber eine der Bril­len mei­ner Mut­ter, die seit dem Vor­abend über zar­te Roto­ren ver­fü­gen, wel­che in der Lage sind, Bril­len­kon­struk­tio­nen bis zu einem Gewicht von 80 Gramm in die Luft zu heben, sie vor­wärts­zu­be­we­gen oder rück­wärts durch Räu­me oder den Gar­ten. Lang­sam durch­quer­te die Bril­le den Raum, kreis­te ein­mal um mei­nen Kopf, und lan­de­te schließ­lich sanft auf dem Ess­tisch in der Nähe des Stuh­les, auf dem mei­ne Mut­ter sitzt, sobald sie ihr Früh­stück zu sich neh­men möch­te. Über drei Bril­len ver­fügt mei­ne Mut­ter, und jede die­ser Bril­len kann nun flie­gen. Eine Bril­le wur­de im Dach­ge­schoss sta­tio­niert, eine wei­te­re Bril­le im Erd­ge­schoss, die drit­te zu ebe­ner Erde. Wenn nun Mor­gen wer­den wird, zu einer Zeit, da fast alle Men­schen noch schla­fen, erwa­chen vor den Vögeln bereits die Bril­len mei­ner Mut­ter. Sie begin­nen zu blin­ken, Dioden in gel­ber Far­be, Zei­chen, dass sie sich mit­tels Funk­si­gna­len ori­en­tie­ren. Bald flie­gen sie los, die Dach­ge­schoss­bril­le ins Dach­ge­schoss, die Bril­le der ers­ten Eta­ge in die ers­te Eta­ge, die Bril­le des Erd­ge­schos­ses ins Erd­ge­schoss. Das Suchen hat ein Ende, alles wird gut! — stop ///
ping

///

lillis monster

pic

oli­mam­bo : 6.55 — Es ist Sams­tag, als ich Lud­mil­la beob­ach­te wie sie tele­fo­niert. Gera­de, vor weni­gen Tagen, ist sie sechs Jah­re alt gewor­den, jetzt steht das Mäd­chen mit gro­ßen Augen am Fens­ter und lauscht in einen Hörer, in dem sich ein voll­stän­di­ges Tele­fon befin­det. Eine Stim­me, die Stim­me der Oma, erzählt von einem Wachs­krei­de­bild, über das sie sich sehr freue. Lud­mil­la hat das Bild tat­säch­lich für ihre Oma zum Geburts­tag gemalt. Die Oma fragt: Was hast Du mir denn da gemalt, Lil­li? Lud­mil­la muss nicht lan­ge nach­den­ken, sie hat der Oma in der Schu­le ein schreck­li­ches Mons­ter gemalt, einen Mons­ter­clown in roten und blau­en Far­ben. Da will die Oma zag­haft wis­sen: War­um hast Du mir denn ein Mons­ter gemalt? Na, ant­wor­tet Lud­mil­la, weil ich Dir eine Freu­de machen woll­te. — stop

ping

///

unterwegs in den wolken

pic

kili­man­dscha­ro : 5.28 — Das ist schon selt­sam, wie die alte Dame zum ers­ten Mal in ihrem Leben vor­sich­tig hin­ter einem Leicht­ge­wicht­roll­a­tor spa­ziert. Sie trägt Leder­hand­schu­he, ver­mut­lich weil sie zur Maschi­ne, die hel­fen soll, ihren Gang zu sta­bi­li­sie­ren, einen gewis­sen stoff­li­chen Abstand ein­zu­hal­ten wünscht. Sie scheint sich zu fürch­ten, ernst schaut sie gegen den Boden. Mög­li­cher­wei­se fürch­tet sie, mit den Räd­chen und Gestän­gen aus Car­bon in ihrer nächs­ten Nähe ver­wach­sen zu müs­sen. Gern wür­de sie wei­ter­hin auf ihren eige­nen Bei­nen allein, die sie schon so lan­ge Zeit kennt, Schritt für Schritt Wege bestrei­ten, die ihr ver­traut sind, das Laub der Buchen, der Kas­ta­ni­en auf der Stra­ße, wie schön, ein Tep­pich, Schne­cken da und dort, die sich herbst­lich lang­sam fort­be­we­gen schein­bar ohne Ziel. Es ist feucht an die­sem Mor­gen, Wol­ken berüh­ren den Boden, auf den die alte Dame weni­ge Tage zuvor noch stürz­te, ein­fach so stürz­te, ohne einen Grund und ohne wie­der auf­ste­hen zu kön­nen, uner­hört, solch ein Schla­mas­sel. Hun­dert Meter weit ist sie schon gelau­fen, da ent­deckt sie eine Klin­gel an ihrem Gefährt, das so leicht ist, dass sie es mit einer Hand anhe­ben und für eine Wei­le in der Luft fest­hal­ten kann. Ja, Kraft in den Armen, aber die Bei­ne sind unsi­cher gewor­den, viel­leicht des­halb, weil sie hin­ter die­ser Maschi­ne her­lau­fen müs­sen. Für einen Moment bleibt die alte Dame ste­hen. Es wird ganz still in die­sem Augen­blick. Sie beugt sich zur Klin­gel her­ab, und schon ist ein hel­les Geräusch zu hören, ein ange­neh­mes Geräusch, zwei­fach ist es zu hören. — stop

ping

///

papiere

9

marim­ba : 5.02 — Auf einer Brief­mar­ke sind deut­lich Men­schen zu erken­nen, die im Was­ser schwe­ben. Sie bewe­gen sich lang­sam, grü­ßen oder alar­mie­ren mit win­ken­den Bewe­gun­gen ihrer Arme und Hän­de, drei Gestal­ten, drei Per­so­nen. Der Brief, auf dem das merk­wür­di­ge Post­wert­zei­chen vor län­ge­rer Zeit augen­schein­lich mit Spei­chel befes­tigt wor­den war, ruht auf mei­nem Küchen­tisch. Dort herrscht Unord­nung, weil ich für Unord­nung sorg­te. Am Frei­tag habe ich mit der Unord­nung ange­fan­gen, indem ich mei­ne alte mecha­ni­sche Schreib­ma­schi­ne zer­leg­te. Zunächst ent­fern­te ich das Gehäu­se der Schreib­ma­schi­ne, dann die Tas­ta­tur, kurz dar­auf die Papier­wal­ze der Schreib­ma­schi­ne, sowie eine Klin­gel, deren Geräusch ich mit der Metho­de des Schrei­bens zu frü­he­ren Zei­ten ver­bin­de. Sie war gedacht, wenn ich mich recht erin­ne­re, den schrei­ben­den Men­schen dar­auf auf­merk­sam zu machen, dass das Ende der Zei­le, an der er gera­de arbei­te­te, bald erreicht sein wird, auch damals ging man schon davon aus, dass Men­schen exis­tie­ren, die wäh­rend des Schrei­bens ins­be­son­de­re ihre Hän­de betrach­ten, Fin­ger, wie sie über die Tas­ta­tur hüp­fen, so dass sie das Papier, das sie beschrei­ben, über­haupt nicht wahr­neh­men, wes­halb sie ver­säu­men könn­ten, den Papier­wal­zen­schlit­ten der Schreib­ma­schi­ne zurück­zu­set­zen, um eine wei­te­re Zei­le zu begin­nen. Wäh­rend ich die Maschi­ne zer­leg­te, bemerk­te ich, dass jedes ihrer Ein­zel­tei­le in wei­te­re Ein­zel­tei­le zer­legt wer­den konn­te. Bald arbei­te­te ich mit einer Lupe, bald waren Schrau­ben, Stre­ben, metal­le­ne Häu­te von einer Klein­heit, dass ich fürch­te­te, ich könn­te sie ver­se­hent­lich atmend zu mir neh­men. Ich arbei­te­te Stun­de um Stun­de vor­an, ohne dar­an zu den­ken, einen Plan zu fer­ti­gen, der mich in die Lage ver­set­zen wür­de, die zer­leg­te Schreib­ma­schi­ne wie­der zu einer voll­stän­di­gen funk­tio­nie­ren­den Ein­heit zu fügen. In die­ser Zeit der Auf­lö­sung, lag der Brief win­ken­der Brief­mar­ken­men­schen in nächs­ter Nähe. Eine wun­der­vol­le blaue Brief­mar­ke, auf einem Brief, den ich zur­zeit noch immer nicht geöff­net habe, ich neh­me an, weil ich noch ein wenig wei­ter schla­fen will. — stop

unterwassertapete7

///

beobachtung

9

ulys­ses : 6.12 — Wäh­rend ich Jack Kerou­acs Roman On the Road in der unge­kürz­ten Fas­sung als E‑Book las, bemerk­te ich, dass ein Com­pu­ter , ver­mut­lich von Nord­ame­ri­ka aus ver­zeich­ne­te, wel­che Zei­len die­ses Romans von Lesern oder Lese­rin­nen wäh­rend ihrer Lek­tü­re mar­kiert wor­den waren. Eine aus­ge­dehn­te, prä­zi­se Leser­be­ob­ach­tung scheint kaum merk­lich Stun­de, um Stun­de voll­zo­gen zu wer­den. Ich stell­te mir vor, Licht­ma­schi­nen, die von Men­schen in der Hand gehal­ten wer­den, doku­men­tie­ren, wie lan­ge Zeit sich lesen­de Men­schen mit einem bestimm­ten Text beschäf­ti­gen, wie sie den Text stu­die­ren, ob sie die Lek­tü­re der ein oder ande­ren Sei­te wie­der­ho­len, an wel­chen Text­or­ten ihre Augen inne­hal­ten oder ihre Hän­de über den Bild­schirm strei­chend vor­wärts blät­tern, wie vie­le Leser sich zunächst mit dem Ende einer Geschich­te beschäf­ti­gen, ehe sie die ers­te Sei­te des Tex­tes öff­nen, um nun tat­säch­lich mit der Lek­tü­re zu begin­nen, so wie sich der Autor oder Autorin die Lek­tü­re ihres Tex­tes ein­mal vor­ge­stellt haben könn­ten. Dass fun­ken­de Bücher Kör­per­tem­pe­ra­tu­ren mes­sen, Feuch­tig­keit, Sal­ze der Hän­de, wel­che sie berüh­ren, ist nicht unwahr­schein­lich. Man will wis­sen, weil man es wis­sen kann, an wel­cher Stel­le des Tex­tes Leser ver­lo­ren gehen oder von wel­cher Stel­le des Tex­tes an Leser rest­los ein­ge­fan­gen sind, ja, das ist denk­bar. Guten Mor­gen. Es ist der 16. Okto­ber, leich­ter Regen. — stop

ping



ping

ping