Aus der Wörtersammlung: bein

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an der nachtzeitküste

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gink­go : 6.00 – Flug­ha­fen. Ter­mi­nal 1. Drei Uhr und fünf­zehn Minu­ten. Ich sto­ße auf Char­lie, 36, Arbei­ter. Der Mann, der in Togo gebo­ren wur­de und lan­ge Zeit dort gelebt hat­te, sitzt unter schla­fen­den Rei­se­men­schen an der Nacht­zeit­küs­te. Er sieht selt­sam aus an die­ser Stel­le, ein Mann, der in sei­nem Leben noch nie mit einem Flug­zeug reis­te, statt­des­sen in Zügen, Bus­sen, Schif­fen durch den afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent Rich­tung Euro­pa geflüch­tet war, ja, merk­wür­dig sieht Char­lie aus, wie er so unter schlum­mern­den Nord­ame­ri­ka­nern, Usbe­ken, Chi­le­nen, Japa­nern, Neu­see­län­dern sitzt. Er trägt Sicher­heits­schu­he, ein karier­tes Holz­fäl­ler­hemd und Hosen von kräf­ti­gem Stoff, mit Kat­zen­au­gen besetz­te dun­kel­blaue Bein­klei­der, die in jede Rich­tung reflek­tie­ren. Nein, unsicht­bar ist Char­lie, auch im Dun­keln, sicher nicht. Er macht gera­de Pau­se, trinkt Kaf­fee aus einer schrei­end gel­ben Ther­mos­kan­ne und genießt ein Stück­chen Brot und etwas Käse, den er aus einer Dose fischt. Sorg­fäl­tig kaut er vor sich hin, nach­denk­lich, viel­leicht weil er sich auf ein Spiel kon­zen­triert, das er seit Jah­ren bereits an die­ser Stel­le war­tend stu­diert. Char­lie tippt Lot­to. Char­lie ist ein Meis­ter des Lot­to­spiels, Char­lie spielt mit Sys­tem. Er hat noch nie ver­lo­ren. Er hat noch nie ver­lo­ren, weil er noch nie einen wirk­li­chen Cent auf eine der Zah­len­rei­hen setz­te, die er in sei­ne Notiz­bü­cher notiert. Char­lie ist ein beob­ach­ten­der Spie­ler, Vater von fünf Kin­dern, immer ein wenig müde, weil er eben ein Nacht­ar­bei­ter ist. Wenn ich mich neben ihn set­ze und ihm zuse­he, wie er mit einem roten Kugel­schrei­ber Zah­len­ko­lon­nen in sei­ne Hef­te notiert, freut er sich, macht eine klei­ne Pau­se, erkun­digt sich nach mei­nem Befin­den, und schon schreibt er wei­ter, ana­ly­siert, rech­net, sucht nach einer For­mel, die sei­ne Fami­lie zu einer rei­chen Fami­lie machen wird. Ein­mal fra­ge ich Char­lie, ob er noch Brie­fe schrei­ben wür­de an sei­ne Eltern in Lomé. Ja, sagt Char­lie, jede Woche schrei­be er einen Brief an sei­ne Eltern, die am Meer leben, am Atlan­tik näm­lich. Ein ander­mal will ich wis­sen, war­um er nicht einen Com­pu­ter ein­set­zen wür­de, um viel­leicht schnel­ler fin­den zu kön­nen, was er sucht. Char­lie lacht, sieht mich an durch kräf­ti­ge Glä­ser einer Bril­le, sagt, dass er wis­se, wie bedeu­tend Com­pu­ter sei­en für die Welt, in der wir leben, sei­ne Kin­der spiel­ten mit die­sen Maschi­nen, für ihn sei das aber nichts. Und sofort schreibt er wei­ter. Eine ruhi­ge, kla­re Schrift. Rote Zei­chen. In die­sem Moment begrei­fe ich, dass ich einer Beschwö­rung bei­woh­ne, einem Gebet, Male­rei, einer Kom­po­si­ti­on, der all­mäh­li­chen Ver­fer­ti­gung der Idee beim Schrei­ben. Her­mann Bur­ger — stop
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von der hölle / von der hoffnung

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marim­ba : 0.55 — Sie sin­gen wie­der! Viel­leicht haben Sie nie auf­ge­hört. Tehe­ran bei Nacht. Auch Per­sian­ki­wi und Fereshteh Gha­zi, die für lan­ge Zeit ver­stumm­ten, sen­den auf Posi­ti­on Twit­ter. Der Ein­druck, ein Film, der im Som­mer 2009 ange­hal­ten wur­de mit extre­men Mit­teln staat­li­cher Gewalt, set­ze sich lang­sam erneut in Bewe­gung. stop. Das Schwei­gen. stop. Die Stil­le. stop. 18 Mona­te. stop. stop. / 26. juni 2009 : F. erzählt von Näch­ten, die er vor 30 Jah­ren in den Stra­ßen und auf den Dächern über der Stadt Isfa­han ver­brach­te. Das Rufen tau­sen­der Stim­men: Allah-o-Akbar. Wir haben das erfun­den, um den Schah zu ver­trei­ben, auch älte­re Men­schen konn­ten sich in die­ser Wei­se bemerk­bar machen. Wir kämpf­ten für Demo­kra­tie, hör­ten BBC, um her­aus­zu­fin­den, ob irgend jemand wahr­nimmt, was mit uns geschieht. Kannst Du ver­ste­hen, wie ich mich jetzt füh­le? – Furcht­bar wur­den sie betro­gen, eine Gene­ra­ti­on im Exil. – Kurz nach Mit­ter­nacht. Fereshteh Gha­zi, jun­ge Jour­na­lis­tin, notiert: Tonight, like past nights, the chants of “Allah-o-Akbar” were heard on roof tops of Tehr­an & other cities. Seit Tagen schreibt sie sich die Fin­ger wund. Per­sian­ki­wi aber, des­sen Zei­chen ich vie­le Stun­den lang auf dem Bild­schirm erwar­te­te, ist ver­stummt. Vor­ges­tern noch Zei­len auf Twit­ter fol­gen­de: > just in from Baha­re­stan Sq – situa­ti­on today is ter­ri­ble – they beat the ppls like ani­mals 3:34 PM Jun 24th I see many ppl with bro­ken arms/legs/heads – blood ever­y­whe­re – pep­per gas like war 3:35 PM Jun 24th 
they were wai­ting for us – they all have guns and riot uni­forms – it was like a mou­se trap – ppl being shot like ani­mals 3:53 PM Jun 24th saw 7/8 militia bea­ting one woman with baton on ground – she had no defen­se not­hing – sure that she is dead 3:55 PM Jun 24th so many ppl arres­ted – young & old – they take ppl away – we lose our group 3:59 PM Jun 24th ppl run into alleys and militia stan­ding the­re wai­ting – from 2 sides they attack ppl in midd­le of alleys 4:01 PM Jun 24th all shops was clo­sed – nowhe­re to go – they fol­low ppls with heli­c­op­ters – smo­ke and fire is ever­y­whe­re 4:03 PM Jun 24th pho­ne line was cut and we lost inter­net – get­ting more dif­fi­cult to log into net 5:05 PM Jun rumour they are track­ing high use of pho­ne lines to find inter­net users – must move from here now 5:09 PM Jun 24th reports of street fight­ing in Vanak Sq, Tajrish sq, Azadi Sq – now – Sea of Green – Allah Akbar 5:14 PM Jun 24th in Baha­re­stan we saw militia with axe cho­ping ppl like meat – blood ever­y­whe­re – like but­cher – Allah Akbar – 5:16 PM Jun 24th they catch ppl with mobi­le – so many kil­led today – so many inju­red – Allah Akbar – they take one of us – 5:18 PM Jun 24th Lale­zar Sq is same as Baha­re­stan – unbe­le­va­ble – ppls mur­de­red ever­y­whe­re – 5:19 PM Jun 24th they pull away the dead into trucks – like fac­to­ry – no human can do this – we beg Allah for save us – 5:23 PM Jun 24th Ever­y­bo­dy is under arrest & cant move – Mou­sa­vi – Kar­rou­bi even rumour Khat­a­mi is in house guard – 5:28 PM Jun 24th we must go – dont know when we can get inter­net – they take 1 of us, they will tor­tu­re and get names – now we must move fast – 5:34 PM Jun 24th thank you ppls 4 sup­port­ing Sea of Green – pls remem­ber always our mar­tyrs – Allah Akbar – Allah Akbar – Allah Akbar 5:36 PM Jun 24th Allah – you are the crea­tor of all and all must return to you – Allah Akbar 5:39 PM Jun 24th
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gebäck

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gink­go : 6.05 — War bei Har­rods gewe­sen, ein hell aus­ge­leuch­te­ter Saal. Ver­käu­fe­rin­nen in grü­nen Over­alls sta­pel­ten kunst­voll mensch­li­che Arme und Bei­ne und Köp­fe auf Tische. Kla­re, in den Augen schmer­zen­de Sub­stanz fiel von der Decke. Bald dar­auf Kurz­stre­cken­fahrt im U‑Bahnwaggon. Ein feuch­ter mensch­li­cher Arm ruh­te auf mei­nen Ober­schen­keln. Die­ser Arm nun war in Zei­tungs­pa­pier gewi­ckelt, sei­den wei­ße Sub­stanz tropf­te auf den Boden. Gleich gegen­über ein Mann und eine Frau. Das Gesicht des Man­nes dampf­te. Die Frau, die eine Melo­die vor sich hin­summ­te, schäl­te mit einem Tee­löf­fel­chen gramm­schwe­re Fleisch­pro­ben aus den Wan­gen des Man­nes, um sie ent­we­der sofort zu ver­zeh­ren oder wei­te­ren Fahr­gäs­ten dar­zu­bie­ten. — stop. — Mon­tag. stop. Duke Elling­ton : Take the “A” Train. stop. Es ist denk­bar, dass ich über das Gedächt­nis eines Ele­fan­ten ver­fü­ge. — stop

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kurzwelle

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oli­mam­bo : 2.02 — Mit­tel­eu­ro­pa. stop. Kurz nach Mit­ter­nacht. stop. Nach­rich­ten aus Kai­ro. stop. Frau­en und Män­ner ste­hen um ein Tran­sis­tor­ra­dio ver­sam­melt. Man lauscht Kurz­wel­len­funk­si­gna­len, die im Raum zur Iono­sphä­re hin pen­delnd um den Glo­bus wan­dern. Ein Mann mitt­le­ren Alters befin­det sich unter den Radio­hö­rern. Viel kann ich über die­sen Mann nicht sagen. Ich weiß, dass er deut­scher Staats­bür­ger ist, Mos­lem, in einer peri­phe­ren Gegend Kai­ros gebo­ren. Sein Name ist Belem und sei­ne Stim­me hell. Mit die­ser selt­sam hel­len Stim­me äußer­te Belem unlängst wäh­rend einer unse­rer zufäl­li­gen Begeg­nun­gen, wie wich­tig es sei, dass Men­schen sich respekt­voll ver­stän­di­gen. Belem war mit einer deut­schen Frau ver­hei­ra­tet gewe­sen, ihre gemein­sa­me Geschich­te ende­te, weil sei­ne Frau ihm nicht die­nen woll­te. Aber das ist schon lan­ge Zeit her, Belem lebt jetzt allein. Er hinkt, wenn er geht, kaum merk­lich, wes­halb ich mich ein­mal erkun­dig­te, ob er viel­leicht Schmer­zen habe. Wie die­ser freund­li­che Mann zöger­te, dar­an erin­ne­re ich mich gut, und wie er dann sein Hemd nach oben zog, um die Nar­be einer Schuss­wun­de zu zei­gen, eine hel­le Stel­le in der dunk­len Haut nahe sei­nes Nabels, eine Wir­bel­spi­ra­le nach innen gerich­tet, mit einem seh­ni­gen Kno­ten in der Tie­fe zum Abschluss. Belem war von einer Poli­zei­ku­gel getrof­fen wor­den, seit­her ist das eine Bein etwas lang­sa­mer als das ande­re Bein. Und das ist schon alles, viel oder wenig, was ich von Belem zu erzäh­len weiß in die­ser Stun­de kurz nach Mit­ter­nacht, vor einem Radio­wel­len­ge­rät ste­hend. Der klei­ne Kas­ten kracht und pfeift und knarzt und schep­pert. — stop

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manhattan : eine frau verschwindet und kehrt wieder

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nord­pol : 7.05 — Ges­tern Abend folg­te ich mit­tels der Goog­le-Earth­ma­schi­ne einer beson­de­ren Rou­te durch das süd­li­che Man­hat­tan. Ich kann­te die­se Stre­cke, war dort im Spät­som­mer des ver­gan­ge­nen Jah­res auf eige­nen Füßen spa­ziert, war Mal­colm Lowry auf der Spur gewe­sen, sei­nen enger und enger wer­den­den Krei­sen, die den Schrift­stel­ler ein hal­bes Jahr­hun­dert zuvor in das Bel­le­vue Hos­pi­tal führ­ten, wo er sich, in höchs­ter Not befind­lich, vom Schmerz­man­tel des Alko­hols zu befrei­en such­te. Immer wie­der hat­te ich damals jene Gegend nahe des East River auf­ge­sucht, sodass ich eine bei­na­he ver­trau­te Umge­bung in digi­ta­ler Wei­se berühr­te. Gegen Mit­ter­nacht dann, ich hat­te die Third Ave­nue gekreuzt, bog ich nach Nor­den ab, erreich­te 30 Minu­ten spä­ter die 70th Stra­ße. Da war an einer Ecke ein klei­ner Laden, an den ich mich erin­ner­te. Ver­such­te ihm näher­zu­kom­men, zoom­te her­an, aber dann über­quer­te ich im Sprung die Stra­ße mit­tels einer zar­ten Bewe­gung der Mou­se, beweg­te mich im Kreis und bemerk­te in die­sem Augen­blick, dass eine Frau mit Hund, die gera­de noch die Stra­ße in nächs­ter Nähe über­quert hat­te, ver­schwun­den war, indem ich die Kreu­zung von Osten her betrach­te­te. Auch war die Stra­ße dunk­ler gewor­den, als wäre kurz zuvor Regen gefal­len oder die Däm­me­rung des Abends ein­ge­trof­fen. Um ein paar wei­te­re Meter gedreht, war die Frau dann wie­der da gewe­sen und ihr Hund, den Schwanz erho­ben, und die Stra­ße tro­cken. Eine Kreu­zung, so mein Ein­druck, gefal­te­ter Zeit. Ich muss das beob­ach­ten. — stop

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kalkutta

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echo : 17.05 — Im Traum in Kal­kut­ta gewe­sen. Spa­zier­te unter einem Regen­schirm bis zu den Hüf­ten hin in schil­lern­dem Was­ser. Büch­sen und Tüten und Schu­he düm­pel­ten um mich her­um, dar­un­ter strah­len­de, lachen­de Gesich­ter von Kin­dern, die bade­ten, in dem sie mit hel­len Stim­men zu mir spra­chen. Bald zogen sie mich mit sich fort durch enge Stra­ßen, die höl­zer­ne Häu­ser säum­ten. In die Wand eines die­ser Häu­ser war ein Com­pu­ter­bild­schirm ein­ge­las­sen, dar­un­ter eine Tas­ta­tur mit Tas­ten je so groß wie eine aus­ge­wach­se­ne mensch­li­che Hand. Die Kin­der erzähl­ten, jene gefan­ge­ne Maschi­ne sei ihre Maschi­ne. Sie hüpf­ten vor der Wand hin und her, in dem sie einen Text notier­ten, den ich nicht lesen konn­te. Auch des­halb nicht lesen konn­te, weil ich mei­ne Arme und Bei­ne beob­ach­te­te, die je in eine ande­re Him­mels­rich­tung fort­ge­tra­gen wur­den. Eine Selbst­auf­lö­sung, die sich in Minu­ten­frist voll­zog, als sei der Text der Kin­der eine Beschwö­rung gewe­sen, die mei­ne ana­to­mi­sche Gestalt sorg­fäl­tig in klei­ne­re Tei­le zer­leg­te. Eines der Kin­der nahm mei­nen Kopf mit sich nach Hau­se. Behut­sam wur­de ich getra­gen und vol­ler Stolz her­um­ge­zeigt. Eine gespens­ti­sche Geschich­te viel­leicht, die sich ereig­ne­te am Mon­tag bereits gegen 3 Uhr am Nach­mit­tag. — stop
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code-schirme

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echo : 20.55 - title / 2 LN child­ren WIA beschleu­nigt title / 2 local natio­nal child­ren woun­ded in action. stop. Jeder Wör­ter­code ein Man­tel. stop. Haben ver­wun­de­te Kin­der ihr Gesicht, ihr Augen­licht, Arme oder Bei­ne ver­lo­ren? stop. Ein Buch­sta­be noch unter­schei­det für sich Leben von Tod: title / 2 LN child­ren KIA beschleu­nigt title / 2 local natio­nal child­ren kil­led in action. stop /aus gehei­men Feld­be­rich­ten der US-Armee zum Irak-Krieg, ver­öf­fent­licht auf der Platt­form Wiki­leaks

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bauchwellen

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echo : 0.05 — Wür­de man die Gestalt eines Bass­kä­fers auf einem Blatt Papier zur Auf­füh­rung brin­gen, wäre zunächst ein enor­mer Kno­chen­raum zu zeich­nen, eine Kam­mer, in der sich Luft befin­det, Luft in Erwar­tung einer Kraft, die sie in geräusch­vol­le Schwin­gung ver­set­zen wird. Irgend­wo dort, an einem der schma­le­ren Enden die­ses Rau­mes, sitzt ein klei­ner Kopf, Füh­ler, Ohren­se­gel, fal­ten sich tas­tend durch sei­ne unmit­tel­ba­re Umge­bung, feins­te Appa­ra­tu­ren. Dafür Augen kei­ne, aber Bei­ne, die sich flink bewe­gen. Er spielt, wie alle sei­ne Art­ge­nos­sen, im Lie­gen auf dem Rücken, greift dann nach feins­ten Sai­ten von Kup­fer­chi­tin, die über sei­nen Bauch­re­gio­nen auf­ge­spannt. Wun­der­vol­le, sono­re Töne sind zu hören, indem der Käfer sich selbst­ver­ges­sen lang­sam um die eige­ne Ach­se zu dre­hen beginnt, dumd­um, dumd­um, immer­zu links, immer­zu links, immer­zu links­her­um. — Nacht. stop. Kühl. stop. Habe mei­ne Win­ter­be­leuch­tung ange­schal­tet. Vier Lam­pen in der Küche, zwei im Flur, sie­ben in den Spa­zier­ar­beits­zim­mern, hell ist’s, als sei Tag. Guten Mor­gen. — stop

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marit

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nord­pol : 0.02 — Ver­gan­ge­ne Nacht war ich wach gewor­den um fünf. Ich hat­te einen merk­wür­di­gen Traum, in dem Mr. Eli­ot erklär­te, dass er Brie­fe, die ich an ihn schrei­be, nicht lesen kön­ne, weil er schon vor lan­ger Zeit blind gewor­den sei. Ich war dann also wach um fünf und fühl­te mich leicht, und ich wun­der­te mich, woher die­se Leich­tig­keit gekom­men sein moch­te. Da erin­ner­te ich mich, dass ich noch immer nach­drück­lich auf eine Ant­wort James Sal­ters war­te, ich hat­te ihm vor zwei Jah­ren zuletzt geschrie­ben. Auch Mr. Sal­ter könn­te blind gewor­den sein, kein Wun­der, dass er nicht schreibt. Unver­züg­lich such­te ich in den Archi­ven nach dem Brief, den ich notiert hat­te. Er war rasch gefun­den, eine fei­ne Geschich­te, die ich berüh­re, die ich hier wie­der­ho­le, indem ich sie mit Stim­me lese, in der Hoff­nung, dass Mr. Sal­ter mich hören kann: Lie­ber James Sal­ter, als ich heu­te Nacht am Schreib­tisch saß und in Ihren wun­der­ba­ren Erzäh­lun­gen las, habe ich eine klei­ne Spin­ne bemerkt, die mich beob­ach­te­te, jawohl, sie saß auf dem Feins­ten der Blatt­haa­re eines Ele­fan­ten­fuß­bau­mes, der neben mei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne steht, und beob­ach­te­te mich aus meh­re­ren win­zi­gen schwar­zen Augen. Ich habe über­legt, was die­ses Wesen wohl in mir sieht. Für einen wei­te­ren kur­zen Moment habe ich dar­über nach­ge­dacht, ob Spin­nen viel­leicht hören, – ich lese oft laut vor mich hin, das soll­ten sie wis­sen -, und so wun­der­te ich mich, dass ich vie­le Jah­re gelebt habe, ohne der Fra­ge nach­zu­ge­hen, ob Spin­nen über Ohren­paa­re oder doch wenigs­tens über einen zen­tra­len Gehör­gang, wo auch immer, ver­fü­gen. Ich saß also am Schreib­tisch, ich las und die klei­ne geti­ger­te Spin­ne, von der ich Ihnen erzäh­le, seil­te sich zur Tas­ta­tur mei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne ab. Ich hat­te den Ein­druck, dass ihr die­se Luft­num­mer Freu­de mach­te, weil sie ihre Lan­dung immer wie­der hin­aus­zö­ger­te, indem sie den Faden, der aus ihr selbst her­aus­ge­kom­men war, ver­speis­te, dem­zu­fol­ge ver­kürz­te. Viel­leicht hat­te sie bemerkt, dass ich sie betrach­te­te, das ist denk­bar, weil ich auf­ge­hört hat­te, laut zu lesen, für einen Moment, um nach­zu­den­ken, viel­leicht woll­te sie, um sich mir dar­zu­stel­len, auf mei­ner Augen­hö­he blei­ben. Das war genau in dem Moment, als Marit nach ihrer letz­ten Nacht auf unsi­che­ren Bei­nen die Trep­pe her­un­ter­ge­kom­men war, Marit, die doch eigent­lich seit Stun­den schon tot gewe­sen sein muss­te. Marit setz­te sich auf eine Trep­pe und begann zu wei­nen. Sicher wer­den Sie sich erin­nern an Marit, wie sie auf der Trep­pe sitzt und weint, weil sie wuss­te, dass sie eine wei­te­re letz­te Nacht vor sich haben wür­de. Als ich las, dass Marit lebt und weint, habe ich eine Pau­se gemacht, weil ich erschüt­tert war, weil das Gift nicht gewirkt hat­te. Ich saß vor mei­nem Schreib­tisch und über­leg­te, ob auch sie, James Sal­ter, erschüt­tert waren, als Marit lang­sam, auf unsi­che­ren Bei­nen die Trep­pe her­un­ter­kam. Und wäh­rend ich an Sie und Ihre Schreib­ma­schi­ne dach­te, beob­ach­te­te ich die Spin­ne, die mit­tels ihrer win­zi­gen Bei­ne, den Faden, an dem sie hing, betas­te­te. Ist das nicht ein Wun­der, eine Spin­ne wie die­se Spin­ne? Haben Sie schon ein­mal bemerkt, dass es nicht mög­lich ist, mit einer elek­tri­schen Schreib­ma­schi­ne zwei Buch­sta­ben zur glei­chen Zeit, also über­ein­an­der, auf das Papier oder den Bild­schirm zu schrei­ben? Immer ist einer vor, nie­mals unter dem ande­ren. Mit herz­li­chen Grü­ßen Louis.

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edison

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oli­mam­bo : 3.15 — Vari­an­ten, Bewe­gun­gen einer Hand zu beschrei­ben, die sich spie­le­risch über einer Kla­ri­net­te bewegt. — Müde. — Viel­leicht die­se Art Sand­au­gen­mü­dig­keit, die Nacht­ar­beit bewir­ken kann. Wann ist Mit­tag in der Nacht? Wann beginnt der Abend? Ich ste­he auf, ver­tre­te mir die Bei­ne, lau­fe vor dem Bücher­re­gal hin und her, ent­de­cke ein Buch, das von Edi­son erzählt, ein Buch aus der Kin­der­zeit, sit­ze auf dem Sofa, lese und schaue. — Wie man Glüh­bir­nen macht? Zunächst macht man einen glä­ser­nen Behäl­ter für das Licht und die­ses Glas nun glüht in einem sehr war­men oran­ge­far­be­nen Ton und ist flüs­sig und irgend­wie sehr heiß, denn die Män­ner, die an ihm arbei­ten, tra­gen kräf­ti­ge Hand­schu­he, ihre Gesich­ter sind zum Schutz mit feuch­ten Tüchern ver­bun­den. Jetzt bin ich ein­ge­schla­fen. — stop
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