Aus der Wörtersammlung: bilder

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wörterbilder

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echo : 2.12 — In der Stadt Kyiv sol­len noch Mona­te nach der Hava­rie des Reak­tors 4 in Tscher­no­byl Stra­ße um Stra­ße ent­lang der Häu­ser­wän­de per­fo­rier­te Roh­re instal­liert wor­den sein, aus wel­chen Was­ser ström­te, um das strah­len­de Gift von den Stra­ßen zu schwem­men. Eine Bekann­te erzähl­te mir von der Exis­tenz die­ser Roh­re, sie war damals in Kyjiw für eini­ge Tage. Ich ken­ne die­ses Bild, ich erin­ne­re mich, das ein Wör­ter­bild ist, kein Licht­bild, da ich kei­ne Foto­gra­fie in der digi­ta­len Sphä­re ent­de­cke. Wie lan­ge Zeit soll­te ich suchen? Stun­den? Oder Tage? Das Wör­ter­bild scheint plau­si­bel zu sein, oder sogar wahr­schein­lich. Wie vie­le Men­schen exis­tie­ren in der Stadt, in der ich lebe, also in mei­ner unmit­tel­ba­ren Nähe, die mit dem Tod bedroht wer­den, weil sie sich Glau­ben und wei­te­ren Ritua­len wider­set­zen? — stop

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aleppo

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hima­la­ya : 0.02 — Viel­leicht darf ich fol­gen­den Bericht in vol­ler Län­ge wie­der­ge­ben. Der jun­ge Jour­na­list Zou­hir al Shim­le berich­tet via E‑Mail für Die Zeit: Seit Alep­po bela­gert ist, flie­gen Assads Trup­pen und sei­ne Ver­bün­de­ten jeden Tag Luft­schlä­ge auf die Vier­tel der Rebel­len, also auch dort, wo ich lebe. Unun­ter­bro­chen dröh­nen Kampf­jets über uns hin­weg, Heli­ko­pter krei­sen über den Häu­sern. Jeden Tag ster­ben hier fast fünf­zig Zivi­lis­ten. Wir leben in einem nie enden­den Getö­se von Schie­ße­rei­en, Explo­sio­nen, Geschrei. Die meis­ten von uns trau­en sich nicht mehr, nach drau­ßen zu gehen. Manch­mal het­zen ein paar Leu­te die Stra­ßen ent­lang, um Lebens­mit­tel zu besor­gen – und ren­nen sofort nach dem Ein­kauf zurück in ihre Woh­nun­gen. Dabei ist es zu Hau­se nicht siche­rer als auf der Stra­ße. Denn die Bom­ben tref­fen auch unse­re Häu­ser. Wäh­rend ich die­se Zei­len schrei­be, höre ich das Don­nern der Kampf­flug­zeu­ge, von irgend­wo her dringt Gefechts­lärm. Gott sei Dank habe ich bis­her alle Angrif­fe über­lebt. Aber vor ein paar Tagen war ich dem Tod so nah wie nie zuvor. Ich war im Vier­tel Al-Mash­had unter­wegs, dort, wo mein Büro ist. Ich stand gera­de im Laden in unse­rer Stra­ße, um mir etwas zu trin­ken zu kau­fen, als die ers­te Fass­bom­be ein­schlug, gera­de mal fünf Häu­ser von uns ent­fernt. Ich duck­te mich für eini­ge Sekun­den vor den umher­flie­gen­den Metall­tei­len. Dann rann­te ich raus auf die Stra­ße. Nur weni­ge Sekun­den spä­ter schlug in der Stra­ße die zwei­te Fass­bom­be ein. Ein Metall­split­ter bohr­te sich in mei­nen Rücken, ein ande­rer in mein Bein. Ich rann­te von der Stra­ße wie­der zurück zum Laden. Und war vor Schock wie gelähmt: Sie­ben Men­schen, die dort Schutz vor der zwei­ten Bom­be gesucht hat­ten, waren tot, zer­quetscht vom Schutt der ein­ge­stürz­ten Decke. Sie star­ben nur, weil sie sich in den Sekun­den der Explo­si­on anders ent­schie­den hat­ten: Sie hiel­ten sich zwi­schen den Rega­len ver­steckt, wäh­rend ich auf die Stra­ße lief. Nur des­we­gen habe ich als Ein­zi­ger von uns über­lebt. Die Hel­fer hat­ten gro­ße Mühe, die ver­dreh­ten und durch­trenn­ten Kör­per aus dem Geröll zu zie­hen. Ange­hö­ri­ge der Toten lagen am Boden und schrien, Kin­der wein­ten. Aus eini­gen Kör­pern quol­len Inne­rei­en, über­all lagen abge­trenn­te Hän­de und Bei­ne. Ins­ge­samt star­ben durch die­se Angrif­fe 15 Men­schen, 25 – mit mir – wur­den ver­letzt. Ich kann die­se Bil­der nicht ver­ges­sen. Ich hät­te einer die­ser Kör­per sein kön­nen. Ich wur­de schnell in ein Kran­ken­haus gebracht, doch hel­fen konn­te mir dort nie­mand. Zu vie­le Men­schen benö­tig­ten Hil­fe, unauf­hör­lich brach­ten Män­ner neue Tra­gen mit Schwer­ver­letz­ten hin­ein. Wäh­rend ich auf den Arzt war­te­te, sah ich so viel Blut, dass ich zu hal­lu­zi­nie­ren begann. Ein Freund brach­te mich des­halb in ein ande­res Kran­ken­haus, wo sich Schwes­tern um mich küm­mer­ten. Sie ent­fern­ten einen Metall­split­ter, der ande­re steckt noch in mei­nem Bein. Sie sagen, er kön­ne erst in eini­ger Zeit ent­fernt wer­den. Doch es sind nicht nur die Bom­ben und Gefech­te, die unser Über­le­ben immer schwe­rer machen. Das Regime hat nun auch die Cas­tel­lo-Stra­ße ein­ge­nom­men. Sie ist eine Todes­zo­ne gewor­den: Stän­dig wird geschos­sen, bren­nen­de Autos lie­gen am Stra­ßen­rand. Das Regime kämpft dort mit aller Macht – und schnei­det uns damit von der Außen­welt ab. Die Cas­tel­lo-Stra­ße war bis­lang die ein­zi­ge Ver­bin­dung von Alep­po nach drau­ßen, in die Vor­or­te und in die Tür­kei. Es war die Lebens­ader der Stadt, von dort haben wir Lebens­mit­tel, Gas, Brenn­stoff, Trink­was­ser und Medi­zin bekom­men.  Die Bela­ge­rung ist für uns dra­ma­tisch. Denn jetzt gibt es kaum noch Obst und Gemü­se zu kau­fen, über­haupt sind die Märk­te fast leer. Auch haben wir immer weni­ger Brenn­stoff, wir ver­brau­chen gera­de die letz­ten Reser­ven der Stadt. Bald schon wer­den wir in kom­plet­ter Dun­kel­heit leben. Das ist es, was das Regime und sei­ne Mili­zen wol­len: dass Alep­po lang­sam stirbt. Sie set­zen dabei allein auf die Zeit. Wir, die noch rund 300.000 Ver­blie­be­nen, wer­den nicht mehr lan­ge ver­sorgt wer­den kön­nen. Ich fürch­te, dass unser Unter­gang schließ­lich dadurch kommt, dass wir alle um Was­ser und Brot kämp­fen. Und dass die, die nicht mehr stark genug sind, dar­um zu kämp­fen, ein­fach ver­hun­gern wer­den. Fakt ist: Wir sit­zen fest. Wir haben kei­ne Chan­ce mehr, aus Ost-Alep­po her­aus­zu­kom­men. Ich habe immer mit drei Freun­den in einer WG zusam­men gewohnt. Jetzt ist nur noch einer von ihnen hier. Malek hat gehei­ra­tet und lebt nun mit sei­ner Frau zusam­men, sie erwar­ten ein Baby. Der ande­re, Jawad, konn­te in die Tür­kei ent­kom­men. Sein Vater wur­de bei einem Angriff schwer ver­letzt und Jawad konn­te mit ihm vor ein paar Wochen in die Tür­kei fah­ren, damit er dort medi­zi­ni­sche Hil­fe bekommt. Jawad ver­sucht, wie­der zu stu­die­ren. Er wird nicht mehr nach Alep­po zurück­kom­men. So zynisch es klingt: Er hat Glück gehabt. Denn nur sehr kran­ke Men­schen dür­fen mit einer Beglei­tung den Grenz­über­gang Bab al-Sal­a­meh in die Tür­kei pas­sie­ren. Die Tür­kei ist da sehr strikt. Für mich gilt das also nicht Selbst, wenn ich Alep­po ver­las­sen woll­te: Ich kann es nicht. Die Bom­bar­die­run­gen in der Stadt sind zu stark, ich wür­de nicht mehr weit kom­men. Ich weiß, dass ich hier nicht mehr weg­kom­men wer­de. Die Bom­ben fal­len wei­ter, jeden Tag, jede Stun­de. Sie tref­fen alles, was sich bewegt. Ich sit­ze in Alep­po fest. Aber noch bin ich am Leben. — stop
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im zug

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nord­pol : 0.02 — Oder aber ich hebe mei­nen Blick vom Bild­schirm mei­ner Schreib­ma­schi­ne. Ich beob­ach­te wie­der­um in einem Nacht­zug rei­send einen Film, der vom Über­le­ben in der Stadt Alep­po erzählt. Plötz­lich glau­be ich zu erken­nen, wie ein Mann im Zug mit einer Pis­to­le um sich schießt. Men­schen flüch­ten und fal­len um. Ich wer­de in die Schul­ter getrof­fen, und ich den­ke noch, ich soll­te wütend wer­den, es wäre gut, wenn man ein Löwe zu wer­den wünscht, wütend zu sein. Ein­mal ste­he ich auf, im Zug herrscht noch Frie­den. Ein älte­rer Mann wirft in die­sem Moment mit Wucht einen Blick auf mich: Bist Du gefähr­lich? Es ist kein ange­neh­mer Blick, es ist ein kal­ter Blick, den man nicht befra­gen kann, weil man weiß, dass man kei­ne kor­rek­te Ant­wort erhal­ten wür­de. Auch so her­um ist das also mög­lich. Selt­sa­me Gedan­ken. — stop
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ein faden

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echo : 22.02 — Ein­mal fuhr ich auf einer Sta­ten Island Fäh­re über die Upper New York Upper Bay spa­zie­ren. Ich war kon­zen­triert. Ich hat­te eine Auf­ga­be. Ich beob­ach­te­te den Him­mel. Ich beob­ach­te­te die Wol­ken. Ich beob­ach­te­te die Häu­ser an der süd­li­chen Spit­ze der Insel Man­hat­tan. Ich erin­ner­te mich an den Film The Look. Es war Som­mer. Es war Nach­mit­tag. Ich hör­te Nach­rich­ten aus einem Radio, die von einem Hur­ri­ka­ne erzähl­ten, der sich von Wes­ten her nähe­re. Men­schen saßen schweig­sam her­um, sie fächer­ten sich Luft zu. Auf dem Dach eines älte­ren Gebäu­des hock­ten Möwen in gro­ßer Höhe. Sie wirk­ten, als wären sie Erfin­dun­gen, kaum sicht­bar, ein Schim­mern in der Luft. In die­sem Augen­blick lös­te sich eine der Möwen vom Dach des Hau­ses, das ich beob­ach­te­te. Sie segel­te über den Bat­tery Park, flog bald in einem groß­zü­gi­gen Bogen gegen den Wind, um schnell näher­zu­kom­men. Weni­ge Sekun­den spä­ter lan­de­te die Möwe nur weni­ge Meter ent­fernt auf der Reling des Schif­fes. Eine Wei­le blieb sie dort sit­zen, sie schien mich zu betrach­ten. Dann flog sie los, flog zurück unge­fähr auf dem­sel­ben Weg, den sie für ihren Hin­flug genom­men hat­te. Bald saß sie wie­der auf dem Dach des alten Hau­ses unter wei­te­ren Möwen, eine schim­mern­de Erfin­dung, dach­te ich, sehr klein, ich konn­te sie gut erken­nen ent­lang eines Fadens von Bil­dern, den ich ver­zeich­net hat­te. — stop

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rot

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india : 5.58 — Zwei Foto­gra­fien, die mög­li­cher­wei­se nicht mehr exis­tie­ren, zei­gen den Kopf eines älte­ren Man­nes ohne Haa­re, des­sen Mund weit geöff­net ist. In die­sem weit geöff­ne­ten Mund hockt ein klei­ner schwar­zer Vogel von rotem Stirn­ge­fie­der. Der Vogel scheint sich in dem Mund des alten Man­nes wohl­zu­füh­len, er kau­ert dort, als wäre der Mund sein Nest. Wei­te­re Vögel sind auf dem Bild zu erken­nen, die dem Vogel im Mund des Man­nes glei­chen, dunk­les Gefie­der, das über ihren Augen hell­rot leuch­tet. Vier Vögel sit­zen auf dem Kopf des alten Man­nes, fünf auf sei­nen Schul­tern, von einem Vogel ist am lin­ken Rand der Foto­gra­fie nur ein Schwanz zu erken­nen, zwölf Vögel befin­den sich schwir­rend in einem Orbit um den Kopf in der Höhe der Ohren, es sieht so aus als wären die­se Vögel Kopf­vö­gel, eine Spe­zi­es für sich, wie Put­zer­fi­sche viel­leicht, die Mond­fi­sche ein Leben lang beglei­ten. Auf einer zwei­ten Foto­gra­fie, von der sich nicht sagen lässt, ob sie vor oder nach der beschrie­be­nen Auf­nah­me gefer­tigt wur­de, zeigt sich der Mund des alten Man­nes geschlos­sen, er lächelt. Strah­lend blaue Augen sit­zen hin­ter einer Bril­le, in deren Glä­sern sich war­mes Licht spie­gelt. Als ich bei­de Bil­der vor eini­ger Zeit neben­ein­an­der leg­te, begann ich unver­züg­lich jene Vögel, die sich um den Kopf des Man­nes her­um­be­weg­ten oder auf ihm saßen, jeweils sorg­fäl­tig zu zäh­len. — stop
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im warenhaus

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marim­ba : 0.02 — Am Abend im Waren­haus beob­ach­te ich einen Jun­gen. Er springt in einer War­te­schlan­ge vor einer Kas­se her­um und lacht und ver­dreht die Augen. Weil sich auf dem För­der­band vor der Kas­se Milch­fla­schen, Corn­flakes­schach­teln, Reistü­ten sowie zwei Honig­me­lo­nen befin­den, kann der Jun­ge den Mann, der an der Kas­se sei­ne Arbeit ver­rich­tet, zunächst nicht sehen. Bei dem Mann han­delt es sich um Javuz Aylin, er ist mit­tels eines Namens­schild­chens, das in der Nähe sei­nes Her­zens ange­bracht wur­de, zu iden­ti­fi­zie­ren. In die­sem Moment der Geschich­te erhebt sich Herr Aylin ein wenig von sei­nem Stuhl, um neu­gie­rig  über die Waren hin­weg zu spä­hen, ver­mut­lich des­halb, weil der Haar­schopf des Jun­gen mehr­fach in sein Blick­feld hüpf­te. Da ist noch ein zwei­ter Haar­schopf an die­sem Abend im Waren­haus in nächs­ter Nähe, schwar­zes, locki­ges Haar, es ist der jün­ge­re Bru­der des Jun­gen, der in weni­gen Sekun­den zu dem Kas­sie­rer spre­chen wird, bei­de Kin­der sind sich so ähn­lich, als sei­en sie Zwil­lin­ge, ein gro­ßer und ein klei­ner Zwil­ling. Gleich hin­ter den Buben war­tet die Mut­ter, sie lächelt, wie sie ihre Kin­der so fröh­lich her­um­tol­len sieht. Die jun­ge Frau trägt ein schö­nes bun­tes Kopf­tuch, ich stel­le mir vor, sie könn­te in Marok­ko gebo­ren wor­den sein, kräf­tig geschmink­ter Mund, herr­li­che Augen. Plötz­lich sind die Waren auf dem För­der­band ver­schwun­den, der älte­re der bei­den Jungs betrach­tet auf­merk­sam das Gesicht des Kas­sie­rers Aylin, der müde zu sein scheint. Er hält dem Jun­gen ein Päck­chen mit Sam­mel­bil­dern zur Euro­pa­meis­ter­schaft ent­ge­gen, außer­dem ein zwei­tes Päck­chen für den klei­ne­ren Bru­der, der immer noch hüpft, weil er soeben doch noch zu klein ist, um über das Band selbst hin­weg spä­hen zu kön­nen. Oh, dan­ke, sagt der Jun­ge zu Herrn Aylin. Er schaut kurz zur Mut­ter hin­auf, die nickt. Ich habe schon fast alle Kar­ten, fährt er fort, die deut­sche Mann­schaft ist kom­plett. Er macht eine kur­ze Pau­se. Ich bin näm­lich Deut­scher, sagt der Jun­ge mit kräf­ti­ger Stim­me, auch mein Bru­der ist Deut­scher. Wie­der schaut er zu Mut­ter hin, und wie­der nickt die jun­ge Frau und lacht. Bist Du auch Deut­scher, fragt der Jun­ge Herrn Aylin. Der schüt­telt jetzt den Kopf und schnei­det eine freund­li­che Gri­mas­se. Der Jun­ge setzt nach: Ach so! War­um nicht? Aber da ist er, ehe Herr Aylin ant­wor­ten kann, mit sei­nem klei­nen Bru­der und sei­nen Sam­mel­bil­dern bereits hin­ter der Kas­se ver­schwun­den, sodass sich ihre Mut­ter beei­len muss, um sie nicht aus den Augen zu ver­lie­ren. — stop
ersteseite

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ein junge und seine lehrerin

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sier­ra : 5.14 — In dem Doku­men­tar­film Selbst­por­trät Syri­en von Ossa­ma Moham­med und Wiam Simav Bedir­xan spa­ziert die kur­di­sche Künst­le­rin Wiam Simav Bedir­xan mit einem Jun­gen, den sie filmt, durch die bela­ger­te Stadt Homs. Der Jun­ge hüpft her­um, wie es Kin­der tun, ent­deckt Blät­ter, die sei­ne Mut­ter viel­leicht kochen könn­te, und vor einer Häu­ser­wand eine rote Blu­me, die der Jun­ge pflückt. Im Hin­ter­grund sind Deto­na­tio­nen zu hören, auch Vogel­stim­men. Als der Jun­ge einen Platz erreicht, an wel­chen sich eine brei­te­re Stra­ße anschließt, fragt er die Leh­re­rin, wie sie wei­ter­ge­hen wer­den. Die Leh­re­rin sagt: Wie Du willst. Und der Jun­ge hüpft vor­an, er nimmt eine Trep­pe, er sagt: Da vorn ist ein Hecken­schüt­ze. Also will er dort nicht gehen, weil er weiß, was ein Hecken­schüt­ze ist. Weni­ge Minu­ten spä­ter errei­chen die Leh­re­rin und der Jun­ge eine wei­te­re Stra­ße, die sie über­que­ren wol­len. Es ist viel­leicht ein Ort, an dem schon vie­le Men­schen zuvor erschos­sen wur­den. Die Leh­re­rin ruft: Lauf! Ich sehe, wie der Jun­ge schnell über die Stra­ße springt, bis er den Schutz eines gegen­über­lie­gen­den Hau­ses erreicht, kurz dar­auf beschleu­nigt auch die Leh­re­rin ihre Schrit­te, das Bild hüpft auf und ab. Ich schloss in die­sem Moment die Augen, als ich sie wie­der öff­ne­te, war eine Foto­gra­fie zwei­er Mäd­chen zu sehen, die in einen Foto­ap­pa­rat lach­ten, auf einer wei­te­ren Foto­gra­fie, die weni­ge Tage spä­ter auf­ge­nom­men wur­de, lie­gen sie in sma­ragd­grü­nen Kleid­chen neben­ein­an­der auf dem Boden und sind tot. Ich bin müde, ich muss bald prü­fen, ob ich erin­nert habe, wie es war. — stop

drohne20

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vor neufundland 02.12.08 : atem

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alpha : 0.02 — Vom Fens­ter aus beob­ach­te ich seit zwei Stun­den ein Rudel Eich­hörn­chen, das auf der Stra­ße weit unten tollt, als gäbe es etwas zu fei­ern. Wenn ich sie mit einer Taschen­lam­pe beleuch­te, blei­ben sie für einen Moment still sit­zen, ich kann sie zäh­len, es sind 12 Eich­hörn­chen, sie schau­en zu mir her­auf, ich habe kei­ne Ahnung, ob sie mich erken­nen. Ich dach­te an Tau­cher Noe, der ges­tern eine Nach­richt sen­de­te und an Natha­lie Sar­rau­te, ihre Bemer­kung, sie habe mit ihrem Roman Kind­heit ver­sucht, Bil­der ihrer Erin­ne­rung zusam­men­zu­stel­len, die sie wie aus einem Stück Wat­te her­aus­zie­hen konn­te. Ger­ne wür­de ich Noe von Natha­lie Sar­rau­te erzäh­len. Er ist nicht erreich­bar, er ver­mag zu sen­den, aber kann kei­ne Nach­rich­ten emp­fan­gen. Ges­tern zuletzt aus 785 Fuß Tie­fe vor Neu­fund­land > ANFANG 02.12.08 | | | > s t o p. nie­mals wer­de ich auf­hö­ren zu schrei­ben und wenn ich nur noch ein wort schrei­ben könn­te weil mir kein wei­te­res wort ein­fal­len wird. s t o p an wel­chem wort wer­de ich mich fest­hal­ten? s m a l l g r e e n f i s h m a k i n g b a c k f l i p s . s t o p ich wünsch­te ich könn­te lesen was ich je geschrie­ben habe. s t o p zurück­keh­ren in zei­ten die ich den­ke. s t o p kor­ri­gie­ren. s t o p löschen was ich ein­mal geschrie­ben und gedacht haben wer­de. t w o b l u e f i s h e s i n l o v e r i g h t w a r d s . s t o p solan­ge ich schrei­be atme ich. s t o p es ist ein und das sel­be. s t o p ich hebe mei­nen lin­ken fuß und sin­ke nach rechts. s t o p ich hebe mei­nen rech­ten fuß und sin­ke nach links. s t o p. erstaun­lich. s t o p | | | ENDE 02.15.32 — stop

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mexico

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nord­pol : 1.15 — Ges­tern Abend ist etwas Lus­ti­ges pas­siert. Schne­cke Esme­ral­da ent­deck­te eine Mög­lich­keit, mein Fern­seh­ge­rät zu bestei­gen. Sie saß wohl schon eine Wei­le dort oben­auf, als ich sie, kurz nach­dem ich das Fern­seh­ge­rät ein­ge­schal­tet hat­te, bemerk­te. Vom auf­blen­den­den Licht unter ihrem Haft­fuß über­rascht, begann sie, kreuz und quer über den Bild­schirm zu flüch­ten, ihre Augen indes­sen streck­te sie so weit wie mög­lich von sich, schließ­lich ließ sie sich ein­fach fal­len, wand sich auf dem Boden als wäre sie ver­rückt gewor­den, lag dann eine Wei­le still, sodass ich mich vor­sich­tig näher­te, weil ich fürch­te­te, sie könn­te ernst­haft Scha­den genom­men haben. Ich fuhr, um ihre Lebens­geis­ter zu locken, mit einem fei­nen Pin­sel über ihre feuch­te, led­ri­ge Haut, und bemerk­te bald, wie ein Schim­mern über ihren Kör­per wan­der­te. Kurz dar­auf streck­te sich ihr Kör­per unter ihrem schwe­ren Gehäu­se in der Art der Sche­cken, wenn sie sich erhe­ben, und wan­der­te über den Boden fort in die Die­le und von dort aus in die Küche hoch auf den Tisch, wo sie nun seit Stun­den auf einer Bana­ne sitzt. Ich glau­be, sie schläft, ihre Turm­au­gen haben sich in den Kör­per zurück­ge­zo­gen, aber sie erwacht unver­züg­lich, wenn ich und solan­ge ich tele­fo­nie­re, zum Bei­spiel mit M., die von ihrem Freund erzählt, der bald nach Mexi­ko rei­sen wird. Sie wohnt seit Jah­ren mit ihm in einer Woh­nung, ohne ein Wort mit ihm zu spre­chen. Sie sagt, jede sei­ner Rei­sen sei­en für sie mit dem Wunsch ver­bun­den, er möge bald zurück­keh­ren, sie sei fröh­lich, sobald er wie­der in die Woh­nung tre­te, spre­chen wer­de sie jedoch nie wie­der mit ihm an die­sem Ort, und das sei gut so, weil sie sich in die­ser Wei­se zu Hau­se nie strei­ten, sie leb­ten sehr har­mo­nisch, er mache immer Früh­stück für sie, er lege Foto­gra­fien, zum Bei­spiel von Mexi­ko, auf ihren gemein­sa­men Tisch, sie suche dann die Guten her­aus, Bil­der, die gelun­gen sind, es gebe nie Dis­kus­sio­nen des­we­gen, weil sie eben nicht mehr mit­ein­an­der spre­chen, höchs­tens mit den Augen und mit den Hän­den oder mit­tels Gegen­stän­den, die irgend­wo lie­gen oder nicht lie­gen. — stop

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