Aus der Wörtersammlung: endlich

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vom stempelwald

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alpha : 22.10 — Andrej erzähl­te, er habe beob­ach­tet, wie er, sobald er in Gedan­ken ver­sun­ken arbei­te, die Welt der Zei­chen auf Papie­ren mit der Welt der digi­ta­len Zei­chen auf Bild­schir­men in unmit­tel­ba­re Ver­bin­dung set­ze. Sobald er lan­ge Zeit auf einem Bild­schirm mit den Werk­zeu­gen der Bild­schir­me an einem Text gear­bei­tet habe, wür­de er, wenn er sich Zei­chen auf Papie­ren zuwen­de, den Ver­such unter­neh­men, auch dort Wör­ter, zum Bei­spiel mit­tels deh­nen­der oder zie­hen­der Bewe­gung zwei­er Fin­ger zu ver­grö­ßern, oder aber Wör­ter durch Berüh­rung zu unter­strei­chen oder aber aus­zu­schnei­den, was zunächst unge­dul­di­ge, sogar hef­ti­ge Wie­der­ho­lung sei­ner Ges­ten zur Fol­ge habe, bis er end­lich begrei­fe, dass er sich an gestem­pel­ten Wör­tern ver­su­che. — stop
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nach dem zug

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echo : 22.02 UTC — Men­schen, die glück­li­che Men­schen sind, gehen im Grun­de zunächst davon aus, dass sie von ande­ren Men­schen ver­stan­den, prä­zi­se, dass sie nicht miss­ver­stan­den wer­den, ich mei­ne in dem Sin­ne, dass Ver­stän­di­gung mög­lich ist, ent­we­der sofort, auf der Stel­le noch, oder mit­tels einer Nach­fra­ge kon­struk­ti­ve Ver­stän­di­gung letzt­end­lich gelingt, sagen wir Zivi­li­sa­ti­on, die nun auch in Mit­tel­eu­ro­pa bedroht wird von Per­so­nen, die auf ihr Land stolz sein wol­len in einer Wei­se, die Men­schen frem­der Spra­chen her­ab­setzt. — Am Mari­en­platz ver­liess ich den Zug. Ich stand unter War­ten­den, war­te­te selbst, beob­ach­te­te den Bahn­steig, auf dem war­ten­de Men­schen sich dräng­ten. Sie stan­den sehr nahe an der Bahn­steig­kan­te. Als der Zug ein­fuhr, dach­te ich, wäre ich ein Lok­füh­rer, wür­de ich in die­ser Situa­ti­on mei­ne Augen schlie­ßen. — stop

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im aquarium

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india : 20.01 UTC — Ein­mal beob­ach­te­te ich in der Unter­was­ser­ab­tei­lung eines zoo­lo­gi­schen Gar­tens Medu­sen und Hai­fi­sche, auch Bunt­bar­sche und See­ster­ne. Es war dort bei­na­he dun­kel gewe­sen, Besu­cher flüs­ter­ten, wohl weil man im Schat­ten­licht lei­se spricht. Als ich mich gera­de umdre­hen woll­te, um nach einem Aus­gang zu suchen, ent­deck­te ich einen klei­ne­ren Behäl­ter, der auf einem Sockel inmit­ten des Saa­les ruh­te. Da schweb­te ein Wesen in dem Behäl­ter, das ich noch nie zuvor gese­hen hat­te. Ich dach­te, tat­säch­lich exis­tie­ren Unter­was­se­r­en­gel, Per­sön­lich­kei­ten, die sich ein Maler aus­ge­dacht haben könn­te. Eini­ge Minu­ten lang war­te­te ich dar­auf, doch end­lich wach zu wer­den, indes­sen der Unter­was­se­r­en­gel mich sei­ner­seits zu beob­ach­ten schien. Kurz dar­auf näher­te sich ein Mit­ar­bei­ter des Aqua­ri­ums, er strich mit einem Fin­ger über die Schei­be hin, der Fisch folg­te dem Fin­ger, als ob er mit ihm befreun­det sei. Ich sag­te, das ist ein selt­sa­mer Fisch, eine Art Unter­was­se­r­en­gel. Nein, ant­wor­te­te der Mit­ar­bei­ter, das ist ein Fet­zen­fisch. Das kann nicht sein, erwi­der­te ich, eine selt­sa­me Bezeich­nung für ein so wun­der­vol­les Wesen. Eine Wei­le dis­ku­tier­ten wir über das Recht oder Unrecht, Namen an Tie­re oder Pflan­zen zu ver­ge­ben. In die­ser Zeit beob­ach­te­te uns der Fisch auf­merk­sam. Plötz­lich dreh­te er sich um und ver­schwand in einer Höh­le, so als habe er die Ent­schei­dung getrof­fen, genau in die­sem Moment sei­nen Arbeits­tag als Fet­zen­fisch zu been­den. — stop

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lappo

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nord­pol : 12.30 UTC — Ein ande­res Mal beob­ach­te­te ich einen Film­be­richt, der von Men­schen erzähl­te, die auf der Insel Lap­po in Mee­res­nä­he sehn­süch­tig den Win­ter wie einen Besu­cher erwar­ten, dass das Meer end­lich gefriert, dass sie bis nach Tur­ku über das Was­ser lau­fen kön­nen. Eine Frau sagt, sie lie­be die Stil­le im Ohr. Die­se Stil­le sei wie ein Geräusch für sich. Man kön­ne der Stil­le zuhö­ren. Manch­mal knis­te­re das Eis, im Som­mer summ­ten Insek­ten­tie­re durch Luft und Stil­le. — Eben fällt mir ein, dass ich vor län­ge­rer Zeit bereits den Auf­trag for­mu­lier­te, Schnee­li­bel­len zu erfin­den. Fan­gen wir an. — stop

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ai : IRAN

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MENSCH IN GEFAHR : “Nach 31 Tagen im Hun­ger­streik im Evin-Gefäng­nis in Tehe­ran geht es Ate­na Dae­mi gesund­heit­lich sehr schlecht und sie benö­tigt umge­hend eine sta­tio­nä­re Behand­lung. Sie ist seit Novem­ber 2016 auf­grund ihrer men­schen­recht­li­chen Akti­vi­tä­ten zu Unrecht inhaf­tiert. / Am 8. April trat die ira­ni­sche Men­schen­rechts­ver­tei­di­ge­rin Ate­na Dae­mi im Evin-Gefäng­nis in den Hun­ger­streik. Sie pro­tes­tiert damit gegen die Ver­ur­tei­lung ihrer Schwes­tern Hanieh und Ensieh zu aus­ge­setz­ten Gefäng­nis­stra­fen wegen “Belei­di­gung von Beamt_innen im Dienst”. Bei­de wur­den am 13. März 2017 von einem Straf­ge­richt in Tehe­ran zu aus­ge­setz­ten Gefäng­nis­stra­fen von drei Mona­ten und einem Tag ver­ur­teilt. Laut der Fami­lie von Ate­na Dae­mi hat sich ihr Gesund­heits­zu­stand sehr ver­schlech­tert. Sie soll etwa 12 kg Gewicht ver­lo­ren haben. Sie lei­det an stän­di­gem Schwin­del, Erbre­chen, Blut­druck­schwan­kun­gen und gro­ßen Nie­ren­schmer­zen. Am 2. Mai ver­lor sie kurz­zei­tig das Bewusst­sein. Sie wur­de am 8. Mai für kur­ze Zeit in ein Kran­ken­haus außer­halb des Gefäng­nis­ses gebracht, in dem eini­ge medi­zi­ni­sche Unter­su­chun­gen durch­ge­führt wur­den. Man brach­te sie jedoch ins Gefäng­nis zurück, noch ehe die Unter­su­chungs­er­geb­nis­se vor­la­gen. Ärzt_innen haben war­nend erklärt, dass ihre Nie­ren­ent­zün­dung einen kri­ti­schen Zustand erreicht habe und sie sofort sta­tio­när behan­delt wer­den müs­se. / Die Gefängnisbeamt_innen gewäh­ren ihr jedoch kei­ne ange­mes­se­ne medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung. Am 29. April erzähl­te Ate­na Dae­mi ihrer Fami­lie, dass die Gefängnisärzt_innen in ihren Berich­ten wei­ter­hin schrei­ben, dass ihr Gesund­heits­zu­stand nor­mal sei und sie ihre Erkran­kung nur “vor­täuscht”. Ende April wur­de sie in die Gefäng­nis­kli­nik gebracht, um ein EKG zu erstel­len, doch der Kran­ken­pfle­ger wei­ger­te sich, die Unter­su­chung durch­zu­füh­ren. Er recht­fer­tig­te sei­ne Wei­ge­rung damit, dass es für männ­li­ches medi­zi­ni­sches Per­so­nal “unan­ge­mes­sen” sei, die­se Unter­su­chung an Pati­en­tin­nen durch­zu­füh­ren, da sie dabei ihre Brust ent­blö­ßen müs­sen. Weib­li­che poli­ti­sche Gefan­ge­ne sehen sich häu­fig zusätz­li­chen For­men geschlechts­spe­zi­fi­scher Dis­kri­mi­nie­rung gegen­über, wenn sie Zugang zu medi­zi­ni­scher Behand­lung suchen. Weib­li­chen Gefan­ge­nen mit abend­li­chen oder nächt­li­chen Herz­pro­ble­men wur­den bereits bei meh­re­ren Gele­gen­hei­ten Not­fall-EKGs ver­wei­gert, da die Gefäng­nis­be­hör­den dar­auf bestan­den, dass die­se Tests von weib­li­chem Per­so­nal durch­ge­führt wer­den, da die Pati­en­tin­nen für die Unter­su­chung ihre Brust ent­blö­ßen müs­sen. / Ate­na Dae­mi und der Rechts­bei­stand ihrer Schwes­tern war­ten der­zeit auf die Über­prü­fung der Schuld­sprü­che und Straf­ma­ße durch das Beru­fungs­ge­richt. Der Rechts­bei­stand befürch­tet, dass die Rechts­mit­tel zurück­ge­wie­sen wer­den könn­ten. Amnes­ty Inter­na­tio­nal betrach­tet das Ver­fah­ren, das zu ihrer Ver­ur­tei­lung führ­te, als unfair und wür­de Hanieh und Ensieh Dae­mi bei einer Inhaf­tie­rung als gewalt­lo­se poli­ti­sche Gefan­ge­ne ein­stu­fen, die nur des­halb zur Ziel­schei­be wur­den, weil sie mit Ate­na Dae­mi ver­wandt sind.” — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 20. Juni 2017 hin­aus, unter > ai : urgent action

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lions writers inc.

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alpha : 17.25 UTC — Eine Notiz der Lions Wri­ters Sup­port Ser­vices. Inc., die ich an die­ser Stel­le mit gro­ßer Freu­de über­setzt wie­der­ge­be, berich­tet von Mr. und Mrs. Sha­pi­ro: > AUF NACH CONEY ISLAND. Als Mr. Sini Sha­pi­ro, wohn­haft zu New York ( Park Ave­nue 720 ), im ver­gan­ge­nen Jahr den drin­gen­den Wunsch äußers­te, end­lich ein­mal sei­ne Woh­nung ver­las­sen zu dür­fen, um sich in der Stadt sei­ner Geburt umzu­se­hen, waren wir mit enor­men Her­aus­for­de­run­gen kon­fron­tiert. Wie könn­te es mög­lich wer­den, frag­ten wir, einen Kie­men­men­schen, der zeit sei­nes Lebens ein hoch­spe­zia­li­sier­tes Was­ser­ha­bi­tat in Man­hat­tan bewohnt, einen Zugang zur Stadt zu ermög­li­chen, ohne ihn umzu­brin­gen. Sehr bald folg­ten wir einer kon­kre­ten Spur. Aus der nau­ti­schen Samm­lung der Fami­lie Land­au, die auf Long Island lebt, erwar­ben wir einen Tief­see­tau­cher­an­zug, wel­cher zuletzt in den 40er Jah­ren der unter­see­ischen Minen­räu­mung dien­te. Der Anzug selbst wog 240, Mr. Sha­pi­ro, ein zar­tes Wesen, 32 Kilo­gramm, die Maße stimm­ten, und der Anzug, wenn man ihn mit Was­ser füll­te, erwies sich als voll­stän­dig dicht über vie­le Tage hin. Am 5. Juni des Jah­res 2016 unter­nah­men wir mit Mr. Sha­pi­ro einen ers­ten Ver­such unter wirk­lich­keits­na­hen Bedin­gun­gen. Getes­tet wur­de in der Woh­nung der Sha­pi­ros zunächst unter Was­ser, ob Mr. Sha­pi­ros Leib sich in den Anzug füg­te und ob er sich gebor­gen füh­len konn­te. In einer zwei­ten Pha­se des Tes­tes ver­such­ten wir einen Ein­druck von der Beweg­lich­keit des Anzugs zu gewin­nen, immer­hin war das Gefäß nun voll­stän­dig mit Was­ser gefüllt. Der Tau­cher­an­zug, Mr. Sha­pi­ro plus Was­ser­fül­lung, sowie ange­schlos­se­ne tech­ni­sche Wei­te­run­gen, Fil­ter und Pum­pen, eine Foto­ka­me­ra sowie zwei Funk­kom­mu­ni­ka­ti­ons­mo­du­le, wogen ins­ge­samt 352 Kilo­gramm. Am 22. Juli dann in den frü­hen Mor­gen­stun­den von sor­gen­vol­len Bli­cken sei­ner Frau beglei­tet, wag­te Mr. Sha­pi­ro sich zum ers­ten Mal in das Leben jen­seits der Schleu­sen­tü­ren sei­ner Woh­nung hin­aus. Der alte Mann wur­de in sit­zen­der Posi­ti­on über Auf­zü­ge des Hau­ses vor­sich­tig zu einem Sub­aru — Sam­bar — Auto­mo­bil trans­por­tiert, das sich, von einem Poli­zei­fahr­zeug eskor­tiert, bald lang­sam über die Man­hatt­an­bridge, kurz dar­auf über die Coney Island Ave­nue süd­wärts beweg­te. Mr. Sha­pi­ro woll­te das Meer mit eige­nen Augen betrach­ten. Brook­lyn, äus­ser­te er spä­ter, gefal­le ihm. / — stop New York City. May 3 2017 by Miu Gallane 

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nuriye gülmen

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romeo : 0.01 UTC — Ich ken­ne Jasus, der eigent­lich ganz anders heisst, seit eini­gen Mona­ten flüch­tig. Wir begeg­nen uns von Zeit zu Zeit am Bahn­hof oder im Zug. Ein­mal kamen wir auf sei­ne Hei­mat­stadt Istan­bul zu spre­chen. Er sag­te, dass er sich freu­en wür­de, wenn ich Istan­bul gera­de jetzt in die­ser schwie­ri­gen Zeit besu­chen wür­de. Jasus ist glü­hen­der Ver­eh­rer des tür­ki­schen Prä­si­den­ten, der habe sein Land moder­ni­siert, er kön­ne end­lich stolz sein auf die Tür­kei. Ich erwähn­te, dass ich Oran Pamuk sehr ger­ne lesen wür­de, da wur­de Jasus vor­sich­tig, der Pamuk wäre ihm nicht geheu­er, der soll kri­tisch über die Tür­kei geschrie­ben haben, obwohl er doch selbst Tür­ke sei. Nun saßen wir kürz­lich auf einer Bank im Flug­ha­fen­ter­mi­nal 1. Ich frag­te Jasus, ob er bereit wäre, einen Film der Deut­schen Wel­le anzu­se­hen, den ich auf mei­nem Note­book gespei­chert mit mir führ­te. Der Film berich­tet von einer Dozen­tin der Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­ten, die seit vie­len Mona­ten in Anka­ra öffent­lich dar­um kämpft, an ihren Arbeits­platz zurück­keh­ren zu dür­fen. Sie wur­de des­halb jeden Tag ver­haf­tet und erst nach je 5 Stun­den wie­der frei­ge­las­sen. Von Nuri­ye Gül­men hat­te Jasus noch nie gehört, aber er woll­te den Film betrach­ten. Ich stell­te mein Note­book also zwi­schen uns ab, und Jasus ver­folg­te den Film wort­los von der ers­ten bis zur letz­ten Minu­te. Ich mein­te zu bemer­ken, dass ihm der Film nahe zu gehen schien. Als der Film zu Ende war, woll­te er wis­sen, war­um ich ihm die Auf­nah­me gezeigt habe. Ich sag­te: Ich fin­de, die­se Frau hat Recht, sie kämpft um ihre Exis­tenz, sie kämpft für Gerech­tig­keit und Frei­heit, sie ist unge­heu­er mutig. Ja, ant­wor­te­te Jasus, sie ist mutig und sie ist ver­rückt. Er mach­te ein Pau­se. Er schien zu über­le­gen. Dann frag­te er, was mich denn eigent­lich die­se gan­ze Geschich­te ange­hen wür­de? Die­se Geschich­te gehe nur ihn und sei­ne Lands­leu­te etwas an. — Ein Fun­ke Hoff­nung! — Seit vier Wochen befin­det sich Nuri­ye Gül­men im Hun­ger­streik. — stop

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transformation : zeit

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india : 22.55 UTC — Es ist Abend und ich sit­ze seit ein oder zwei Stun­den im Dun­keln, weil ich her­aus­zu­fin­den wün­sche, ob Libel­len auch in licht­leeren Räu­men flie­gen, schwe­ben, jagen. Als ich ges­tern erwach­te gegen 7 Uhr in der früh wars schon hell. Eine Libel­le, mari­neblau, balan­cier­te auf dem Rand einer Karaf­fe Tee, die ich neben mei­nem Bett abge­stellt hat­te. Sie schau­te mir beim Aufwa­chen zu und nasch­te, solan­ge ich nur ein Auge und nichts wei­te­res beweg­te, indem sie rhyth­misch mit einer sehr lan­gen Zun­ge bis auf den Grund des zimt­far­benen Gewäs­sers tauch­te. Viel­leicht jag­te sie nach Fischen oder Lar­ven oder klei­nen Flie­gen, nach Tee­flie­gen, kochend­ heiß, die über die Nacht küh­ler gewor­den sein moch­ten wäh­rend ich schlief. Oder aber sie hat­te end­lich Geschmack gefun­den auch an süßen Din­gen des Lebens, wes­halb ich vor einer hal­ben Stun­de einen Löf­fel Honig erhitz­te und auf die Fens­ter­bank trop­fen ließ, um dann sofort das Licht wie­der zu löschen. Und so war­te ich nun bereits seit einer vol­len Stun­de und höre selt­same Geräu­sche, von Men­schen viel­leicht oder ande­ren wil­den Tie­ren. — stop

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von makis

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echo : 3.08 UTC — Ges­tern Abend habe ich ver­sucht, mei­ne Gedan­ken zu beob­ach­ten. Eigent­lich woll­te ich eine Lis­te mei­ner abend­li­chen Gedan­ken ver­fer­ti­gen, Gedan­ken in der Stra­ßen­bahn, Gedan­ken vor einer Super­markt­kas­se war­tend, Gedan­ken in der Beob­ach­tung eines Fern­seh­bild­schir­mes. Ich war sehr müde gewe­sen, hat­te lang gear­bei­tet, war, sagen wir, lang­sam mit dem Kopf, des­halb nicht aus­rei­chend schnell, um sagen zu kön­nen, das war nun ein Gedan­ke, der gera­de eben abge­schlos­sen wur­de, nun beginnt gera­de eine wei­te­rer Gedan­ke, die­ser Gedan­ke No 18 ( Herz­lich Will­kom­men! ) beschäf­tigt sich mit der zen­tra­len Fra­ge wovon Kobold­ma­kis sich eigent­lich ernäh­ren? Ich habe bemerkt, dass es mög­lich zu sein scheint, einen Gedan­ken fest­zu­hal­ten, um den Gedan­ken zu ver­grö­ßern, ihn also schwe­rer ( Gra­vi­ta­ti­on ) zu machen, sagen wir, den Gedan­ken mit Zeit­räu­men rück­wärts ( erin­nernd ) oder vor­wärts ( spe­ku­lie­rend ) zu ver­se­hen. Je län­ger ich an einem Gedan­ken­kno­ten fest­hal­te, des­to schläf­ri­ger wer­de ich. Ein Gedan­ke kann sich in ein Bild ver­wan­deln. Wenn ich in Gedan­ken die Augen eines Kobold­ma­kis zur Auf­füh­rung brin­ge, schla­fe ich ein. — stop
ping

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brighton beach ave

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nord­pol

~ : louis
to : mrs. valen­ti­na zeiler
brook­lyn trans­la­ti­on services
23 brigh­ton beach ave,
Brooklyn
sub­ject : BRYANT PARK

Sehr geehr­te Frau Zei­ler, ich dan­ke Ihnen herz­lich für Ihre rasche Ant­wort. Ich will nun abschlie­ßend den Auf­trag ertei­len, mein unten fol­gen­des Schrei­ben in die eng­li­sche Spra­che zu über­set­zen. Ich bit­te um sorg­fäl­tigs­te Arbeit, Sie wer­den erken­nen, in die­sem Text ist von einem Rei­se­tun­nel nach Ame­ri­ka die Rede, der in mei­ner Vor­stel­lung von äußers­ter Bedeu­tung ist, ein poe­ti­scher Ent­wurf, jedes Wort scheint mir für sei­ne Ver­wirk­li­chung von hoher Bedeu­tung zu sein. Mit ver­ein­bar­ter Ver­gü­tung bin ich ein­ver­stan­den, der Betrag von 82 Dol­lar wur­de bereits ange­wie­sen. Wei­te­re Auf­trä­ge wer­de ich mit Ihnen in Kür­ze bei einem Besuch in ihrem Büro per­sön­lich bespre­chen. Darf ich an die­ser Stel­le mei­ner Ver­wun­de­rung dar­über Aus­druck geben, dass die Über­set­zung des­sel­ben Tex­tes in die chi­ne­si­sche Spra­che 122 Dol­lar kos­ten wür­de. Ich fra­ge mich, wor­in die erheb­li­che Dif­fe­renz von 40 Dol­lar begrün­det sein könn­te. Mit aller­bes­ten Grü­ßen — Ihr Louis

BRYANT PARK — 570 WÖRTER > GO /// Es hat­te Stun­den lang gereg­net, jetzt dampf­te der Boden im süd­wärts vor­rü­cken­den Nord­licht, und das Laub, das alles bedeck­te, die stei­ner­nen Bän­ke, Brun­nen und Skulp­tu­ren, die Büsche und Som­mer­stüh­le der Cafes, beweg­te sich trock­nend wie eine abge­wor­fe­ne Haut, die nicht zur Ruhe kom­men konn­te. Boule­spie­ler waren vom Him­mel gefal­len, feg­ten ihr Spiel­feld, schon war das Kli­cken der Kugeln zu hören, Schrit­te, Rufe. Wie ich so zu den Spie­lern schlen­der­te, kreuz­te eine jun­ge Frau mei­nen Weg. Sie tas­te­te sich lang­sam vor­wärts an einem wei­ßen, sehr lan­gen Stock, den ich ein­ge­hend beob­ach­te­te, rasche, den Boden abklop­fen­de Bewe­gun­gen. Als sie in mei­ne Nähe gekom­men war, viel­leicht hat­te sie das Geräusch mei­ner Schrit­te gehört, sprach sie mich an, frag­te, ob es bald wie­der reg­nen wür­de. Ich erin­ne­re mich noch gut, zunächst sehr unsi­cher gewe­sen zu sein, aber dann ging ich ein Stück an ihrer Sei­te und berich­te­te vom Okto­ber­licht, das ich so lieb­te, von den Far­ben der Blät­ter, die unter unse­ren Füßen raschel­ten. Bald saßen wir auf einer nas­sen Bank, und die jun­ge Frau erzähl­te, dass sie ein klei­nes Pro­blem haben wür­de, dass sie einen Brief erhal­ten habe, einen lang erwar­te­ten, einen ersehn­ten Brief, und dass sie die­sen Brief nicht lesen kön­ne, ein Mann mit Augen­licht hät­te ihn geschrie­ben, ob ich ihr den Brief bit­te vor­le­sen wür­de, sie sei so sehr glück­lich, die­sen Brief end­lich in Hän­den zu hal­ten. Ich öff­ne­te also den Brief, einen Luft­post­brief, aber da stan­den nur weni­ge, sehr har­te Wor­te, ein Ende in sechs Zei­len, Druck­buch­sta­ben, eine schlam­pi­ge Arbeit, rasch hin­ge­wor­fen, und obwohl ich wuss­te, dass ich etwas tat, das ich nicht tun durf­te, erzähl­te mei­ne Stim­me, die vor­gab zu lesen, eine ganz ande­re Geschich­te. Liebs­te Mar­len, hör­te ich mich sagen, liebs­te Mar­len, wie sehr ich Dich doch ver­mis­se. Konn­te solan­ge Zeit nicht schrei­ben, weil ich Dei­ne Adres­se ver­lo­ren hat­te, aber nun schrei­be ich Dir, schrei­be Dir aus unse­rem Cafe am Bryant Park. Es ist gera­de Abend gewor­den in New York und sicher wirst Du schon schla­fen. Erin­nerst Du Dich an die Nacht, als wir hier in unse­rem Cafe Dei­nen Geburts­tag fei­er­ten? Ich erzähl­te Dir von einer klei­nen, dunk­len Stel­le hin­ter der Tape­te, die so rot ist, dass ich Dir nicht erklä­ren konn­te, was das bedeu­tet, die­ses Rot für sehen­de Men­schen? Erin­nerst Du Dich, wie Du mit Dei­nen Hän­den nach jener Stel­le such­test, wie ich Dei­ne Fin­ger führ­te, wie ich Dir erzähl­te, dass dort hin­ter der Tape­te, ein Tun­nel endet, der Euro­pa mit Ame­ri­ka ver­bin­det? Und wie Du ein Ohr an die Wand leg­test, wie Du lausch­test, erin­nerst Du Dich? Lan­ge Zeit hast Du gelauscht. Ich höre etwas, sag­test Du, und woll­test wis­sen, wie lan­ge Zeit die Stim­men wohl unter dem atlan­ti­schen Boden reis­ten, bis sie Dich errei­chen konn­ten. – An die­ser Stel­le mei­ner klei­nen Erzäh­lung unter­brach mich die jun­ge Frau. Sie hat­te ihren Kopf zur Sei­te geneigt, lächel­te mich an und flüs­ter­te, dass das eine sehr schö­ne Geschich­te gewe­sen sei, eine tröst­li­che Geschich­te, ich soll­te den Brief ruhig behal­ten und mit ihm machen, was immer ich woll­te. Und da war nun das aus dem Boden kom­men­de Nord­licht, das Knis­tern der Blät­ter, die Stim­men der spie­len­den Men­schen. Wir gin­gen noch eine klei­ne Stre­cke neben­ein­an­der her, ohne zu spre­chen. Ich seh gera­de ihren über das Laub tas­ten­den Stock und ein Eich­hörn­chen mit einer Nuss im Maul, das an einem Baum­stamm kau­er­te. Bei­na­he kommt es mir in die­ser Sekun­de so vor, als hät­te ich die­ses Eich­hörn­chen und sei­ne Nuss nur erfun­den. /// END

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