Aus der Wörtersammlung: etwas

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eiszimmer

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sier­ra : 6.52 — Vor eini­gen Tagen habe ich einen beson­de­ren Kühl­schrank in Emp­fang genom­men, einen Behäl­ter von enor­mer Grö­ße. Ich kann mit Fug und Recht behaup­ten, dass die­ser Kühl­schrank, in wel­chem ich pla­ne im Som­mer wie auch im Win­ter kost­ba­re Eis­bü­cher zu stu­die­ren, eigent­lich ein Zim­mer für sich dar­stellt, ein gekühl­tes Zim­mer, das wie­der­um in einem höl­zer­nen Zim­mer sitzt, das sich selbst in einem grö­ße­ren Stadt­haus befin­det. Nicht dass ich in der Lage wäre, in mei­nem Kühl­schrank­zim­mer auf und ab zu gehen, aber es ist groß genug, um einen Stuhl in ihm unter­zu­brin­gen und eine Lam­pe und ein klei­nes Regal, in dem ich je zwei oder drei mei­ner Eis­bü­cher aus­stel­len wer­de. Dort, in nächs­ter Nähe zu Stuhl und Regal, habe ich einen wei­te­ren klei­ne­ren, äußerst kal­ten, einen gut iso­lier­ten Kühl­schrank auf­ge­stellt, einen Kühl­schrank im Kühl­schrank sozu­sa­gen, der von einem Not­strom­ag­gre­gat mit Ener­gie ver­sorgt wer­den könn­te, damit ich in den Momen­ten eines Strom­aus­fal­les aus­rei­chend Zeit haben wür­de, jedes ein­zel­ne mei­ner Eis­bü­cher in Sicher­heit zu brin­gen. Es ist näm­lich eine uner­träg­li­che Vor­stel­lung, jene Vor­stel­lung war­mer Luft, wie sie mei­ne Bücher berührt, wie sie nach und nach vor mei­nen Augen zu schmel­zen begin­nen, all die zar­ten Sei­ten von Eis, ihre Zei­chen, ihre Geschich­ten. Seit ich den­ken kann, woll­te ich Eis­bü­cher besit­zen, Eis­bü­cher lesen, schim­mern­de, küh­le, uralte Bücher, die knis­tern, sobald sie aus ihrem Schnee­schu­ber glei­ten. Wie man sie für Sekun­den lie­be­voll betrach­tet, ihre pola­re Dich­te bewun­dert, wie man sie dreht und wen­det, wie man einen scheu­en Blick auf die Tex­tu­ren ihrer Gas­zei­chen wirft. Bald sitzt man in einer U‑Bahn, den lei­se sum­men­den Eis­buch­rei­se­kof­fer auf dem Schoß, man sieht sich um, man bemerkt die begeis­ter­ten Bli­cke der Fahr­gäs­te, wie sie flüs­tern: Seht, dort ist einer, der ein Eis­buch besitzt! Schaut, die­ser glück­li­che Mensch, gleich wird er lesen in sei­nem Buch. Was dort wohl hin­ein­ge­schrie­ben sein mag? Man soll­te sich fürch­ten, man wird sei­nen Eis­buch­rei­se­kof­fer viel­leicht etwas fes­ter umar­men und man wird mit einem wil­den, mit einem ent­schlos­se­nen Blick, ein gie­ri­ges Auge nach dem ande­ren gegen den Boden zwin­gen, solan­ge man noch nicht ange­kom­men ist in den fros­ti­gen Zim­mern und Hal­len der Eis­ma­ga­zi­ne, wo man sich auf Eis­stüh­len vor Eis­ti­sche set­zen kann. Hier end­lich ist Zeit, unter dem Pelz wird nicht gefro­ren, hier sitzt man mit wei­te­ren Eis­buch­be­sit­zern ver­traut. Man erzählt sich die neu­es­ten ark­ti­schen Tief­see­eis­ge­schich­ten, auch jene ver­lo­re­nen Geschich­ten, die aus purer Unacht­sam­keit im Lau­fe eines Tages, einer Woche zu Was­ser gewor­den sind: Haben sie schon gehört? Nein! Haben sie nicht? Und doch ist kei­ne Zeit für alle die­se Din­ge. Es ist immer die ers­te Sei­te, die zu öff­nen, man fürch­tet, sie könn­te zer­bre­chen. Aber dann kommt man schnell vor­an. Man liest von uner­hör­ten Gestal­ten, und könn­te doch nie­mals sagen, von wem nur die­se fei­ne Luft­eis­schrift erfun­den wor­den ist. — stop
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ein beamter unterirdischer musikabspielgeräte

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nord­pol : 0.25 — Als der Beam­te, der für das Fried­hofs­we­sen zustän­dig ist, win­kend eine Wie­se über­quer­te, stand ich mit einem Gärt­ner unter einer blatt­lo­sen Ulme. Der Mann rauch­te einen Ziga­ril­lo. Spä­ter Nach­mit­tag. Flü­gel­tie­re, gold­far­be­ne Gespens­ter, flat­ter­ten in der Luft her­um. Ich hat­te gera­de die Fra­ge gestellt, ob der Baum, unter dem wir war­te­ten, noch am Leben sei, als uns der Beam­te erreich­te. Er war etwas außer Atem und lach­te, weil ich ein altes Eisen­kreuz in mei­nen Hän­den dreh­te. Er sag­te sofort, dass die­ses Kreuz an Ort und Stel­le denk­bar sei. Das kön­nen sie hier auf­stel­len! Also waren wir sehr zufrie­den alle, wir hat­ten in gemein­sa­mer Gegen­wart kaum drei­fach geat­met und schon konn­ten wir wie­der aus­ein­an­der­ge­hen, wenn da nicht jener Baum gewe­sen wäre ohne Blät­ter, wes­we­gen wir über das Wet­ter zu spre­chen began­nen, über Win­ter­ta­ge, die kei­ne mehr sind. Und über Som­mer­zei­ten, die den Herbst­zei­ten von Jahr zu Jahr ähn­li­cher zu wer­den schei­nen. Ein Eich­hörn­chen toll­te über ein Grab in unse­rer Nähe, grub sich in die Erde, Stei­ne flo­gen durch die Luft. Viel­leicht weil sich das klei­ne Tier sicht­bar in die Tie­fe vor­an arbei­te­te, hat­te ich die Idee, mei­ne Vor­stel­lung unter­ir­di­scher Musik vor­zu­tra­gen, die ich vor Mona­ten bereits ein­mal notier­te. Und so erzähl­te ich, wie ich geschrie­ben hat­te, dass näm­lich auf mei­ner letz­ten Ruhe­stät­te ein­mal ein Wind­rad ste­hen könn­te. Das Rad wür­de, in dem es sich dreh­te, Strom erzeu­gen. Mit­tels eines Kabels wür­de die­ser Strom zu einer Bat­te­rie unter die Erde geführt. Sobald nun durch kräf­ti­ge Win­de aus­rei­chen­de Men­gen von Strom gesam­melt sein wer­den, wür­de sich ein Musikab­spiel­ge­rät in Bewe­gung set­zen, um etwas Char­lie Par­ker oder Ben­ny Good­man zu spie­len. Eine rei­zen­de Vor­stel­lung, sag­te ich, eine Über­le­gung, die mich seit dem ver­gan­ge­nen April täg­lich beglei­tet. Und wie nun der Fried­hofs­gärt­ner anfing zu lachen, ein Lachen, das wärm­te, und wie aus dem Beam­ten der klei­nen Stadt, ein Beam­ter für unter­ir­di­sche Musik zu wer­den begann. — stop

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kamele

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alpha : 8.02 — War­te­te in der Metro­sta­ti­on Charles Michels auf einer höl­zer­nen Bank, hat­te mei­ne Füße in war­men Sand gesteckt. Dünen, knie­hoch, eil­ten von Süden nach Nor­den durch die Unter­grund­sta­ti­on, ohne dass eine Wind­be­we­gung zu spü­ren gewe­sen wäre. Da waren Kame­le in der Grö­ße mensch­li­cher Hän­de. Sie beweg­ten sich mit den Dünen und sie waren blau, von einem vor­neh­men Blau, ultra­ma­rin oder etwas dunk­ler. Bald lie­ßen sie sich vor mir nie­der und ruh­ten, wie Kame­le ruhen, den Kopf hoch­er­ho­ben, kau­end, mal das eine Auge geschlos­sen, dann das ande­re. Wie ich sie so träu­mend betrach­te­te, erin­ner­te ich mich, dass ich die­sen Traum schon ein­mal träum­te. Ich ahn­te, dass bald ein Zug aus dem Tun­nel kom­men wür­de, ein Zug gefüllt mit Sand, und dass ich mich erhe­ben und in den Zug stei­gen und erwa­chen wür­de. Genau so ist es gekom­men. Und jetzt sit­ze ich hier am Schreib­tisch und notie­re die­sen Traum, obwohl ich doch von der Ent­de­ckung der Eis­bü­cher berich­ten woll­te. – Guten Morgen!

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lopes

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del­ta : 0.36 — Ich stel­le mir vor, wie ich bald ein­mal von einer län­ge­ren Rei­se nach Hau­se zurück­kom­men wer­de. Ich öff­ne die Woh­nungs­tü­re, mache Licht, ein paar Nacht­fal­ter kom­men mir durch den Flur zur Begrü­ßung ent­ge­gen. In der Küche blü­hen Kak­teen. Im Wohn­zim­mer auf dem Sofa ruht eine nor­we­gi­sche Wald­kat­ze, sie schläft. Es herrscht, obwohl Win­ter­zeit, eine ange­neh­me Tem­pe­ra­tur in allen Räu­men, eine Wär­me, die von der Hit­ze umlie­gen­der Woh­nun­gen ver­ur­sacht ist. Ich höre Duke Elling­ton lei­se vom Radio her, das ich ver­gaß vor mei­ner Rei­se aus­zu­schal­ten. Ja, und da ist nun also Lopes, auf dem Rücken lie­gend, bewe­gungs­los. Ich sage, Lopes, hal­lo Lopes, guten Abend, bin wie­der da, werd dich gleich wecken. Schrit­te an der Zim­mer­de­cke, das pfei­fen­de Geräusch einer Stra­ßen­bahn, die eine Kreu­zung über­quert, der Staub der Mona­te knis­tert auf den Lam­pen­bir­nen. Auch die Kak­teen hin­ter dem Schreib­tisch blü­hen wie ver­spro­chen. Es ist ein wirk­lich ange­neh­mer Abend. Lopes ist schmal gewor­den und kühl, wie ich mit einer Hand über ihren Kör­per fah­re, füh­le ich ihre Rip­pen­bö­gen unter dem Fell. Nichts kann man falsch machen in die­sen sanf­ten Momen­ten einer Rück­kehr aus der Fer­ne, man macht das so, man setzt sich neben das schlum­mern­de Kat­zen­tier, man zieht ganz sanft an einem ihrer Ohren, mal ist es das lin­ke, mal ist es das rech­te Ohr, und schon öff­nen sich ihre Augen, es ist über­all das­sel­be Prin­zip. Ich hör­te von Arten, die 5 Jah­re lang schla­fen und war­ten, ohne je ein­mal auf­zu­wa­chen, oder trin­ken oder essen zu müs­sen. Das sind Kat­zen, die sehr kost­bar sind, Lopes dage­gen ist eine eher preis­wer­te Vari­an­te, eine Kat­ze, die sechs Mona­te bei bes­ter Gesund­heit zu schla­fen ver­mag. Ich sit­ze jetzt in der Küche, ich höre, wie mei­ne Kat­ze schnurrt. Gleich wird sie um die Ecke kom­men, etwas wacke­lig auf den Bei­nen noch und ahnungs­los wie viel Zeit doch ver­gan­gen ist, seit ich sie in den Schlaf geschal­tet habe. — stop

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ohrentraum

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bamako : 5.55 — War im Restau­rant. Dort schritt die Zeit sehr viel schnel­ler als übli­cher­wei­se vor­an. Jeder ein­tre­ten­de Besu­cher wur­de gewarnt, unge­fähr so: Guten Abend, mein Herr, wir wol­len sie dar­auf hin­wei­sen, dass ein Abend bei uns sie um etwa ein Jahr älter wer­den lässt. Tat­säch­lich fla­cker­te im Saal das Licht auf­ge­regt, das waren viel­leicht Däm­me­run­gen, Näch­te und Tage. Auch mein Herz schlug wie ver­rückt und das Blut zisch­te durch mei­ne Blut­ge­fä­ße. Ich ver­speis­te 250 Gramm gerös­te­ter mensch­li­cher Ohren in einer sanf­ten Zitro­nen­sauce. Als ich erwach­te, hör­te ich mei­ne eige­ne Stim­me, die etwas sag­te, das ich nicht ver­stand. Ich mach­te Kaf­fee und ich notier­te mei­nen Traum unver­züg­lich. Über die Notiz setz­te ich das Wort: Ohren­traum. — stop

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fingerknospen

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india : 6.32 — Mei­ne Schreib­ma­schi­ne ist ein merk­wür­di­ges Ding. Sie ist flach und sie ver­fügt über einen Bild­schirm und außer­dem über einen licht­emp­find­li­chen Sen­sor, der ins Inne­re mei­ner Schreib­ma­schi­ne zu mel­den scheint, ob Tag ist oder Nacht, ob Hel­le oder Dun­kel. Ich habe soeben eine Vier­tel­stun­de nach der Posi­ti­on die­ses Sen­sors gesucht, zunächst mit­tels mei­ner Augen selbst, etwas spä­ter mit einer Lupe, je ohne eine beweis­kräf­ti­ge Spur auf­neh­men zu kön­nen. Es ist Sams­tag. Ich mag das Wort Sams­tag gut lei­den. Gera­de fällt mir ein, dass ich bald ein wei­te­res Jahr gelebt haben wer­de, ohne einen Fin­ger ver­lo­ren oder um einen Fin­ger zuge­nom­men zu haben. Oft, so auch heu­te, habe ich mich gefragt, wie sich ein nach­wach­sen­der Fin­ger zunächst bemerk­bar machen wür­de? Wür­de sich neben einem bereits exis­tie­ren­den Fin­ger eine Fin­ger­knos­pe bil­den, die nach und nach sich zu einem voll­stän­di­gen Fin­ger­glied erhe­ben wür­de? Oder wür­de sich viel­leicht einer mei­ner älte­ren Fin­ger in sei­ner Mit­te tei­len? Das sind sehr inter­es­san­te Fra­gen, die viel­leicht ein wenig unheim­lich zu sein schei­nen. Vor weni­gen Stun­den, das geht mir nicht aus dem Kopf, habe ich am Flug­ha­fen mit einem jun­gen Mann gespro­chen, der in einem Wasch­raum stand und eine sehr trau­ri­ge Geschich­te erzähl­te. Manch­mal muss­te er wei­nen. Sei­ne Augen röte­ten sich und er beug­te sich rasch über das Wasch­be­cken und begann sein Gesicht mit Was­ser zu benet­zen. Dann rich­te­te er sich auf, erzähl­te wei­ter und wein­te erneut, um sich wie­der­um über das Wasch­be­cken zu beu­gen bis er so nass gewor­den war, dass er ste­hen­blieb und erzähl­te und wein­te zur glei­chen Zeit, ohne sich noch ver­ber­gen zu wol­len. — stop

polaroidunter

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tahiti

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oli­mam­bo : 5.08 — In der ver­gan­ge­nen Nacht habe ich das Ruf­re­gis­ter mei­nes Tele­fons bear­bei­tet. Zwei Num­mern oder Per­so­nen wur­den gelöscht. Das war kurz vor 1 Uhr gewe­sen. Ich hat­te mir eine See­bar­be gebra­ten, und wäh­rend ich nun einer­seits den Fisch beob­ach­te­te, wie er in der Pfan­ne dampf­te, betas­te­te ich ander­seits das Tele­fon mit bei­den Hän­den. Der Appa­rat pieps­te, indem ich die Num­mern lösch­te und ich hat­te im Moment des Löschens das Gefühl, leich­ter gewor­den zu sein. Dann leg­te ich das Tele­fon auf einen Tisch und betrach­te­te es. Ich erin­ne­re mich, dass ich dar­an dach­te, mit genau die­sem Tele­fon, hin und wie­der mei­nen Vater ange­ru­fen zu haben. Und ich dach­te noch dazu, dass das nun nicht mehr mög­lich sein wird. Wenn ich frü­her ein­mal vor­hat­te, mei­nen Vater anzu­ru­fen, öff­ne­te ich das Menü der Anruf­lis­te und navi­gier­te, bis ich den Ein­trag ELTERN erreich­te. Bis­wei­len war mein Vater sofort am Tele­fon, meis­tens aber war mei­ne Mut­ter schnel­ler gewe­sen. Ich sag­te, Hal­lo, hier ist Lou­is, wie geht es Euch? Oh, ja, bei uns reg­net es auch. Nein, ich konn­te tief schla­fen, trotz der Hit­ze. Ich hat­te die Fens­ter geöff­net, wäh­rend ich arbei­te­te, die Luft riecht heu­te wie­der so gut nach Stei­nen. Ein paar nas­se Fal­ter sit­zen auf der Fens­ter­bank und zit­tern um die Wet­te. In der ver­gan­ge­nen Nacht reg­ne­te es nicht, aber die Fens­ter waren wie­der geöff­net und die Fal­ter segel­ten durch die Luft. Ich könn­te viel­leicht noch etwas Ver­rück­tes unter­neh­men, ich könn­te ein wenig in Georg Fors­ter Rei­se nach Tahi­ti und in die Süd­see lesen. Das machen wir jetzt. 5 Uhr und zwei Minu­ten. Mitt­woch. – stop
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posaune

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india : 0.28 — Ich habe vor weni­gen Minu­ten mit­tels eines Film­do­ku­ments den Posau­nis­ten Fred Wes­ley solan­ge beob­ach­tet, bis ich der fes­ten Über­zeu­gung sein konn­te, die Posau­ne habe auf Fred Wes­leys Schul­ter wie ein Tier Platz genom­men, sie habe den kor­pu­len­ten, alten Herrn sozu­sa­gen okku­piert, um auf ihm Musik zu machen. Fun­ky! Fun­ky! Mit Fred Wes­ley ist das so: Er bewegt sich geschmei­dig und ele­gant, er scheint zu tan­zen, selbst dann noch, wenn er reg­los, wie schein­bar ange­hal­ten, vor einem Mikro­fon ver­harrt. Seit Mona­ten habe ich den Ver­dacht, dass der alte Posau­nist außer­ge­wöhn­lich lan­ge Zeit die Luft anzu­hal­ten ver­mag. Ich wer­de des­halb sofort, in die­ser Nacht noch, eine E‑Mail ver­fas­sen und mich erkun­di­gen, ob ich mit mei­ner Ver­mu­tung recht haben könn­te. Sehr geehr­ter Mr. Wes­ley, so viel­leicht soll­te ich begin­nen, es ist Mit­ter­nacht in Euro­pa. Ich hei­ße Lou­is, und ich wüss­te ger­ne, wo Sie sich gera­de befin­den, weil ich ein Gespräch mit Ihnen zu füh­ren wün­sche über das Anhal­ten der Luft und die­se Din­ge, die einem Posau­nis­ten, wie sie einer sind, viel­leicht außer­or­dent­lich gut gelin­gen. Ges­tern auf dem Weg von einem Zim­mer in ein ande­res Zim­mer, wäre ich um Haa­res­brei­te umge­fal­len, weil mir schwin­de­lig wur­de, weil ich kurz zuvor eine Minu­te und eine hal­be Minu­te nicht geat­met hat­te. Ich fra­ge mich, ob ich viel­leicht etwas falsch gemacht haben könn­te. Wie trai­nie­re ich am bes­ten und was sind sinn­vol­le Zie­le, die ein Mensch in die­sem Sport errei­chen kann, ohne sein Leben aufs Spiel zu set­zen? Soll ich mir eine Posau­ne kau­fen? Wie auch immer, ver­ehr­ter Mr. Wes­ley, ich wäre Ihnen dank­bar, wenn Sie mir recht bald ant­wor­ten wür­den, damit ich in mei­nen Übun­gen fort­fah­ren kann. Ihr Lou­is — stop

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zeitjazz

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sier­ra : 3.32 — An einer ande­ren Stel­le habe ich bereits von mei­nem Wunsch erzählt, man möge auf mei­ner letz­ten Ruhe­stät­te ein­mal ein Wind­rad errich­ten. Ich hat­te notiert, das Rad, indem es rotier­te, könn­te Strom erzeu­gen. Mit­tels eines Kabels wür­de die­ser Strom zu einer Bat­te­rie unter die Erde geführt und ein Musikab­spiel­ge­rät in Bewe­gung gesetzt, um etwas Char­lie Par­ker oder Ben­ny Good­man zu spie­len. Eine fas­zi­nie­ren­de Vor­stel­lung immer noch, eine Idee, die mich in Gedan­ken jedes Mal gegen einen Zeit­raum führt, der nicht ganz ein­fach vor­zu­stel­len ist, weil ich in ihm nicht wirk­lich vor­kom­men wer­de, es sein denn als eine Per­son, die man zu den Toten zählt. Man wird viel­leicht irgend­wann ein­mal sagen, die­ser hier, der dort unter Erde liegt, war einer, der zur Lebens­zeit die Idee ver­folg­te, ein Wind­rad auf sei­nem Grab zu errich­ten. Sein Name ist Lou­is gewe­sen, er konn­te sich vor­stel­len, wie das Wind­rad sich dre­hen wird und Strom erzeu­gen, aber er konn­te sich nicht wirk­lich vor­stel­len, wie es sein wird, in der Nähe die­ses Wind­ra­des ohne Leben zu sein. Gera­de fällt mir ein, dass ich ein­mal hör­te, es wer­de viel­leicht bald mög­lich sein, das Wis­sen, das Bewusst­sein, das Wesen einer Per­son in das digi­ta­le Gehirn eines Com­pu­ters zu über­tra­gen. Dem­zu­fol­ge ist denk­bar gewor­den, neben orga­ni­schen Bestand­tei­len eines Ver­stor­be­nen sein Bewusst­sein bei­zu­set­zen und mit­tels eines Wind­ra­des mit Strom zu ver­sor­gen. Wenn nun Wind­stil­le herrsch­te, wür­de das Bewusst­sein schla­fen, und wenn es stür­misch gewor­den ist, da drau­ßen, da oben im Herbst, bei­spiels­wei­se, wür­de es im rasen­den Den­ken ver­ge­hen vor Glück. – Es ist kurz nach drei Uhr. Auto­mo­bi­le der Poli­zei schlei­chen in Kolon­nen mit Blau­licht durch die Stra­ße, in der ich woh­ne. — stop

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leuchtfeuer

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echo : 8.01 — Die Wie­der­ho­lung einer Nacht­zeit vor weni­gen Stun­den noch. Regen. Das Geräusch des Was­sers, ein Geräusch des Bodens, der Stäm­me, der Dächer, der Regen­rin­nen. Viel­leicht, weil in ihm Zeit ent­hal­ten ist, Trop­fen für Trop­fen zu einer regel­mä­ßi­gen Bewe­gung, höre ich die­ses Geräusch als ein beru­hi­gen­des Geräusch. Oder auch des­halb, weil ich das Wesen der Kie­men­men­schen in mir tra­ge, weil ich von Men­schen­woh­nun­gen erzäh­le, die unter Was­ser ste­hen. An die­sem küh­len Mor­gen ist etwas Wesent­li­ches fest­zu­hal­ten, ein ange­neh­mes Wort, das Wort Leucht­feu­er. Und dass ich von Kra­ni­chen träum­te, ja träum­te, selbst ein Kra­nich unter Kra­ni­chen zu sein. Wir flo­gen eine Küs­te ent­lang. Ich erin­ne­re mich, dass ich durs­tig gewe­sen war, weil viel Son­ne vom Him­mel brann­te. Die Kra­ni­che bemerk­ten bald, dass mich die Hit­ze quäl­te. Sie such­ten nach mei­nem Schna­bel, um mich mit Was­ser zu füt­tern. Aber ich hat­te kei­nen Schna­bel, son­dern einen mensch­li­chen Mund, wes­halb sie bald auf­ga­ben, mich füt­tern zu wol­len. Statt­des­sen näher­te sich einer nach dem ande­ren, um nach­zu­se­hen, welch selt­sa­mer Vogel mit ihnen nach Nor­den flog. — stop



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