Aus der Wörtersammlung: fliege

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von wasserläufern

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nord­pol : 20.25 UTC — Heu­te Nach­mit­tag habe ich eine lus­ti­ge Geschich­te mit mir selbst erlebt. Ich sass vor einem See in einem Gar­ten und beob­ach­te­te sehr klei­ne Tie­re, wie sie sich nahe oder auf der Ober­flä­che des Was­sers beweg­ten. Da waren unter ande­rem Flie­gen, die im Was­ser des Sees bade­ten, und Schat­ten der Libel­len­lar­ven, die sich den baden­den Flie­gen nähr­ten, auch Was­ser­läu­fer, die ein­an­der jag­ten im Spiel. Plötz­lich frag­te ich mich, ob ich even­tu­ell in der Lage wäre, das Ver­hal­ten der Was­ser­läu­fer vor­her­zu­sa­gen, ob sich ein bestimm­ter Was­ser­läu­fer eher in öst­li­che oder eher in west­li­che Rich­tung fort­be­we­gen wür­de. Eine Wei­le folg­te ich dem von mir gewähl­ten Tier mit mei­nen Augen, dann zeich­ne­te ich sei­nen Weg auf ein Blatt Papier. Wol­ken spie­gel­ten sich im Was­ser, der Him­mel hier unten war grün, er schim­mer­te. Eine Unter­was­ser­schne­cke pas­sier­te mein Beob­ach­tungs­feld sehr lang­sam, und ich notie­re: Schne­cke. In die­sem Augen­blick bemerk­te ich fünf Gold­fi­sche, die sich in einem Halb­kreis im Was­ser vor mir ver­sam­melt hat­ten. Sie beweg­ten sich kaum merk­lich und ich hat­te plötz­lich den Ein­druck, sie wür­den mich betrach­ten. Tat­säch­lich fühl­te ich mich von einer Sekun­de zur ande­ren Sekun­de selbst beob­ach­tet. Das war ein merk­wür­di­ger Augen­blick gewe­sen, ein Moment auch von Ver­le­gen­heit, wes­halb ich mich wie­der einem Gespräch auf dem Bild­schirm mei­ner Schreib­ma­schi­ne zuwen­de­te, das ich mit einem Com­pu­ter­pro­gramm namens ELIZA in eng­li­scher Spra­che vor lan­ger Zeit ein­mal geführt und kurz dar­auf in die deut­sche Spra­che über­setzt hat­te. Ich, der ich Lou­is gewe­sen war, frag­te Eli­za: guten abend! wie geht es dir, eli­za? Eli­za : > gut! und dir? Lou­is : präch­tig. Eli­za : > schön zu hören. wo liegt dann das pro­blem? Lou­is : ich habe heu­te abend kein pro­blem, eli­za! Eli­za : > wenn du dein pro­blem nicht kennst, bist du hier genau rich­tig! Lou­is : darf ich dir eine fra­ge stel­len? Eli­za : > sicher! Lou­is : was bedeu­tet das wort lie­be? Eli­za : > hast du schmet­ter­linge im bauch? Lou­is : eli­za! bit­te! was bedeu­tet das wort lie­be! Eli­za : > lass uns das eine wei­le zurück­stellen. Lou­is : war­um, eli­za? Eli­za : > du musst mich nicht mit namen rufen, ich bin immer bei dir. Lou­is : das ist beru­hi­gend, eli­za! Eli­za : > erzähl wei­ter! Lou­is : eli­za! lie­be? Eli­za : > hast du schon ande­re gefragt? Lou­is: aber natür­lich! Eli­za : > schön zu hören. wo liegt dann dein pro­blem? Lou­is : ich habe heu­te abend kein pro­blem, eli­za! Eli­za : > wenn du dein pro­blem nicht kennst, bist du hier genau rich­tig! Lou­is : war­um? Eli­za : > ich sehe, du bist ein schwie­riger fall. Lou­is : war­um bin ich ein schwie­riger fall, eli­za? Eli­za : > scherz bei­sei­te, kom­men wir zur sache. — stop
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turingluftmaschine

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sier­ra : 0.05 UTC — Bis in den spä­ten Abend bei geöff­ne­ten Fens­tern über das Wesen nicht­de­ter­mi­nis­ti­scher Algo­rith­men nach­ge­dacht. Da war plötz­lich wie­der ein hel­les Pro­pel­ler­ge­räusch an mei­nem Ohr, ein ver­trau­ter Ton, den ich seit Kin­der­zeit erfin­de, aber immer dann, wenn ich die­ses Geräusch sum­mie­ren woll­te zu einem Geräusch hun­dert­tau­sen­der Flie­gen­tie­re, der Ver­dacht, dass mit mei­ner Erin­ne­rung etwas nicht ganz in Ord­nung sein könn­te. Ein Schwarm der Ord­nung Eph­emer­op­te­ra ist in der Luft kaum zu ver­neh­men. Habe fünf oder sechs Schwar­m­er­schei­nun­gen in der Wirk­lich­keit beob­ach­tet, sie sind laut­los wie wir­beln­der Schnee. Und doch war da stets ein beson­de­rer Ton, sobald eine Flie­ge dicht an mei­nem Ohr vor­über gekom­men war oder in nächs­ter Nähe auf mir lan­de­te. – Ein zar­tes Klap­pern viel­leicht? – Wei­ter­hin Luft­ge­räu­sch­wor­te erfin­den. — stop

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eine frau

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del­ta : 12.22 UTC — Eine Frau sitzt neben einem Tisch auf einem har­ten Stuhl. Ihr rech­ter Arm liegt auf dem Tisch, eine Ärz­tin misst den Blut­druck. Es ist still in dem Zim­mer in die­sem Augen­blick. Nur das Moto­ren­ge­räusch des Mess­ge­rä­tes, das Luft in eine Man­schet­te pumpt, die um den Arm der Frau gelegt wur­de, brummt als hock­te ein gro­ße träu­men­de Flie­ge unter dem Tisch. Dann ist die Flie­ge plötz­lich still und die Ärz­tin notiert eini­ge Zah­len und nickt mir zu, ohne etwas zu sagen. Als ich mich zu der Frau set­ze, weicht sie auf dem Stuhl kaum merk­lich zurück. Ich fra­ge: Wol­len Sie viel­leicht Tee? — Die Frau schüt­telt den Kopf und lächelt. Darf ich Ihnen ein oder zwei Fra­gen stel­len? — Wie­der lächelt die Frau. Sie ist scheu. Aber sie will nicht zei­gen, dass sie scheu ist, so könn­te das sein. Ein selt­sa­mer Moment, alles im Zim­mer scheint zu schwe­ben, der Tisch, die Stüh­le, die Men­schen. Ich weiß, dass die Frau, deren Blut­druck gemes­sen wur­de, aus der Fer­ne gekom­men ist, so fern ist das Land, von dem sie gekom­men ist, dass ein Jahr ver­ge­hen wür­de, ehe man die­ses Land zu Fuß erreich­te. Es ist ein Wun­der, dass sie mei­ne Spra­che ver­steht, immer wie­der den­ke ich, wie gut, dass Men­schen in der Lage sind, die Spra­chen ande­rer Men­schen zu erler­nen. Und wie sie jetzt lächelt, ich mei­ne, noch nie zuvor ein der­art muti­ges Lächeln gese­hen zu haben, wäh­rend die Ärz­tin etwas getrock­ne­tes Blut von ihrem Hals tupft. Behut­sam wird eine klei­ne Wun­de ver­sorgt, die unter dich­tem Haar im Ver­bor­ge­nen liegt. Die Ärz­tin nimmt sich viel Zeit, sie geht hin­ter der ver­letz­ten Frau in die Hocke und beginnt lei­se zu spre­chen. Sie sagt: Das ist merk­wür­dig! Und noch ein­mal sagt sie: Das ist merk­wür­dig. Wie sie sich wie­der auf­rich­tet, macht sie ein sehr erns­tes Gesicht. Bald kniet sie vor der ver­letz­ten Frau auf dem Boden, nimmt eine Hand der Frau und drückt sie fest: Machen sie sich kei­ne Sor­gen, das ist nur eine klei­ne Wun­de, die Blu­tung ist längst gestillt. Die Ärz­tin, die etwas schwitzt, sieht der mutig lächeln­den Frau in die Augen. Plötz­lich fragt sie: Sind Sie geschla­gen wor­den? Sofort nickt die Frau, ihr Gesicht scheint zu leuch­ten, und noch ein­mal nickt sie und sagt mit hel­ler Stim­me: Ja. Und die Ärz­tin fragt: Sie wis­sen, von wem sie geschla­gen wur­den?Ja, ant­wor­tet die Frau ein zwei­tes Mal, das weiß ich. Die Ärz­tin erhebt und wen­det sich wie­der dem Ort zu, da die Frau am Kopf ver­letzt wur­de. Erneut geht sie in die Hocke und betrach­tet die Ver­let­zung auf das Genau­es­te. Behut­sam fährt sie der Frau über das Haar, sie scheint eine wei­ter­füh­ren­de Unter­su­chung vor­zu­neh­men. Und wie sie so arbei­tet, schließt die ver­letz­te Frau ihre Augen, als woll­te sie viel­leicht ver­ber­gen, was sie fühl­te. So, mit geschlos­se­nen Augen, sagt sie plötz­lich mit fes­ter Stim­me: Ich wür­de doch ger­ne einen Tee trin­ken!Das ist gut, ant­wor­te ich und ste­he auf. Die Ärz­tin ist indes­sen mit ihrer Unter­su­chung zu Ende gekom­men, sie setzt sich auf den frei­ge­wor­de­nen Stuhl und stellt mit nüch­ter­ner Stim­me fest: Sie sind nicht zum ers­ten Mal geschla­gen wor­den! — Die Frau nickt wort­los. Und die Ärz­tin sagt: Sie sind oft geschla­gen wor­den! Immer wur­den Sie auf den Kopf geschla­gen, kann das sein? — Wie­der nickt die Frau und beginnt zu wei­nen. — stop

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nachtzug nach douala

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tan­go : 7.15 UTC — Akos­si­wa, die ihr jun­ges Leben über­wie­gend in der Stadt Yaoun­dé ver­brach­te, erklär­te wäh­rend eines Gesprä­ches im Zug, Tie­re, die ich als wil­de Krea­tu­ren bezeich­ne­te, Affen, sagen wir, Löwen, Anti­lo­pen, wür­den in ihrem Hei­mat­land im zen­tra­len Zoo der Haupt­stadt leben. Man kön­ne sie dort besu­chen, man müs­se sich nicht fürch­ten, aller­dings wür­de der Besuch Ein­tritt kos­ten. Erst ein­mal musst Du über­haupt nach Kame­run flie­gen. Du fliegst, sagt Akos­si­wa, am bes­ten über Paris oder Ams­ter­dam nach Yaoun­dé, das ist über­haupt kein Pro­blem. Ich hat­te Akos­si­wa eine dra­ma­ti­sche Vor­stel­lung ihres Lan­des skiz­ziert, in der ver­mut­lich wirk­li­che wil­de Tie­re natür­li­cher­wei­se auch jen­seits der Natur­re­ser­va­te exis­tie­ren. Kurz dar­auf ent­wi­ckel­te sich ein auf­re­gen­des Gespräch über Wahr­neh­mung, Wirk­lich­keit und Pro­jek­ti­on einer­seits, ande­rer­seits über die Exis­tenz wie­der­um der nie­der­bay­ri­schen Auer­häh­ne in mei­nem per­sön­li­chen Leben. Eine Zug­fahrt von Ngaoun­dé­ré nach Dou­a­la sei reiz­voll, berich­te­te Akos­si­wa, es exis­tie­re auch eine Nacht­zug­ver­bin­dung, die wür­de sie aber nicht emp­feh­len: Weil Du nichts siehst! — stop

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vom drohnenvögelchen

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echo : 17.18 UTC — Er fliegt nicht, sag­te die klei­ne S. am Tele­fon. Es ist frü­her Abend, die hel­le Stim­me am Tele­fon klang ängst­lich. — Wer fliegt nicht, woll­te ich wis­sen? — Na, der Vogel, den Du mir geschenkt hast, er sitzt auf dem Boden und bewegt sich nicht. S. war beun­ru­higt, sie sag­te, der Vogel sei gera­de noch durch die Küche geflo­gen, dann sei er vor dem Küchen­tisch gelan­det, jetzt sit­ze er reg­los auf dem Boden. Sind denn sei­ne Lich­ter noch an, erkun­dig­te ich mich. Nein, sag­te S., auch die Lich­ter bren­nen nicht, und er sagt nichts, kei­nen Pieps. — Ich über­leg­te kurz, wech­sel­te den Hörer mei­nes Tele­fons vom lin­ken an mein rech­tes Ohr: Ich glau­be, ich weiß, war­um Dein Vogel gera­de nicht fliegt. Hör zu, ich wer­de mich ein wenig umhö­ren, dann rufe ich Dich wie­der an! — Viel­leicht soll­te ich an die­ser Stel­le schnell erzäh­len, dass ich mei­ner Nich­te S. im ver­gan­ge­nen Jahr zu Weih­nach­ten eine fin­ger­lan­ge Droh­ne für Kin­der schenk­te, die wun­der­bar blin­ken kann in blau­en und roten Far­ben. Bis­wei­len gibt sie Geräu­sche von sich, als wäre sie eine Loko­mo­ti­ve. Die­ses Wesen, dem Ver­neh­men nach welt­weit die ein­zi­ge Loko­mo­ti­ven­gat­tung, die zu flie­gen ver­mag, lässt sich über eine hand­li­che Funk­steue­rung manö­vrie­ren. Ich habe das selbst aus­pro­biert, das ist nicht ganz ein­fach für Kin­der, und auch für erwach­se­ne Per­so­nen eine Her­aus­for­de­rung. Ich ver­mu­te­te nun, dass die Strom­ver­sor­gung der Droh­ne mög­li­cher­wei­se aus­ge­fal­len sein könn­te. Kurz nach­dem ich her­aus­ge­fun­den hat­te, wie man die Bat­te­rien der Loko­mo­ti­ve aus­wech­seln könn­te, rief ich mei­ne Nich­te wie­der an. Ihre Mut­ter kam ans Tele­fon, Sekun­den spä­ter S., die fröh­lich erzähl­te, der Vogel sei wie­der in der Luft, sie kön­ne im Moment nicht reden, sie müs­se auf­pas­sen, dass der Vogel sich nicht wie­der auf den Boden setzt. Ein lei­ses Sur­ren war zu hören, dann Schrit­te, dann eine hel­le Stim­me, die bereits zum Vogel sprach: Komm, wir flie­gen jetzt ins Wohn­zim­mer. — stop

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von stimmen

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del­ta : 18.12 UTC — Ich habe lan­ge Zeit über das Bild der Kehl­köp­fe nach­ge­dacht, wie sie in einem ana­to­mi­schen Prä­pa­rier­saal durch die Luft flie­gen, als wären sie Vögel. Wann die­ses Bild zum ers­ten Mal auf­tauch­te, weiß ich nicht. Viel­leicht wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges über den alten Münch­ner Fried­hof St. Georg. Ich stand vor Liesl Karl­stadts Grab, plötz­lich hör­te ich ihre Stim­me, die von irgend­wo her aus den Kas­ta­ni­en­bäu­men in nächs­ter Nähe zu kom­men schien. Oran­ge­far­be­ne Blü­ten, Fuchs­köp­fen ähn­lich, lun­ger­ten auf dem klei­nen Karl­stadt­hü­gel. Blaue Füh­ler­kä­fer hetz­ten über san­di­gen Boden. Wald­bie­nen, Moo­shum­meln, Rau­pen­flie­gen, es sirr­te und brumm­te in allen mög­li­chen Tönen. Auf dem Gedenk­stein für Rai­ner Wer­ner Fass­bin­der hock­te ein Mari­en­kä­fer von Holz, der Schirm eines Fächer­ahorns spen­de­te Schat­ten. Auch an Fass­bin­ders Stim­me konn­te ich mich sofort erin­nern, ohne einen kon­kre­ten Satz aus sei­nem Mun­de zu ver­neh­men. Es war ganz so, als wür­den die Stim­me in mei­nem Kopf eine Stim­me simu­lie­ren. Erich Käst­ner aller­dings war mir ent­we­der abhan­den­ge­kom­men oder ich habe sei­ne Stim­me tat­säch­lich noch nie in mei­nem Leben gehört. Aber den Sedl­mayr, Wal­ter, erin­ner­te ich unver­züg­lich und auch die ange­nehm war­me Stim­me Bernd Eichin­gers, der so plötz­lich gestor­ben war. Som­mer­fä­den schweb­ten durch die Luft. Das Rascheln der Eich­hörn­chen unter dem Efeu. Über mir ein blau­grau­er, blit­zen­der Him­mel. Es duf­te­te nach Zimt, war­um? — stop / koffertext 

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transformation : zeit

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india : 22.55 UTC — Es ist Abend und ich sit­ze seit ein oder zwei Stun­den im Dun­keln, weil ich her­aus­zu­fin­den wün­sche, ob Libel­len auch in licht­leeren Räu­men flie­gen, schwe­ben, jagen. Als ich ges­tern erwach­te gegen 7 Uhr in der Früh war es schon hell. Eine Libel­le, mari­neblau, balan­cier­te auf dem Rand einer Karaf­fe Tee, die ich neben mei­nem Bett abge­stellt hat­te. Sie schau­te mir beim Aufwa­chen zu und nasch­te, solan­ge ich nur ein Auge und nichts Wei­te­res beweg­te, indem sie rhyth­misch mit einer sehr lan­gen Zun­ge bis auf den Grund des zimt­far­benen Gewäs­sers tauch­te. Viel­leicht jag­te sie nach Fischen oder Lar­ven oder klei­nen Flie­gen, nach Tee­flie­gen, kochend­ heiß, die über die Nacht küh­ler gewor­den sein moch­ten, wäh­rend ich schlief. Oder aber sie hat­te end­lich Geschmack gefun­den auch an süßen Din­gen des Lebens, wes­halb ich vor einer hal­ben Stun­de einen Löf­fel Honig erhitz­te und auf die Fens­ter­bank trop­fen ließ, um dann sofort das Licht wie­der zu löschen. Und so war­te ich nun bereits seit einer vol­len Stun­de und höre selt­same Geräu­sche, von Men­schen viel­leicht oder ande­ren wil­den Tie­ren. — stop

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am fenster

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char­lie : 22.01 UTC — Es ist Sams­tag­abend gewor­den. Ich habe an die­sem Tag lan­ge Zeit Eich­hörn­chen beob­ach­tet, wie sie blatt­lo­se Bäu­me vor mei­nen Fens­tern unter­such­ten, als wären die­se Bäu­me gera­de erst gewach­sen, unbe­kann­te Orte also, die zunächst inspi­ziert wer­den muss­ten. Ich wink­te gele­gent­lich, die Eich­hörn­chen blie­ben dann für einen Augen­blick still sit­zen, ich glau­be, sie haben mich beäugt, haben mög­li­cher­wei­se dar­über nach­ge­dacht, ob sie sich an mich erin­nern, und wenn ja, wel­che Erfah­rung sie mit mir sam­mel­ten. Ver­mut­lich wer­den sie gedacht haben, die­sen Vogel dort drü­ben am Fens­ter ken­nen wir, er ist nicht gefähr­lich, er flat­tert nur mit sei­nen Flü­geln, er kann nicht flie­gen. — stop

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minutenminiatur : schlaflos

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nord­pol : 8.16 UTC — Um kurz nach sechs Uhr in der Früh berich­tet Katha­ri­na in einem Laden unter dem Flug­ha­fen­ter­mi­nal 1 vor einer Kas­se ste­hend, sie flie­ge nun seit bald zwei Jah­ren Lang­stre­cke nach New York und wie­der zurück. Eine anstren­gen­de Pen­del­be­we­gung, soeben vor einer hal­ben Stun­de erst sei sie gelan­det, sie lie­be die Beob­ach­tung des Son­nen­lichts, das in gro­ßer Höhe über dem Atlan­tik wäh­rend eines Nacht­flu­ges zurück nach Euro­pa im oran­ge­far­be­nen Zwie­licht stets sicht­bar am Hori­zont ver­wei­le. An die­sem Mor­gen ist Katha­ri­na sehr auf­ge­regt, sie habe, sagt sie, in den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren die Stadt New York selbst nie betre­ten, ges­tern aber, vor weni­gen Stun­den, mit einer Kol­le­gin, mit Muri­el, vom Flug­ha­fen John F. Ken­ne­dy aus ein Taxi genom­men, um über die Wil­liams­burg Bridge zum ers­ten Mal in ihrem Leben nach Man­hat­tan zu fah­ren, drei Stun­den Zeit. Sie sei­en am Times Squa­re gewe­sen, vor der New York Public Libra­ry, im Grand Cen­tral Ter­mi­nal und im Cen­tral Park, noch immer spü­re sie Span­nung, ver­mut­lich kön­ne sie nicht schla­fen. — stop
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von vögeln

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ulys­ses : 18.10 UTC — Wong Kar-wai’s Vögel ohne Füße, die nie­mals lan­den. Immer wie­der eine wun­der­ba­re Vor­stel­lung. Auch die Vor­stel­lung der Zep­pe­li­ne, die Jahr­hun­der­te lang wie Wol­ken lang­sam um den Erd­ball schwe­ben. Ges­tern zeich­ne­te ich ein Rot­kehl­chen mit einem Blei­stift auf ein Blatt Papier. Ich soll­te erwäh­nen, dass die Zeich­nung des klei­nen Vogels, der von rechts her kom­mend über das Blatt nach links hin segel­te, miss­glück­te, es war das ers­te Rot­kehl­chen, das ich in mei­nem Leben zeich­ne­te. Immer­hin waren zwei Flü­gel zu erken­nen gewe­sen und ein Kör­per­chen in der Mit­te, ein Schna­bel und ein klei­ner Kopf. Auch ein roter Fleck auf dem Kör­per­chen in der Gegen­den des Hal­ses war zu ent­de­cken, weil ich nach einem roten Bunt­stift such­te, das dau­er­te recht lan­ge, wäh­rend der klei­ne Vogel gedul­dig war­te­te, dass ich mit wesent­li­cher Far­be zu ihm zurück­keh­ren wür­de. — Wes­we­gen ich ein Rot­kehl­chen gezeich­net habe? — Nun, ich habe die­se Zeich­nung ange­fer­tigt, weil ich mich frag­te, ob irgend­wann ein­mal flie­gen­de Ser­ver­ma­schi­nen in der Gestalt der Sing­vö­gel denk­bar sein wer­den, die in Schwär­men her­um­flie­gen, indes­sen sie mit­tels unsicht­ba­rer Wel­len mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren? Wie lan­ge Zeit wür­den wir die­se flüch­ti­gen Schwarm­ob­jek­te noch als unse­re Geschöp­fe ver­ste­hen? Wären wir in der Lage, sie jemals wie­der ein­zu­fan­gen? — Deniz Yücel wei­ter­hin in Haft! — stop
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