Aus der Wörtersammlung: großmutter

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im winter in münchen

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echo : 22.28 UTC — Ich bin ein paar Jah­re alt. Auf dem Schlit­ten fah­re ich einen Berg hin­ab. Das ist lus­tig, ich bin glück­lich. Wenn ich müde bin, zieht mich Groß­mutter den Berg wie­der hin­auf. Ande­re Kin­der sind müde wie ich und wer­den von ihren Vätern oder Müt­tern gezo­gen. Auf dem Berg steht ein Kreuz. Ich fra­ge Groß­mutter, war­um ein Kreuz auf dem Berg steht. Groß­mutter sagt: Weil das der Schutt­berg ist. Ich fra­ge: Was ist ein Schutt­berg? Groß­mutter ant­wor­tet: Das ist ein Berg von dem Schutt der Häu­ser, die zer­bombt wor­den sind. Sie erzählt, dass in dem Berg vie­le Men­schen begra­ben sei­en, die habe man nicht alle gefun­den, die habe man mit dem Schutt begra­ben, des­halb habe man ein Kreuz auf den Berg gestellt, wegen der Kno­chen, die sich im Berg befin­den. Und schon fah­re ich wie­der den Berg hin­un­ter. Und der Wind pfeift mir um die Ohren und ich lache und die Groß­mutter dampft aus dem Mund und ist bald wie­der fröh­lich gewor­den. Ich tra­ge eine rote Woll­müt­ze auf dem Kopf. — stop

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von telefonen

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romeo : 0.08 UTC – Das Tele­fon­buch mei­ner Groß­mutter wur­de von mei­nem Bru­der in einer Kom­mo­de ent­deckt, die viel­fach mit uns umge­zo­gen war. Es ist ein dunk­les Bänd­chen von Kar­ton und Papier, das in den tie­fen Schat­ten­räu­men der Tru­he bei­na­he über­se­hen wor­den wäre. In Süt­ter­lin wur­den dort Namen ver­zeich­net, sowie Zif­fern, die ein­mal vor lan­ger Zeit Tele­fo­nen ver­bun­den gewe­sen waren, wel­che sehr sicher nicht län­ger exis­tie­ren. Bei genau­er Betrach­tung sind viel­fach Namen ein und der­sel­ben Num­mer ver­bun­den gewe­sen, ver­mut­lich, weil die Tele­fo­ne zur Num­mer in Flu­ren oder Trep­pen­häu­sern an den Wän­den befes­tigt waren, nicht in Woh­nun­gen selbst, oder Tele­fo­nen, die sich in benach­bar­ten Woh­nun­gen befan­den. Man rief nun Frau Sin­del­fin­ger an, die über ein Tele­fon ver­füg­te, die Frau Huber zu sich hol­te, die selbst über kein Tele­fon ver­füg­te, aber Frau Sin­del­fin­ger gefragt hat­te, ob sie die Num­mer ihres Tele­fons bei Gele­gen­heit wei­ter­rei­chen dür­fe. Frau Lie­ber­mann aus dem 1. Stock habe ich noch per­sön­lich gekannt, da war ich 50 cm hoch und trug win­zi­ge Leder­schu­he von blau­er Far­be. Kurz war ich ver­sucht, eine der Tele­fon­num­mern zu pro­bie­ren, das war mir dann aber doch zu unheim­lich gewe­sen an die­sem neb­li­gen Tag, da mir beim Spa­zie­ren zum ers­ten Mal leuch­ten­de Mund­na­sen­mas­ken begeg­ne­ten. — stop
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eine uhr

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tan­go : 0.58 UTC — Dach­te an Mut­ter, wie sie noch vor zwei Jah­ren reg­los in einem Bett lag, nicht spre­chen, nur schau­en konn­te. Im nahen Wohn­zim­mer, zwei Stra­ßen­zü­ge weit nur um die Ecke, ihre Stand­uhr, die schon Groß­mutter Abend für Abend auf­ge­zo­gen haben muss­te. Wie Mut­ter, als sie noch gehen konn­te, klei­ner und immer klei­ner wur­de, stell­te sie einen Sche­mel vor die Uhr. Und als sie noch klei­ner wur­de, stand sie dort auf dem Sche­mel, wie­der­um auf den Spit­zen ihrer Zehen, um mit ihrem rech­ten Zei­ge­fin­ger behut­sam den Minu­ten­zei­ger einer wun­der­schö­nen, geräusch­voll ticken­den Uhr zu berüh­ren, deren Zeit mit Mut­ters Sturz ende­te. Ich erin­ne­re mich, Abend für Abend stand die alte Frau vor ihrer Uhr, um sie zur Schlaf­zeit anzu­hal­ten. Und mor­gens stand die alte Frau vor ihrer Uhr, um sie wie­der in Bewe­gung zu ver­set­zen bis zuletzt. Ein­mal erzähl­te ich Mut­ter, die mich indes­sen im Bett lie­gend unver­wandt betrach­te­te, von Kie­men­men­schen. Gegen Mit­ter­nacht kehr­te ich ins Haus zurück. Stil­le. Es war Win­ter. Schnee lag im Gar­ten. — stop

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yolande

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marim­ba : 5.06 — Schwie­rig sei, sag­te Yolan­de, dass sie eine Groß­mutter habe, die in Arme­ni­en gebo­ren wur­de, und einen Groß­va­ter, der in Usbe­ki­stan leb­te, und dass ihre Mut­ter ihre Kind­heit in der Tür­kei ver­brach­te, dass sie ihren Mann in Grie­chen­land ken­nen­lern­te, dass sie zwei Töch­ter gebar in Deutsch­land im Jahr 1995, dass die Spra­che ihrer Mut­ter nicht Deutsch gewe­sen sei, dass sie selbst zunächst aber die deut­sche Spra­che lern­te, dass sie in die­ser Spra­che träu­me, das sage man doch so, und dass sie über einen deut­schen Pass ver­fü­ge, dass sie aber zugleich die­ses dunk­le Haar tra­ge und ihre Augen von der Natur schwarz und man­del­för­mig gestal­tet wor­den sei­en, wes­we­gen sie sich stets anhö­ren müs­se, wie gut sie inte­griert sei in Deutsch­land, und wie gut sie doch die deut­sche Spra­che spre­chen wür­de, so gut, dass man fast mei­nen wür­de, dass sie eine Deut­sche sei, wo das aber doch nicht mög­lich ist, weil sie doch die­se ihre Augen tra­ge, und ihre Haut etwas dunk­ler sei auch im Win­ter, und die­ses Haar, denkt man, sag­te Yolan­de am 16. März des Jah­res 2016 um kurz nach zehn Uhr abends, als sie soeben in einem Zug Platz genom­men hat­te. — stop

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minutenzeitung

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hima­la­ya : 5.16 — Ges­tern erzähl­te Mut­ter, nein, nein, sie lese kei­nes­wegs lang­sa­mer durch ihre mor­gend­li­che Zei­tung als frü­her noch, viel­mehr sei­en die Zei­tun­gen selbst schwe­rer, das heißt, umfang­rei­cher oder dicker gewor­den. Das kön­ne nie­mand mehr lesen, jeden Tag eine neue dicke Zei­tung. Ich dach­te, man müss­te ein­mal die Zeit anhal­ten, sagen wir für zwei oder drei Mona­te. Alles wür­de zit­ternd still­ste­hen auf unse­rer Erd­ku­gel, allein Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten wären noch beweg­lich. Sie rei­sen nun her­um, betrach­te­ten fünf Minu­ten Zeit welt­weit, die sich über­all so lan­ge wie­der­holt, bis sie von Spra­che und Foto­gra­fie erfasst sein wird. In einem Flücht­lings­la­ger hält eine Groß­mutter ein gera­de gebo­re­nes Kind aus einem Zelt her­aus, der Vater kippt etwas Regen­was­ser über den klei­nen rosa­far­be­nen Leib, und schon sind fünf Minu­ten Zeit ver­gan­gen und das Kind wie­der in den Leib der Mut­ter zurück­ge­kehrt. Als das Kind unver­züg­lich erneut gebo­ren wird, sind drei wei­te­re Foto­gra­fen vor das Zelt getre­ten, um das Kind zu foto­gra­fie­ren, wie es von sei­nem Vater gewa­schen wird. In Oslo sto­ßen zwei Stra­ßen­bah­nen so lan­ge gegen­ein­an­der, bis end­lich über sie berich­tet wird. Auf Neu­see­land, nahe Parapa­ra, fällt ein Kind von einem Baum, Minu­ten­wei­se klet­tert es wie­der hin­auf und fällt wie­der zu Boden, ehe ein Repor­ter vor­über kom­men wird, um viel­leicht gera­de noch recht­zei­tig das Kind auf­zu­fan­gen. Auch die alte Mar­tha will bemerkt wer­den, sie hat wie­der ein­mal ein paar Match­box­au­tos ver­schluckt in Lon­don im Kauf­haus bei Har­rods. Eine umfang­rei­che Zei­tung könn­te ent­ste­hen, eine Welt­zei­tung von 5 Minu­ten Zeit, die von zehn­tau­sen­den Jour­na­lis­ten notiert wur­de, die wie Wan­der­amei­sen Blät­ter, Wör­ter, Gedan­ken, Foto­gra­fien sam­mel­ten, um zu erzäh­len, was der Fall ist. – Fünf Uhr sech­zehn in Ido­me­ni, Grie­chen­land. – stop
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von schmetterlingen

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hima­la­ya : 0.28 – Wenn ich nicht irre, dann moch­te mei­ne Groß­mutter, die Mün­che­ner Oma, wie wir sie nann­ten, das Wort Bom­ben­stim­mung nicht gern aus­spre­chen. Das lag ver­mut­lich dar­an, dass häu­fig der Boden unter ihren Füßen zit­ter­te, wenn irgend­wo in der Stadt, in der sie leb­te, Bom­ben unsanft auf dem Boden lan­de­ten. Mei­ne Mün­che­ner Oma ist schon vor lan­ger Zeit gestor­ben, sie hat­te eine Krank­heit, die ihre Glie­der beben ließ von Zeit zu Zeit, als ob sie sich an das Zit­tern des Bodens immer wie­der erin­nern muss­te. Vor weni­gen Stun­den nun ist ihre Toch­ter aus dem Leben ver­schwun­den, weiß der Him­mel, ob sie davon erfah­ren hat. Auch ihre Toch­ter kann­te das Beben des Erd­bo­dens noch, wäh­rend der Boden unter mei­nen Füßen nie­mals beb­te unter dem Ein­druck mensch­li­cher Spreng­mit­tel­er­fin­dun­gen. Das Wort Flie­ger­bom­be kommt in mei­nem Leben schon sehr lan­ge vor, es gehört zum Wort­schatz des Kin­des, ver­mut­lich weil von den Bom­ben­zei­ten immer wie­der berich­tet wur­de. Man­che Men­schen, die heut­zu­ta­ge Kin­der sind, bücken sich nach Schmet­ter­lin­gen, die grün sind wie Frö­sche, und sie den­ken viel­leicht noch, das sind aber schwe­re Schmet­ter­lin­ge, und ver­lie­ren gera­de in die­sem Sekun­den­mo­ment für immer Augen und Hän­de. — stop
louis

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von schuhen

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char­lie : 3.25 – Bahn­steig 23, Zen­tral­bahn­hof, Diens­tag, 28 Minu­ten nach 10 Uhr abends. Auf einer Bank sitzt eine Frau in dunk­lem Gewand, über ihrem Kopf ein Tuch von eben­so schwar­zer oder dun­kel­grau­er Far­be, das ihr Haar lose bedeckt. Die Frau scheint von hohem Alter zu sein und müde und scheu, noch nicht ein­mal drei Stun­den ist es her, dass sie an die­sem Ort ein­ge­trof­fen ist. Ich höre, der jun­ge Mann, der an ihrer rech­ten Sei­te sitzt, sei ihr Enkel, er war es gewe­sen, der die alte Frau aus dem Zug getra­gen hat­te, weil sie nicht mehr lau­fen konn­te, so erschöpft waren ihre Füße vom wochen­lan­gen Wan­dern durch halb Euro­pa, außer­dem waren zuletzt Schu­he kaum noch vor­han­den. Ein Mäd­chen hat ihren Kopf im Schoß der Urgroß­mutter gebor­gen und schläft. Eigent­lich müss­ten da noch zwei Jungs sein, der älte­re Bru­der des klei­nen Mäd­chens, aber der ist tot, und auch ihr jün­ge­rer Bru­der ist nicht da, weil er tot ist, und auch ihre Mut­ter nicht, da ihre Woh­nung von einer Gra­na­te getrof­fen wor­den war, als das klei­ne Mäd­chen auf die Stra­ße rann­te ganz allein, was eigent­lich ver­bo­ten war im Novem­ber des ver­gan­ge­nen Jah­res in einem Dorf 16 Kilo­me­ter weit ent­fernt von der Stadt Homs. Auch der Urgroß­va­ter des über­le­ben­den Mäd­chens ist abwe­send, weil er tot ist. Aller­dings ist der Urgroß­va­ter zur übli­chen Zeit eines natür­li­chen Todes gestor­ben und in Form einer Foto­gra­fie nach Euro­pa mit­ge­kom­men, die die alte Frau in die­sem Moment in ihrer Hand hält und betrach­tet. Ihr Sohn, der Vater des jun­gen Man­nes, der sei­ne Groß­mutter aus dem Zug getra­gen hat­te, spricht gera­de mit einer fröh­li­chen Per­son, die eine Wes­te trägt, wel­che leuch­tet, dass es in den Augen nur so schmerzt. Er ver­sucht der jun­gen deut­schen Frau zu erklä­ren, dass er vor Stun­den sei­ne Ehe­frau aus den Augen ver­lo­ren habe, er sagt immer wie­der ihre Namen auf, damit man unver­züg­lich nach ihr suchen kön­ne. Sein Sohn, der jun­ge Mann, der neben sei­ner Groß­mutter sitzt, erzählt indes­sen in eng­li­scher Spra­che, sei­ne Groß­mutter habe das Dorf, aus dem die Fami­lie vor Mona­ten geflüch­tet war, in ihrem ganz Leben nicht ein ein­zi­ges Mal ver­las­sen, und jetzt sitzt sie also hier auf einer Bank in die­sem Nord­land, Bahn­steig 23, Zen­tral­bahn­hof, ver­steht kein Wort, von dem, was da so über­all um sie her­um gespro­chen wird, und streicht mit ihren Hän­den behut­sam über das Haar des schla­fen­den Kin­des. Immer wie­der schaut sie zu ihren Füßen hin, als wäre sie nicht sicher, dass die­se Füße ihre eige­nen Füße sind. Vor­sich­tig bewegt sie sie hin und her, noch kei­ne Vier­tel­stun­de ist ver­gan­gen, da hat­te sich ihr Enkel vor ihr nie­der­ge­kniet, um ihr nagel­neue feu­er­ro­te Turn­schu­he anzu­zie­hen von Puma. – stop

drohne18

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kym

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del­ta : 5.05 — Ges­tern Abend ent­deck­te ich einen Brief, den ich vor lan­ger Zeit ein­mal erhal­ten und damals nicht geöff­net hat­te. Im Brief befand sich ein von hand­schrift­li­chen Zei­chen bedeck­tes Stück Papier, wei­ter­hin eine Foto­gra­fie, die einen blü­hen­den Gar­ten zeigt. Außer­dem bewahr­te das Kuvert, wel­ches den Brief umhüll­te, eine hauch­dün­ne, in Sei­den­pa­pier ein­ge­schla­ge­ne Schei­be Christ­stol­lens, die stein­hart gewor­den war. Der Brief wur­de einst von mei­ner Groß­mutter auf den Weg gebracht, sie ist längst gestor­ben. Ich leg­te das Gebäck, – Rosi­nen, Anis, Zimt, Mar­zi­pan, Mohn, – vor­sich­tig auf einen Tel­ler ab, bald lan­de­ten Flie­gen auf der Zucker­schei­be. Kurz dar­auf näher­te sich eine Zebra­spring­spin­ne, sodass ich mit­tels mei­ner Lese­bril­le dra­ma­ti­sche Sze­nen beob­ach­te­te. — Däm­me­rung. Gro­ße Hit­ze unter dem Dach. Maceo Par­ker Shake ever­y­thing you’­ve got. — stop

tasche

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zitronengelb

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char­lie : 7.08 — Über mei­nen Groß­va­ter, den ich nie per­sön­lich ken­nen­ge­lernt habe, ist mir nicht sehr viel bekannt. Er soll ein warm­her­zi­ger Mensch gewe­sen sein, der als Beam­ter der Stadt Mün­chen in ein klei­nes Büro­zim­mer ver­setzt wor­den war, das im Win­ter nicht beheizt wer­den konn­te. Mein Groß­va­ter woll­te nicht in die Par­tei ein­tre­ten, des­halb muss­te er frie­ren, des­halb war er oft krank gewe­sen. Die Fami­lie, mei­ne Mut­ter war ein Mäd­chen von damals fünf oder sechs Jah­ren, bewohn­te eine klei­ne Woh­nung in einem nörd­li­chen Stadt­teil. Sie waren dort zu fünft, die Eltern und ihre drei Töch­ter. In der Küche der Woh­nung im zwei­ten Stock war Par­kett­fuß­bo­den ver­legt, kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit für die­se Zeit. Wenn Bom­ben ins Mün­che­ner Zen­trum fie­len, zit­ter­te in Moos­ach der Boden und die Höl­zer des Par­ketts hüpf­ten wie Frö­sche her­um. Vor einem Spie­gel steht mein Groß­va­ter. Er rasiert sich mit zit­tern­den Hän­den. Er hat Zucker und kein Insu­lin. Er ist immer sehr durs­tig und spricht vom Durch­hal­ten wegen der Ren­te. Vor allem ist sein Gesicht so gelb wie eine Zitro­ne. Die­se Vor­stel­lung habe ich einer Erzäh­lung mei­ner Mut­ter unlängst ent­nom­men, die ich hör­te, als wir über den Nord­fried­hof gin­gen, um das Grab der Groß­mutter und des Groß­va­ters zu besu­chen. Bald wird das Grab ver­schwun­den sein, aber die Kno­chen blei­ben im Boden zurück. Zum Zeit­punkt unse­res Besu­ches war alles anwe­send, wie frü­her noch, als ich selbst, ein Kind, an Sonn­ta­gen vor das Efeu­grab getre­ten war. Ein­mal stand ich dort in blau­en San­da­len. Auf dem Grab­stein spa­zier­te eine Schne­cke. Sie leg­te eine Blei­stift­stre­cke zurück, dann blieb sie sit­zen und schlief in der war­men Herbst­son­ne ein. — stop
ping

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galina

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sier­ra : 16.28 — Ges­tern Abend, im Flug­ha­fen­zug, erzähl­te Gali­na, die seit zehn Jah­ren in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land lebt, sie sei vor weni­gen Wochen mit ihrer 85-jäh­ri­gen Groß­mutter nach Ägyp­ten ans Meer geflo­gen, ein Wag­nis, ein Aben­teu­er, weil ihre Groß­mutter, eine feder­leich­te Per­son, kaum noch auf ihren eige­nen Füßen gehen kön­ne. Man habe sie in einem klei­nen, offe­nen Elek­tro­au­to­mo­bil vor das Flug­zeug gefah­ren und das „uralte Mäd­chen“ mit­tels einer spe­zi­el­len Hebe­büh­ne zu einer beson­de­ren Tür am Heck des Flug­zeu­ges trans­por­tiert. Dort sei sie win­kend ver­schwun­den, um ihrer Enke­lin kurz dar­auf freu­de­strah­lend mit­tels eines Rol­la­tors im Gang des Flug­zeu­ges ent­ge­gen­zu­kom­men, als hät­ten sie sich Jah­re nicht gese­hen. Die alte Frau, deren Name Gali­na nicht erwähn­te, soll in ihrem Leben weit her­um­ge­kom­men sein. Sie leb­te in der Ukrai­ne nahe Donezk, eini­ge Jah­re spä­ter zog sie nach Kir­gi­si­en wei­ter, auch dort, nahe der chi­ne­si­schen Gren­ze, wur­de die deut­sche Spra­che in einer Wei­se gespro­chen, dass ich sie nur mit Mühe ver­ste­hen wür­de, bemerk­te Gali­na. In Ägyp­ten habe ihre Groß­mutter stun­den­lang bis zu den Schul­tern mit Was­ser bedeckt im Meer gestan­den, sie habe sich an einem Schwimm­brett fest­ge­hal­ten und gesummt und gewar­tet, dass die Fische zu ihr kom­men. Ihr drei­ecki­ges Kopf­tuch, das sie immer­zu tra­ge, habe sie indes­sen so gebun­den, wie sie es von Grace Kel­ly lern­te. Abends saßen die jun­ge und die alte Frau in lind­grü­ne Bade­män­tel gehüllt im Hotel­zim­mer vor dem Bild­schirm eines Note­books. Sie waren via Sky­pe mit Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen in Donezk ver­bun­den, immer wie­der sei die Ver­bin­dung unter­bro­chen wor­den, ein­mal sei­en Deto­na­tio­nen zu hören gewe­sen, da habe sich ihre Groß­mutter ins Bett gelegt. Am nächs­ten Mor­gen schweb­te die alte Frau wie­der lan­ge Zeit im Meer dahin. — stop
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