Aus der Wörtersammlung: schuhe

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abschnitt neufundland

picping

Abschnitt Neu­fund­land mel­det fol­gen­de gegen Küs­te gewor­fe­ne Arte­fak­te : Wrack­tei­le [ See­fahrt – 125, Luft­fahrt — 1333, Auto­mo­bi­le — 1808 ], Gruß­bot­schaf­ten in Glas­be­häl­tern [ 18. Jahr­hun­dert — 6, 19. Jahr­hun­dert – 231, 20. Jahr­hun­dert – 747 , 21. Jahr­hun­dert — 88 ], phy­si­cal memo­ries [ bespielt — 102, gelöscht : 88 ], Licht­fang­ma­schi­nen [ Cine-Kod­ak Spe­cial II : 2 ], shop­ping lists [  8 ], Öle [ 1.8 Ton­nen ], Pro­the­sen [ Herz — Rhyth­mus­be­schleu­ni­ger – 10, Knie­ge­len­ke – 51, Hüft­ku­geln – 325, Bril­len – 67 ], Schu­he [ Grö­ßen 28 – 39 : 1002, Grö­ßen 38 — 45 : 756 ], Kühl­schrän­ke [ 37 ], Tief­see­tauch­an­zü­ge [ ohne Tau­cher – 2, mit Tau­cher – 15 ], Engels­zun­gen [ 6 ] | stop |

polaroidmeergehen

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kairo

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india : 7.00 — Weder darf ich ihren Namen ver­ra­ten, noch in wel­cher Stadt sie wohnt oder für wen sie arbei­tet. Alles ande­re darf ich erwäh­nen, dass sie wirkt, als sei sie einem Felli­ni-Film ent­kom­men, zum Bei­spiel. Sie trägt blaue Turn­schu­he, hel­le Sei­den­strümp­fe und einen grau­en, kur­zen Man­tel mit einem Pelz­kra­gen, der nicht echt ist oder doch, ich kann es nicht sagen. Wenn sie auf ihren lan­gen, äußerst dün­nen Bei­nen vor mir steht, über­ragt sie mich um einen hal­ben Kopf, kann somit mei­nen Schei­tel betrach­ten, was nie geschieht, weil sie mir stets auf oder in die Augen schaut, wenn wir mit­ein­an­der spre­chen. Auch dann näm­lich schaut sie mir in die Augen, wenn ich ihren Blick nicht erwi­de­re, weil ich gera­de irgend­ei­nen ande­ren Ort ihrer Erschei­nung besich­ti­ge. An ihrem Hals sitzt ein grün­gel­ber Schmet­ter­ling, der zu einem Tat­too gehört, das längst ihren hal­ben Kör­per bede­cken soll. Ich habe ein­mal einen flüch­ti­gen Ein­druck des Haut­ge­mäl­des erhal­ten, als sie mir ihren Bauch zeig­te. Ich war begeis­tert, aber auch ein wenig erschro­cken gewe­sen, ich konn­te ihre Rip­pen sehen, so dünn ist sie, so zer­brech­lich, dass man sie als eine Hun­ger­künst­le­rin bezeich­nen könn­te, eine, die gera­de so wenig isst, dass sie dar­an nicht stirbt. Über­haupt, ja, über­haupt das Leben, es ist nicht leicht, das sagt sie mit einer tie­fen Stim­me. Ihr Mund ist ein klei­ner Mund, ihre Augen sind grau, ihr Haar reicht bis fast zu den Knie­keh­len her­ab. Jeder Mann, aber auch alle Frau­en dre­hen sich nach ihr um, wenn sie erscheint und wie­der ver­schwin­det. Unlängst hat­te sie einen klei­nen Kof­fer gepackt und war mit ihm nach Kai­ro geflo­gen. Ich frag­te, ob sie sich nicht gefürch­tet habe. Nein, ant­wor­te­te sie, es sei ihr nicht so wich­tig am Leben zu blei­ben, weil sie eigent­lich nicht sehr ger­ne lebe, das sei schon immer so gewe­sen, wes­we­gen sie nur ungern trin­ken und essen wür­de. Um ein Schäl­chen Hafer­flo­cken zu sich neh­men zu kön­nen, muss ein hal­ber Tag ver­ge­hen. Das ist für ein Schäl­chen Hafer­flo­cken eine lan­ge Zeit. Sie lacht jetzt. Wenn doch die Män­ner nicht immer das­sel­be woll­ten, na, Du weißt! Der Künst­ler, der ihr das Haut­ge­mäl­de fer­tig­te, habe ihr gesagt, dass er sich fürch­tet über ihren blan­ken Rip­pen mit der Nadel zu arbei­ten. Wie­der lacht sie, ein wär­men­des Geräusch. — stop

polaroidnachtvogel

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lissabon

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sier­ra : 6.52 — Eines der letz­ten beweg­ten Bil­der, die ich von mei­nem Vater in Erin­ne­rung habe, zeigt ihn, wie er in sei­nem Arbeits­zim­mer am Com­pu­ter arbei­tet. Auf dem Bild­schirm sind dut­zen­de Pro­gramm­fens­ter geöff­net. Der alte Mann sitzt fast bewe­gungs­los in sei­nem Ses­sel. Manch­mal tas­tet eine Hand durch die Luft, greift unsi­cher nach einem Glas Milch, bald stellt sie das Glas wie­der auf den Tisch zurück. Ich sehe einen Zei­ger über den Bild­schirm fah­ren. Ein wei­te­res Pro­gramm­fens­ter öff­net sich. Ein klei­nes Mäd­chen fährt in die­sem Fens­ter auf einem Fahr­rad über einen san­di­gen Weg. Sie bewegt sich in Schlan­gen­li­ni­en dahin, lacht hoch zur Kame­ra, die rück­wärts durch die Luft zu flie­gen scheint. Es ist ein hei­te­rer Film. Sobald der Film zu Ende ist, spielt ihn mein Vater von vorn ab. Aber dann öff­net sich wie von Geis­ter­hand noch ein Fens­ter, das den hei­te­ren Film ver­deckt. Eine Foto­gra­fie, Mut­ter nahe Lis­sa­bon an einem Strand. Neben ihr liegt der Mann, der vor dem Com­pu­ter sitzt, im Sand. Er trägt Turn­schu­he. Auch mei­ne Mut­ter trägt Turn­schu­he. Ich frag­te mich, wer die­se Auf­nah­me mach­te, und kom­me nicht dar­auf. Ein Schat­ten ist zu erken­nen, der Schat­ten eines Foto­gra­fen viel­leicht. In die­sem Moment ruft die Frau, die auf der Foto­gra­fie zu sehen ist, von unten, vom Wohn­zim­mer her, dass das Mit­tag­essen bald fer­tig sei. Wie nun mein Vater sich an die Arbeit macht, alle Fens­ter, die er im Lau­fe des Vor­mit­ta­ges geöff­net hat­te, wie­der zu schlie­ßen. Nein, alles muss auf­ge­räumt wer­den. Mein Vater steht nicht ein­fach auf, um sich sofort unsi­che­ren Schrit­tes auf die Trep­pe zu wagen. Ich sehe, wie sich der Zei­ger auf dem Bild­schirm den Rah­men der Pro­gramm­fens­ter nähert. Er scheint das Sym­bol für das Schlie­ßen der Fens­ter zu suchen, aber das Sym­bol ist nicht zu ent­de­cken, nicht zu erken­nen. Der Zei­ger irrt auf dem Bild­schirm her­um, Fens­ter drän­gen sich in den Vor­der­grund und ver­schwin­den wie­der. Dann kommt Mut­ter her­bei, sie ruft zärt­lich: Komm, komm, das Essen ist fer­tig. Schrit­te auf der Trep­pe. Das Geräusch der Bestecke. Das Zwit­schern der Vögel vom Gar­ten her. Im Zim­mer auf dem Schreib­tisch ist der Com­pu­ter längst ein­ge­schla­fen. — stop

ping

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auf der roseninsel

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india : 5.15 — Ich habe etwas Lus­ti­ges geträumt. War nachts mit einem Zug nach Pos­sen­ho­fen gefah­ren. Ein har­ter Win­ter, ich schlen­der­te am Ufer des Starn­ber­ger Sees. Man­schet­ten von Eis umsäum­ten Stei­ne und Höl­zer, die im Nied­rig­was­ser sicht­bar gewor­den waren. Ich erin­ne­re mich, dass ich ver­such­te Wör­ter zu fin­den für Geräu­sche, die mei­ne Schrit­te auf dem gefro­re­nen Boden erzeug­ten. Ich hat­te viel Zeit, ich war auf dem Weg zur Rosen­in­sel. Eich­hörn­chen flitz­ten durchs Unter­holz, auf Bän­ken, wel­che ich pas­sier­te, saßen gefro­re­ne Men­schen, das war selt­sam, weil sie alle lächel­ten, als wäre das Erfrie­ren ein ange­neh­mer Vor­gang gewe­sen. Außer­dem konn­ten sie lei­se spre­chen. Wenn ich ihnen eine Fra­ge stell­te, näm­lich, ob ich auf dem rich­ti­gen Weg zur Rosen­in­sel sei, ant­wor­te­ten sie, ja ja, ihre Stim­men kamen aus den Ohren der gefro­re­nen Gestal­ten her­aus, sodass ich den Ein­druck hat­te, in den mensch­li­chen Kör­pern wür­den wei­te­re Kör­per sit­zen. Auch Fische spa­zier­ten im Traum her­um, auf Füs­sen, an wel­chen sie Wan­der­schu­he tru­gen. Dann war ich irgend­wann ange­kom­men und war­te­te am Ufer, ob mich jemand holen wür­de. Das Was­ser an die­ser Stel­le leuch­te­te, ein Licht, das sich beweg­te. Plötz­lich tauch­te ein klei­nes U‑Boot aus dem Was­ser. Es hat­te die Form einer Zigar­re und war durch­sich­tig und kam sehr nah an das Ufer her­an. Eine Luke öff­ne­te sich. Robert De Niro wink­te und er sag­te, ich sol­le zu ihm ins Boot stei­gen. Wir tauch­ten dann rüber zur Insel, es war Tag als wir ange­kom­men waren, Som­mer. Auf einer Bank saß mein Vater, er las in einer Zei­tung. Hier, in sei­ner Nähe, wach­te ich auf, weil mein Wecker klin­gel­te. Ich nahm den Wecker in die Hand, und als ich drei Stun­den spä­ter wie­der ein­mal wach gewor­den war, hat­te ich den Wecker noch immer der Hand, so wie es sein muss, mit den Weckern, wenn man sie träumt. — stop

polaroidwolken

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abschnitt neufundland

picping

Abschnitt Neu­fund­land mel­det fol­gen­de gegen Küs­te gewor­fe­ne Arte­fak­te : Wrack­tei­le [ See­fahrt – 254, Luft­fahrt — 1573, Auto­mo­bi­le — 2546 ], Gruß­bot­schaf­ten in Glas­be­häl­tern [ 18. Jahr­hun­dert — 5, 19. Jahr­hun­dert – 122, 20. Jahr­hun­dert – 568 , 21. Jahr­hun­dert — 118 ], phy­si­cal memo­ries [ bespielt — 251, gelöscht : 88 ], Licht­fang­ma­schi­nen [ Roll­eiflex Stan­dard 620/621 : 1 ], Dia­ry [ Mr. Kek­ko­la 1972 — 1978 : 1 ] Öle [ 4.2 Ton­nen ], Pro­the­sen [ Herz — Rhyth­mus­be­schleu­ni­ger – 12, Knie­ge­len­ke – 17, Hüft­ku­geln – 421, Bril­len – 1755 ], Schu­he [ Grö­ßen 28 – 39 : 744, Grö­ßen 38 — 45 : 867 ], Kühl­schrän­ke [ 88 ], Tief­see­tauch­an­zü­ge [ ohne Tau­cher – 5, mit Tau­cher – 21 ], Engels­zun­gen [ 18 ] | stop |

ping

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jamaica

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echo : 20.26 — Ich will von einem Mann erzäh­len, der mir in einem Sub­way­wa­gon auf der Fahrt von der Lex­ing­ton Ave­nue nach Jamai­ca begeg­net war. Er trug, obwohl es im Abteil sehr warm gewe­sen war, Hand­schu­he an bei­den Hän­den. Das waren recht merk­wür­di­ge Hand­schu­he, denn die Dau­men des Man­nes wur­den von Schnü­ren, die an den Fäust­lin­gen befes­tigt waren, ins Inne­re der Hand gezo­gen. Fin­ger umschlos­sen sie fest, auch sie waren mit­tels Schnur­wer­kes gefes­selt. Man könn­te sagen, dass die Hand­schu­he, die der Mann trug, sei­ne Hän­de bän­dig­ten, indem sie Fäus­te form­ten. So, gefes­selt, saß der Mann wäh­rend der lan­gen Fahrt vor mir und nick­te. Er betrach­te­te sei­ne Hän­de, wie mir schien, mit zärt­li­cher Auf­merk­sam­keit, in der Art und Wei­se der Lie­ben­den viel­leicht, wenn ein Blick nachts heim­lich einen schla­fen­den Mund umschmei­chelt. Ich ver­such­te zu arbei­ten, konn­te mich aber nicht kon­zen­trie­ren. Nach eini­ger Zeit frag­te ich den Mann, ob er denn etwas in Hän­den hiel­te, etwas, das viel­leicht flüch­ten könn­te, wenn er sei­ne Hän­de öff­ne­te. Das schien nicht der Fall zu sein, weil der Mann sei­nen Kopf schüt­tel­te und lach­te, ohne indes­sen mit mir ein Gespräch auf­neh­men zu wol­len. Ich war­te­te also eini­ge Zeit, sah aus dem Fens­ter, spä­te Flug­zeu­ge, eine Ket­te von Lich­tern, näher­te sich dem Flug­ha­fen. Und da war mein müdes Gesicht im Spie­gel der Schei­be. Und dann wie­der der Mann und sei­ne Hän­de, die auf sei­nen Schen­keln lagen. Sie drü­cken die Dau­men, sag­te ich, ist das mög­lich? Der Mann lach­te jetzt. Er schien zu über­le­gen, dann ant­wor­te­te er mit lei­ser Stim­me, die in dem schep­pern­den Lärm des Sub­way­wa­gons kaum noch zu hören war, dass ein Pro­blem sei, dass er nicht wis­se, wie er sei­ne Fäust­lin­ge für das Wün­schen bei Nacht, ohne die Hil­fe eines wei­te­ren Men­schen anle­gen könn­te. Der lin­ke der Hand­schu­he war im Übri­gen von gel­ber, der rech­te von blau­er Far­be. — stop

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linie 12 : 2 uhr und 25 minuten

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echo : 3.08 — In die­ser Nacht fah­ren fun­ken­sprü­hen­de Stra­ßen­bah­nen durch die Stadt, uralte Model­le, und die Luft duf­tet pel­zig nach Zinn und Eisen unter Strom­ab­neh­mern, wel­che über Lei­tun­gen ras­peln, deren gefro­re­ne Was­ser­män­tel im Licht der Later­nen schim­mern. Die­ses Feu­er, mal blau, mal schrill und gleis­send hell, mal in den mil­den Far­ben der Ker­zen­flam­men. Erschei­nun­gen, als wür­de Lava aus Adern drin­gen, die über Stra­ßen gespannt. In den Wagons der Trams ste­hen Män­ner. Sie tra­gen Hand­schu­he und leder­ne Schür­zen, war­um? — stop

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josephine auf der mary murray

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tan­go : 6.34 — Ist das nicht eine wun­der­ba­re Vor­stel­lung, wie sich Jose­phi­ne an einem war­men Sams­tag­vor­mit­tag auf den Weg macht nach New Jer­sey, um das Wrack der MS Mary Mur­ray zu besich­ti­gen? Wie sie ein Taxi ordert. Wie der Fah­rer erzählt, dass er noch nie eine so wei­te Fahrt unter­nom­men habe im Auf­trag. Eigent­lich dür­fe er mit sei­nem Wagen die Stadt nicht ver­las­sen. Also stei­gen sie in Jose­phi­nes Auto um, einen uralten Buick, der seit über einem Jahr­zehnt nicht aus der Gara­ge bewegt wor­den war. Sie neh­men die Ver­raza­no-Nar­rows Bridge süd­wärts. Jose­phi­ne raucht schon lan­ge nicht mehr, aber heu­te macht sie eine Aus­nah­me, eine. Ihr dün­nes wei­ßes Haar, das im Wind flat­tert, fängt sie mit wen­di­gen Fin­gern wie­der ein. Sie trägt Turn­schu­he und ein oran­ge­far­be­nes, som­mer­li­ches Kleid. Die Haut ihrer Bei­ne, Arme, Schul­tern sind hell wie ihr Haar. Eine Stun­de rau­schen sie wort­los auf dem New Jer­sey Turn­pi­ke dahin. Nahe Free­holf hal­ten sie an. Gleich neben dem High­way bewegt sich ein Fluss, dunk­les, müdes Was­ser, lang­sam. Am Ufer war­tet ein jun­ger, bär­ti­ger Mann in einem Pad­del­boot von leuch­tend roter Far­be. Wie Jose­phi­ne sich in die­sem Augen­blick wünscht, foto­gra­fiert zu wer­den, wie sie sich in das Boot setzt, wie sie ihren Stroh­hut mit bei­den Hän­den zurecht­rückt, dann fah­ren sie los, unter mäch­ti­gen Brü­cken hin­durch in Rich­tung des Rarit­an­flus­ses. Möwen ste­hen im bra­cki­gen Was­ser. Es ist fast still, nur das Geräusch des Pad­dels, ein paar Flie­gen brum­men durch die Luft. Ein­mal nähert sich ein Hub­schrau­ber der Küs­ten­wa­che, dreht wie­der ab. Und plötz­lich ist sie zu sehen, eine Fata Mor­ga­na in der Land­schaft, das aus­ran­gier­te gewal­ti­ge Fähr­schiff der Sta­ten Island Flot­te, die MS Mary Mur­ray. Schlag­sei­te steu­er­bords ruht sie in einem Bett von Schilf, Libel­len schie­ßen hin und her, blaue und grü­ne rie­si­ge Tie­re. Wie sich Jose­phi­ne und der jun­ge Mann dem Schiffs­wrack vor­sich­tig nähern. Wie der jun­ge Mann eine Lei­ter am Rumpf des Schif­fes befes­tigt. Wir sehen der alten Dame zu, wie sie vor­sich­tig Spros­se um Spros­se erklimmt. Ihr behut­sa­mer Gang über das Deck, das sich neigt. Jetzt, da die Far­ben vom Schiffs­kör­per fal­len, von Stür­men und Regen gepeitscht, von der Son­ne gebrannt, kann man das höl­zer­ne Herz der alten Flot­ten­da­me erken­nen, Käfer und Amei­sen spa­zie­ren über die Sitz­bän­ke der Pro­me­na­de. Jose­phi­ne muss nicht lan­ge suchen, im Schat­ten einer Ulme, die sich über das Schiff zu beu­gen scheint, eine Sitz­bank, hier genau, ja, hier genau muss die Schrift ihrer Schwes­ter Geral­di­ne zu ent­de­cken sein, ein Satz nur, den das klei­ne Mäd­chen im Jahr 1952 an einem Som­mer­nach­mit­tag auf dem Weg von Man­hat­tan nach Sta­ten Island in das Holz der Bank geritzt hat­te, wäh­rend ihre Zwil­lings­schwes­ter Char­lot­te sie vor Ent­de­ckung schütz­te. Wie Jose­phi­nes zit­tern­de Fin­ger in die­sem Augen­blick über die Ver­tie­fung der Zei­chen fah­ren. — stop

jose­phi­ne

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josephine besucht chelsea

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ulys­ses : 15.07 — Ich erin­ne­re mich an einen Tag im Mai des Jah­res 2010, als Jose­phi­ne und ich durch den Cen­tral Park spa­zier­ten. Es war ein war­mer Tag gewe­sen, ein Tag, an dem Wasch­bä­ren ihre Ver­ste­cke im Unter­holz flüch­te­ten, um den Som­mer zu begrü­ßen. Nie zuvor hat­te ich Wasch­bä­ren per­sön­lich gese­hen, und auch an die­sem Tag hat­te ich kaum Zeit, sie zu beob­ach­ten, weil die betag­te Dame an mei­ner Sei­te süd­wärts dräng­te. Gut gelaunt schien sie ihr Alter nicht im min­des­ten zu spü­ren, und so folg­ten wir der 8th Ave­nue Rich­tung South Fer­ry, pas­sier­ten die Port Aut­ho­ri­ty Bus­sta­ti­on, das zen­tra­le Post­amt und die Penn Sta­ti­on, um nahe dem Joy­ce-Thea­ter in die 18th Stra­ße ein­zu­bie­gen. Bei­na­he zwei Stun­den waren wir bis dort­hin unter­wegs gewe­sen, es däm­mer­te bereits. Vor dem Haus 264 West blieb Jose­phi­ne ste­hen. Sie hol­te ihr Tele­fon aus der Hand­ta­sche und mel­de­te mit lau­ter Stim­me, dass sie bereits unten vor dem Haus ste­hen wür­de und abge­holt zu wer­den wün­sche! Ein Herr, in etwa dem­sel­ben Alter, in dem sich Jose­phi­ne befand, öff­ne­te uns kurz dar­auf die Tür. Er war mit einem Haus­man­tel beklei­det, der in einem tie­fen Blau leuch­te­te, hat­te kei­ner­lei Haar auf dem Kopf und trug Turn­schu­he. Ich erin­ne­re mich, dass ich mich wun­der­te über sei­ne gro­ßen Füße, denn der Mann, den mir Jose­phi­ne mit dem Namen Valen­tin vor­stell­te, war eher zier­lich, wenn nicht klein gera­ten. Wäh­rend wir eine enge Trep­pe in den sechs­ten Stock hin­auf­stie­gen, dach­te ich an die­se Schu­he und auch dar­an, ob ich selbst in ihnen über­haupt lau­fen könn­te. Bald tra­ten wir durch eine schma­le Tür, hin­ter der sich ein Raum von uner­war­te­ter Grö­ße befand, ein Saal viel­mehr, mit einer hohen Decke und einem gut gepfleg­ten Boden von Holz, der nach Oran­gen duf­te­te. Lin­ker Hand öff­ne­te sich ein Fens­ter, das die gesam­te Brei­te des Rau­mes füll­te, mit einem groß­ar­ti­gen Aus­blick auf Chel­sea, auf Dach­gär­ten, Anten­nen und Satel­li­ten­wäl­der, ich glaub­te, vor einer Stadt ohne Stra­ßen zu ste­hen. Und da war nun die­ser alte Mann in sei­nem blau­en Haus­man­tel, der uns bat, auf einem Sofa Platz zu neh­men, wel­ches das ein­zi­ge Möbel­stück gewe­sen war, das ich in dem Raum ent­de­cken konn­te. Ein paar Was­ser­fla­schen reih­ten sich an einer der Wän­de, die von Back­stein waren, von hel­lem Rot, und an die­sen Wän­den waren nun Papie­re, Foto­ko­pien von Buch­sei­ten, genau­er, akku­rat anein­an­der gereiht, sodass sie die Wän­de des Saa­les bedeck­ten. Jose­phi­ne schien sehr berührt zu sein von die­sem Anblick. Sie saß mit durch­ge­drück­tem Rücken auf dem Sofa und bewun­der­te das Werk ihres Freun­des, der uns zu die­sem Zeit­punkt bereits ver­ges­sen zu haben schien. Er stand vor einer der Buch­sei­ten und las. Es han­del­te sich um ein Papier des 1. Band der Entde­ckungs­rei­sen nach Tahi­ti und in die Süd­see von Georg Fors­ter in eng­li­scher Über­set­zung. Und wie wir den alten Mann beob­ach­te­ten, erzähl­te mir Jose­phi­ne, dass er das mit jedem der Bücher machen wür­de, die er lesen wol­le, er wür­de sie ent­fal­ten, ihre Zei­chen­li­nie sicht­bar machen, er lese immer im Ste­hen, er sei ein Wan­de­rer. — stop

jose­phi­ne

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eine alte frau

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del­ta : 7.28 — Eine alte Frau in den Schu­hen eines Man­nes. Sie ist klein, sie geht gebückt. Der Mann, zu dem frü­her ein­mal die Schu­he der alten, gebückt gehen­den Frau gehör­ten, muss ein Mann von statt­li­cher Grö­ße gewe­sen sein. Sie kann ihre Füße nicht vom Boden heben, ohne den schüt­zen­den Raum der rie­si­gen Schu­he zu ver­las­sen. Des­halb geht sie in einer Wei­se, als sie wür­de auf Ski­ern lau­fen. Links in der Hand trägt sie einen Stock, auf den sie sich stützt, sobald sie ein­mal ste­hen bleibt. Sie trägt einen grau­en Win­ter­man­tel, graue Hosen, einen grau­en Schal. Auch ihr Haar ist von grau­er Far­be. Eigent­lich fällt sie kaum auf in der Men­schen­men­ge, weil sie zier­lich ist und ohne Laut. Sie wan­dert in ihren Schnee­schu­hen über den Zen­tral­bahn­hof von Müll­ei­mer zu Müll­ei­mer, um jeweils in die Tie­fe der Behäl­ter­schlün­de zu spä­hen. Ich fra­ge mich, was sie suchen könn­te, viel­leicht Fla­schen oder ein Brot oder den Rest eines Apfels. Ich ken­ne die Erschei­nung die­ser Frau, ich ken­ne sie seit Jah­ren. Sie ist ein Leicht­ge­wicht, wenn ich sie mit den schwe­ren, den voll­stän­dig ver­mumm­ten Gestal­ten der New Yor­ker Stra­ßen in Bezie­hung set­ze. Als ich sie zum ers­ten Mal wahr­ge­nom­men habe, dach­te ich: Die­se Frau könn­te mei­ne Mut­ter sein, was ist gesche­hen? Damals sah die alte Frau krank aus und schmut­zig und sie roch sehr streng. Ihre Augen waren gelb­lich ver­färbt, dar­an erin­ne­re ich mich genau, ich über­leg­te, ob sie viel­leicht bald ster­ben wird. Das war vor zwei oder drei Jah­ren gewe­sen. Wie ich sie heu­te wie­der sehe, die alte Frau in den Schu­hen eines Man­nes, den­ke ich, sie ist wie eine Figur, die immer irgend­wo in Bahn­hö­fen anwe­send ist, die immer wie­der über eine die­ser Rei­se­büh­nen schrei­tet, ohne je wei­ter­zu­fah­ren, die­se Wege von Müll­ei­mer zu Müll­ei­mer und wie­der zurück auf der Suche nach etwas Nah­rung oder Pfand. An die­sem Abend über­ho­le ich sie, wen­de und bücke mich, sodass ich ihr nahe­kom­me. Sie hält an, schaut mir in die Augen. Ihre Haut ist weich und weiß und ihre Pupil­len sind klar. Ich sage: Ent­schul­di­gen Sie bit­te. Darf ich ihnen etwas geben? In dem Moment, da sie mir eine Hand ent­ge­gen­streckt, sagt sie mit der Stim­me eines Mäd­chens so hell: Dan­ke, war­um? — stop

polaroidfrau2



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