Aus der Wörtersammlung: eisen

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josephine auf der mary murray

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tan­go : 6.34 — Ist das nicht eine wun­der­ba­re Vor­stel­lung, wie sich Jose­phi­ne an einem war­men Sams­tag­vor­mit­tag auf den Weg macht nach New Jer­sey, um das Wrack der MS Mary Mur­ray zu besich­ti­gen? Wie sie ein Taxi ordert. Wie der Fah­rer erzählt, dass er noch nie eine so wei­te Fahrt unter­nom­men habe im Auf­trag. Eigent­lich dür­fe er mit sei­nem Wagen die Stadt nicht ver­las­sen. Also stei­gen sie in Jose­phi­nes Auto um, einen uralten Buick, der seit über einem Jahr­zehnt nicht aus der Gara­ge bewegt wor­den war. Sie neh­men die Ver­raza­no-Nar­rows Bridge süd­wärts. Jose­phi­ne raucht schon lan­ge nicht mehr, aber heu­te macht sie eine Aus­nah­me, eine. Ihr dün­nes wei­ßes Haar, das im Wind flat­tert, fängt sie mit wen­di­gen Fin­gern wie­der ein. Sie trägt Turn­schu­he und ein oran­ge­far­be­nes, som­mer­li­ches Kleid. Die Haut ihrer Bei­ne, Arme, Schul­tern sind hell wie ihr Haar. Eine Stun­de rau­schen sie wort­los auf dem New Jer­sey Turn­pi­ke dahin. Nahe Free­holf hal­ten sie an. Gleich neben dem High­way bewegt sich ein Fluss, dunk­les, müdes Was­ser, lang­sam. Am Ufer war­tet ein jun­ger, bär­ti­ger Mann in einem Pad­del­boot von leuch­tend roter Far­be. Wie Jose­phi­ne sich in die­sem Augen­blick wünscht, foto­gra­fiert zu wer­den, wie sie sich in das Boot setzt, wie sie ihren Stroh­hut mit bei­den Hän­den zurecht­rückt, dann fah­ren sie los, unter mäch­ti­gen Brü­cken hin­durch in Rich­tung des Rarit­an­flus­ses. Möwen ste­hen im bra­cki­gen Was­ser. Es ist fast still, nur das Geräusch des Pad­dels, ein paar Flie­gen brum­men durch die Luft. Ein­mal nähert sich ein Hub­schrau­ber der Küs­ten­wa­che, dreht wie­der ab. Und plötz­lich ist sie zu sehen, eine Fata Mor­ga­na in der Land­schaft, das aus­ran­gier­te gewal­ti­ge Fähr­schiff der Sta­ten Island Flot­te, die MS Mary Mur­ray. Schlag­sei­te steu­er­bords ruht sie in einem Bett von Schilf, Libel­len schie­ßen hin und her, blaue und grü­ne rie­si­ge Tie­re. Wie sich Jose­phi­ne und der jun­ge Mann dem Schiffs­wrack vor­sich­tig nähern. Wie der jun­ge Mann eine Lei­ter am Rumpf des Schif­fes befes­tigt. Wir sehen der alten Dame zu, wie sie vor­sich­tig Spros­se um Spros­se erklimmt. Ihr behut­sa­mer Gang über das Deck, das sich neigt. Jetzt, da die Far­ben vom Schiffs­kör­per fal­len, von Stür­men und Regen gepeitscht, von der Son­ne gebrannt, kann man das höl­zer­ne Herz der alten Flot­ten­da­me erken­nen, Käfer und Amei­sen spa­zie­ren über die Sitz­bän­ke der Pro­me­na­de. Jose­phi­ne muss nicht lan­ge suchen, im Schat­ten einer Ulme, die sich über das Schiff zu beu­gen scheint, eine Sitz­bank, hier genau, ja, hier genau muss die Schrift ihrer Schwes­ter Geral­di­ne zu ent­de­cken sein, ein Satz nur, den das klei­ne Mäd­chen im Jahr 1952 an einem Som­mer­nach­mit­tag auf dem Weg von Man­hat­tan nach Sta­ten Island in das Holz der Bank geritzt hat­te, wäh­rend ihre Zwil­lings­schwes­ter Char­lot­te sie vor Ent­de­ckung schütz­te. Wie Jose­phi­nes zit­tern­de Fin­ger in die­sem Augen­blick über die Ver­tie­fung der Zei­chen fah­ren. — stop

jose­phi­ne

ping

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josephine besucht chelsea

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ulys­ses : 15.07 — Ich erin­ne­re mich an einen Tag im Mai des Jah­res 2010, als Jose­phi­ne und ich durch den Cen­tral Park spa­zier­ten. Es war ein war­mer Tag gewe­sen, ein Tag, an dem Wasch­bä­ren ihre Ver­ste­cke im Unter­holz flüch­te­ten, um den Som­mer zu begrü­ßen. Nie zuvor hat­te ich Wasch­bä­ren per­sön­lich gese­hen, und auch an die­sem Tag hat­te ich kaum Zeit, sie zu beob­ach­ten, weil die betag­te Dame an mei­ner Sei­te süd­wärts dräng­te. Gut gelaunt schien sie ihr Alter nicht im min­des­ten zu spü­ren, und so folg­ten wir der 8th Ave­nue Rich­tung South Fer­ry, pas­sier­ten die Port Aut­ho­ri­ty Bus­sta­ti­on, das zen­tra­le Post­amt und die Penn Sta­ti­on, um nahe dem Joy­ce-Thea­ter in die 18th Stra­ße ein­zu­bie­gen. Bei­na­he zwei Stun­den waren wir bis dort­hin unter­wegs gewe­sen, es däm­mer­te bereits. Vor dem Haus 264 West blieb Jose­phi­ne ste­hen. Sie hol­te ihr Tele­fon aus der Hand­ta­sche und mel­de­te mit lau­ter Stim­me, dass sie bereits unten vor dem Haus ste­hen wür­de und abge­holt zu wer­den wün­sche! Ein Herr, in etwa dem­sel­ben Alter, in dem sich Jose­phi­ne befand, öff­ne­te uns kurz dar­auf die Tür. Er war mit einem Haus­man­tel beklei­det, der in einem tie­fen Blau leuch­te­te, hat­te kei­ner­lei Haar auf dem Kopf und trug Turn­schu­he. Ich erin­ne­re mich, dass ich mich wun­der­te über sei­ne gro­ßen Füße, denn der Mann, den mir Jose­phi­ne mit dem Namen Valen­tin vor­stell­te, war eher zier­lich, wenn nicht klein gera­ten. Wäh­rend wir eine enge Trep­pe in den sechs­ten Stock hin­auf­stie­gen, dach­te ich an die­se Schu­he und auch dar­an, ob ich selbst in ihnen über­haupt lau­fen könn­te. Bald tra­ten wir durch eine schma­le Tür, hin­ter der sich ein Raum von uner­war­te­ter Grö­ße befand, ein Saal viel­mehr, mit einer hohen Decke und einem gut gepfleg­ten Boden von Holz, der nach Oran­gen duf­te­te. Lin­ker Hand öff­ne­te sich ein Fens­ter, das die gesam­te Brei­te des Rau­mes füll­te, mit einem groß­ar­ti­gen Aus­blick auf Chel­sea, auf Dach­gär­ten, Anten­nen und Satel­li­ten­wäl­der, ich glaub­te, vor einer Stadt ohne Stra­ßen zu ste­hen. Und da war nun die­ser alte Mann in sei­nem blau­en Haus­man­tel, der uns bat, auf einem Sofa Platz zu neh­men, wel­ches das ein­zi­ge Möbel­stück gewe­sen war, das ich in dem Raum ent­de­cken konn­te. Ein paar Was­ser­fla­schen reih­ten sich an einer der Wän­de, die von Back­stein waren, von hel­lem Rot, und an die­sen Wän­den waren nun Papie­re, Foto­ko­pien von Buch­sei­ten, genau­er, akku­rat anein­an­der gereiht, sodass sie die Wän­de des Saa­les bedeck­ten. Jose­phi­ne schien sehr berührt zu sein von die­sem Anblick. Sie saß mit durch­ge­drück­tem Rücken auf dem Sofa und bewun­der­te das Werk ihres Freun­des, der uns zu die­sem Zeit­punkt bereits ver­ges­sen zu haben schien. Er stand vor einer der Buch­sei­ten und las. Es han­del­te sich um ein Papier des 1. Band der Entde­ckungs­rei­sen nach Tahi­ti und in die Süd­see von Georg Fors­ter in eng­li­scher Über­set­zung. Und wie wir den alten Mann beob­ach­te­ten, erzähl­te mir Jose­phi­ne, dass er das mit jedem der Bücher machen wür­de, die er lesen wol­le, er wür­de sie ent­fal­ten, ihre Zei­chen­li­nie sicht­bar machen, er lese immer im Ste­hen, er sei ein Wan­de­rer. — stop

jose­phi­ne

ping

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teegedanken

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nord­pol

~ : oe som
to : louis
sub­ject : TEEGEDANKEN
date : dec 21 12 11.05 p.m.

Eini­ge Tage und Näch­te haben wir alle gemein­sam in der Werk­statt zuge­bracht. Noe konn­te uns hören in der Tie­fe, wir hat­ten unse­re Mikro­fo­ne nicht aus­ge­schal­tet, um ihn teil­ha­ben zu las­sen, an unse­rem Leben. Jetzt, lie­ber Lou­is, jetzt, da der Hei­li­ge Abend näher kommt, wird Noe melan­cho­lisch. Er frag­te wie­der nach sei­nen Eltern, ob sei­ne Mut­ter und sein Vater noch leb­ten. Was sol­len wir ant­wor­ten? Was nur, ver­dammt, sol­len wir ant­wor­ten? Nichts als die Wahr­heit? Wir wis­sen es nicht! Und so tun wir unser Bes­tes, Noe auf­zu­hei­tern. Ben­ny Good­man spielt von der Kon­ser­ve: Live at Car­ne­gie­hall. Noe liebt Ben­ny Good­man seit Kind­heits­ta­gen. Wei­ter­hin haben wir Noe in eine leich­te, beru­hi­gen­de Schwin­gung ver­setzt, er pen­delt jetzt unter dem Schiff mit einer Ampli­tu­de von 20 Metern nach links und nach rechts. Indes­sen ahnt Noe nicht, was hier oben bei uns vor sich geht. Es ist näm­lich so, dass wir unse­rem Tau­cher eine Über­ra­schung berei­ten wer­den. Eric, unser Maschi­nist, hat­te die Idee, einen Weih­nachts­baum für Noe zu kon­stru­ie­ren, die Anmu­tung eines Weih­nachts­bau­mes genau­er, der geeig­net ist, in die Tie­fe gelas­sen zu wer­den. Wir haben uns Mühe gege­ben, der Baum ist hübsch gewor­den, drei Meter hoch, ein Gebil­de aus Metall, das über einen Stamm und Äste ver­fügt. Da und dort haben wir Unter­was­ser­fa­ckeln befes­tigt, die wir von der Fer­ne zün­den wer­den. Ein beson­de­rer Abend, lie­ber Lou­is, steht bevor! Ob wir das Licht erken­nen wer­den an der Ober­flä­che des Mee­res? Was wird Noe sagen? Und wie wer­den die Fische, die gro­ßen und die klei­nen Raub­fi­sche reagie­ren? — Es ist jetzt Frei­tag und spät. Ein Duft von Zimt, Gewürz­nel­ken und Kaf­fee strömt durch das Schiff. Am Mon­tag wer­den wir uns ein paar jun­ge Süß­was­ser­wel­se bra­ten. Es geht alles also einen guten Weg. Vor Stun­den noch zitier­te Tau­cher Noe aus dem Gedächt­nis einen wei­sen Satz, den der Phi­lo­soph Gui­do Cero­net­ti in sei­nen Tee­ge­dan­ken notier­te. Noe sag­te: Wenn ich wie ein Ver­lie­rer leben könn­te, wäre ich es etwas weni­ger. — In die­sem Sin­ne, lie­ber Lou­is: Ahoi! Dein OE SOM

gesen­det am
22.12.2012
2065 zeichen

oe som to louis »

polaroidschirme

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wanderameisen

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echo : 0.55 — Es könn­te even­tu­ell eine sehr span­nen­de Auf­ga­be sein, sich ein­mal sel­te­ne, nie zuvor gehör­te Geräu­sche vor­zu­stel­len. Das Geräusch, zum Bei­spiel, aus­schwär­men­der Wan­der­amei­sen. Wel­ches Geräusch wür­den zwei­hun­dert hung­ri­ge Eich­hörn­chen erzeu­gen, die über eine tief­ge­fro­re­ne Wie­se galop­pie­ren? — stop

ping

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schildkröte

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nord­pol : 6.55 — Ich hör­te eine Geschich­te, die von einer Frau und einem Haus erzählt, das sich in einer alten nord­grie­chi­schen Stadt befin­det. Es ist ein statt­li­ches, stei­ner­nes Haus, die Böden des Hau­ses sind von Holz wie die Trep­pen und Türen. Ein hoch­be­tag­ter Oli­ven­baum steht unweit des Hau­ses. Manch­mal sit­zen dort Sper­lin­ge und pfei­fen. Im Win­ter kann man Wöl­fe hören, wenn man die Fens­ter des Hau­ses öff­net. Gele­gent­lich kom­men Schlan­gen zu Besuch und Eidech­sen und Amei­sen und Schild­krö­ten, ja, es gibt sehr vie­le Schild­krö­ten im Gar­ten des Hau­ses, aber nicht im Win­ter, in kei­nem Win­ter, soweit Men­schen zurück­den­ken kön­nen, hat irgend­je­mand Schild­krö­ten in der Nähe des Hau­ses, im Gar­ten oder in der Stadt gese­hen. In dem stei­ner­nen Haus also wohnt eine Frau. Sie wohnt seit weni­gen Wochen allein, weil ihre Mut­ter gestor­ben ist. Über zehn Jah­re lag die uralte Mut­ter in ihrem Bett und wur­de von ihrer Toch­ter, die gleich­wohl eine älte­re Frau ist, gepflegt. Das ist so üblich in Grie­chen­land, dass sich die jün­ge­ren um die älte­ren Men­schen küm­mern, auch wenn sie selbst schon alte Men­schen gewor­den sind. Als nun die Mut­ter der alten Frau starb, war es plötz­lich sehr still im Haus. Es war so still, dass die Frau glaub­te, ihre Mut­ter noch zu hören. Nachts ver­nahm sie den Wind, aber der Wind war drau­ßen gewe­sen hin­ter den Fens­tern, und sie hör­te das Dach, wie es flüs­ter­te. Manch­mal schloss die alte Frau ihre Augen in der Dun­kel­heit und schlief ein. Es war immer das­sel­be, sie hör­te im Schlaf die Stim­me ihrer Mut­ter, wie sie nach ihr rief, und ihr Atmen und wie ein Glas zu Boden stürz­te und wie die Bett­de­cke gewen­det wur­de. Davon wur­de sie immer­zu wach, und sie hör­te schar­ren­de Geräu­sche von der Trep­pe her, und wie­der den Wind. Das ging Wochen so, kaum eine Nacht konn­te die alte Frau schla­fen, weil sie mein­te, ihre Mut­ter zu hören. Ein­mal vor weni­gen Tagen, nach­dem sie wie­der ein­mal wach gewor­den war, ver­ließ die alte Frau nachts ihr Bett. Sie stieg die Trep­pe hin­ab in die Küche. Wie sie das Licht anschal­te­te, sah sie inmit­ten der Küche eine klei­ne, jun­ge Schild­krö­te sit­zen. Ges­tern erst soll Schnee gefal­len sein. — stop

ping

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schnee

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alpha

~ : malcolm
to : louis
sub­ject : SCHNEE
date : dec 2 12 0.15 p.m.

Über Nacht ist Schnee gefal­len. Ein har­ter, böiger Wind fegt vom East River her durch die Stra­ßen in den Park. Wir sind die ers­ten Spa­zier­gän­ger heu­te Mor­gen. Es ist bei­na­he still in der Däm­me­rung. Weit­hin sehen wir hin­ter uns unse­re eige­ne Spur auf dem Weg, den wir nord­wärts gehen. Immer wie­der blei­ben wir ste­hen, um nach Fran­kie zu sehen. Er scheint sich wohl­zu­füh­len, man könn­te sagen, dass es sich bei die­sem Eich­hörn­chen um einen Schnee­tau­cher han­deln könn­te. Für Minu­ten ist nichts von ihm zu sehen, aber dann plötz­lich sein Kopf, der aus dem Schnee ragt, er schüt­telt sich, sei­ne Ohren beben, ja, Fran­kie scheint glück­lich zu sein in die­ser neu­en wei­ßen Welt. Auch Möwen sind in den Cen­tral Park gekom­men. Sie hocken auf Sitz­bän­ken und Mau­ern, ich glau­be, sie haben es auf Zwer­ge wie Fran­kie abge­se­hen, denk­bar, dass sie den Schnee als Gewäs­ser betrach­ten und jene Tie­re, die sich für einen kur­zen Moment an der Ober­flä­che zei­gen, für Fische, die sie jagen müs­sen. Es sind gro­ße Vögel, gel­be Augen, rie­si­ge Schnä­bel, die uns heu­te Mor­gen tat­säch­lich Sor­ge berei­ten, sie könn­ten Fran­kie erle­gen und mit ihm aufs Meer hin­aus­flie­gen, mit all sei­nen Sen­so­ren, die uns dann nicht wei­ter­hel­fen wer­den. Wann wer­den Sie uns besu­chen, Mr. Lou­is? Wir hof­fen noch in die­sem Win­ter! Ein­mal Fran­kie mit eige­nen Augen betrach­ten, nicht wahr! Schnell ist er gewor­den. In der kom­men­den Woche wol­len wir zum ers­ten Mal erpro­ben, ob wir in der Lage sind, ihn mit unse­rer Fern­steue­rung beein­flus­sen zu kön­nen. Wir haben vor, Fran­kie in Krei­sen durch den Park lau­fen zu las­sen. – Aller­bes­te Grü­ße sen­det ihn Mal­colm / code­wort : hillarystep

emp­fan­gen am
03.12.2012
1630 zeichen

mal­colm to louis »

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im pullmannwagen

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hima­la­ya : 6.46 — Seit eini­gen Stun­den sind hef­ti­ge Arbeits­ge­räu­sche, – Häm­mern, Boh­ren, Sägen -, aus dem klei­nen Raum zu ver­neh­men, der sich neben mei­nem Arbeits­zim­mer befin­det, und Män­ner­stim­men, die scher­zen und pfei­fen. Ich will das schnell erzäh­len, es han­delt sich um einen Vor­gang der Mon­ta­ge, weil zwei Hand­wer­ker damit beschäf­tigt sind, einen Eisen­bahn-Rei­se­wa­gon, genau­er, die Abteil­schei­be eines Zuges, zu ver­schrau­ben, die mir ges­tern Nach­mit­tag bei äußerst schlech­tem Wet­ter in Ein­zel­tei­len ange­lie­fert wor­den waren. Ich habe kei­nen wirk­li­chen Aus­blick auf das, was dort im Ein­zel­nen geschieht, aber ich kann das fei­ne Leder der Sit­ze des alten Pull­man­wa­gens bereits rie­chen, den ich mir wünsch­te, um dar­in jeder­zeit fah­ren und arbei­ten zu kön­nen. Ein groß­ar­ti­ges Erleb­nis soll das sein, Stun­de um Stun­de im his­to­ri­schen Wag­gon zu sit­zen und zu schau­en und zu schrei­ben oder zu schla­fen, das rhyth­mi­sche Geräusch der Schwel­len, som­mer­li­che Rhein­land­schaf­ten, die auf Bild­schirm­fens­tern vor­über­zie­hen. Die Stim­me eines Schaff­ners, der sich nach Fahr­kar­ten erkun­digt, sie kommt näher, der Mann grüßt durch das Fens­ter der Tür in mei­ne Rich­tung, immer wie­der wird er kom­men, ohne je das Abteil zu betre­ten, in dem ich sit­ze. Kin­der tol­len auf den Flu­ren her­um, jemand schreit, dass end­lich Ruhe sein soll, Tanz­mu­sik vom Nach­bar­ab­teil, Rei­sen­de ver­tre­ten sich die Bei­ne, zei­gen auf Damp­fer­schif­fe drau­ßen auf dem Fluss, auch sie sind Bild­schirm­we­sen, Drei­ßi­ger­jah­re, her­vor­ra­gend gemacht. Ein Kom­bü­sen­wä­gel­chen schep­pert vor­über, ein Bahn­hof, eine Uhr, es wird dun­kel und plötz­lich tief ste­hen­de Son­ne über den wil­den zor­ni­gen Bäu­men, die geduckt in einer Schnee­land­schaft ste­hen, bald, in weni­gen Minu­ten, wer­den wir Oslos Zen­tral­sta­ti­on errei­chen. — stop
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hurricane

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char­lie

~ : louis
to : dai­sy und vio­let hilton
sub­ject : HURRICANE

Es wird Win­ter, nicht wahr, lie­be Dai­sy, lie­be Vio­let, es wird Win­ter. Habe Pull­over, Män­tel, Hand­schu­he, Hüte, Schals auf mein Bett gebrei­tet, alles ist jetzt geprüft, ich bin gerüs­tet. Nicht viel ist zu erzäh­len zur Zeit, viel­leicht, dass ich ges­tern am spä­ten Abend die Lek­tü­re eines Romans von Ray Lori­ga auf­ge­nom­men habe, der von der Erfin­dung Man­hat­tans han­deln soll, ein ange­nehm leicht­fü­ßig erzähl­ter Text. Wäh­rend ich las, erin­ner­te ich mich an ein Gespräch, das ich mit einem Matro­sen der Sta­ten Island Fäh­ren noch im Janu­ar führ­te. Er berich­te­te, wie er mit einem der Schif­fe, es war die Andrew J. Bar­be­ri gewe­sen, den Hud­son auf­wärts fuhr, um das Schiff vor dem Hur­ri­kan Ire­ne in Sicher­heit zu brin­gen. Es sei eine unheim­li­che Rei­se gewe­sen, Not­be­leuch­tung an Bord, Möwen waren mit strom­auf­wärts gefah­ren, unbe­wegt saßen sie auf den Hand­läu­fen der Reling, hun­der­te Vögel, als hät­ten sie das Flie­gen ver­lernt. Ein Lot­se, nicht der Kapi­tän, führ­te Kom­man­do über das Schiff. Er selbst habe sich zum ers­ten Mal in sei­nem Leben land­ein­wärts von der Küs­te fort­be­wegt. Ich erin­ne­re mich gern an die­sen klei­nen Mann, der in Brook­lyn groß gewor­den war. Manch­mal trug er eine blin­ken­de Kopf­be­de­ckung, die den Strah­len­rin­gen der Frei­heits­sta­tue nach­emp­fun­den wor­den war. Heu­te, an die­sem Abend, wird er viel­leicht wie­der unter­wegs sein, mit sei­nem Schiff den Hud­son auf­wärts, es geht nun um San­dy, und es geht um Barack Oba­ma. Ich fra­ge mich, lie­be Dai­sy, lie­be Vio­let, wen, wenn ihr noch in heim­li­chen Wahl­re­gis­tern ver­zeich­net sein soll­tet, wür­det Ihr wäh­len? Euer Lou­is, sehr herz­lich, wünscht eine gute Nacht!

ps. Mr. Sal­ter hat sei­ne Dro­hung wahr gemacht. Im Hof, ver­packt in meh­re­re Kis­ten, war­tet das Eisen­bahn­ab­teil eines Pull­man­wa­gens dar­auf aus­ge­packt, und in mei­ner Woh­nung mon­tiert zu wer­den. Es ist angeb­lich mög­lich, dass ich mich in das Abteil setz­ten und dort arbei­ten könn­te. Land­schaf­ten, die ich frei wäh­len kann, sol­len an Fens­tern vor­über­zie­hen. Stim­men sind zu hören, das ist sicher, Stim­men aus Nach­bar­ab­tei­len, die nicht exis­tie­ren. Und die Bewe­gung eines wirk­li­chen Zuges unter mei­nen Hän­den. — stop

gesen­det am
28.10.2012
5.16 MEZ
2145 zeichen

lou­is to dai­sy and violet »

MELDUNGEN / ENDE

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rom : taschen

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marim­ba : 22.05 — Man wird viel­leicht nicht sofort bemer­ken, dass man sich in einem Jagd­ge­sche­hen befin­det. Nein, von Jägern ist auf der Piaz­za Navo­na zunächst nichts zu sehen und nichts zu hören. Ein zau­ber­haf­ter Platz, läng­lich in der Form, drei Brun­nen, eine Kir­che, und Cafés, eines nach dem ande­ren, klei­ne­re Läden, in wel­chen wir Pas­ta in allen mög­li­chen For­men und Far­ben ent­de­cken, Wei­ne, Schin­ken, Käse. Am Abend flie­gen beleuch­te­te Pro­pel­ler durch die Luft. Maler, wel­che ent­setz­li­che Bil­der pro­du­zie­ren, erwar­ten ame­ri­ka­ni­sche Kun­den, sie sit­zen auf Klapp­stüh­len im Licht ihrer Glüh­lam­pen, die sie mit­tels Bat­te­rien mit Strom ver­sor­gen. Stra­ßen­mu­si­kan­ten sind da noch, mit ihren Ban­do­ne­ons, Gei­gen, Kon­tra­bäs­sen, und Ange­stell­te der Müll­ent­sor­gung, Frau­en, jün­ge­re Frau­en in wein­ro­ten Over­alls, ihre Hän­de sind gepflegt, ihre Fin­ger­nä­gel rot lackiert. Aber jetzt, wenn man in Rich­tung jener schwarz­häu­ti­gen jun­gen Män­ner blickt, die vor einem der Brun­nen den Ver­such unter­neh­men, ihre Arbeit zu ver­rich­ten, wird es ernst. Sie haben Hand­ta­schen in allen mög­li­chen For­men auf den Boden vor sich abge­stellt, je zwei Rei­hen, Behäl­ter von Pra­da, Picard, Cha­nel, Grif­fe der­art aus­ge­rich­tet, dass man sie mit je einer Hand­be­we­gung alle­samt sofort ergrei­fen und flüch­ten kann. Eine typi­sche Ges­te, sind doch jene arm­se­lig wir­ken­den Händ­ler der Luxus­ta­schen mehr oder weni­ger flüch­ten­de Wesen. Kaum haben sie ihre Anord­nung im Fla­nier­be­zirk mög­li­cher Kun­den sorg­fäl­tigst auf­ge­baut, raf­fen sie ihre Ware wie­der zusam­men und rasen in eine der Sei­ten­stra­ßen davon, um nach weni­gen Minu­ten wie­der her­vor­zu­kom­men, wie in einem Spiel, wie auf­ge­zo­gen. Am ers­ten Abend mei­ner Beob­ach­tun­gen auf der Piaz­za Navo­na, waren nur Flüch­ten­de zu sehen, nicht aber die Jäger, eine eigen­ar­ti­ge Situa­ti­on, aber schon am zwei­ten Abend war eine jagen­de Gestalt vor mei­nen Augen in Erschei­nung getre­ten. Es han­del­te sich um einen Haupt­mann der Cara­bi­nie­ri, um einen Herrn prä­zi­se mit äußerst auf­rech­tem Gang. Er trug wei­ße Strei­fen an sei­nen Hosen, und eine Uni­form­ja­cke, tadel­los, und eine Müt­ze, sehr amt­lich, er war eine wirk­li­che Zier­de, ein Staats­mann, wie er so über den Platz schritt, hin­ter den flüch­ten­den afri­ka­ni­schen Män­ner her, aus­dau­ernd, lau­ernd, ein Ansitz­jä­ger, möch­te ich sagen, einer, der an Stra­ßen­ecken war­tet, um die Wie­der­kehr der schwar­zen Händ­ler zu unter­bin­den oder um einen von ihnen ein­zu­fan­gen und an Ort und Stel­le unver­züg­lich zu ver­spei­sen. Stop. Frei­tag­abend. stop. Eine Bie­ne über­quert zur Unzeit den Platz in süd­li­che Rich­tung, als wär sie ein Zug­vo­gel. — stop
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rom : bälle

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vic­tor : 17.16 — Nah der Iso­la Tibe­ri­na befin­det sich eine von Men­schen­hand gefer­tig­te Schwel­le im Bett des Tibers, die den lang­sam dahin rei­sen­den Fluss zu einem rei­ßen­den Strom wer­den lässt. Das braun grü­ne Was­ser ist hell gewor­den, blau und frisch von der ein­ge­fan­ge­nen Luft. Fla­schen, Bäl­le, Höl­zer wer­den zu Spiel­zeu­gen der stru­deln­den Wal­ze, die sie fängt, die sie mit sich in die Tie­fe nimmt, um sie kurz dar­auf wie­der frei­zu­las­sen für Sekun­den. Wenn man dort sitzt und war­tet, kann man sich kaum satt sehen an jener lebens­lus­ti­gen Ord­nung des Zufalls. Jun­ge Men­schen kau­ern am Ufer, schau­en zu, zäh­len Bäl­le, Far­ben, For­men, spä­hen fluss­auf­wärts, ob wei­te­re Gegen­stän­de sich nähern, um vom Was­ser bear­bei­tet zu wer­den, bis sie sich irgend­wann ein­mal auf­ge­löst haben wer­den oder so leicht gewor­den sind, dass ein Wind­stoß sie der Umar­mung des Flus­ses ent­zie­hen kann. Die Wän­de der Tiber­fas­sung ragen hoch hin­ter uns auf, zehn oder zwan­zig Meter, kaum Geräu­sche mensch­li­chen Lebens drin­gen bis hier­her, Stadt und Fluss schei­nen getrennt. Schwe­re, dun­kel gefie­der­te See­mö­wen haben vom Meer hier­her gefun­den. Ruhig ste­hen sie am Was­ser, blin­ken mit den Augen, als wären sie Foto­ap­pa­ra­te. Irgend­wo in nächs­ter Nähe sol­len sich Fun­da­men­te Jahr­tau­sen­de alter Brü­cken unter der Was­ser­ober­flä­che befin­den. Wenn man sie ein­mal zu Gesicht bekom­men soll­te, müss­te der Fluss bald ver­schwun­den sein, ver­dampft wie die Spat­zen, deren Spe­zi­es ich bald ver­ges­sen haben wer­de, dass sie je exis­tier­te. — stop
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