ulysses : 22.22 UTC — In Louisiana, dort, wo Moose, wie Bärte grünen Wassers, von den Ästen der Bäume hängen, sitzen elf ältere Frauen um einen Tisch herum. Sie lachen, sie schreiben, sie trinken Sekt und andere Dinge. Von diesen fröhlichen Frauen, die ich gerne dankbar umarmen würde, erzählte das Radio am gestrigen Abend, wie sie fröhlich Postkarten von Hand beschriften. Einige Hunderte Schriftstücke gemeinsam. Eine Verschwörung. Der innere Feind („The enemy from within“. Donald J. T.) in Louisiana am helllichten Tag. Schriftzeichen, mit Füllfederhaltern aufs Papier gesetzt, Tinte, nicht Druckerfarbe, jede Postkarte ein Dokument von Mensch zu Mensch: »Vote!“. Diese wunderbaren Botschaften werden nun also bald nach Norden, nach Michigan, reisen. Davon erzählte das Radio gestern am Abend, es war noch früher Nachmittag in Louisiana, dort, wo Moose, wie Bärte grünen Wassers, von den Ästen der Bäume hängen. — stop
Aus der Wörtersammlung: schriftstück
drei brillen
delta : 3.32 — Leichter Schneefall, ohne Wind, schaukelnde Lichtpelzfetzen. Eichhörnchen jagen über die Straße hin und her, als freuten sie sich. Gegen zwei Uhr notiere ich eine E‑Mail an Moses Fernandez, von dem ich hörte, dass er in einem Haus nahe Pinamar bei Buenos Aires leben soll. Lieber Moses, Lilli, die sie persönlich kennenlernten in diesem Sommer, erzählte, dass sie eine Maschine entwickelt haben, die in der Lage sein soll, winzige, für menschliche Augen nicht entzifferbare Schriftzeichen zu notieren. Ich würde sehr gerne eine Schriftprobe in Auftrag geben. Würden Sie mir bitte einen kurzen Text, den ich im Anschluss an Sie senden werde, in nicht lesbare Größe transferieren. Ich verfüge über ein Mikroskop, um die Qualität ihrer Arbeit prüfen zu können. Wenn möglich, senden Sie das Schriftstück bitte auf dem Luftpostwege an folgende Adresse: Louis 8711 Kvarøy Sjøhus Norway. Mit bestem Dank im Voraus verbleibe ich mit herzlichen Grüßen: Ihr Louis /// Textprobe no1: go > 17.03 — Heute Morgen, war noch dunkel im Haus, hörte ich ein sirrendes Geräusch. Das Geräusch näherte sich über die Treppe abwärts. Zunächst war nichts zu sehen, dann aber eine der Brillen meiner Mutter, die seit dem Vorabend über zarte Rotoren verfügen, welche in der Lage sind, Brillenkonstruktionen bis zu einem Gewicht von 80 Gramm in die Luft zu heben, sie vorwärtszubewegen oder rückwärts durch Räume oder den Garten. Langsam durchquerte die Brille den Raum, kreiste einmal um meinen Kopf, und landete schließlich sanft auf dem Esstisch in der Nähe des Stuhles, auf dem meine Mutter sitzt, sobald sie ihr Frühstück zu sich nehmen möchte. Über drei Brillen verfügt meine Mutter, und jede dieser Brillen kann nun fliegen. Eine Brille wurde im Dachgeschoss stationiert, eine weitere Brille im Erdgeschoss, die dritte zu ebener Erde. Wenn nun Morgen werden wird, zu einer Zeit, da fast alle Menschen noch schlafen, erwachen vor den Vögeln bereits die Brillen meiner Mutter. Sie beginnen zu blinken, Dioden in gelber Farbe, Zeichen, dass sie sich mittels Funksignalen orientieren. Bald fliegen sie los, die Dachgeschossbrille ins Dachgeschoss, die Brille der ersten Etage in die erste Etage, die Brille des Erdgeschosses ins Erdgeschoss. Das Suchen hat ein Ende, alles wird gut! — stop ///
kalkutta
delta : 5.02 — Ein Brief, 12.5 Gramm schwer, den ich vor zwei Jahren als Sonde per Luftpost nach Kalkutta schickte, ist gestern zu mir zurückgekommen. Irgendwann während der vergangenen Monate muss ich ihn doch tatsächlich vergessen haben. Jetzt, da der Brief vor mir auf dem Schreibtisch liegt, erinnere ich mich präzise, dass ich ihn an ein zweistöckiges Haus in einer Straße adressierte, die sich nicht in unserer Wirklichkeit befindet. Da in Kalkutta zahlreiche straßenlose Häuser existieren sollen, stellte ich mir vor, ein Briefträger habe sich in dem Wunsch, meinen Brief erfolgreich zustellen zu können, ein Haus ausgedacht, das an einer Straße liegt, die tatsächlich existiert, oder eine Straße, die nicht existiert für ein Haus, in dem ein Mann namens Sini Shapiro lebt. Spuren, die ich auf dem Kuvert des Briefes entdeckte, erzählen von drei oder vier Versuchen, das Schriftstück an Mr. Shapiro auszuhändigen, so finden sich auf der Ansichtsseite des Briefes die Stempelmotive Adresse insuffisante (Anschrift unvollständig) sowie Pas de boîte à ce nom (Kein Namensschild), auf der Rückseite indessen unlesbare handschriftliche Zeichen, die mit Füllfeder oder Bleistift aufgetragen worden waren. Möglicherweise lagerte mein Brief zwei Jahre lang auf einem Schreibtisch in Kalkutta unter weiteren Briefen, die nicht zustellbar waren. Möglicherweise, auch das ist denkbar, wurde von Zeit zu Zeit ein postalischer Späher in die Stadt entsandt, um nachzusehen, ob das Haus oder die Straße, die kurz zuvor noch nicht existierten, nun doch zu finden waren. Kürzlich wurde dann jeder weitere Zustellungsversuch aufgegeben. Ja, das ist denkbar. Ich werde meinen weit gereisten Brief sorgfältig verwahren. Sicher ist: Mr. Sini Shapiro existiert tatsächlich. Er lebt in Manhattan in einem Haus an der Park Avenue Höhe 70. St., er liebt Brooklyn. — stop
zebraaffen
whiskey : 0.01 — Ich sollte einen Brief schreiben. Der Inhalt des Briefes wäre bedeutungslos, weswegen ich auf ein Schriftstück im Umschlag verzichten könnte. Ich werde per E‑Mail Folgendes notieren: Lieber L., in wenigen Tagen, wenn alles gut gegangen sein wird, wirst Du einen Brief erhalten. Sollte Dich der Brief tatsächlich erreichen, musst Du ihn nicht öffnen, das Kuvert ist leer. Würdest Du mir bitte den Empfang des Briefes bestätigen. Ich wäre Dir dankbar, es ist ein Versuch. Ja, so werde ich notieren, den Brief sorgfältig adressieren, auch mein Absender wird nicht fehlen. Ich stelle mir vor, einen größeren Briefumschlag zu verwenden, ich werde 1 gültiges Postwertzeichen befeuchten und auf dem Brief befestigen. Von diesem gültigen Postwertzeichen abgesehen, werden 25 weitere Postwertzeichen auf dem Umschlag zu finden sein, sagen wir Briefmarken, die Giraffen und Fische zeigen, Schmetterlinge, Zebraaffen, Vögel, Insekten. Diese Briefmarken ferner Länder, die ich von weiteren Briefen löste, werden natürlich bereits gestempelt sein, man könnte sagen, dieser Brief wird geschrieben werden, um die Sorgfalt der Behörden zu probieren. — stop
nazamins schwester
echo : 5.08 — Ich träumte von merkwürdigen Tieren, die sehr flach sind und weich und außerdem schön gestaltet. Wenn man eines dieser Tiere auf einem Tisch in der Wirklichkeit vor sich liegend betrachten könnte, würde man vielleicht die Ähnlichkeit zu Briefmarken erkennen, so wie wir sie als Kinder entdecken und zu sammeln beginnen. Tatsächlich handelt es sich bei jenen Tieren, welche ich träumte, um Briefmarkentiere, die leicht sind, manche tragen die Zeichnung weiterer Tiere auf ihrem Körper, Zebras oder Schmetterlinge oder Singvögel sind häufig auf ihrem Rücken zu erkennen. An einem ihrer gezahnten Ränder sitzen sehr kleine Augen fest, dort soll sich gleichwohl ein Mund befinden, der feinste Stäube aus der Luft entnimmt, Pollensamen, Bakterien, Sporen jeder Art, davon ernähren sich Briefmarkentiere vornehmlich, es sein denn, sie werden mit feinstem Puderzucker vorsätzlich gefüttert. Briefmarkentiere sollen dort zu erwerben sein, wo man auch herkömmliche Postwertzeichen bestellen kann, sie sind zunächst nicht so preiswert wie das papierene Material, dafür mehrfach verwendbar. Um einen Brief mit einem Briefmarkentier zu versehen, legt man das betreffende Schriftstück im Kuvert auf einen Tisch, setzt nun behutsam eines der Briefmarkentiere an geeignete Stelle, nämlich genau dorthin, wo normalerweise papierene Briefmarken aufzutragen sind, und schon wird man beobachten, wie sich das Briefmarkentier mit seinem neuen Zuhause verbindet, es schmiegt sich an und ist fortan vom Brief nur noch mittels Gewalt zu trennen. Wie es jetzt leuchtet, wie es seine wunderbaren Farben zeigt, wie es mit Mustern spielt und mit Bildern, die zu Filmen werden, zu Geschichten, die das Briefmarkentier irgendwo gelernt haben muss. Und wenn nun der Brief auf die Reise geht, reist das Briefmarkentier mit ihm mit, und bleibt dem Brief so lange verbunden, bis der Brief geöffnet wird. In diesem Moment der Öffnung löst sich das Briefmarkentier von seinem Brief, der nun nicht mehr sein Brief sein kann. Es ist kaum zu glauben, aber es ist wahr, ich hab’s geträumt, das Briefmarkentier segelt sogleich durch die Luft davon, es ist schnell unterwegs, schnell wie ein Zugvogel kehrt es zu seinem Absender zurück, Tage oder auch Wochen ist es unterwegs, Schwärme von Briefmarkentieren wurden bereits in großer Höhe über dem Erdboden beobachtet. Zu Hause endlich angekommen, lungern sie dann gern an den Fenstern und warten. stop. Ende meines Traumes. stop – Nazamins Schwester wurde am vergangenen Samstag in den Bergen nahe Semdinli vermutlich von türkischer Militärpolizei getötet. Nazamins Schwester wird nie wieder erwachen. – stop
who is fred wesley?
tango : 2.30 — Heiterer Stimmung war ich gestern Abend der Geschwindigkeit, mit welcher Waren, die ich kaufte, an der Kasse eines Supermarktes behandelt wurden, nicht gewachsen, vielleicht deshalb, weil ich überhaupt langsamer geworden bin, oder weil ich in dem Augenblick, da meine Ware über einen Scanner bewegt wurde, darüber nachdachte, ob es sich bei E‑Mails, die ich manchmal schreibe, noch um Wesen handelt, die man als Schriftstücke bezeichnen könnte. Ohnehin drohte ein Fiasko, da sich die Waren, die gerade in meinen Besitz übergegangen waren, hinter dem Fließband ineinander schoben wie Packeisschollen auf dem Atlantik vor Grönland. Eine junge kolumbianische Assistentin kam glücklicherweise bald zu Hilfe, ich führte mehrere gefaltete Papiertüten mit mir, die sehr sorgfältig bepackt werden mussten. Sie sprach nur wenige Wörter meiner Sprache, und sie schwitzte indessen und versuchte mir zu erklären, dass es in ihrem Land noch viel wärmer sei als bei uns in Europa, aber dass sie dort, auch im Regenwald nicht, niemals so heftig schwitzen würde wie hier, die Klimaanlage sei ausgefallen, dass ich etwas langsamer sei als üblich, wäre geradezu vernünftig. Ja, vermutlich bin ich langsamer geworden, und ich dachte, man könnte einmal Schnellkassen in dem Sinne bedenken, dass dort rasende Menschen mit rasenden Händen rasende Geldbörsen bedienen, alles ginge dort so schnell, dass man als ein langsamer Mensch, auf der anderen Seite der Zeit befindlich, nur noch Unschärfen in der Luft wahrnehmen würde, nicht aber einkaufende Personen, während einer wie ich als eine Fotografie erscheinen würde, als Etwas, das sich niemals bewegt. — Kurz nach zwei Uhr. Wunderbar kühle Luft. Who is Fred Wesley? — stop
im nachtpark
alpha : 4.52 — Gestern, am frühen Morgen, spazierte ich im Adorno Park. Die Vögel schliefen noch, beinahe Lichtlosigkeit. Wie ich so ging und überlegte, entdeckte ich eine Gestalt, die auf einer Bank unter einer Kastanie saß. Sie bewegte sich nicht im mindesten und schien, obwohl doch kaum Licht existierte, in einer Zeitung zu lesen. Auch die Zeitung bewegte sich nicht, vielleicht weil kein Wind. Ein merkwürdiger Anblick. Ich stand ganz still und wartete. Ich warte ein oder zwei Minuten lang, dass sich die Gestalt auf der Bank für einen Moment bewegen möge, ein Lebenszeichen von sich geben, ein Geräusch vielleicht. Ich dachte noch, das könnte ein seltsamer Anblick sein für einen hinzukommenden Beobachter, ein Mann, der reglos auf einer Bank sitzt, während er von einem weiteren reglos stehenden Mann betrachtet wird. Nun wird vielleicht auch dieser Beobachter staunend oder furchtsam innehalten, was für eine seltsame Sache. Zum Glück wird es bald hell werden, die Vögel werden erwachen und das Licht begrüßen, oder sie werden ganz still sein vor Verwunderung, welch unerhörte Dinge sich in ihrem Park ereignen. — Fünf Uhr zweiundfünfzig in Palmyra, Syria. — stop
bombay
bamako : 2.12 — Auf meinem Schreibtisch bemerke ich eine Postkarte, die dort eigentlich nicht existieren sollte. Tausende Figuren bedecken das Schriftstück, Formen, die ich einerseits als Zeichen identifizieren, andererseits ihrer Bedeutung nach nicht entziffern kann, auch die Briefmarke der Postkarte wurde mit Zeichen versehen. Irgendjemand muss, mithilfe einer Lupe, so viele Schriftzeichen wie möglich auf der Postkarte untergebracht haben. Es handelt sich vermutlich um einen Text in singhalesischer Sprache. Weder sind Absätze zu erkennen, noch Wörter, kein Raum für Leere. Die Briefmarke ist unter den Zeichen nur noch schemenhaft zu erkennen, 25 Rupien, Elefanten durchschreiten einen Fluss. Auf die Bildseite der Postkarte wurde kein Schriftzeichen gesetzt. Sie trägt eine berühmte Fotografie Sebastião Salgados: Churchgate Train Station / Bombay. Menschen strömen über Bahnsteige. Sie bewegen sich so schnell, dass sie unscharf erscheinen wie eine Flüssigkeit. Im linken unteren Bereich der Fotografie eine Frau, die sich vermutlich im Moment der Aufnahme kaum oder nur sehr langsam bewegte. Sie hält eine Tasche in der rechten Hand, sie scheint die einzige nicht flüssige Person zu sein, die auf der Fotografie wahrzunehmen ist. — stop – Dienstag. — stop – Sturm von Nordwest. — stop
papiere in zügen
delta : 0.08 — Ich erinnerte mich an einen Mann, dem ich vor zwei Jahren in einem New Yorker U‑Bahnzug begegnet war. Der Mann saß gleich vis-à-vis, sein Rücken lehnte an der Wand des Waggons, er hatte die Beine übereinander geschlagen, trug ramponierte, blaue Turnschuhe, und einen hellgrauen Anzug, ein weißes Hemd zudem, sowie eine grellbunte Krawatte, deren Knoten locker vor einem langen, schmalen Hals schaukelte. Ich hatte damals den Eindruck, dass der Mann sich freute, weil ich ihn beobachtete, indem er Zeitungen durchsuchte, die sich auf dem Sitzplatz neben ihm türmten, und zwar in einer sehr sorgfältigen Art und Weise durchsuchte, jede der Zeitungen Seite für Seite. Er schien Übung zu haben in dieser Arbeit, seine Augen bewegten sich schnell und ruckartig, wie die Augen eines Habichts, hin und her. Von Zeit zu Zeit hielt er inne, sein Kopf neigte sich dann leicht nach vorn, um mit einer Schere einen Artikel oder eine Fotografie aus der Zeitung zu schneiden. Das Rascheln des Papiers. Und das helle, ziehende Geräusch der Schere, wie es die Seiten zerteilte. Ich notierte in mein Notizbuch: Ein verrückter Mann, ich werde ihm nie wieder begegnen. Diese Notiz habe ich heute bemerkt unter weiteren Notizen, die sich mit dem geduldigen Schlafen in U‑Bahnzügen beschäftigen. Ich frage mich nun, wie ich darauf gekommen sein könnte, den beobachteten Mann als verrückt zu bezeichnen. Vielleicht deshalb, weil ich mir vorgestellt hatte, wie der Mann leben könnte. Ich glaube, ich stellte mir das Leben eines Verrückten vor. In seiner Wohnung türmten sich Zeitungen, Tische, Stühle, Schränke existierten nicht, aber ein Bett, das von Papieren bedeckt war. Auch in der Wohnung, oder gerade eben dort, wurden Zeitungen durchsucht, neuere oder ältere Zeitungen, die der Mann während seiner täglichen Spazierfahrten durch die Stadt mit sich nahm. Eigentlich las der Mann die Zeitungen nicht wirklich, sondern nur Überschriften. Sobald er eine bemerkenswerte Überschrift entdeckte, wurde der dazugehörende Artikel gesichert, Artikel, die sich beispielsweise mit Blumen, Afrika, Ozeanografie, Geheimdiensten, Waffensystemen, Hungersnöten oder erzählender Literatur beschäftigten. Hunderttausende Schriftstücke waren so über viele Jahre gesammelt worden, eine faszinierende Tätigkeit, eine Arbeit, die den Mann glücklich gemacht haben könnte, ich vermute, weil er vor sich selbst verheimlichte, dass er seine gesammelten Dokumente niemals lesen wird, weil seine Lebenszeit nicht ausreichte, selbst dann nicht, wenn er das Sammeln einstellen und mit der Lektüre seiner Beweisstücke ohne Verzug beginnen würde. — stop
eine postkarte
zoulou : 7.15 — Gestern entdeckte ich in meinem Briefkasten eine Postkarte, die von irgendjemandem mit winzigen japanischen Zeichen beschriftet worden war. Zunächst wirkte der Text wie ein Muster, das sich erst dann zu Schriftzeichen auflöste, als ich meine Brille aus der Schublade holte. Ich konnte den Text natürlich nicht lesen. Ich nehme an, die Postkarte wurde versehentlich in meinen Briefkasten geworfen. Bei genauerer Untersuchung stellte ich jedoch fest, dass die Postkarte in jedem anderen Briefkasten vermutlich gleichwohl ein versehentliches Ereignis gewesen wäre, die Postkarte trug nämlich keine Anschrift an der dafür vorgesehenen Stelle, aber eine Briefmarke des japanischen Hoheitsgebietes. Auch auf ihrer Rückseite war kein Adressat zu erkennen. Eine Fotografie zeigt Samuel Beckett, der unter einem blühenden Kirschbaum sitzt, oder einen Mann, der Samuel Beckett ähnlich sein könnte, der Dichter im Alter von 160 Jahren, er hat sich kaum verändert. Ein sehr interessantes Bild. Auf einem Ast des Baumes sind Eichhörnchen zu erkennen, sieben oder acht Tiere, die ihre Augen geschlossen halten. Ich erinnere mich, dass ich einmal davon hörte, Menschen würden immer wieder einmal Postkarten notieren, oft sehr aufwendig ausgearbeitete Schriftstücke, um zuletzt die Adresse des Empfängers zu vergessen. Das ist tragisch oder vielleicht eine Methode, Information an die Welt zu senden, die niemanden oder irgendeinen beliebigen Menschen erreichen soll. Nun liegt diese Postkarte neben Zimtsternen, Bananen und Äpfeln auf meinem Küchentisch. Zunächst hatte ich das Wort L i e b e r in die Google – Übersetzermaschine eingegeben und in die japanische Sprache übersetzt. Zeichen, die sich auf meinem Bildschirm formierten, waren mit den ersten Zeichen auf der Postkarte identisch. Ich weiß sehr genau, was nun zu tun ist. In diesem Augenblick jedoch scheue ich noch davor zurück, meinen Namen in die Maske der Suchmaschine einzugeben. Es ist bald Morgendämmerung, ich höre Tauben auf dem Dach spazieren. — stop