Aus der Wörtersammlung: verfügung

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ein ohr

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del­ta : 22.01 — Ich erin­ne­re mich gern an Max. Er war gera­de 6 Jah­re alt gewor­den, als ich ihm zuletzt per­sön­lich begeg­ne­te. Wir saßen damals an einem Küchen­tisch, es war Abend, Max schon müde. Er schüt­tel­te etwas gelang­weilt eine Papri­ka­scho­te und wun­der­te sich, weil in der gel­ben Frucht Bewe­gung zu sein schien. Ich nahm ihm die Papri­ka aus der Hand, und tat­säch­lich war in ihrem Inne­ren etwas lose gewor­den oder exis­tier­te dort, das sich übli­cher­wei­se nicht in einer Papri­ka befin­den soll­te. Also leg­te ich die Papri­ka zur Unter­su­chung auf einen Tel­ler und öff­ne­te sie vor­sich­tig. Es war ein klei­nes Loch, das ich in die Papri­ka schnitt. Sei­te an Sei­te sit­zend, war­te­ten wir gespannt vor der Frucht dar­auf, ob viel­leicht Irgend­et­was oder Irgend­je­mand aus der Öff­nung stei­gen wür­de. Indes­sen erzähl­te ich von der Erfin­dung der Tief­see­ele­fan­ten, von ihren kilo­me­ter­lan­gen Rüs­seln, die sie zur Mee­res­ober­flä­che recken, sofern sie den Atlan­tik durch­que­ren. Bald wur­de Max unge­dul­dig, er nahm die Papri­ka in sei­ne Hän­de, um durch das spar­sa­me Loch zu spä­hen, ohne frei­lich etwas sehen zu kön­nen, es war dun­kel da drin, wes­halb ich das Loch ver­grö­ßer­te, und außer­dem noch zwei klei­ne­re Löcher für das Licht seit­wärts in den Kör­per trieb. Wie­der­um späh­te Max in die Papri­ka, jetzt konn­te er etwas erken­nen. Er stell­te nüch­tern fest, dass sich in der Papri­ka ein Ohr befin­den wür­de, ein Papri­kaohr, ganz ein­deu­tig. Zwei Jah­re sind seit­her ver­gan­gen. Als ich kürz­lich mit Max tele­fo­nier­te, erklär­te er, dass er in der Schu­le Tief­see­men­schen mit Blei­stift zeich­ne­te. Immer wie­der habe er die Kör­per der Tief­see­men­schen, die über den Mee­res­bo­den spa­zier­ten, aus­ra­diert, um sie noch klei­ner zu machen, damit ihre Häl­se auch lang genug wer­den konn­ten auf dem viel zu klei­nen Blatt Papier, das ihm zur Ver­fü­gung gestellt wor­den war. — stop

handschrift

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lilly

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del­ta : 0.05 — Ich woll­te mit einem armen Men­schen spre­chen, woll­te erfah­ren, wie es ist, mit­tel­los gewor­den zu sein. Ich hat­te Glück, eine Bekann­te, die für die Bahn­hofs­mis­si­on arbei­tet, erwähn­te eine selt­sa­me Frau, Lil­ly, die sich seit Mona­ten auf den Bahn­stei­gen 22, 23 oder 24 gewöhn­li­cher­wei­se auf­hal­ten wür­de, sie sei sehr lieb und sehr arm und wür­de ger­ne erzäh­len. Ich ent­deck­te Lil­ly auf einer Bank sit­zend, Bahn­steig 18, sie war zunächst eher scheu gewe­sen, aber dann doch bereit sich mit mir zu unter­hal­ten. Ja, Lil­ly. Sie spricht schnell, wenn sie spricht, und sie schämt sich ein biss­chen, viel­leicht des­halb, weil sie ahnt, dass sie nicht so gut riecht, wie sie ger­ne rie­chen möch­te, und ihr Haar, das hell gewor­den ist an der ein oder ande­ren Stel­le, scheint feucht und kleb­rig gewor­den zu sein vom Talg. Ich fas­se zusam­men, was Lil­ly etwas durch­ein­an­der her­umer­zähl­te. Wenn eine Frau arm gewor­den sei, wenn eine Frau auf der Stra­ße leben müs­se, erklär­te Lil­ly, soll­te sie zunächst ver­su­chen, solan­ge Zeit wie mög­lich ihren Sta­tus der Armut zu ver­ber­gen, sie soll­te so wir­ken, als habe sie noch Geld zur Ver­fü­gung, als sei alles in Ord­nung, dann wür­de man sie aus den War­te­räu­men eines Bahn­ho­fes bei­spiels­wei­se oder eines Flug­ha­fens nicht ver­trei­ben. Sie tra­ge aus genau die­sem Grund noch immer einen Hosen­an­zug, manch­mal, bei gnä­di­gem Licht, wir­ke sie so, als wür­de sie zur Arbeit gehen oder soeben von der Arbeit kom­men. Mei­ne Schu­he sind geputzt, und wenn ich sie scho­nen wer­de, soll­ten sie doch noch lan­ge Zeit als Schu­he einer erfolg­rei­chen Frau erschei­nen. Ich habe gelernt, im Sit­zen zu schla­fen, weiß jeder­zeit, wo ich mich waschen könn­te, auch mei­ne Blu­se, mei­ne Strümp­fe, es ist sehr anstren­gend, mich selbst und mei­ne Klei­dung in all­ge­mein zugäng­li­chen Toi­let­ten­räu­men zu säu­bern, immer­zu bin ich erschöpft, nie­mand kennt mich per­sön­lich, weiß, woher ich kom­me, ahnt, wer ich ein­mal gewe­sen bin. Ich esse spar­sam, ich esse, was ich fin­de, und trin­ke aus öffent­li­chen Brun­nen. Ich darf nicht rau­chen, ich darf kei­nen Alko­hol trin­ken, das ist ja selbst­ver­ständ­lich in mei­ner Lage! Ein­mal im Jahr neh­me ich einen Zug und fah­re im Win­ter nach Süden, ein wei­te­res Mal fah­re ich im Som­mer nach Nor­den, aber das ist nur aus­ge­dacht. Ich lese Zei­tun­gen, die ich da und dort ent­de­cke. Ich spre­che mit den Tau­ben, lei­se, sehr lei­se, damit ich nicht ver­rückt wer­de. In mei­nem Kof­fer befin­det sich eine zwei­te Blu­se, und dies und das und ein Paar Turn­schu­he, ein Hals­tuch in roter Far­be, ein Hals­tuch in gel­ber Far­be, ein Hals­tuch in blau­er Far­be, das grü­ne Tuch tra­ge ich gera­de in die­sem Moment, ich habe einen schö­nen Hals, nicht wahr! Ja, ich darf nicht rau­chen und nicht trin­ken und nicht ver­rückt wer­den, das ist drin­gend, ich muss bei mir sein, ich fürch­te Schlaf­häu­ser, ich fürch­te die­se schreck­li­chen Schlaf­häu­ser, ich bin mir nicht sicher, ob ich noch bin. — stop

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ai : IRAN

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MENSCH IN GEFAHR: „Der ira­nisch-ame­ri­ka­ni­sche Jour­na­list Jason Rezai­an befin­det sich seit sechs Mona­ten im Tehe­ra­ner Evin-Gefäng­nis in Ein­zel­haft. Er hat kei­nen Zugang zu einem Rechts­bei­stand, wur­de aber am 6. Dezem­ber zum ers­ten Mal vor Gericht gestellt. Er ist ein gewalt­lo­ser poli­ti­scher Gefan­ge­ner. / Jason Rezai­an, ein Iran-Kor­re­spon­dent der Washing­ton Post, wur­de am Abend des 22. Juli zusam­men mit sei­ner Frau Yega­neh Salehi, die für die Zei­tung The Natio­nal aus den Ara­bi­schen Emi­ra­ten schreibt, von Sicher­heits­kräf­ten in Zivil fest­ge­nom­men. Das Haus des Ehe­paars wur­de durch­sucht und ihre Päs­se kon­fis­ziert. Etwa einen Monat spä­ter erst wur­de die Fami­lie von Jason Rezai­an und Yega­neh Salehi über den Ver­bleib der bei­den infor­miert. Yega­neh Salehi kam im Okto­ber auf Kau­ti­on frei. Jason Rezai­an wur­de sei­nem Bru­der Ali Rezai­an zufol­ge mehr­mals ver­hört. Ein von der Fami­lie beauf­trag­ter Rechts­bei­stand hat bis­lang kei­ne Erlaub­nis erhal­ten, Jason Rezai­an zu besu­chen oder sei­ne Gerichts­ak­ten ein­zu­se­hen. Bei der Gerichts­ver­hand­lung am 6. Dezem­ber, die laut Ali Rezai­an einen gan­zen Tag lang ange­dau­ert haben soll, wur­de Jason Rezai­an ledig­lich ein Dol­met­scher und kein Rechts­bei­stand zur Ver­fü­gung gestellt. Zudem wur­de er auf­ge­for­dert, ein Doku­ment zu unter­zeich­nen, in dem er sich der Ankla­gen schul­dig bekennt. Was Jason Rezai­an vor­ge­wor­fen wird oder war­um, ist nicht bekannt. / Seit sei­ner Fest­nah­me wird Jason Rezai­an im Evin-Gefäng­nis in Ein­zel­haft fest­ge­hal­ten. Dort darf ihn sei­ne Fami­lie nur gele­gent­lich besu­chen. Er lei­det unter Blut­hoch­druck und muss des­halb täg­lich Medi­ka­men­te ein­neh­men. / In einem Inter­view mit der Nach­rich­ten­agen­tur Euro­News am 6. Novem­ber wur­de der Vor­sit­zen­de des ira­ni­schen Obers­ten Rats für Men­schen­rech­te, Moham­mad Javad Lari­ja­ni, gefragt, wann Jason Rezai­an frei­ge­las­sen wer­de. Nach sei­ner Ein­schät­zung hät­te dies “in weni­ger als einem Monat” gesche­hen müs­sen. Kaum eine Woche spä­ter sag­te jedoch der Stell­ver­tre­ter der Obers­ten Jus­tiz­au­to­ri­tät des Irans, Hadi Sadeghi, dass die Ermitt­lun­gen im Fall Jason Rezai­an noch im Gan­ge sei­en und dass die­se län­ger als einen Monat dau­ern kön­nen. Die ira­ni­schen Behör­den haben bis­her nichts über die Grün­de für die Fest­nah­me von Jason Rezai­an ver­lau­ten las­sen.“ — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 20. Janu­ar 2015 hin­aus, unter »> ai : urgent action

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katta

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papa : 02.08 — Ich beob­ach­te­te, dass ein klei­ner Affe, sobald ich mich mit der lin­ken Hand stoß­ar­tig von oben kom­mend näher­te, die­se lin­ke Hand als einen Raub­vo­gel betrach­te­te, vor dem er hupend und fau­chend mit gebleck­tem Gebiss rück­wärts über den Tisch gehend die Flucht ergriff, ohne sich an mei­ner rech­ten Hand zu stö­ren, die in nächs­ter Nähe mit sei­nen Sul­ta­ni­nen spiel­te. Der­art gründ­lich habe ich mit mei­nen Hän­den auf dem Tisch das Jagen und Sam­meln geübt, dass ich sie bis­wei­len als zwei sepa­ra­te Lebe­we­sen betrach­ten kann. Wenn ich mei­ne lin­ke Hand mit mei­ner rech­ten Hand berüh­re, durch­bre­che ich einen Spie­gel. Wenn ich sage, mei­ne Hand ohne Haut, habe ich in mei­nem Kopf ein Bild zur Ver­fü­gung, das sich bewe­gen lässt. Wenn ich sage, mei­ne schla­fen­den Hän­de, spre­che ich von Hän­den, die ich nie gese­hen habe. Gera­de eben noch habe ich eine Apfel­si­ne geschält. Wäh­rend ich mei­ne Hän­de beob­ach­te­te, wie sie geschickt die Ker­ne der Frucht von­ein­an­der trenn­ten, ohne dass ich ihnen genaue­re Anwei­sun­gen geben muss­te, dach­te ich dar­über nach, wie vie­le Apfel­si­nen die­se Hän­de in ihrem Leben bereits geschält haben könn­ten. — Drei Uhr zwölf in Koba­ni, Syria. — stop
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ai : FRANKREICH

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MENSCHEN IN GEFAHR: „Mehr als 200 Roma, dar­un­ter 50 Kin­dern, droht die rechts­wid­ri­ge Zwangs­räu­mung. Gegen die Bewohner_innen einer infor­mel­len Sied­lung nahe der fran­zö­si­schen Gemein­de Bobi­gny wur­de ein Räu­mungs­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet. Das Urteil eines Gerichts in Bobi­gny wird für den 30. Mai erwar­tet. / Die Bewohner_innen der Sied­lung nahe Bobi­gny, nord­öst­lich der Haupt­stadt Paris, wur­den offi­zi­ell am 23. Mai durch einen Gerichts­die­ner über das lau­fen­de Räu­mungs­ver­fah­ren infor­miert. Weni­ge Tage zuvor kamen Behördenvertreter_innen in die Sied­lung und teil­ten den Roma mit, dass ihre Wohn­stät­ten am 2. Juni geräumt wür­den. Aller­dings erklär­ten sie den Bewohner_innen nicht, wie genau dies gesche­hen wür­de, was bei den Roma Besorg­nis und Furcht her­vor­rief. Amnes­ty Inter­na­tio­nal geht davon aus, dass die Siedlungsbewohner_innen nicht kon­sul­tiert wur­den und den Fami­li­en kei­ne alter­na­ti­ven Unter­kunfts­mög­lich­kei­ten ange­bo­ten wor­den sind. Die Roma befin­den sich nun in einer pre­kä­ren Situa­ti­on ohne Per­spek­ti­ve und sind in Gefahr, obdach­los zu wer­den. / Die Kin­der der Sied­lung sind an ihren Schu­len gut inte­griert und wer­den von ihren Mitschüler_innen und Lehrer_innen unter­stützt. Die fran­zö­si­sche inter­mi­nis­te­ri­el­le Ver­tre­tung für Woh­nen (Délé­ga­ti­on inter­mi­nis­té­ri­el pour l’hé­ber­ge­ment et l’ac­cès au loge­ment — DIHAL) hat die Bil­dung, die Roma-Kin­der in Bobi­gny der­zeit erhal­ten, als Bei­spiel für “gute Pra­xis” gelobt. Wenn die­se Fami­li­en ver­trie­ben wer­den, wird dies die Schul­bil­dung der Kin­der beein­träch­ti­gen, wie bereits in ande­ren Fäl­len rechts­wid­ri­ger Zwangs­räu­mun­gen gesche­hen, die von Amnes­ty Inter­na­tio­nal doku­men­tiert wur­den. Vie­le Jugend­li­che der Sied­lung enga­gie­ren sich ehren­amt­lich im Rah­men eines Pro­jekts zur sozia­len Inklu­si­on, das von Rom Civic ins Leben geru­fen wur­de, eine Initia­ti­ve, die von ver­schie­de­nen Minis­te­ri­en, die für jun­ge Men­schen, Woh­nungs­bau und sozia­le Inklu­si­on zustän­dig sind, begrüßt wird. Vie­le der erwach­se­nen Siedlungsbewohner_innen leben seit über zehn Jah­ren in Frank­reich, spre­chen Fran­zö­sisch und haben ent­we­der eine Arbeits­stel­le oder sind aktiv arbeits­su­chend. / Soll­te die­se rechts­wid­ri­ge Zwangs­räu­mung tat­säch­lich statt­fin­den, so wür­de sie gegen inter­na­tio­na­le Stan­dards ver­sto­ßen, die rechts­wid­ri­ge Zwangs­räu­mun­gen unter­sa­gen und fest­le­gen, dass Räu­mun­gen nur dann recht­mä­ßig sind, wenn die im Völ­ker­recht vor­ge­ge­be­nen Bestim­mun­gen über ent­spre­chen­de Schutz­maß­nah­men ein­ge­hal­ten wer­den. Hier­zu gehört auch die Vor­ga­be, den Betrof­fe­nen ange­mes­se­ne Alter­na­tiv­un­ter­künf­te zur Ver­fü­gung zu stel­len. Eine rechts­wid­ri­ge Zwangs­räu­mung der Sied­lung wür­de alle Fort­schrit­te, die von den Fami­li­en bei der Inte­gra­ti­on in die loka­le Gemein­de bereits erzielt wur­den, wie­der zunich­te­ma­chen.“ — Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen, mög­lichst unver­züg­lich und nicht über den 2. Juni 2014 hin­aus, unter »> ai : urgent action

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von eisbriefboten

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nord­pol : 6.33 — Ein Eis­brief­bo­te war­te­te ges­tern, es war ein Diens­tag, vor mei­ner Woh­nungs­tü­re im 22. Stock. Der Mann trug blaue Turn­schu­he der Mar­ke Nike, kur­ze, hel­le Hosen und ein wei­ßes Hemd, das viel zu groß gewe­sen war für sei­nen schmäch­ti­gen Kör­per. Er schwitz­te, weil er die Trep­pe neh­men muss­te, da in mei­nem Haus kei­ner­lei Auf­zug exis­tiert, wes­halb das Haus nicht sehr beliebt ist bei Gäs­ten und Boten. Meis­tens bie­te ich den hart arbei­ten­den Män­nern über die Funk­sprech­an­la­ge an, ihnen ent­ge­gen­zu­kom­men. Ich sage: Tref­fen wir uns im 11. Stock in 10 Minu­ten! Ges­tern aber war ich sehr müde gewe­sen. Ich trank einen Kaf­fee, tele­fo­nier­te mit einer Behör­de, und war­te­te dann still in aller Ruhe, bis der Mann bei mir oben unter dem Dach ange­kom­men war. Es sind die­se ers­ten Bli­cke, die ich nie ver­ges­se. Der erschöpf­te Bote öff­ne­te sei­ne Kühl­ta­sche und über­reich­te mir einen wei­te­ren eis­ge­kühl­ten wei­chen Behäl­ter, in wel­chem sich nun unmit­tel­bar ein Brief von Eis befand, den ich zunächst in mei­nen Gefrier­schrank zu wei­te­ren Eis­brie­fen und Eis­bü­chern leg­te. Kurz dar­auf setz­te ich mich ins Trep­pen­haus und hör­te dem jun­gen Mann bei sei­nem Abstieg zu. Er war sehr schnell unter­wegs gewe­sen, er schien zu flie­gen, stürz­te im fünf­ten oder sechs­ten Stock, Minu­ten lang war kein Laut zu hören, dann das Wim­mern einer Ambu­lanz. Da saß ich längst in mei­ner Küche und las, was mir ein Freund notier­te, wie er schrieb, mit gro­ßer Freu­de auf dem ver­gäng­lichs­ten Mate­ri­al, das ihm zur Ver­fü­gung ste­he: Lie­ber Lou­is, die­ser Brief ist geheim. Er wird sich auf­lö­sen, sobald oder bevor Du ihn gele­sen haben wirst. Du musst Dich also beei­len oder den Brief immer wie­der ein­mal in den Kühl­schrank zurück­le­gen oder ihn foto­gra­fie­ren, ehe er geschmol­zen sein wird. Sei behut­sam, mein Lie­ber. Lies bit­te nicht an Tagen, da es warm ist in Dei­ner Woh­nung unter dem Dach, es könn­te sein, dass Du in schwü­ler Luft nicht schnell genug lesen kannst. Ich ver­mu­te, ich habe die Wör­ter an die­ser Stel­le bereits ver­geb­lich geschrie­ben. Dein K. – stop
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tod in peking 3

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oli­mam­bo : 3.12 — Wie­der nach Spu­ren des Foto­gra­fen Ted­dy S. in digi­ta­len Räu­men gesucht, sie­ben Mona­te sind ver­gan­gen, seit er in Peking starb. Es ist merk­wür­dig. Ich kann mit­tels der Such­ma­schi­nen, die mir zur Ver­fü­gung ste­hen, kei­ne Nach­richt fin­den, die davon erzählt, dass er nicht mehr am Leben ist. Weder eine Todes­an­zei­ge noch eine Fra­ge nach sei­nem Ver­bleib ist zu ent­de­cken, aber nach wie vor Hin­wei­se auf sei­ne Arbeit, Foto­gra­fien, Noti­zen, Meta­da­ten zu Licht­fang­ma­schi­nen. Die letz­te schrift­li­che Nach­richt Ted­dys wur­de an einem Flug­ha­fen auf­ge­ge­ben. Es ist der 10. Okto­ber 2012: Pack­ing my bags for ano­ther trip to Chi­na. Tonight I’ll fly to Shang­hai and a litt­le later to Bei­jing for a lon­ger stay. Extre­me­ly hap­py to be back so fast after my last stay in August. — Wenn nun ein Mensch nach ihm such­te, weil er sich nach lan­ger Zeit an Ted­dy erin­ner­te, wenn er ihn nicht per­sön­lich antref­fen könn­te, an Tele­fo­nen nicht und hin­ter E‑Mail-Adres­sen, weil sei­ne vor­dem treu­en Ser­ver­ma­schi­nen Ted­dy nicht län­ger ken­nen, wür­de das Ende sei­nes Lebens viel­leicht denk­bar wer­den. Nichts mehr kommt hin­zu, weder Foto­gra­fien noch Wör­ter. — 27. Juni: A mes­sa­ge that you sent could not be deli­ver­ed to one or more of its reci­pi­ents. This is a per­ma­nent error. The fol­lo­wing address(es) fai­led: t.s@gmx.de SMTP error from remo­te mail ser­ver after RCPT TO:: host mx01.gmx.net [213.165.67.97]: 550 Reques­ted action not taken: mail­box unavailable. This is a copy of the mes­sa­ge, inclu­ding all the hea­ders. Return-path: Recei­ved: from fwd55.aul.x (fwd55.aul.x ) by mai­lout x with smtp id 1UsMG3-00075X-W9; Fri, 28 Jun 2013 02:09:48 +0200 Recei­ved: from local­host (Z w u h M r Z f Y h P e h n f I Z 0 n a e u s T F — d y f y 2 k j p g p s 3 4 m W f n T j B r a Y B Y k g O l M E e t S t u E g P p @ [ 1 7 2 . 2 0 . 1 0 1 . 1 2 4 ] ) by with esmtp id 1UsMG3-3aLg­s­C0; Fri, 28 Jun 2013 02:09:47 +0200 MIME-Ver­si­on: 1.0 Recei­ved: from 79.218.83.163:30332 by cmpweb56.aul.t‑online.de with HTTP/1.1 (NGCS V4‑0–19‑4 on API V3-11–28‑0) Date: 23 Jun 2013 02:09:47 +0200 — Rep­ly-To: To: t.s@gmx.de X‑Priority: 3 X‑UMS: E‑Mail X‑Mailer: DTAG NGCS V4‑0–19‑4 Sub­ject: fra­ge — Con­tent-Type: multipart/alternative; boundary=“=_0 f a 1 e 2 5 5 2 f 2 0 f 4 b e 2 7 4 6 f 4 5 c 4 7 f 7 b 2 0 0” Mes­sa­ge-ID: <1UsMG3-3aLgsC0@fwd55.aul.x> X‑ID: Z w u h M r Z f Y h P e h n f I Z 0 n a e u s T F — d y f y 2 k j p g p s 3 4 m W f n T j B r aY B Y k g O l M E e t S t u E g P p@x.net X‑TOI-MSGID: a e 6 4 0 9 f b — 1 8 7 0 — 4 5 a 9 — b 0 8 b — 9 2 2 8 6 6 a 4 d b a 9 –=_0 f a 1 e 2 5 5 2 f 2 0 f 4 b e 2 7 4 6 f 4 5 c 4 7 f 7 b 2 0 0 Con­tent-Type: text/plain; charset=“UTF‑8” Con­tent-Trans­fer-Enco­ding: 7bit — WO BIST DU? –=_0 f a 1 e 2 5 5 2 f 2 0 f 4 b e 2 7 4 6 f 4 5 c 4 7 f 7 b 2 0 0 Con­tent-Type: text/html; charset=“UTF‑8” Con­tent-Trans­fer-Enco­ding: quo­ted-prin­ta­ble — stop

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vom vergessen

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del­ta : 6.58 — Ich übe mich seit eini­gen Stun­den dar­in, mir vor­zu­stel­len, was gesche­hen wür­de, wenn in mei­nem Gehirn ein Pro­zess lang­sa­mer Ent­lee­rung ein­set­zen wür­de. Jedes Wort, das ich dem­zu­fol­ge laut for­mu­lier­te, wür­de zum wei­te­ren Den­ken, aber nicht län­ger für mein Spre­chen zur Ver­fü­gung ste­hen. Nach einer Minu­te bereits wür­de ich mich für eine unbe­stimm­te Zeit, ohne Arti­kel zu ver­stän­di­gen haben. Und weil ich viel­leicht sagen wür­de, – ich fürch­te mich, es ist selt­sam, hel­fen Sie mir bit­te! -, wären sofort zehn wei­te­re Begrif­fe ver­lo­ren, die für die Kom­mu­ni­ka­ti­on eines Hil­fe­su­chen­den in der Not kost­bar oder unver­zicht­bar sind. Ich sehe mich, wie ich ver­su­che, das Wort BITTE auf ein Stück Papier auf­zu­tra­gen. Aber auch das ist unmög­lich gewor­den, jedes der in die Luft ent­wi­che­nen Wör­ter lässt sich nicht nur nicht spre­chen, son­dern auch nicht schrei­ben. Ich wür­de also, um nicht ganz ver­lo­ren zu gehen, ver­stum­men, ich wür­de ver­su­chen, so wenig wie mög­lich zu spre­chen, um jedes der Wör­ter, die noch mög­lich sind, auf­zu­be­wah­ren, bis sie ein letz­tes Mal in je einem beson­de­ren Moment vor­ge­tra­gen wer­den könn­ten. Das Wort KOLIBRI, das Wort KONTRABASS, das Wort SCHREIBMASCHINE. Viel­leicht wür­de ich über­haupt nie wie­der spre­chen, son­dern nur noch schrei­ben. Ich wäre ein Mensch, der einer­seits spre­chen könn­te, ande­rer­seits aber doch ver­stum­men müss­te. Selt­sa­me Sache. — stop

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beringer & söhne

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MELDUNG. 78 Kampf­flug­zeu­ge der Gat­tun­gen Me BF und Hur­ri­ca­ne Mk, — von 16.30 bis 17.30 Uhr MESZ über Farn­ham [ Hamp­shire : süd­li­ches Eng­land ] sowie Bridge­wa­ter [ Somer­set : süd­west­li­ches Eng­land ] abge­schos­sen, — ste­hen ab sofort bei Berin­ger & Söh­ne [ Spiel­hal­le / Ree­per­bahn 8 ] wie­der zur Ver­fü­gung. — stop
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ein Millionstel Gramm Wort

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tan­go : 16.22 — Mei­ne neue Schreib­ma­schi­ne ist leicht und flach, ihr Atem geht lei­se. So fein ist sie gebaut, dass ich sie unter mei­nem Hemd ver­ber­gen könn­te, nie­mand wür­de sie bemer­ken. Wenn das so wei­ter geht mit dem Leich­ter­wer­den der Maschi­nen, wer­de ich bald Schreib­wer­ke zur Ver­fü­gung haben, die von gerin­ge­rer Schwe­re sind als die Papie­re, die ich mit ihren Zei­chen fül­le. — Wie viel genau wiegt eigent­lich die­ses elek­tri­sche Wort, das gera­de vor mir auf dem Bild­schirm erscheint? L i m a. Wie vie­le Male wird es heu­te oder mor­gen auf wei­te­ren Bild­schir­men auf­ge­ru­fen, wie lan­ge Zeit jeweils sicht­bar sein? Es ist denk­bar, dass das Wort L i m a, das in Euro­pa vor weni­gen Minu­ten ver­zeich­net wur­de, schwe­rer wiegt, sobald es in Aus­tra­li­en auf einem Bild­schirm erscheint, als das­sel­be Wort, wenn wir es in Euro­pa lesen, 1 Mil­li­ons­tel Gramm schwe­rer, sagen wir, um 1 Mil­li­ons­tel Gramm Koh­le schwe­rer und um den Bruch­teil einer Sekun­de. — stop
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