Aus der Wörtersammlung: verrückt

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logik

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india : 18.08 UTC — Mor­gens im Pend­ler­zug skiz­zier­te ich einen Flug­dra­chen, wie ich sie der Form nach von mei­ner Kin­der­zeit ken­ne. Neben mir hock­te zufäl­lig ein Mäd­chen, das mei­ne Hän­de beob­ach­te­te, auch mei­nen klei­nen Com­pu­ter, auf des­sen Glas­schei­be ich zeich­ne­te mit einem Stift, der für die­ses digi­ta­le Zeich­nen aus­ge­dacht wor­den ist. Ich habe einen Dra­chen, sag­te das Mäd­chen plötz­lich, er ist viel grö­ßer als die­ser da. Ich frag­te, wel­che Far­be ihr Dra­che denn haben wür­de. Das Mäd­chen ant­wor­te­te: Rot und Blau. War­um ist Dei­ner nicht bunt, frag­te das Mäd­chen. Ich sag­te: Weißt Du, ich über­le­ge, ob man einen Dra­chen bau­en könn­te, der aus Eis gemacht ist, aus Schnee, ein Schneedra­chen, der flie­gen kann? — Bestimmt, sag­te das Mäd­chen, das geht! Das Mäd­chen schwieg kurz, dann ver­dreh­te es die Augen. Ver­rückt, sag­te es, das ist schon ver­rückt, er kann aber nicht flie­gen, weil wir im Win­ter kei­ne Dra­chen stei­gen las­sen. Da machen wir ande­re Sachen, aber weil es ohne­hin nicht schneit, könn­ten wir doch mal einen Schneedra­chen bau­en. Cla­ro! — stop

ping

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fingertiere

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marim­ba : 20.56 UTC — Wie nur nennt man die­se Ver­rückt­heit, dass einer gern Bücher auf einer Schreib­ma­schi­ne tippt, anstatt sie zu lesen, wie einen, der nur lesen kann, was er auch schreibt mit den Hän­den? — Wenn ich das Wort Schreib­ma­schi­ne höre, den­ke ich an Lebe­we­sen mei­ner Kind­heit, an Krea­tu­ren mit Wal­ze und Tas­ten, die merk­wür­di­ge Geräu­sche erzeug­ten, sobald man sie beweg­te. Was waren das damals doch für Unge­tü­me, Knöp­fe auf Stel­zen, so groß, dass sie von mei­nen klei­nen Fin­gern kaum bewegt wer­den konn­ten. Hoch oben auf einem Tisch­chen ruh­te die Schreib­ma­schi­ne, manch­mal war sie ver­bor­gen unter einer Hau­be, dann wie­der klap­per­te sie. Mut­ter saß am Tisch und tipp­te vor sich hin. Bis­wei­len setz­te sie mich auf ihren Schoß und ich sah ihren Fin­gern zu, wie sie sich beweg­ten, indes­sen Mut­ter mit mir sprach oder dem Radio zuhör­te. Ich glaub­te manch­mal in den Bewe­gun­gen ihrer Hän­de, etwas Frei­es, Unab­hän­gi­ges zu sehen, als wären die Hän­de mei­ner Mut­ter eigen­sin­ni­ge Lebe­we­sen. — stop

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lido santa maria elisabetta

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tan­go : 22.06 UTC — Eine Welt ohne Auto­mo­bi­le ken­ne ich nicht. Auch eine Welt ohne Strom ist mir nicht bekannt. Nach Stun­den der Fahrt mit­tels Was­ser­bus­sen hin und her und her­um, muss ich des­halb an Land gehen, muss mei­ne Schreib­ma­schi­ne mit Strom ver­sor­gen, um arbei­ten zu kön­nen. Ich stell­te mir ein­mal vor, wie ich unter Vene­zia­ne­rin­nen und Vene­zia­nern sit­ze mit einer klap­pern­den Olym­pia­schreib­ma­schi­ne auf den Knien. Oder das Notie­ren von Hand in ein Notiz­buch auf schwan­ken­den Sitz­ge­le­gen­hei­ten der Dampf­schiff­chen rei­send. Man kann nie­mals erah­nen, in wel­che Rich­tung sich die Welt bewe­gen wird. Plötz­lich fährt die Stift­spit­ze unter der Hand sprung­haft vor­wärts oder rück­wärts, zieht eine Linie jen­seits geplan­ter Schrift­zei­chen, bil­det die Bewe­gung des Mee­res auf Notiz­pa­pie­ren nach. In der digi­ta­len Zeit wer­den ver­rück­te Zei­chen, Fol­ge der Mee­res­be­we­gung von dem Kor­rek­tur­ge­dächt­nis der elek­tri­schen Schreib­ma­schi­ne unver­züg­lich kor­ri­giert. Eine wun­der­ba­re Beob­ach­tung ist, wie ich siche­rer wer­de im Ste­hen auf dem Was­ser im Bus. Beob­ach­te­te hun­der­te Male Kno­ten­bin­dung in dem Moment, da sich das Batel­lo dem Lan­de nähert, da es anzu­le­gen wünscht, sodass es für einen kur­zen Moment selbst zu Land wird. Wie wir Men­schen dann über Brü­cken gehen, wie tan­zen. Am Abend ein­mal spür­te ich die uralte Stadt selbst unter mir schwan­ken. Da ich mich in die­sem Augen­blick dem Lido nähe­re, bemer­ke ich, dass ich die Erfin­dung der Auto­mo­bi­le bereits nach weni­gen Tagen ver­ges­sen habe. — stop
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elisabeth

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char­lie : 0.05 UTC – Vor eini­gen Wochen besuch­te ich das Haus der alten Men­schen, in dem mei­ne Mut­ter wohnt. Ich spa­zier­te über die Flu­re des Hau­ses, mit einem Apfel in der Hand, und war­te­te, dass ich in das Zim­mer mei­ner Mut­ter geru­fen wür­de. Auf einem Sofa am Ende eines der Flu­re vor einem Fens­ter saß eine alte Frau, wie zu einer Salz­säu­le erstarrt. Als ich zum drit­ten Male an ihr vor­über­kam, erin­ner­te ich mich an eine Geschich­te, die ich ein­mal in Brook­lyn erleb­te. Ich hat­te sie vor Jah­ren notiert. Ich schrieb: Im Win­ter des vergan­genen Jah­res, an einem win­dig kal­ten Tag, besuch­te ich in Brook­lyn einen alten Herrn, Mr. Tomas­zweska und sei­ne Frau Elisa­beth. Sie woh­nen nahe der Clark Street in einem sechs­stö­ckigen Haus mit Blick auf die Upper Bay von New York. Ich hat­te den alten Mann wäh­rend einer Fahrt auf einem Fähr­schiff zufäl­lig kennen­ge­lernt. Er beob­ach­tete, wie ich Fahr­gäste foto­gra­fierte, die ihre Namen heim­lich in die höl­zer­nen Sitz­bänke des Schif­fes ritz­ten. Er sprach mich freund­lich an, woll­te mir einen Schrift­zug zei­gen, den er selbst drei Jahr­zehnte zuvor an Ort und Stel­le in der glei­chen Wei­se wie die beob­ach­teten Passa­giere einge­tragen hat­te. Wir führ­ten ein kur­zes Gespräch über die New Yor­ker Hafen­be­hörde, Eisen­bahnen und Flug­zeuge, weiß der Him­mel, wie wir dar­auf gekom­men waren. Als wir das Schiff ver­lie­ßen, lud Mr. Tomas­zweska mich ein, ein­mal zu ihm zu kom­men. Dar­um stieg ich nur weni­ge Tage spä­ter in den sechs­ten Stock des schma­len Hau­ses auf den Höhen Brook­lyns. Die Tür zur Woh­nung stand offen, war­me Luft kam mir ent­ge­gen, die nach süßem Teig duf­te­te, nach Zimt und Früch­ten. Die Räu­me hin­ter der Tür waren verdun­kelt. Ich hat­te sogleich den Ein­druck, dass ich viel­leicht träum­te oder ver­rückt gewor­den sein könn­te, weil in die­sem Halb­dunkel an den Wän­den, auch auf dem Boden, Lam­pen, Dioden­lichter, glüh­ten. Modell­ei­sen­bahn­züge fuh­ren auf schma­len Gelei­sen her­um. Ich höre noch jetzt das lei­se Pfei­fen einer Dampf­lo­ko­mo­tive, das mei­nen Besuch beglei­tete. Es war eine rasen­de Zeit, Stun­den des Stau­nens, da in der Woh­nung des alten Herrn eine sehr beson­dere Modell­an­lage gas­tier­te, ja, ich soll­te sagen, dass die Woh­nung selbst zur Anla­ge gehör­te, wie der Him­mel zur wirk­li­chen Welt. Alle Züge fuh­ren auto­ma­tisch von einem Com­pu­ter gesteu­ert, die Luft über den Gelei­sen roch scharf nach Zinn. Wir spra­chen indes­sen nicht viel, Mr. Tomas­zweska und ich, son­dern schau­ten dem Leben auf dem Boden in aller Stil­le zu. An einem Fens­ter, des­sen Vor­hän­ge zuge­zogen waren, saß Mr. Tomaszweska’s Frau Elisa­beth. Sie beach­tete mich nicht, starr­te viel­mehr lächelnd auf eine klei­ne Klap­pe, die in die Wand des Hau­ses einge­lassen war. Manch­mal öff­ne­te sich die Klap­pe und ich konn­te für Momen­te das Meer erken­nen, das an die­sem Tag von grün­grauer Far­be gewe­sen war, wunder­bare Augen­blicke, denn immer dann, wenn das Meer in dem klei­nen Fens­ter erschien, lach­te die alte Frau mit glocken­heller Stim­me auf, um kurz dar­auf wie­der zu erstar­ren. Ein­mal setz­te sich Mr. Tomas­zweska neben sei­ne Frau und füt­ter­te sie mit war­mem Oran­gen­ku­chen, den er selbst geba­cken hat­te. Und wie wir uns wie­der auf den Boden setz­ten, um ein Modell des Orient­ex­press durch die Zim­mer der Woh­nung krei­sen zu sehen, erzählt der alte Mann, dass sie gemein­sam hier oben sehr glück­lich sei­en. Er kön­ne mit sei­ner Frau zwar nicht mehr spre­chen, er kön­ne sie nur noch strei­cheln, was sie ver­ste­hen wür­de oder sich erin­nern an die Spra­che sei­ner Hän­de. Ver­stehst Du, sag­te er, sie ver­gisst immer sofort, alles ver­gisst sie, auch wer ich bin, aber sie ver­gisst nie­mals nach den klei­nen Engeln zu sehen, die uns besu­chen, sie kom­men dort durch die Klap­pe, siehst Du, schau genau hin, es ist schon ein Wun­der, sag­te der alte Mann, wie schön sie lacht, mein jun­ges Mäd­chen, nicht wahr, mein jun­ges Mäd­chen. – stop
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elefanten in der schnellbahn

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fox­trott : 10.28 — In einem Schnell­bahn­zug beob­ach­te­te ich einen Mann, wie er von Abteil zu Abteil wan­der­te, um auf Stre­cken­plä­ne des Ver­kehrs­ver­bun­des die Sil­hou­et­te je eines Ele­fan­ten auf­zu­brin­gen. Er führ­te des­halb Bögen selbst­kle­ben­der Foli­en mit sich, in wel­che For­men hun­der­ter klei­ner Ele­fan­ten­kör­per ein­ge­stanzt wor­den waren. Ich frag­te den Mann, wer ihn beauf­tragt habe. Er ant­wor­te­te, dass er selbst sich den Auf­trag erteilt habe, dass er schon sehr lan­ge Zeit den Wunsch ver­spür­te, Wohn­or­te der Ele­fan­ten in der Stadt zu ver­mer­ken. Er habe gespart, jetzt schrei­te er zur Tat. Eini­ge Straf­an­zei­gen habe er bereits ent­ge­gen­ge­nom­men wegen Sach­be­schä­di­gung, das war des­halb gewe­sen, weil Ele­fan­ten zwar im Zoo­lo­gi­schen Gar­ten, aber nicht im Nym­phen­bur­ger Schloß­park wohn­haft sein sol­len. Genau dort habe er indes­sen nicht sel­ten Ele­fan­ten beob­ach­tet, wie sie fürst­li­che Wäl­der durch­streif­ten. Nun, sag­te der Mann, ich bin doch nicht ver­rückt. — stop

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nuriye gülmen

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romeo : 0.01 UTC — Ich ken­ne Jasus, der eigent­lich ganz anders heißt, seit eini­gen Mona­ten flüch­tig. Wir begeg­nen uns von Zeit zu Zeit am Bahn­hof oder im Zug. Ein­mal kamen wir auf sei­ne Hei­mat­stadt Istan­bul zu spre­chen. Er sag­te, dass er sich freu­en wür­de, wenn ich Istan­bul gera­de jetzt in die­ser schwie­ri­gen Zeit besu­chen wür­de. Jasus ist glü­hen­der Ver­eh­rer des tür­ki­schen Prä­si­den­ten, der habe sein Land moder­ni­siert, er kön­ne end­lich stolz sein auf die Tür­kei. Ich erwähn­te, dass ich Orhan Pamuk sehr ger­ne lesen wür­de, da wur­de Jasus vor­sich­tig, der Pamuk wäre ihm nicht geheu­er, der soll kri­tisch über die Tür­kei geschrie­ben haben, obwohl er doch selbst Tür­ke sei. Nun saßen wir kürz­lich auf einer Bank im Flug­ha­fen­ter­mi­nal 1. Ich frag­te Jasus, ob er bereit wäre, einen Film der Deut­schen Wel­le anzu­se­hen, den ich auf mei­nem Note­book gespei­chert mit mir führ­te. Der Film berich­tet von einer Dozen­tin der Lite­ra­tur­wis­sen­schaf­ten, die seit vie­len Mona­ten in Anka­ra öffent­lich dar­um kämpft, an ihren Arbeits­platz zurück­keh­ren zu dür­fen. Sie wur­de des­halb jeden Tag ver­haf­tet und erst nach je 5 Stun­den wie­der frei­ge­las­sen. Von Nuri­ye Gül­men hat­te Jasus noch nie gehört, aber er woll­te den Film betrach­ten. Ich stell­te mein Note­book also zwi­schen uns ab, und Jasus ver­folg­te den Film wort­los von der ers­ten bis zur letz­ten Minu­te. Ich mein­te zu bemer­ken, dass ihm der Film nahe­zu­ge­hen schien. Als der Film zu Ende war, woll­te er wis­sen, war­um ich ihm die Auf­nah­me gezeigt habe. Ich sag­te: Ich fin­de, die­se Frau hat recht, sie kämpft um ihre Exis­tenz, sie kämpft für Gerech­tig­keit und Frei­heit, sie ist unge­heu­er mutig. Ja, ant­wor­te­te Jasus, sie ist mutig und sie ist ver­rückt. Er mach­te eine Pau­se. Er schien zu über­le­gen. Dann frag­te er, was mich denn eigent­lich die­se gan­ze Geschich­te ange­hen wür­de? Die­se Geschich­te gehe nur ihn und sei­ne Lands­leu­te etwas an. — Ein Fun­ke Hoff­nung! — Seit vier Wochen befin­det sich Nuri­ye Gül­men im Hun­ger­streik. — stop

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manhattan, 5th avenue no 45

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hima­la­ya : 15.15 UTC — Vor eini­gen Wochen hör­te ich, das New Yor­ker Wohn­ge­bäu­de eines wohl­ha­ben­den Man­nes in der 5th Ave­nue sei nicht etwa 68, son­dern in Wirk­lich­keit, also mit blo­ßem Auge zähl­bar, 58 Stock­wer­ke hoch. Ich dach­te, der wohl­ha­ben­de Besit­zer des Hau­ses könn­te viel­leicht in mitt­le­rer Höhen­la­ge sei­nes Gebäu­des äußerst fla­che, kaum sicht­ba­re Stock­wer­ke errich­tet haben. Kurz dar­auf las ich, der wohl­ha­ben­de Mann habe sei­nem Gebäu­de tat­säch­lich zehn nicht exis­tie­ren­de Stock­wer­ke mit­tels Spra­che hin­zu­ge­fügt, dem­zu­fol­ge erfun­den. Ich las wei­ter­hin, dass der wohl­ha­ben­de Mann selbst die­sen Vor­gang geis­ti­ger Erhö­hung sei­nes Bau­wer­kes bestä­tigt und als einen Vor­gang über­trie­be­ner Wahr­haf­tig­keit bezeich­net haben soll. Das scheint nun doch eine ver­rück­te Geschich­te zu sein, oder aber eine Geschich­te, die von einem Ver­rück­ten han­delt. Wie, fra­ge ich mich sor­gen­voll, kann man einer Per­so­nen­grup­pe oder einer Per­son argu­men­tie­rend begeg­nen, die offen­sicht­lich mit dem Gedan­ken spielt, eine Welt alter­na­ti­ver Wahr­heit (Fak­ten) mit­tels per­ma­nen­ter Wie­der­ho­lung in Wahr­neh­mung und Über­zeu­gung der Men­schen ein­zu­stem­peln? — Frü­her Mor­gen. Ich habe noch etwas Wei­te­res zu ver­mel­den, das schmerzt. Ein Freund, der am kom­men­den Don­ners­tag zum 26. Mal New York besu­chen woll­te, weil er seit drei Jah­ren Lil­ly liebt, die zeit­le­bens in Brook­lyn in der Atlan­tic Ave­nue lebt, weil sie dort gebo­ren wur­de, wird sei­nen Kof­fer nicht packen, weil er wie­der­um in der per­si­schen Stadt Izeh das Licht der Welt erblick­te. Er lebt seit 28 Jah­ren äußerst fried­voll in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. — stop

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radionuklidbatterie

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~ : louis
to : mr. eliot
sub­ject : RADIONUKLIDBATTERIE

Lie­ber Eli­ot! Guten Mor­gen! Wie geht’s, wie steht’s? Ich frag­te mich, ob Du die Hit­ze, — auch bei Dir drü­ben soll es sehr heiß sein -, gut ver­tra­gen kannst? Ich sor­ge mich ein wenig, ver­mut­lich ohne Grund! Mir jeden­falls bekommt die Hit­ze nicht sehr gut. Auch Vaters alter Uhr nicht. Ich tra­ge sie, seit er gestor­ben ist vor vier Jah­ren. Jetzt ist sie ste­hen­ge­blie­ben, ver­mut­lich weil ihre Bat­te­rien in der war­men Luft müde gewor­den sind. Für ein paar Stun­den habe ich mir aus­ge­malt, dass die Zeit mei­nes Vaters nun end­gül­tig ende­te. Das ist schmerz­voll, ich wür­de ihm gern noch ein­mal erzäh­len von mei­nen Wün­schen, von einem Vogel bei­spiels­wei­se, der mein Leben verzeich­net, der mich beglei­tet, Gesprä­che, die ich täg­lich mit Men­schen füh­re oder heim­li­che Gesprä­che mit mir selbst. Auch wür­de vom Vogel auf­ge­nom­men, was ich gese­hen habe wäh­rend ich reis­te, einen Ken­tau­ren im Gebir­ge, Regen­trop­fen am Strand von Coney Island, eine schla­fen­de Hand, die zeich­ne­te. Manch­mal ist es ange­nehm, sich wün­schen zu kön­nen, was nicht mög­lich zu sein scheint, eine gro­ße Frei­heit der Spe­ku­la­tion. Aber in den ver­gan­ge­nen Tagen wur­de mir bewusst, dass die Ver­wirk­li­chung eines mich beglei­ten­den Vogel­we­sens nicht län­ger uto­pi­sch sein muss. Ich kann mir eine flie­gende Maschi­ne ohne wei­tere Anstren­gung vor­stel­len, ein künst­li­ches Luft­we­sen, vier Pro­pel­ler, ange­trie­ben von einer leich­ten Radio­nu­klidbat­te­rie, die sich tat­säch­lich für Jahr­zehnte an mei­ner Sei­te in der Luft auf­hal­ten könn­te, ein bei­nahe laut­lo­ses Wesen in der Gestalt eines Koli­bris, eines Tau­ben­schwänz­chens oder einer Bie­ne, davon erzähl­te ich schon. Ich weiß nicht war­um das so ist, ich habe den Ein­druck, wenn ich Vaters Uhr bald wie­der in Gang set­zen wer­de, wird sie mei­ne Uhr gewor­den sein, das ist viel­leicht ein wenig ver­rückt, oder auch nicht. Ges­tern habe ich eine Geschich­te von 18 Sei­ten Län­ge auf ein Ton­band gespro­chen und der­art beschleu­nigt, dass mei­ne Stim­me zu einem Geräusch von 10 Sekun­den Dau­er wur­de, eine Art Hoch­ge­schwin­dig­keits­hör­spiel, das ich selbst nicht hören konn­te, weil ich sehr hohe Geräu­sche seit lan­ger Zeit nicht mehr wahr­neh­me. Ich sen­de Dir die Datei anbei. Wür­dest Du bit­te prü­fen, ob Du selbst sie viel­leicht noch hören kannst, oder irgend­je­mand sonst? Mel­de Dich bald! Dein Lou­is

gesen­det am
10.09.2016
22.56 UTC
2453 zeichen

segelpferdchen

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eine geschichte von büchern

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nord­pol : 4.02 — B. erzähl­te ges­tern, war­um sie ihren Lieb­ha­ber M. nun wirk­lich zum letz­ten Mal aus ihrer Woh­nung gewor­fen habe. Sie sei, sag­te sie, ihrem jun­gen Freund noch immer sehr ver­bun­den, aber es sei eben auch so, dass sie gelernt habe, nie­mals vor­her­sa­gen zu kön­nen, was M. Ver­rück­tes in der nächs­ten oder über­nächs­ten Stun­de unter­neh­men wür­de. Ein­mal habe er sich auf eine Stra­ße gelegt, um Kin­dern, die ihn beob­ach­te­ten, vor­zu­füh­ren, was gesche­hen wür­de, wenn sie bei Rot über die Stra­ße gin­gen. Er sei dann bald selbst über­fah­ren wor­den, nur weil die Kin­der win­kend auf der Stra­ße einem sich nähern­den Bus ent­ge­gen­ge­lau­fen sei­en, war er ver­mut­lich am Leben geblie­ben. Wie­der­holt, sie­ben oder acht Male, sei er außer­dem in das Klas­sen­zim­mer, in dem B. gera­de unter­rich­te­te, ein­ge­drun­gen, um ihr, mit Rosen bewaff­net, je einen Hei­rats­an­trag zu eröff­nen. Ein­mal, das wer­de sie nie­mals ver­ges­sen, sei M. wäh­rend einer Film­vor­füh­rung im Metro­po­lis-Kino auf­ge­sprun­gen und habe dar­um gebe­ten, den Film sofort anzu­hal­ten, zurück­zu­spu­len und lang­sam wie­der vor­wärts­lau­fen zu las­sen, da er etwas Beson­de­res beob­ach­tet haben woll­te, er sei sich aber nicht sicher gewe­sen, er müss­te das über­prü­fen. Nun also habe sich M. an ihrer, B.’s, Biblio­thek ver­grif­fen. Zwei­tau­send Bücher, sorg­fäl­tigst sor­tiert, Phi­lo­so­phie, Kunst, Rei­se, Dich­tung, ein Sys­tem, in dem sie sofort jedes gesuch­te Buch noch im Traum fin­den konn­te. Auch wenn er in guter Absicht gehan­delt haben moch­te, an einem Vor­mit­tag, da sie unter­rich­te­te, habe M. ihre Biblio­thek voll­kom­men neu orga­ni­siert, er habe ihre Bücher sowohl der Grö­ße, als auch der Far­be ihrer Buch­rü­cken nach in die Rega­le ein­sor­tiert, noch schlim­mer sei gewe­sen, dass er sich ihre Empö­rung nicht erklä­ren konn­te. Sie habe ihn in die Arme genom­men, und dann habe sie ihn behut­sam auf den Geh­steig vor ihr Haus gestellt. — stop
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mexico

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nord­pol : 1.15 — Ges­tern Abend ist etwas Lus­ti­ges pas­siert. Schne­cke Esme­ral­da ent­deck­te eine Mög­lich­keit, mein Fern­seh­ge­rät zu bestei­gen. Sie saß wohl schon eine Wei­le dort oben­auf, als ich sie, kurz nach­dem ich das Fern­seh­ge­rät ein­ge­schal­tet hat­te, bemerk­te. Vom auf­blen­den­den Licht unter ihrem Haft­fuß über­rascht, begann sie, kreuz und quer über den Bild­schirm zu flüch­ten, ihre Augen indes­sen streck­te sie so weit wie mög­lich von sich, schließ­lich ließ sie sich ein­fach fal­len, wand sich auf dem Boden als wäre sie ver­rückt gewor­den, lag dann eine Wei­le still, sodass ich mich vor­sich­tig näher­te, weil ich fürch­te­te, sie könn­te ernst­haft Scha­den genom­men haben. Ich fuhr, um ihre Lebens­geis­ter zu locken, mit einem fei­nen Pin­sel über ihre feuch­te, led­ri­ge Haut, und bemerk­te bald, wie ein Schim­mern über ihren Kör­per wan­der­te. Kurz dar­auf streck­te sich ihr Kör­per unter ihrem schwe­ren Gehäu­se in der Art der Sche­cken, wenn sie sich erhe­ben, und wan­der­te über den Boden fort in die Die­le und von dort aus in die Küche hoch auf den Tisch, wo sie nun seit Stun­den auf einer Bana­ne sitzt. Ich glau­be, sie schläft, ihre Turm­au­gen haben sich in den Kör­per zurück­ge­zo­gen, aber sie erwacht unver­züg­lich, wenn ich und solan­ge ich tele­fo­nie­re, zum Bei­spiel mit M., die von ihrem Freund erzählt, der bald nach Mexi­ko rei­sen wird. Sie wohnt seit Jah­ren mit ihm in einer Woh­nung, ohne ein Wort mit ihm zu spre­chen. Sie sagt, jede sei­ner Rei­sen sei­en für sie mit dem Wunsch ver­bun­den, er möge bald zurück­keh­ren, sie sei fröh­lich, sobald er wie­der in die Woh­nung tre­te, spre­chen wer­de sie jedoch nie wie­der mit ihm an die­sem Ort, und das sei gut so, weil sie sich in die­ser Wei­se zu Hau­se nie strei­ten, sie leb­ten sehr har­mo­nisch, er mache immer Früh­stück für sie, er lege Foto­gra­fien, zum Bei­spiel von Mexi­ko, auf ihren gemein­sa­men Tisch, sie suche dann die Guten her­aus, Bil­der, die gelun­gen sind, es gebe nie Dis­kus­sio­nen des­we­gen, weil sie eben nicht mehr mit­ein­an­der spre­chen, höchs­tens mit den Augen und mit den Hän­den oder mit­tels Gegen­stän­den, die irgend­wo lie­gen oder nicht lie­gen. — stop

nach­rich­ten von esmeralda »

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